Rezension Freelancer Hexxagon [B! Rezi]

Skar

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Freelancer Hexxagon


Grundregelwerk


Freelancer Hexxagon, heißt dieses für mich recht überraschend angekündigte und kurzfristig bei Ulisses erschienene Rollenspiel aus der Feder von Christian Lonsing. Ein Titel unter dem man sich erstmal wenig vorstellen kann, der Untertitel bringt es da etwas mehr auf den Punkt "Köln Dungeon Monsterjäger", aber so richtig weiß man immer noch nicht, worum es geht. Die Illustrationen auf dem Buch muten ein wenig nach Mangastil an, aber es finden sich auch kleine Pixelmännchen, wie aus einem Computerspiel aus den frühen 80er Jahren.

Diese anfängliche Verwirrung macht mich erstmal neugierig und ich wende mich dem Inhalt zu. Christian Lonsing hat dieses Buch laut Impressum/Credits allein verfasst. Er war bisher vor allem bei Shadowrun und Armalion aktiv, aber darauf kommen wir später noch einmal zurück.

Gedruckt ist das Buch auf relativ dickem Papier und das Layout hat beinahe verschwenderische Züge. Die 160 Seiten dieses Buches wären daher auch auf weniger Papier unterzubringen gewesen, was ich sehr begrüßen würde. Insbesondere daher, da man dem Werk die Designabsichten des Autors deutlich anmerkt. Mit Sinn und Verstand für ein einsteigerfreundliches Setting geht Lonsing hier an die Sache heran.
Wir spielen Menschen in einem unbestimmten "heute in einem Jahr" in Köln und wir sind so genannte Emorpher, die die Realität zu ihren Gunsten verändern können. Diese Fähigkeiten können sehr vielfältig sein, vor allem aber können sie das sein, was man sich vielleicht schon mal gewünscht hat: So werden die Emorpher durch das (unbewusste) Verändern der Realität zu ganz besonderen Menschen. Sie haben zum Beispiel einfach mehr Glück als andere, haben ein besonderes Talent, gehören zu Supersportlern oder sind einfach nur unglaublich attraktiv.
Leider verhält es sich mit der Realität so, dass die normalen Menschen weiterhin in ihrem Trott leben und die Risse, die sich in der Realität geformt haben nicht bemerken. Diese Risse lassen aber andere Wesen (Monster) in unsere Realität herein, die diese wiederum bedrohen. Eine Organisation namens Corps, versucht aber die Emorpher aufzuspüren und für den Kampf gegen diese Bedrohung zu gewinnen.
[An dieser Stelle sei noch kurz erwähnt, dass ich keinen Personenbezug zu dem recht unbekannten Rollenspiel "Corps" von Tyr Games herstellen konnte, obwohl es eine ähnliche Ausrichtung hat.]
Das Corps stellt also eine Schaltzentrale gegen die Feinde unserer Realität dar und hält auch relativ gute Argumente bereit, die dafür sprechen Corps beizutreten. Denn Corps sammelt sogenannte Henshin-Artefakte: Magische Gegenstände, die durch Emorpher ausgelöst werden können.
["Henshin" stammt aus dem Animebereich und ist da das Auslösen bestimmter Verwandlungen durch eine gesprochene Phrase. Hierzulande wohl am ehesten durch die Power Rangers bekannt, scheint diese Thematik es Christian Lonsing aber sehr angetan zu haben und hier liegt wohl auch der Mangastil der Illustrationen begründet.]
Nebenbei sammelt Corps natürlich auch das Wissen rund um die Gaben von Emorphern und macht diese dadurch von unbewussten Anwendern der Gaben zu echten Profis - den Freelancern. Freelancer ist ja vom Wortsinn hier ein freier Mitarbeiter und genau das sind die Freelancer auch, sie sind frei und können Aufträge durchaus ablehnen.
[Ein Schelm wer denkt, dass Lonsing hier alte, standardmäßige Auftraggeberstrukturen von Shadowrun aufbrechen möchte.]

Doch damit nicht genug verfügen die Freelancer verständlicher Weise durch ihre Macht über ein enormes Selbstvertrauen und dieses äußert sich wiederum in einem heißen Tatendrang, die sie jede Herausforderung annehmen lassen. Zusammen mit ihren enormen sportlichen Fähigkeiten und ihrer aus ihrer Selbstsicherheit resultierenden Attraktivität, erhalten wir mit einem Freelancer also eine richtig coole Sau! Lonsing versteht es hier besonders geschickt das Setting so aufzubauen, dass jegliches Brechstangengefühl verschwindet und man sich gerne und sehr einfach in das Setting hereinbewegen kann. Ein ganz besonders Lob dafür schon mal an dieser Stelle. So einfach und einsteigerfreundlich habe ich noch kein Setting erlebt.

So stellt sich auch der gesamt Fluff als sehr vorbildlich dar. Leider verzettelt sich dann Christian Lonsing in meinen Augen aber ein wenig mit der weiteren Umsetzung, vor allem bei den Regeln.
Abseits der Regeln finde ich die japanischen Animeanleihen in Form von diversen Bezeichnungen und der seltsamen Auslösephrase "Henshin" für die Artefakte eher unpassend zum Setting. Die mangaartigen Illustrationen hätte ich auch viel lieber auf eine breite Akzeptanz bei jungem Publikum geschoben, als sie offensichtlich einer persönlichen Vorliebe des Autors zuzuordnen. In ein deutsches, pulpiges Setting passen sie meines Erachtens nämlich wenig.
Bei den Regeln lässt sich eine große Regeltiefe feststellen, obwohl Lonsing gerade betont, dass er nicht mehr Regeln als bei einem Brettspiel verwenden will. Zwar bauen sich die Regeln in erster Linie wenig anders als in konventionellen Rollenspielen auf (W20 + Eigenschaft gegen einen Erwartungswert), sind aber recht breit angelegt. Ich frage mich zum Beispiel, ob "Abseilen" bei besonderen Fortbewegungsarten oder "Blindkampf" einzeln definiert werden müssen. Zudem finden sich deutliche Einbauten von Tabletopelementen in den Regel.
[Hier grüßt wohl Lonsings Armalion-Vergangenheit.]
Eine Battelmat ist ein Muss, wenn man nicht sogar gleich beim Kampf auf ein Tabletop-Maßband zurückgreift.

Neben diesen Kampfregeln finden sich noch zwei weitere Empfehlungen im Buch, die parallell zu den Kampfregeln angewandt werden soll. Ausdrücklich hier nochmal: diese ergänzenden Regeln sind nicht optional, sondern sollen zusätzlich gelten. Das ist zum einen das erzählerische Auflösen von Szenen und zum anderen der Hindernisparcours, wie man ihn aus klassischen Jump&Run-Computerspielen kennt.
[Daher wohl auch die Pixelmännchen auf dem Cover.]
Beim Hindernisparcours arbeitet man sich über einen Bodenplan, der mit Fallen, trügerischen Untergründen und ähnlichem gespickt ist, was allesamt die Fortbewegung erschwert.

Aber wenden wir uns nochmal dem Setting zu.
Wofür Freelancer steht wissen wir ja jetzt. Das "Hexxagon" aber steht für einen bösen Zauberer, der mit seinen Monstern einen unterirdischen Dungeon unter Köln besetzt hält und die Freelancer herausfordert. In Freelancer Hexxagon sollen die Freelancer in Fantasy-Formen dem Zauberer beikommen. (Weitere Genreabdeckungen sind lose im Buch unter den Titeln "Freelancer NAME" angekündigt.)
An Fantasy-Formen stehen folgende Beispiele (Klassen) zur Verfügung: Barbar, Paladin, Krieger, Barde, Pirat, Ninja, Berserker, Druide, Kampfmagier, Beschwörer, Gestaltwandler, Samurai und Mönch. Also 13 Stück. Mit ihren jeweils zugeordneten Henshin-Gaben und einer zu wählenden Karmaeigenschaft, die besondere Regeleffekte des Charakters bereithält; darunter findet sich zum Beispiel auch die "Würfel"ergebnisse per Pokerdeck zu ermitteln oder z.B. bestimmte Wiederholungswürfe durchführen zu dürfen.
Mit diesen Charakteren gilt es dann die Herausforderungen Hexxagons zu meistern. Dieses Abenteuer erstreckt sich über 50 Seiten und hält ein ganz besonderes Ende für die Helden bereit.
Darüber hinaus hält das Buch aber auch Spieldesigner-Tipps, die eine kleine Hilfestellung darstellen, um eigene Abenteuer zu entwerfen.

Fazit:

Freelancer Hexxagon ist ein sehr schön ausgearbeitetes und einsteigerfreundliches Setting, dass ich hier in den höchsten Tönen loben will. Meine dagegen oben eher stark relativierenden Aussagen zum Regelsystem resultieren aus meiner Enttäuschung nach diesem positiven Beginn nur klassische Regeln vorzufinden, die zwar auf ungewöhnliche Art ergänzt werden, in meinen Augen aber eine zu große Regeltiefe aufbieten. Vor allem, weil zum Beispiel die sehr schlanken Initiativeregeln (Reihenfolge anhand des GE-Wertes) nicht zu den restlichen Regelelementen passen.

Wen detaillierte Regeln nicht stören oder ergänzende Ungewöhnlichkeiten im Spielsystem zusagen, für den ist Freelancer Hexxagon eine ganz klare "Kauf-Kauf"-Empfehlung.
Für mich ist diese Empfehlung etwas geschmälert, sodass ich nur 4 von 5 Punkten vergebe.

Ein Wort noch zum Preis-/Leistung-Verhältnis: Für ein Vollfarb-Hardcover, das alles beinhaltet, was man zum Spielen braucht, sehe ich diesen Preis durchaus als positiv an. Zwar mag der Seitenpreis aufgrund des relativ geringen Umfangs etwas höher sein, als bei vergleichbaren Werken, aber das hat mit Spielspaß eh wenig zu tun. Und weniger Seiten sehe ich auch eher als Gütesiegel als enzyklopädische Breite.

Es sei hier im übrigen noch erwähnt, dass Freelancer Hexxagon, sehr ähnlich zu Scion: Hero ist - abgesehen von der Ausrichtung auf Götter-Phanteons versteht sich.

Außerdem verweise ich hier auf die recht vorbildlich geführte Website zu Freelancer Hexxagon: StartDen Artikel im Blog lesen
 
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