Löwenclub Rollenspiel im Wandel der Zeiten

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Skar

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Meine Herren, Rollenspiel wie wir es spielen heißt ja pen&paper. Aber warum? Nur wegen eines ausfüllbaren Charakterbogens vor sich auf dem Tisch? characters&dice fände ich heutzutage passender.

Ich bin kein Rollenspieler der ersten Stunde, aber zumindest seit 1984 dabei. Und da fand man das buchstäbliche pen&paper noch viel mehr vor. Zum Rollenspiel gehörten Unmengen an handschriftlich beschriebenen Papier. Abenteuer, Settingwerweiterungen, neue Welten, in meinem Umfeld hatte zudem jeder Spieler seine eigens erarbeiteten Rollenspiele in der Schublade.

Der Begriff ist zudem Englisch und hat trotzdem hier Einzug gefunden. Papier&Bleistift-Rollenspiel liest man zwar hin und wieder, aber es wirkt doch immer befremdlich auf mich.

Zu meiner Einstiegszeit lagen ausreichend deutsche Produkte vor, sodass wir unser unzureichendes Schulenglisch nicht überstrapazieren mussten. Trotzdem hörte man damals schon von erfahrenen Recken, die eigentlich allesamt mit amerikanischen Studenten oder mit Angehörigen von amerikanischen Streitkräften Kontakt gehabt hatten. Mir scheint das der gewöhnliche Einstieg gewesen zu sein, der das Rollenspiel in Deutschland ins Rollen gebracht hat.

Meine Herren, wann sind Sie ins Hobby eingestiegen und wie waren Ihre Erfahrungen?
 
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Eingestiegen bin ich erst während meines Studiums, ich würde mal schätzen irgendwann Anfang der 90er. Auf Empfehlung des damaligen Besitzer des (damals noch) Spieltraum mit DSA3. Zuerst hatte ich mit AD&D geliebäugelt weil mir das schon vom PC bekannt war (Goldbox Reihe). Aufgrund der doch deutlich höheren Kosten hatte mir der Ladeninhaber dann aber zu DSA3 geraten, vor allem weil bei Nichtgefallen nicht ganz so viel Geld verpulvert würde.

Der Auslöser war bei mir wohl eine Mischung aus Pools of Darkness und Hero Quest.
 
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Ich bin sogar so fies alt, dass ich noch nie "Pen & Paper" gesagt habe - ich unterscheide ganz einfach zwischen Rollenspiel und Computerrollenspiel.

@deutsche Produkte: Ja. Für uns Kleinstädter GAB es eigentlich nur deutsches Material, alles andere musste man sich selber zusammenbasteln - ich habe letzte Woche beim Aufräumen auf dem Speicher noch einen ganzen Ordner mit mindestens 10 D&D-Modulen gefunden, die ich Ende der 80er geschrieben haben muss. Mal sehen, ob sich davon heute etwas verwerten lässt. Englisches Material bekam man nur durch obskure Quellen (bei mir die "Paris-Connection") und verstehen konnte man auch nur einen Bruchteil - was es vielleicht noch einmal zusätzlich interessanter machte.
 
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Der Einstieg war gelegt mit dem wöchentlichen Besuch im Schwimmbad Mattlerbusch. In der Vorhalle hatten die Herren, die später einmal die DuZi sein sollten, ihre Cosimlandschaften ausgebreitet. Jemand verkaufte dort Tunnels & Trolls und mein Interesse war geweckt. Das war so 81'. Dann folgte der Hexenmeister vom flammenden Berg und die Suche nach erwerbaren Rollenspielen begann.
Pen&Paper ist schon passen wenn ich überlege das ich wohl einen ganzen Wald auf den Gewissen haben,mit dem verbrauchten Papier.
Letztens habe ich über die Anfangstage von D&D gehört es wäre ein Cargokult gewesen und in einer gewissen Hinsicht erscheint mir dies auch in Rückblick so zu sein. Die Idee des Spiels wurde vergöttert und jedes bisschen das vom Olymp den Weg zu uns fand wurde neu interpretiert. Diese Freiheit ist schwer wieder zu gewinnen, jedoch zurück zu der Zeit als Charakterbögen mit der Schreibmaschine erstellt und dann fotokopiert wurden möchte ich nicht.
 
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Fotokopieren?!? Das kostete doch wahnwitzig viel Geld! Charakterbögen wurden einzeln angefertigt. ;-)
 
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Angefangen zu spielen habe ich in meiner Gymnasialzeit mit Mitschülern im Gemeindekeller der St. Boromäus Kirche in Berlin, Grunewald. DSA - wie es sich gehört. In der dritten Edition, Ende der 90er und obwohl meiner damaligen Mitspieler schon einen Computer hatten und Eltern, die gerne bereit waren entsprechende Spiele zu kaufen, fand niemand von uns es auch nur enes der damals verfügbaren Computerrollenspiele so ansprechend wie mehrere Stunden lang Charaktere zu erschaffen, Abenteuer zu spielen und sich Notizen zum Verlauf der Geschichte zu machen. Größtenteils mit whodunnits etc. konfrontiert, die nicht an einem Abend bespielt werden konnten, war es Notwendigkeit, Ereignisse etc. schriftlich festzuhalten.

Und seit dem kann ich mir keine Rollenspielsitzung mehr vorstellen, in der ich nicht mindestens 2 bis 3 DIN A4 Karo(!)blätter vollkritzle mit wirren Skizzen, "Abenteuermitschriften" und der Unterschrift meines Charakters.

Irgendwie ist es für mich sehr befriegend, etwas zu schaffen, dass nicht per Strg+Entf gelöscht werden kann, sondern eines anständigen Feuers bedarf.

Grüße
Hasran
 
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1982 eingestiegen...
Irgendwo auf meiner Festplatte gibt es sicher noch einen rollenspielerischen Lebenslauf, wenn ich den gefunden hab, setzt ich ihn hier rein. :)
 
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Der Einstieg war gelegt mit dem wöchentlichen Besuch im Schwimmbad Mattlerbusch. In der Vorhalle hatten die Herren, die später einmal die DuZi sein sollten, ihre Cosimlandschaften ausgebreitet.
Ah klasse. Ein Event, dass sich ja bis heute gehalten hat und in Tabletopkreisen überall bekannt ist. Ich bin nie in einem Rollenspielverein gewesen, aber mir scheint als hätten nur sehr wenige "Institutionen" aus der Gründerzeit wirklich Bestand.

Die Idee des Spiels wurde vergöttert und jedes bisschen das vom Olymp den Weg zu uns fand wurde neu interpretiert.
Eigentlich seltsam, dass es überhaupt interpretiert wurde und nicht nur konsumiert. Aber die deutschen "Abgrenzungsprodukte" wie DSA und Midgard wurden ja eigentlich als Verbesserungen mit mehr Charakterbezug von Kennern der Originalprodukte erstellt.

Irgendwie löste das Rollenspiel wohl einen gehörigen Kreativschub aus, obwohl meines Wissens nie explizit Eigenentwicklungen angestoßen wurden. Produkte wie Grimzahns Fallen oder ähnliches legten das zwar nahe, aber in den bekannten Spielen kann ich mich an keine derartige Empfehlungen erinnern.
 
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Eingestiegen bin ich 1991 oder 1992. Da gab es diese seltsame Clique, die sich auf dem Schulflur über seltsame Monster unterhileten, den ETW0 diskutierten und Charakterideen und Plotvarianten diskutierten. Der Spielleiter der Kleinstdtrunde war eine seltsame Type, die eine Ehrenrunde gedreht hatte und ein Jahr älter war als die Spieler. Der SL hatte die damals aktuellen Romane der Dragonlance (Drachenlanze) - Serie gelesen. Also wurde AD&D II (damals ganz neu!!) gespielt. Beschafft wurde das Material über einen englischen Bekannten, der damals schon in der Games Workshop Szene aktiv war.
Nach ein paar Wochen habe ich mich dannmal getraut zu fragen, was diese seltsamen Gesprächsthemen bedeuten, dann wurde ich eingeladen, beim einem Spieleabend mal zuzschauen. Nach diesem Abend habe ich meinen ersten Charakter erstellt und war "angefixt".
DSA war für und da immer ein "Kinder-Rollenspiel", weil es so "märchennah" war. Außerdem fanden wir es zu "einsteigermäßig", wir waren ja bei einem international erfolgreichen und deutlich "professionelleren" System.
Hach, was waren wir naiv...
Als wir uns dann für "gute Spieler" hielten gingen wir den nächsten Schritt und spielten "Vampire" (huhuuuu). Wir waren so böse...

Seither habe ich alle Spielarten durchprobiert (Brief-RPG, PlayByE-Mail, Pen&Paper, Live und Online) und würde mich als hochgradig süchtig einschätzen. Pen&Paper reizt mich in all seinen Daseinsformen. In WIRKLICH allen!!!

btw.: Irgendwann haben wir aufgehört Cgharakterbögen zu kopieren, sondern die Werte (auswendig...) auf Blanko-Papier geschrieben. Das waren unsere "Universal-Charakterbögen"!!
 
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Fotokopieren?!? Das kostete doch wahnwitzig viel Geld! Charakterbögen wurden einzeln angefertigt. ;-)

Später hatte ich mir meinen eigenen Kopierer organisiert. Der funktionierte mit wärmeempfindlichen Kopierrollenpapier. Was zur Folge hatte das auch alle Fingerabdrücke sich verewigten.:)

Eigentlich seltsam, dass es überhaupt interpretiert wurde und nicht nur konsumiert. Aber die deutschen "Abgrenzungsprodukte" wie DSA und Midgard wurden ja eigentlich als Verbesserungen mit mehr Charakterbezug von Kennern der Originalprodukte erstellt.

In unseren Fall hatte man nicht die Wahl. Ein Jahr bevor ich Sternengarde in den Händen halten durfte, bin ich jeden Tag zur Buchhandlung getingelt um nachzufragen ob es schon da ist. Ich hatte damals auch alle Buchhändler in meiner Umgebung abgeklappert, aber keiner kannte Rollenspiele. Selbst diejenigen die so nett waren und sich für mich erkundigten (ich hatte schon einen sehr hohen Nervfaktor) konnten nichts Bestimmtes sagen. Als ich dann irgendwann durch Zufall herausgefunden hatte das 3 Stadtteile weiter ein Laden existierte der Rollenspiele verkaufte war das eine neue Offenbarung. Da mein Schulenglisch durchweg mangelhaft war, lernte ich dann erst mit den Rollenspielen englisch lesen. Daher waren die erste Versuche höchstgradig freie Interpretationen der Spiele.

Irgendwie löste das Rollenspiel wohl einen gehörigen Kreativschub aus, obwohl meines Wissens nie explizit Eigenentwicklungen angestoßen wurden. Produkte wie Grimzahns Fallen oder ähnliches legten das zwar nahe, aber in den bekannten Spielen kann ich mich an keine derartige Empfehlungen erinnern.

Es war eher umgekehrt, die Systeme traten autorativ auf. Die damaligen Spiele waren so 'schlecht' das jeder sofort anfing Dinge zu verschlimmbessern, zu erweitern, Eigenkreationen zu schaffen. Die Idee war genial, nur so ziemlich jeder erkannte das die Ausführungen stümperhaft waren. Da aber die Produkte minimal vom Umfang waren und damals alles Apothekerpreise hatte (zumindestens für meine Taschengeldvorstellungen), begann ich die örtliche Bibliothek zu plündern. Eine Vorgehensweise die meines Wissens nach üblich war. Das hatte wieder zur Folge das man seltsame Ideen bekam und versuchte dies irgendwie in das Spiel einzubauen.
 
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Stimmt. Obwohl man rückblickend schon mal von Standard-EDO (Elves, Dwarfes, Orcs) spricht, war die Fantasy wenig definiert. Man hatte ein Sammelsurium an Spielfaktoren, die eigentlich nach Ergänzungen oder Lückenfüllern schrien.
Schwerter und Dämonen (Tunnels & Trolls) mit seinen Phantasienamen für Monster setzte dem ganzen noch die Krone auf. Wir haben damals tatsächlich die Namen unserer Lehrer verwurstet. Mit Fantasy hatte das zwar eigentlich wenig zu tun, aber das war uns herzlich egal. Wir hatten einfach Spaß dran.
 
AW: Rollenspiel im Wandel der Zeiten

Stimmt. Obwohl man rückblickend schon mal von Standard-EDO (Elves, Dwarfes, Orcs) spricht, war die Fantasy wenig definiert. Man hatte ein Sammelsurium an Spielfaktoren, die eigentlich nach Ergänzungen oder Lückenfüllern schrien.
Schwerter und Dämonen (Tunnels & Trolls) mit seinen Phantasienamen für Monster setzte dem ganzen noch die Krone auf. Wir haben damals tatsächlich die Namen unserer Lehrer verwurstet. Mit Fantasy hatte das zwar eigentlich wenig zu tun, aber das war uns herzlich egal. Wir hatten einfach Spaß dran.

EDO war ja auch neu. Es gab ja auch sehr, sehr wenige Quellen. Da war der Herr der Ringe und dann...lange Pause. Viele der Highlights - Lankhmar, Elric, Corum, Caine habe ich als Schmuddelsammelbände im Bahnhof bekommen. Auch anderer Pulp und SF war nicht so einfach zu bekommen. Tatsächlich waren die Groschenromane eine echte Alternative.
Das EDO so abgenudelt ist, liegt ja auch daran das jeder im Bereich Fantasy das Klischee erfüllen will (muss?) um Erfolgreich zu sein.
 
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Ich bin gerade auf das Vorwort des quasi ersten deutschen Rollenspiels Abenteuer in Magira vom 6.12.1982 gestoßen, das ich euch nicht vorenthalten möchte. Es zeigt deutlich die Sichtweise der damaligen Zeit (zumindest hier in Deutschland) auf, der bis heute nichts an Aktualität verloren hat.

Erwin Knobl schrieb:
Vorwort vom 6.12.1982

Dieses Regelwerk wurde für Helden verfasst, die es satt haben, erst den Gebrauch von Keule, Schleuder, Bola, Zahnstocher und Mistgabel erlernen zu müssen, bevor es ihnen möglich ist, Pfeil und Bogen zu benutzen; für Drachentöter, die es leid sind tot umzufallen, sobald ihnen ein Magierschüler einen bösen Blick zuwirft. Für geplagte Meister der magischen Künste, die sich vergeblich fragen, warum es einen Zauber gibt, mit dem man den bösen Gegner in ein einäugiges grünes Warzenschwein verwandeln kann, jedoch nur, falls der Gegner kein Meuchelmönch oder Blödelbarde ist, in welchem Falle man...; für verzweifelte "Götter des Abenteuers", deren Abenteurer sich mit zwanzig Giftpfeilen im Leib auf ihre 100 Lebenspunkte und ein 20-seitiges Schutzamulett berufen. Es ist n i c h t gedacht für Leute, denen es genügt in modrigen Unterwelten zu krauchen, um inmitten einer unglaubwürdigen Ansammlung "origineller Ideen" Monster abzuschlachten und Schätze wegzuschleppen, und die dies auch noch für ein "Rollenspiel" halten. Es ist für Leute bestimmt, die die Nase voll haben von "Schubladen-Abenteuern" (Tür auf, Ork tot, Gold in Sack, nächste Tür sprich Schublade) und die wirkliche A b e n t e u e r , Fantasy mit einer richtigen, von ihnen selbst und den Charakteren des Spielleiters gestalteten Handlung erleben wollen. Hierzu ist eine halbwegs realistische Simulation unabdingbare Voraussetzung, doch müssen die Regeln trotz allem noch einfach genug bleiben, um einem durch ständiges Wühlen in Tabellen und daraus resultierende Hemmung des Spielablaufes (Action im Schneckentempo) nicht den Spaß am Spiel zu verderben. Das vorliegende Regelwerk erhebt den Anspruch diesen Kompromiß zu ermöglichen.

Möge es allen phantasiebegabten und mit der nötigen Bgeisterung an die Sache herangehenden Fantasy-Fans dazu dienen, nicht nur in Romanen von phantastischen Abenteuern zu lesen, sondern selbst welche zu "erleben".
 
AW: Rollenspiel im Wandel der Zeiten

So befremdlich es inzwischen auf mich wirkt, so gerne erinnere ich mich noch heute an die Glückgefühle, die eben genau die oben beschriebene Art des "Rollenspiels" im zarten Alter zwischen 12-16 bei mir ausgelöst hat. :D
Was sollte es denn neben Monster töten (um EPs zu bekommen) und Schätze raffen (um eine Burg zu bauen) noch geben?!
O.K., zugegeben, manchmal hat ein "unsinniges" Abenteuer versucht mehr Hintergrund ins SPiel zu bringen, aber das lies sich ja ohne Probleme ignorieren ;)
Auch wenn ich heute wahrscheinlich Haarausfall bekommen würde, wenn ich nochmal an einer solchen Runde teilnehmen müsste...das Gefühl dieser Anfangszeit habe ich in dieser Intensität nie wieder erreicht.
Moment mal, ich glaube ich beschreibe gerade einen klassischen Süchtigen :eeek:
 
AW: Rollenspiel im Wandel der Zeiten

Eigentlich eine gute Idee, aber ganau darin liegt ja das Problem.
Während der ABIzeit war es kein Problem 3-4x pro Woche zu zocken.
Heute bin ich schon froh, wenn es einmal im Monat klappt.
Mit den gewachsenen Aufgaben und Verantwortungen ist es wahnsinnig schwer geworden die Gruppe unter einen Hut zu bekommen. Beruf, Lebenspartner und für die ganz Harten am Ende auch noch Kinder...da bleibt nicht mehr viel.
Ich bin nur froh, dass mein Frau auch aktive Rollenspielerin ist und hin und wieder ihre Eltern überreden kann unsere Tochter über Nacht zu Babysitten, damit wir Spielen können. Gibt zwar jedesmal wieder einen unterschwelligen "Und für sowas nehmt ihr euch Zeit"-Blick, ist es aber allemal wert :D
 
AW: Rollenspiel im Wandel der Zeiten

So befremdlich es inzwischen auf mich wirkt, so gerne erinnere ich mich noch heute an die Glückgefühle, die eben genau die oben beschriebene Art des "Rollenspiels" im zarten Alter zwischen 12-16 bei mir ausgelöst hat. :D
Was sollte es denn neben Monster töten (um EPs zu bekommen) und Schätze raffen (um eine Burg zu bauen) noch geben?!
Das habe ich so völlig anders erlebt.

Daran mag durchaus "schuld" sein, daß für mich die Begeisterung für das Rollenspiel mehr über die Sci-Fi-Seite, also über Traveller und Gamma World gekommen ist. Ich war schon davor ein Science-Fiction-Leser, der alles, was nur irgendwie nach Sci-Fi aussah, lesen mußte. Und mit Traveller, wo man ja ganze Welten selbst(!) erschaffen konnte (und auch mußte), war es tatsächlich möglich meine Mitspieler in die mysteriösen Gefilde fremder Welten aus Büchern, die mir besonders gut gefielen, zu schicken bzw. selbst ähnliche Charaktere wie die Protagonisten der Romane zu erschaffen und zu sehen, wie sie sich in den Welten meiner Spielleiterfreunde so machen würden.

Monster-Bashing - dafür hatten wir schon vorher jede Menge CoSims mit Fantasy-Themen, wie das gute alte DeathMaze.
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Und das EXZELLENTE "War of the Rings" von SPI kann ich nicht genug loben! - man stelle sich vor: individuelle Einzelcharaktere für die Fellowship UND riesige Armeen auf einer Hexkarte enormen Ausmaßes.

Bei solchen CoSims konnte man halt (fast) nur kloppen (manche hatten auch noch Aufbauspielcharakter), so daß wir mit diesen schon lange gewohnt waren "Dampf abzulassen". - Rollenspiel war aber ANDERS.

Im Rollenspiel war ich nicht auf die Hexfelder des CoSims, nicht auf die Die-Cut-Counter mit den dort fest aufgedruckten Spielwerten beschränkt, sondern ich konnte buchstäblich ALLES SEIN und ALLES TUN (und der Spielleiter wird schon dafür sorgen, daß die Spielwelt darauf plausibel reagiert - was manchmal bedeutet, daß sie unsere idiotisch agierende Spielercharaktergruppe in den Knast steckt oder uns Killerroboter auf den Hals hetzt bis zum TPK, bei dem jeder Spieler mit einem Grinsen im Gesicht seinen Charakter hat verdampfen sehen).

Wo ich vorher über Hexkarten und Countern zur Spielvorbereitung über effiziente Taktiken gebrütet hatte, da war plötzlich interessant, was der Charakter so trug, wie er redete, wie die Welt jenseits der Spielwerte aussah. - Für mich war Rollenspiel nicht etwa "Kleingruppen-Skirmish-Tabletop", sondern die Möglichkeit die tollen Romane, Comics, Kinofilme usw. ZUM GREIFEN NAH ins Spiel zu bekommen.

Das hatte mir keine andere Spielform jemals geboten.

Und - JA, wir haben auch fleißig Dungeon-Crawls mit D&D gespielt, nicht nur Traveller, Star Frontiers, Gamma World, Universe (auch von SPI - eine Sci-Fi-Rollenspiel-Perle, die leider zu unrecht so wenig Beachtung fand), und natürlich Midgard. (Man sieht hier aber - so denke ich - deutlich den Sci-Fi-Schwerpunkt unserer damaligen Spielinteressen. Es gab ja auch so viel mehr Sci-Fi-Romane als Fantasy-Romane in den Taschenbuch-Reihen!)

Midgard, das war auch so eine Sache. - Wir WOLLTEN gerne MEHR über die Spielwelt erfahren, da sie ja als schon ewig bespielt präsentiert wurde (Midgard 1 hatte sich noch lange nicht von Magira verabschiedet und noch nicht Magira mit abgefeilten Seriennummern präsentiert wie Midgard 2.). Und wir wurden enttäuscht. - Rollenspielunterstützung zur Spielwelt zu den Kulturen(!), was wir wissen wollten, um unsere Charaktere möglichst plausibel in der Spielwelt zu verankern, das gab es nicht.

Wir mußten uns das selbst zusammensuchen anhand der Ewige Spiel Bände, die die Magira-Historie und die dortigen Kulturen ein wenig beleuchteten, aber vom Rollenspiel und dessen Anforderungen an spielfertige Aufbereitung solcher Inhalte meilenweit entfernt waren (das Ewige Spiel ist ja ein Tabletop auf Basis des Armageddon-Regelwerks gewesen, welches wie eine Art Riesen-Diplomacy jedes Jahr weitergespielt wurde).

Und auch bei D&D und bald darauf AD&D 1st Ed. gab es kaum Material - zum einen, weil wir als Schüler einfach nicht das Geld hatten uns alles zu kaufen, zum anderen, weil man in Deutschland Anfang der Achtziger das Zeug nur schwer bekommen konnte. - Was macht man da? - Das, was man von Traveller und Gamma World (knappes, aber wirklich auch für mich als Einsteiger den Start ebnendes Spielleiterkapitel) gewohnt war: Selbstmachen!

Jeder Spielleiter bei uns hatte MEHRERE Welten, die er selbst gebastelt hatte, parallel zum Bespielen in der Mache. Manche waren schon sehr ausgedehnt, sehr umfangreich. Andere kamen kaum über eine Region samt Kulturen und ein wenig erdkundlichen Informationen hinaus. Und oft wurden - wie ich schon erwähnte - Welten aus Büchern nicht etwa 1:1 abgekupfert, sondern das Wesentliche dieser Welten (und nicht nur einer, sondern manchmal auch Mischungen mehrerer) für die eigenen Spielwelten verwendet. Ich habe fast alles aus Stablefords Hooded-Swan- und Daedalus-Serien an dort präsentierten Welten "verwurstet" - mal in Sci-Fi-, mal in Fantasy-Welten.

Manche Autoren waren eben besonders ergiebige Inspirationsquellen, andere waren so abgedreht, daß man deren Romane zwar lesen, aber nichts davon für das Spiel verwenden konnte. - Das hat dann ein wenig eine Feedback-Schleife aufgebaut, die so aussah, daß man als Rollenspieler mehr Romane gesucht hat, die man im Spiel verwenden konnte. - Damit hat sich erst ein sinnvoller Markt für die heutzutage geradezu zur Landplage gewordenen "Romane zum Spiel" entwickelt.

Damals hatte ich zwar auch zu Midgard/Magira die Ewige-Spiel-Romane "Die Welt des Spielers" gelesen, doch konnten die mit "richtiger" Fantasy halt nicht mithalten (wie die meisten heutigen Rollenspiel-Kreuzvermarktungs-Romane ja auch nicht).

Das Besondere, was das Rollenspiel bot, war nicht das "Dampf ablassen" an "unschuldigen" Dungeon-Bewohnern, sondern viel eher die NEUGIER auf das, was hinter der nächsten Ecke, im nächsten Raum, hinter der nächsten Bergkette, in der nächsten Stadt sein mochte. - Und man war ja auch selbst Spielleiter und wußte, der nächste Raum, das Land hinter der nächsten Bergkette, die nächste Stadt mögen vielleicht gerade jetzt noch nicht einmal dem Spielleiter bekannt sein, weil er seine Dungeons, seine Ländereien, seine Zivilisationen, seine WELTEN mit dem Spiel hat wachsen lassen.

Mann, war das SPANNEND!

Diese Spannung habe ich allen Ernstes mittendrin mal überhaupt nicht mehr gespürt. Das war, als D&D 3.0 aufkam. Da war die Luft raus. Der Zauber verflogen. Alles gesagt. Alles KAUFBAR bis zum Umfallen. Keine Überraschungen mehr, sondern nur endlos viel überspezifiziertes Material, was man sich halt "anlesen" mußte. - Stagnation. Im Wortsinne. Ein stehendes Gewässer, kurz vor dem Umkippen, wo früher ein (mit-)reißender Wildbach der Begeisterung geströmt ist.

Bei uns hat das dazu geführt, daß die "Band" auseinander gegangen ist. - Nicht alle, nicht schnell - graduell, langsam.

D&D 3E war für mich die Zeit, wo die "Musik" gestorben ist.

Doch glücklicherweise nicht für lange. Und sie war ja auch nicht ganz tot - nur das Aushängeschild "Das Fantasy-Rollenspiel" an sich war ziemlich tot. - Midgard gab es immer noch. Und solche coolen Sachen wie Deadlands oder Paranoia.

Erst mit dem Aufkommen von Savage Worlds, dessen erbitterter Gegner ich aus meiner Deadlands-Blockhütte war, hat sich was geändert.

Die z.T. jämmerlich knapp dargebotenen Savage-Settings waren so - unvollständig. Da wollte man immer noch irgendwo was dranschrauben, da gab es immer irgendwo etwas zu Basteln.

Und eh man sich's versah, war man wieder dort, wo einem das Spiel ganz zu anfang schon so verdammt viel Spaß gemacht hat!

Absichtsvoll unterspezifizierte Settings mit nur dem Nötigsten zum Spielen, aber mit einem Regelwerk, das man nicht erst zur Hälfte umschreiben mußte, damit es funktionierte. Das brachte die Musik wieder zurück, weil es einfach ROCKTE.

Und es brachte die "Band" wieder zusammen. Spielrunde mit Durchschnittsalter 45, wo gespielt wird, wie damals im 1. Semester - mit allen blöden Bemerkungen, mit Bezug auf uralte Charaktere und Rollenspielrunden, deren Begebenheiten auch nach über 25 Jahren noch in der Erinnerung lebendig sind - weil man sie ERLEBT hat.

Und es gibt wieder NEUES zu entdecken. In neue, fremde Spielwelten vorzudringen, die man selbst noch nie gesehen hat (und die auch für den Spielleiter neu sind!).

Das ist nicht die Runde, die nur genau ein Rollenspiel spielt und nur genau eine Spielwelt bis zum letzten Tautropfen herunterspezifiziert auswendig kennt. - Diese Art des "konservativen" Spielens war erst nach meiner Zeit in meinem Spielerumkreis am Entstehen.

Unsere Art war die, zwischen Welten zu wechseln, Kampagnen auch über Jahre parallel zu spielen, aber immer nur solange, wie es noch etwas zu entdecken, zu bewegen gab. - Wurde der Kampagnen-Kaugummi schal, dann spuckte man ihn aus und nahm einen neuen. So haben wir immer wieder gewechselt und fanden das auch gut so.

Und das läuft aktuell auch gerade wieder.

Das ist NICHT der Effekt von Savage Worlds, sondern eher der Effekt der Rückbesinnung auf die Produktqualitäten der Anfangszeit des Rollenspiels. - Retrowelle hin oder her, und ob sie hierzulande so am Schwappen ist wie in Amiland, ist auch Wurst.

Es sind die PRODUKTE, die als besondere Qualität eben die LÜCKEN, die UNFERTIGKEIT, die Möglichkeit für GEWOLLTES Do-It-Yourself anbieten, die es jetzt endlich wieder gibt, nachdem man lange Zeit erschlagen wurde von geradezu einem Enzyklopädie-Wahnwitz, der Rollenspielprodukte immer aufgeblähter und immer schwerer verdaulich hat werden lassen.

Eine 4E, die in derselben Form wie jetzt, eventuell früher gekommen wäre, hätte diese Wiederbelebung meiner Begeisterung nicht bewirken können. Das liegt daran, daß 4E umgesetzter Egalitarismus im Rollenspiel ist - etwas, was so meilenweit weg von dem ist, was ICH am Rollenspiel wirklich LIEBEN gelernt habe, daß mich die 4E genauso kalt läßt wie schon die 3E vorher (obschon sie mit ein paar Übeln der 3E aufgeräumt hat - too little, too late).

Was den Charme des Unfertigen, die Ausstrahlung von Potential in einem Rollenspielprodukt anbetrifft, so haben gerade deutsche Autoren leider zumeist die frühe Zeit, die MICH geprägt hat, nicht miterleben können, und sind in einer Zeit der Überkomplettheit und des Style-over-Substance im Rollenspielhobby aufgewachsen. - Das merkt man den meisten deutschen Neuerscheinungen auch an.

Daß man auch hierzulande knapp, knackig und knallig Rollenspiele schreiben kann, davon hat mich erst Funky Colts überzeugt. - Nur müßte es so langsam mal mehr und - noch wichtiger - aus anderer Autoren Feder in dieser flotten Art geben. Doch kommen stattdessen weiterhin die barocken Bilderbücher heraus, deren Spielwert, deren WERT zum Spielen, so mager ist, daß es eigentlich sogar Mogelpackungen sind.

Was ich über Rollenspiel im Wandel der Zeiten an Zwischenbilanz ziehen möchte ist, daß mir heute umso klarer gegenüber früher ist, wie wichtig die Beherrschung des Lückenlassens für Rollenspielautoren ist. - Nicht Lücken, die echte Fehler (also wo etwas FEHLT) darstellen, sondern Lücken, die zum Wachsen und Gedeihen eigener Pflanzen dienen können.

Wer als Autor dieses Lückenlassen beherrscht, der ist - auch über den Zeitenwandel hinaus - ein Autor, der unvergeßliche Produkte und - noch viel wichtiger - unvergeßliche SPIELSTUNDEN ermöglicht.
 
AW: Rollenspiel im Wandel der Zeiten

Ich würde an dieser Stelle gerne widersprechen, allerdings muss ich Zornhau auf emotionaler Stufe absolut zusprechen. Vor ein paar Tagen habe ich mein eigenes Rollenspielchen getippt. Einfach sollte es sein (und ist es). Beim Spieltest ergab sich eine Begeisterung die ich schon lange nicht mehr erlebt hatte. Viele moderne Produkte vermitteln Inhalte und nicht wie früher Ideen.
 
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Und auch bei D&D und bald darauf AD&D 1st Ed. gab es kaum Material - (...) - Was macht man da? - Das, was man von Traveller und Gamma World (...) gewohnt war: Selbstmachen!

Jeder Spielleiter bei uns hatte MEHRERE Welten, die er selbst gebastelt hatte,

Und hier zeigt sich schon das Schisma, das der deutschen Rollenspiellandschaft ihr ganz besonderes Gesicht gegeben hat.

Durch diese Old School-Schule sind nur jene gegangen, die eine andere Eingangspforte als DSA genommen haben.
Ich kann mich nicht erinnern, in 15 Jahren Kundenkontakt auch nur einen DSA-Spieler getroffen zu haben, der sich ein eigenes (DSA-)Setting ausgedacht hätte.
(Wohl habe ich DSA-Spieler gesehen, die sich für andere Rollenspiele eigene Welten gebaut haben, etwa für eine parallel laufende Midgard-Runde oder ein fantastisches, nicht-Mittelalter-Setting für Ars Magica. Aber selbst das war eher eine Minderheit, weil DSA-Fans dank der engen Anbindung an Aventurien und der immensen Produktflut weder Motiv noch Leidensdruck hatten, sich anderweitig zu orientieren.)
 
AW: Rollenspiel im Wandel der Zeiten

Zornhau, danke für den erhellenden Post.

Meinst du, dass eher deine "Phantastik-Sozialisierung" über die Bücher den Ausschlag für deine, TORG (und mir) entgegenstehende, damalige Ausrichtung verantwortlich war? Oder würdest du das sogar auf die Science Fiction beschränken, weil eben dort eine Brettspiel-Variante schwerer umzusetzen gewesen wäre?

Vielleicht fehlte mir auch eher die erschöpfenden Fantasy-KoSim-Erfahrung, sodass ich dem Dungeoncrawl sehr viel abgewinnen konnte.

Und dann würde mich noch interessieren, ob du die zunehmende Regelkomplexität bei Rollenspielen in der gleichen kreativ hemmenden Richtung bewerten würdest, wie die zunehmende Settingtiefe?
Schließlich machte man damals im Rollenspiel was man wollte und nicht nur was man sollte. Mit wenig Instrumenten wurde da viel mehr als heute bewegt.

(Diese breitere Betrachtung findet man ja bei Savage Worlds auch wieder.)

Verminlord schrieb:
Viele moderne Produkte vermitteln Inhalte und nicht wie früher Ideen.
Ich glaube das sollte jeder zwei Mal lesen. :) Toll!
 
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