AW: Serenity RPG
Ludovico schrieb:
Ich bin zur Zeit auf dem Firefly-Trip und mich interessiert sehr, wie das Serenity RPG ist.
Kennt es jemand? Hat es wer und wie spielt es sich?
Wo sind die Schwächen und wo die Stärken?
Ich bin auch - schon eine Weile - von Firefly begeistert.
Ich kenne das Serenity Rollenspiel.
Ich habe das Serenity Rollenspiel.
Ich weiß nicht, wie es sich spielt.
Wir spielen Firefly schon länger nach Savage Worlds Regeln und vor dem Hintergrund der Firefly-Serie.
Es folgt keine Rezension, sondern eine Art Brainstorming über das, was ich von der Lektüre der Regelwerkes vor ein paar Wochen noch so in der Birne habe.
Das Serenity Rollenspiel hat (leider) nur die Lizenzen für die Inhalte des Serenity-Spielfilms, nicht jedoch der Firefly-Serie (die Rechte liegen bei unterschiedlichen Unternehmungen). Trotzdem schaffen es die Autoren des Serenity Rollenspiels fast alle markanten Charaktere aus der Serie - nur nicht mit dem Namen der Serie - zu beschreiben (z.B. statt Nandy eben "a whore with a heart of gold").
Das Regelsystem ist stark angelehnt an dem Fantasy-System Sovereign Stone. Es wurde ein wenig modifiziert und vor allem im Vorteil-/Nachteil-Spektrum mit stark an die Firefly/Serenity-Spielwelt angepaßt. Das allein ist in Zeiten von unpassendsten D20-Monokultur-Ausgaben zu allen nur erdenklichen Settings schon eine mutige und erfrischende Entscheidung. Das Regelsystem macht einen guten, soliden Eindruck und vermittelt das, was es soll: cinematisches Rollenspiel wie in der Firefly-Serie (ähm - und natürlich auch wie im Serenity-Film. Gehen sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen. Weitergehen bitte.).
Das Kampfsystem wirkt durchaus tödlich, jedoch wird durch die Plotpoints (andere Spiele nennen das Hero Points, Force Points, Bennies, Drama Points, ... ) eine Möglichkeit gegeben, Schaden zu vermeiden oder kritische Würfelwürfe zu verstärken (vor dem Wurf geben Plotpoints ganze Würfel, die zum Endergebnis hinzuaddiert werden dürfen, hinzu; nach einem Wurf bekommt man für die Plotpoints nur einen jeweils festen Wert hinzuaddiert - dafür darf man aber schließlich ja auch "nachkorrigieren"). Die Serenity Plotpoints sind zahlreicher, aber nicht so mächtig wie die Drama Points bei Angel/Buffy the Vampire Slayer. Das ist etwas schade, doch kann man sich ja auf unterschiedliche Interpretationen und Einsatzmöglichkeiten in seinen Runden einigen.
Nett ist, daß viele Vor/Nachteile auf diese Plotpoints und deren "Wertigkeit" für bestimmte Situationen Bezug nehmen. Das ist etwas, daß den Plotpoint-Mechanismus stärker im Spielsystem verankert, als z.B. die Bennies bei Savage Worlds - es ist eher so ähnlich gelagert wie bei den Fate Chips in Deadlands 2nd Ed., auf die sich weitaus mehr Vorteile/Nachteile/Knacks/Guardian Spirits/ etc. bezogen haben, so daß auch der freie Fluß dieser Fate Chips in der 2nd Ed. von Deadlands stärker sein mußte, als in der 1st Ed. davor. Hier ist der Spielleiter des Serenity-Rollenspiels gefordert, daß er die Spieler nie zu knapp mit Plotpoints hält, andernfalls ihre Vorteile nutzlos wären, aber auch nie zu sehr beschenkt, andernfalls sie "unschlagbar" werden könnten und die Konflikte um immer mehr gehen müßten.
Die Charakteristiken und Fertigkeiten werden alle in Würfeln gemessen (so wie auch bei Savage Worlds oder Deadlands). Es gibt ein Punkte-Kauf-System zur Charaktererschaffung. Die Zahl der Punkte hängt vom gesetzten Powerlevel der Kampagne ab.
Man kann mit Anfänger-Charakteren zu spielen beginnen, oder mit erfahreneren Charakteren oder gleich richtig in die Vollen gehen, indem man sich eine Gruppe von "Big Damn Heroes" erschafft. Das erlaubt den Powerlevel der Kampagne ganz gut zu staffeln. (Natürlich besteht die mit Spielwerten aufgeführte Firefly-Crew aus den Big Damn Heroes - und das ist ja der Powerlevel, den man bei Firefly eigentlich darstellen will, oder?).
Der Sprachgebrauch orientiert sich mehr an der Serie als am Spielfilm (glücklicherweise!) und hat somit einen leichten Western-Einschlag (nebst reichlich chinesischen Kraftausdrücken, die stimmungsvoll passend im Text verteilt sind!).
Schöner Zug in puncto Raumschiff-Design: ein Raumschiff wird (wie in Hardnova II oder Savage Worlds) wie ein Charakter gebastelt. Sogar mit solchen Vorteilen wie "das Schiff wird von seiner Crew geliebt", was es in seiner Performance besser dastehen läßt, als ein ähnlich maroder Seelenverkäufer, der von der Crew eben nicht geliebt wird. Schöne, stimmungsvolle Umsetzung des Verhältnisses der Firefly-Crew zu ihrem Schiff. - Aber: es ist KEINE Hard-Sci-Fi! Keine endlosen Bastelregeln für Raumschiffe oder andere Fahrzeuge wie bei Traveller oder GURPS. Das Schiff ist ein weiterer Charakter, der für unterschiedliche Plot-Zwecke herhalten kann (es bringt die Charaktere dahin, wo das Szenario stattfindet; es ist "krank" = kaputt und der Plot fokussiert sich um die Reparatur bzw. das kritische Ersatzteil (hat irgendwer eine "Compression Coil" gesehen?); es wird bedroht durch Pfändung, ein "land lock", Piraten, Reavers, Allianz Offizielle, Geldmangel des Captains, ... ; es könnte auch Feinde, Freunde, Rivalen bekommen; es kann "sterben" ("I am a leaf in the wind. Watch how I soar."). - Das Schiff wird in einer Firefly/Serenity-Kampagne auf alle Fälle die Bedeutung eines weiteren, tragenden Charakters bekommen und nicht nur ein "Ding" sein.).
Dünn gesät sind leider die Informationen über die Welt der Allianz und der Browncoats. Letztere sind für den Serenity-Film ja sogar völlig unwichtig, spielen aber in der Serie eine gewichtige Rolle - und werden im Serenity-Rollenspiel netterweise eher der Serie entsprechend behandelt. Aber eben ZU DÜNN. Es sind zur Gesellschaft, zu den Welten, zur Historie, zu den Bräuchen, zu allem, was an Setting-"Fluff" relevant ist, hier fast keine Informationen zu finden, die man nicht schon lange vorher kostenfrei (und z.T. besser aufbereitet) im Firefly-Wiki (oder in der Savage Firefly Conversion für Savage Worlds) oder sonst irgendwo auf einer Firefly-Fan-Page finden konnte.
Das hat mich schon etwas enttäuscht. Vor allem, weil hier auch die Konstellationen der Planeten und Monde leider nach der "alles ist in einem einzigen Sonnensystem"-Theorie dargelegt wurden. - Diesbezüglich gab und gibt es schon längere Diskussionen darüber, ob das auch nur halbwegs plausibel sein kann, ob da der offensichtliche Unfug nicht den letzten Spieler/Zuschauer aus der "suspension of disbelief" herausreißt. Joss Whedon hat - wie zu erwarten war - sich bei der Serie und beim Spielfilm um die physikalischen Gegebenheiten einen Dreck geschert. Firefly bzw. Serenity ist nicht Star Trek oder BR3 Space Night, sondern allen voran Western mit zivilisierten Gegenden (wie Ariel - oder New York), unzivilisierten Gegenden (wie Whitefall - oder Tombstone) und teils-teils Gegenden (wie Persephone - oder Denver). Da sollte man auch im Spiel besser weniger das Augenmerk auf sinnvolle Schilderungen legen, da sich die Monde bzw. Planeten eh dort befinden, wo der Plot sie haben will. - Nur stört mich persönlich diese "One System"-Theorie schon ziemlich. Für mich und somit in meiner Firefly-Kampagne stellt sich das Firefly-Universum astronomisch anders dar. - Man sollte zur Vermeidung von Mißverständnissen und unterschiedlichen Erwartungen angehenden Firefly-Spielern vorher klarmachen, daß sie hier nicht nach dem "Warum?" für die Gegebenheiten der Spielwelt zu suchen brauchen. Es ist halt nicht Traveller, sondern Firefly (bzw. Serenity).
Auf alle Fälle kam mir der Hintergrund etwas zu dünn weg.
Tabellenteile, Charakterbögen und ein Start-Szenario FEHLEN in dem ansonsten schön aufgemachten Hardcover! - Das ist eigentlich bei dem nicht geringen Preis ein echter grober Schnitzer.
Klar, viele Leute verwenden die mitgelieferten Standard-Charakterbögen eh nicht. Aber manche - so wie ich z.B. - verschaffen sich anhand des Charakterbogens einen ersten Eindruck vom Charakterwerte-Management und der Gewichtung unterschiedlicher Regelbestandteile, wie sie der Bogen für den Gebrauch im Spiel aufführt. Daher ist das Fehlen von Charakterbögen eine grobe Unterlassung.
Für einen angehenden Spielleiter wäre es wichtiger gewesen statt einer zweiten Crew mit vollen Charakterwerten, die zusätzlich zur Serenity-Crew aufgeführt wird, eben alle wichtigen Tabellen zusammengefaßt am Ende zum leichten Herauskopieren zu finden, und ein Startszenario, welches die Spielmechanismen beleuchtet und die Stimmung auch für Bislang-noch-nicht-Firefly-Fanatiker einfangen und vermitteln kann.
Da wurde ebenfalls gespart.
Für diese Punkte vergibt ein durchgeknallter Oberverbrecher mit privatem Skyplex das Prädikat: "not so solid".
Der Regelteil ist hingegen solide und brauchbar. Das Fertigkeitssystem basiert auf Würfel der Charakteristik plus Würfel der Fertigkeit größer Mindestwert. Boni und Mali wirken sich zumeist in der Änderung der Würfelgröße aus (+2 auf einen d4 macht einen d8 daraus). Ein etwas komischer Zug ist, daß man hier auch einen d2 (ja, einen zweiseitigen Würfel) in die Progression eingebaut hat: d2, d4, d6, d8, d10, d12. Aber ich denke, man kann sich daran schon gewöhnen, so daß das Hochzählen von 2 bis 12 mehr Klarheit verschafft, als das Auswerten eines d2 in der Praxis an Verwirrung besorgen läßt.
Das Kampfsystem ist OK. Es gibt tödlichen Schaden und nicht-tödlichen Schaden, die beide auf gegenseitigen Punkten zweier einander überlappender Skalen aufgetragen werden (hier wäre der Charakterbogen WIRKLICH hilfreich gewesen). Erreicht der eine Bereich den anderen, klappt der Charakter um. Ein elegantes und mit recht wenig Buchhaltung verknüpftes Schadenssystem. Die Waffen sind ungesund. Wer damit gut umgehen kann, der ist jemand, dem man Respekt zu zollen hat - selbst wenn er eine komische Mütze als Geschenk von seiner Mutter trägt.
Fazit(artige Anmerkung):
Mich läßt das Serenity-Rollenspiel etwas zwiespältig zurück.
Einerseits ist es für ein Lizenzwerk auf der Basis nur eines einzigen (und vermutlich auch einzig bleibenden) Filmes ein verdammt gutes Buch geworden. Das liegt natürlich daran, daß die Autoren sich einen
shi de guai shi um das Verbot die Firefly-Serieninhalte zu nutzen geschert haben und diese sehr geschickt und gut wiedererkennbar eingebaut haben.
Andererseits ist das Regelwerk - obschon solide - nichts, was man nicht anderswo schon mal oder gar flüssiger oder eleganter gesehen hätte. Die Nähe zu Savage Worlds und zum Cinematic Unisystem (wie in Angel, Buffy the Vampire Slayer, etc.) ist auffällig, wobei sie bestimmt zufällig ist. Ähnliche Dinge im Problemraum (wie bilde ich einen Film/eine Fernsehserie ab?) bilden sich oftmals in ähnlichen Lösungsräumen ab (man nehme Würfel unterschiedlicher Größen statt fester Werte, man nehme Attribut plus Fertigkeit größer Mindestwert als Mechanismus, man verwende "Cheat-Punkte" zum "Nacheditieren" von fehlgeschlagenen Handlungen oder zur Sicherstellung des Überlebens der Hauptfiguren der Serie).
Insgesamt habe ich nicht bereut mir das Serenity-Regelwerk zugelegt zu haben. Es liest sich richtig gut und hat die Firefly- (weniger die langweiligere Serenity-) Stimmung gut eingefangen. Spielen werde ich Firefly aber weiterhin nach Savage Worlds Regeln (und nicht nur, weil meine Kampagne mit der Savage Firefly Conversion schon eine Weile läuft - denn beider Systeme Spielwerte lassen sich mit links in einander überführen, so ähnlich sind sich beide Systeme).
Ich kann mir gut vorstellen, daß das Serenity-Rollenspiel für jemanden, der noch nicht Deadlands, noch nicht Savage Worlds, noch nicht Angel, noch nicht Buffy gespielt hat, eine interessante Spielerfahrung ist. Es trifft den Kern des Settings und ist schnell erlernbar.
Auf echte Spielerfahrungsberichte wäre ich aber auch neugierig. - Wer da draußen im 'verse, spielt denn nun alles das gorram Serenity RPG wirklich?