Lynx
Tinte im Blut
- Registriert
- 13. April 2004
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Die Fortsetzung zu dem hier. Diesmal aber in kleineren Abschnitten, zur besseren Leserlichkeit.
Rabenflug
Die ganze Nacht lang hatte Enodia auf dem Bett gehockt und vor sich hin geweint. Wolf war nicht wieder gekommen. Erst als der Morgen graute hatte sie sich wieder bewegen können. Vorsichtig hatte sie nach der dunkelroten Feder getastet, die der Wind ihr geschenkt hatte. Gedankenverloren drehte sie diese nun zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Die Kälte hatte sich in Enodias Gliedern festgesetzt. Jede ihrer Bewegungen wirkte ein wenig steif und ungeschickt. Allmählich besann sie sich darauf, sich besser anzuziehen, bevor sie sich entgültig den Tod holen würde. Ungelenk schlüpfte sie in ihre Kleidung. Neben der Feder war diese ihr einziger Besitz. So hatte sie sich ihre Flucht nun wirklich nicht vorgestellt. Warum musste sie auch so unbeherrscht sein? Wenn eines wichtig war dann, dass man in solchen Situationen einen kühlen Kopf bewahren musste. Enodia beschloss für sich von nun an sich mehr am Riemen zu reißen. Mit einem neuerlichen Fluchtversuch würde sie wohl warten müssen. Sicher rechnete Wolf damit, dass sie nun auch versuchen würde durch das Fenster zu entkommen oder sich erneut irgendwie loszureißen. Resigniert betrachtete sie die rote Feder. Sie hatte nichts, worin sie diese verstauen konnte. In der Hosentasche würde sie nur kaputt gehen und sie ständig in den Händen zu halten wäre auch nicht sonderlich praktisch. Nach kurzem Überlegen flocht sie sich ihren neuen Besitz einfach in die Haare. Noch immer fühlte sie sich der Welt ein wenig entrückt. Alle Sinneseindrücke kamen ihr nach der langen Nacht so dumpf vor, als müssten sie sich durch einen dichten Schleier zu ihr durchkämpfen. Geistesabwesend trat sie ans Fenster und blickte hinaus.
Sie bemerkte nicht, wie sich lautlos die Zimmertür öffnete und wieder schloss. Leise trat Wolf an sie heran. Erst als er ihr ganz nahe war, sprach er sie an.
„Guten Morgen“,
raunte er ihr zu. Enodia zuckte zusammen. Sie hatte ihn bis dahin nicht bemerkt. Schlagartig bildete sich ein dicker Klos in ihrem Hals. Ihr Herz schlug automatisch etwas schneller. Stocksteif stand sie da und harrte darauf, was nun passieren würde.
Wolf strich ihr langsam eine Strähne hinter das Ohr. Enodia schluckte, Angst machte sich in ihr breit.
„Na, hast du gut geschlafen? Nein, mit Sicherheit nicht.“
Sein Lachen war leise aber dennoch wummerte es in ihrem Ohr wieder. Angespannt versuchte Enodia ihn aus dem Augenwinkel zu betrachten, doch Wolf hatte sich so hinter sie gestellt, dass sie sich hätte zu ihm umdrehen müssen. Als er mit seinen Fingern über ihre Wange strich, kniff Enodia die Augen zusammen und wünschte sich weit fort.
„Wie... angenehm, dass du so brav den Mund hälst. Bist ja doch noch ein braves Mädchen geworden. Glaub mir, wenn du schweigst wird es dir dein Leben erleichtern, außer natürlich, du wirst nach etwas gefragt. Aber ich denke, du verstehst was ich damit meine.“
Wieder lachte er leise. Krampfhaft versuchte Enodia ihr Zittern zu unterdrücken. Sie hatte panische Angst. Was würde dieser Mann nun mit ihr machen? Ihr Verstand konnte es ihr ganz genau erläutern, bis ins kleinste Detail. Doch ihr rasendes Herz unterdrückte diese Visionen. Wolf fuhr mit seinem Monolog fort.
„Jetzt möchte ich aber, dass du singst, mein Vögelchen. Sag mir, wer sind deine Freunde?“
Sie verstand nicht was er meinte. Fragend öffnete sie die Augen und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Enodia hatte keine Freunde und ihr einziges Familienmitglied hatte Wolf erschossen. Mühselig quetschte sie ein paar Worte hervor.
„Ich... weis nicht was du meinst. Ich habe niemanden ... mehr.“
Wolf beugte sich ein wenig zu ihr herunter. Seine Lippen streiften fast ihr Ohr.
„Du weist genau wen ich meine. Also, verarsch’ mich nicht oder du wirst es bitter bereuen.“
„Aber ich...“
Enodia fühlte, wie sie am Arm gepackt und herumgerissen wurde. Angsterfüllt blickte sie in seine zornigen Augen. Dann traf seine Hand hart ihr Gesicht. Ihre Lippe platze wieder auf und ein paar kleine rote Blutstropfen stoben von ihr fort.
„Wer?“,
Wolf schrie nun,
„Wer hat mich gestern von dir weggelockt?“
Tränen schossen Enodia in die Augen.
„Ich weis es nicht“,
stammelte sie.
„Ich weis es wirklich nicht!“
„Rede! Sag es mir oder ich prügel dich bis nach Franka!“
Wieder schlug er ihr ins Gesicht.
Enodia stolperte und wäre auch zu Boden gegangen, hätte Wolf sie nicht immer noch fest gehalten.
„Ich weis es doch nicht. Ich kenne keinen Richter!“
Ihre Stimme war zu einem flehenden Wimmern verkümmert. Plötzlich wurde es still im Raum. Wolf lockerte den schraubstockartigen Griff um ihren Arm und lies sie zu Boden sinken. Zitternd und schluchzend kauerte Enodia sich auf dem Boden zusammen.
„Gut, dann muss ich halt ein paar unbekannte Plagegeister erschießen, wenn sie mir noch einmal in die Quere kommen.“
Seine Stimme war vollkommen ruhig und gelassen geworden. Von einem Moment auf den anderen hatte sich sein komplettes Gemüt gewandelt. Er trat einige Schritte in Richtung der Tür und ließ Enodia liegen.
„Ich habe übrigens einen Abnehmer für dich gefunden. Sei so gut und mach dich gleich ein wenig frisch. Am Ende des Flures ist ein Bad. Und du weist ja, weder abhauen, noch den Schnabel aufmachen, sonst wird es der armen kleinen Munin nicht sonderlich gut gehen.“
Mit einem hämischen Grinsen verlies er sie.
Eine Weile blieb Enodia weinend auf dem Boden liegen. Erst als ihre schreckliche Angst ein wenig nachließ raffte sie sich zusammen. Es war im Augenblick besser sich nicht gegen diesen düsteren Mann durchzusetzen. Innerlich zweifelte sie auch daran.
Rabenflug
Die ganze Nacht lang hatte Enodia auf dem Bett gehockt und vor sich hin geweint. Wolf war nicht wieder gekommen. Erst als der Morgen graute hatte sie sich wieder bewegen können. Vorsichtig hatte sie nach der dunkelroten Feder getastet, die der Wind ihr geschenkt hatte. Gedankenverloren drehte sie diese nun zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Die Kälte hatte sich in Enodias Gliedern festgesetzt. Jede ihrer Bewegungen wirkte ein wenig steif und ungeschickt. Allmählich besann sie sich darauf, sich besser anzuziehen, bevor sie sich entgültig den Tod holen würde. Ungelenk schlüpfte sie in ihre Kleidung. Neben der Feder war diese ihr einziger Besitz. So hatte sie sich ihre Flucht nun wirklich nicht vorgestellt. Warum musste sie auch so unbeherrscht sein? Wenn eines wichtig war dann, dass man in solchen Situationen einen kühlen Kopf bewahren musste. Enodia beschloss für sich von nun an sich mehr am Riemen zu reißen. Mit einem neuerlichen Fluchtversuch würde sie wohl warten müssen. Sicher rechnete Wolf damit, dass sie nun auch versuchen würde durch das Fenster zu entkommen oder sich erneut irgendwie loszureißen. Resigniert betrachtete sie die rote Feder. Sie hatte nichts, worin sie diese verstauen konnte. In der Hosentasche würde sie nur kaputt gehen und sie ständig in den Händen zu halten wäre auch nicht sonderlich praktisch. Nach kurzem Überlegen flocht sie sich ihren neuen Besitz einfach in die Haare. Noch immer fühlte sie sich der Welt ein wenig entrückt. Alle Sinneseindrücke kamen ihr nach der langen Nacht so dumpf vor, als müssten sie sich durch einen dichten Schleier zu ihr durchkämpfen. Geistesabwesend trat sie ans Fenster und blickte hinaus.
Sie bemerkte nicht, wie sich lautlos die Zimmertür öffnete und wieder schloss. Leise trat Wolf an sie heran. Erst als er ihr ganz nahe war, sprach er sie an.
„Guten Morgen“,
raunte er ihr zu. Enodia zuckte zusammen. Sie hatte ihn bis dahin nicht bemerkt. Schlagartig bildete sich ein dicker Klos in ihrem Hals. Ihr Herz schlug automatisch etwas schneller. Stocksteif stand sie da und harrte darauf, was nun passieren würde.
Wolf strich ihr langsam eine Strähne hinter das Ohr. Enodia schluckte, Angst machte sich in ihr breit.
„Na, hast du gut geschlafen? Nein, mit Sicherheit nicht.“
Sein Lachen war leise aber dennoch wummerte es in ihrem Ohr wieder. Angespannt versuchte Enodia ihn aus dem Augenwinkel zu betrachten, doch Wolf hatte sich so hinter sie gestellt, dass sie sich hätte zu ihm umdrehen müssen. Als er mit seinen Fingern über ihre Wange strich, kniff Enodia die Augen zusammen und wünschte sich weit fort.
„Wie... angenehm, dass du so brav den Mund hälst. Bist ja doch noch ein braves Mädchen geworden. Glaub mir, wenn du schweigst wird es dir dein Leben erleichtern, außer natürlich, du wirst nach etwas gefragt. Aber ich denke, du verstehst was ich damit meine.“
Wieder lachte er leise. Krampfhaft versuchte Enodia ihr Zittern zu unterdrücken. Sie hatte panische Angst. Was würde dieser Mann nun mit ihr machen? Ihr Verstand konnte es ihr ganz genau erläutern, bis ins kleinste Detail. Doch ihr rasendes Herz unterdrückte diese Visionen. Wolf fuhr mit seinem Monolog fort.
„Jetzt möchte ich aber, dass du singst, mein Vögelchen. Sag mir, wer sind deine Freunde?“
Sie verstand nicht was er meinte. Fragend öffnete sie die Augen und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Enodia hatte keine Freunde und ihr einziges Familienmitglied hatte Wolf erschossen. Mühselig quetschte sie ein paar Worte hervor.
„Ich... weis nicht was du meinst. Ich habe niemanden ... mehr.“
Wolf beugte sich ein wenig zu ihr herunter. Seine Lippen streiften fast ihr Ohr.
„Du weist genau wen ich meine. Also, verarsch’ mich nicht oder du wirst es bitter bereuen.“
„Aber ich...“
Enodia fühlte, wie sie am Arm gepackt und herumgerissen wurde. Angsterfüllt blickte sie in seine zornigen Augen. Dann traf seine Hand hart ihr Gesicht. Ihre Lippe platze wieder auf und ein paar kleine rote Blutstropfen stoben von ihr fort.
„Wer?“,
Wolf schrie nun,
„Wer hat mich gestern von dir weggelockt?“
Tränen schossen Enodia in die Augen.
„Ich weis es nicht“,
stammelte sie.
„Ich weis es wirklich nicht!“
„Rede! Sag es mir oder ich prügel dich bis nach Franka!“
Wieder schlug er ihr ins Gesicht.
Enodia stolperte und wäre auch zu Boden gegangen, hätte Wolf sie nicht immer noch fest gehalten.
„Ich weis es doch nicht. Ich kenne keinen Richter!“
Ihre Stimme war zu einem flehenden Wimmern verkümmert. Plötzlich wurde es still im Raum. Wolf lockerte den schraubstockartigen Griff um ihren Arm und lies sie zu Boden sinken. Zitternd und schluchzend kauerte Enodia sich auf dem Boden zusammen.
„Gut, dann muss ich halt ein paar unbekannte Plagegeister erschießen, wenn sie mir noch einmal in die Quere kommen.“
Seine Stimme war vollkommen ruhig und gelassen geworden. Von einem Moment auf den anderen hatte sich sein komplettes Gemüt gewandelt. Er trat einige Schritte in Richtung der Tür und ließ Enodia liegen.
„Ich habe übrigens einen Abnehmer für dich gefunden. Sei so gut und mach dich gleich ein wenig frisch. Am Ende des Flures ist ein Bad. Und du weist ja, weder abhauen, noch den Schnabel aufmachen, sonst wird es der armen kleinen Munin nicht sonderlich gut gehen.“
Mit einem hämischen Grinsen verlies er sie.
Eine Weile blieb Enodia weinend auf dem Boden liegen. Erst als ihre schreckliche Angst ein wenig nachließ raffte sie sich zusammen. Es war im Augenblick besser sich nicht gegen diesen düsteren Mann durchzusetzen. Innerlich zweifelte sie auch daran.