[08.05.2008] Abendspaziergang

AW: [08.05.2008] Abendspaziergang

"Ich komme schon zurecht. Gute Besserung!"

Damit war das Thema für sie erledigt. Sie hatte bekommen, was sie wollte. Der Herr hatte es offenbar eilig ins Bett zu kommen, denn er ging bereits seiner Wege. Die Bar merkte sie sich vor, bewegte sich jedoch zielsicher in eine andere Richtung, in der Absicht sich einen besseren Eindruck von der Gegend zu machen. Anscheinend würde sie ja öfters hier her kommen.
 
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Dieser Stadtteil hatte das Flair einer Kleinstadt. Es fehlten die großen prunkvollen Gebäude des Stadtzentrums, die ausgedehnten Industriekomplexe der östlichen Stadt und auch Bürokomplexe suchte man vergebens. Verschlafen lag er da, doch wer genauer hinsah, konnte doch auch mitten in der Nacht noch Spuren von Leben entdecken. Von Bars über Kneipen bis hin zu besseren Restaurants, alles war vorhanden, wenn auch weit verstreut. Hier drängten sie sich nicht sondern bewahrten einen respektvollen Abstand. Etwas gemütlicher, nicht der zähe Konkurrenzkampf, der an den vermeintlich besseren Plätzen herrschte. Am Tage herrschte hier bestimmt ein reges Treiben, doch im Moment war es eher still. Die Menschen lagen in ihren Betten und die wenigen Nachtschwärmer blieben im Trockenen. Etwas weiter vorne konnte man Fahrzeuge hören. Die Geräusche wurden deutlicher und nach einiger Zeit fand sich Marta an einer stärker befahrenen Straße wieder. Das musste die Verkehrsader sein, auf der sie Jens in die Stadt gebracht hatte. Wenn sie ihr nach links folgen würde, käme sie wahrscheinlich an die Autobahn, doch sie entschied sich für die andere Richtung.
 
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Eine weitere Kreuzung, größer und wahrscheinlich wichtiger als die letzte. Ein breiter Asphaltweg zweigte nach rechts ab und führte in das Herz der Stadt. Das Stadion, das Krankenhaus und der Dom lagen alle auf ihrem Weg. Es gab von hier aus keinen besseren Weg ins Zentrum. Für Marta war es jedoch ein Hindernis, glotzte sie doch ein glühend rotes, seltsam menschlich geformtes Auge an. Eine Warnung keinen Schritt weiter zu gehen. Schräg dahinter führte die Straße weiter und gegenüber waren die klobigen Schatten von Lagerhallen und Industriekomplexen zu sehen. Eine weitere Seite der Stadt, nicht lebenslustig, nicht monströs, nicht steril. Auch nicht schlafend oder gemütlich sondern stoisch. Dieser Teil war dazu da Lärm und Schmutz zu trotzen. Er war dazu da einfach seine Arbeit zu machen. Ähnlich wie der verbliebene Teil der Kreuzung. Kleiner und weniger prunkvoll lag die Straße neben den Anlagen. Die wenig einladende Beschilderung wies unter anderem auf ein Gefängnis und eine Mülldeponie hin. Auf diesem Weg transportierte die Gesellschaft also das, was sie woanders nicht haben wollte. Trotz der späten Stunde kamen aus dieser Richtung einige Fahrzeuge. Erst wurde ihr Dröhnen lauter, dann verlangsamte sich der Vormarsch der Lichter. Als würden sie sich an den größeren Weg anpirschen. An dessen Rand blieben sie schließlich stehen. Das rote Auge erlosch. Der Weg war wieder frei.
 
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Der nächste Abzweig. In der Ferne waren große kastenförmige Umrisse zu sehen. Plattenbauten? Auf jeden Fall musste auch der Stadtteil "Burgh" in dieser Richtung liegen, wenn sich die Schilder nicht irrten. Auch zu Bahnhof sollte man über diese Straße kommen. Doch für Marta war ein anderes Zeichen wichtiger. Wie schon gestern hing es da und wies tapfer nach rechts. Wie schon gestern trotzte es dem Wetter und warb für das "Black Hammer". Anders als gestern hatte sie keinen Fahrer. Und laut der Angabe war noch ein Kilometer zu laufen. Ein Kilometer durch das Bahnhofsviertel.

Während sie der Straße folgte, bekam sie das Gefühl beobachtet zu werden. Ein kurzes Umsehen - nichts. Zumindest offenbarten die Schatten nicht. Doch das Gefühl blieb, als würde sich etwas am Rande ihrer Wahrnehmung bewegen. Das war jetzt das zweite Mal in dieser Nacht. Verfolgte sie jemand? Etwas? Möglicherweise war es nie weg gewesen, sie hatte das ungute Gefühl vielleicht nur ignoriert. Oder ihr Verstand war deutlich mehr vernebelt als sie den Eindruck gehabt hatte. Eine Bewegung! Da! Nein, nur eine Täuschung. Kam da ein leises Geräusch aus einer Gasse? Ein Flüstern? Marta beschleunigte ihre Schritte und zwang sich zur Ruhe. Nervosität, vor allem sichtbare Nervosität, konnte sie nicht gebrauchen. Das war keine Gegend in der sie, zusätzlich zu ihrer eigenen Erscheinung, noch weitere Signale von Schwäche zeigen sollte. Trotzdem sah sie sich ein weiteres Mal um.
 
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Mochte es am Wetter liegen oder an der Zeit, jedenfalls war keine Menschenseele zu sehen. Dennoch war sie sich sicher, dass jemand da war. Jemand der sie verfolgte. Aus den Augenwinkeln konnte sie Bewegungen erkennen, die jedoch, kaum dass sie ihnen das Gesicht zuwandte, hinter stummen Schatten verschwanden. Leise Geräusche, Schritte, Stimmen waren zu hören. Kaum wahrnehmbar, aber da. Wer auch immer sie verfolgte, hatte anscheinend Spaß daran, seine Anwesenheit bemerkbar zu machen. Er wollte, dass Marta von ihm wusste. Eine stumme Drohung. Ein Jäger, der seine Beute hetzte? Sie war das Raubtier hier!

Ein Schatten zuckte, kaum in ihrem Sichtfeld. Er verschwand so schnell wie er gekommen war. Doch diesmal war es keine dunkle Gasse, keine Seitenstraße. Lediglich ein Müllcontainer stand an der Wand. Da bist du also! Ihre Hand bewegte sich in Richtung Tasche, verschwand darin und kam wieder zum Vorschein. Mehr war nicht zu erkennen. Sie schritt auf den Container zu, war vor ihm, neben ihm. Zeig dich! Ein Schritt und sie war herum.
 
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Nichts! Abgesehen von einem kleinen Haufen Abfälle. Da war niemand. Höchstens eine Ratte, die sich im letzten Moment verkrochen hatte. Ich werd hier noch verrückt! Alles Einbildung. Sie wurde nicht verfolgt, außer von ihrem eigenen Verstand. Wunderbar! Da hast du dir echt den besten Treffpunkt ausgesucht. Der Dom - prima! Es war schon erstaunlich wie die Eindrücke immer wieder präsent wurden - manchmal wäre es besser, wenn man aktiv vergessen könnte. Leider war das nicht möglich, also tat Marta was sie konnte: Sie versuchte das ungute Gefühl soweit möglich zu unterdrücken. Das war weder gut noch sicher, doch allemal besser, als den Verstand zu verlieren. Seltsam - man konnte den Eindruck bekommen, dass an den bedeutsameren Gebäuden Scherben aus Wahnsinn auslagen, die sich dann im Kopf derjenigen einnisteten, die ihnen zu nahe kamen. Das stank förmlich nach Hexerei!

Endlich war sie wieder am Hotel. Ein kurzer Blick zurück - nichts. In der anderen Richtung eine Bewegung, nein mehrere - Besucher des Hammers. Keiner von ihnen schien sich besonders für sie zu interessieren. Unaufällig verschwand Marta im inneren des Gebäudes. Hier war es trocken und warm sowie ein kleines bisschen muffig. Ein leises Schnarchen bewies, dass hier - zumindest theoretisch - immer noch jemand zur Verfügung stand. Soweit das Geräusch der Schuhe sie nicht wecken würde, durfte die Person auch weiter im Reich der Träume verweilen. Sie wurde nicht benötigt. Die junge Frau fand selbständig den Weg nach oben, die Zimmertür und das auch Schlüsselloch. Kaum war sie eingetreten erinnerte sie schon dass brennende Licht im Badezimmer daran, dass sie schon zum Aufstehen nicht ganz auf der Höhe gewesen war. Der Tisch war bedeckt mit Formularen und Informationsblättern. Doch zuerst kümmerte sie sich um ein weniger hinderliches Schuhwerk. Es wurde finster im Bad. Zettel raschelten, als sie sortiert wurden. Die Formulare landeten in der Mappe. Nun wurde es auch finster im Rest des Zimmers.

Der schläfrige Blick des Hotelangestellten bemerkte, wie eine schlanke Gestalt die Treppe herab kam, freundlich grüßte und bereits zur Tür hinaus war, bevor sich überhaupt ein Gedanke bilden konnte.
 
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