Ein auelfischer Prolog (DSA)

Nightwind

Erzketzer
#StandWithUkraine
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11. September 2003
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Ohne in ihrem Harfenspiel innezuhalten, stand Kiriaade auf ging in die Mitte des Kreises, der durch alle Elfen ihrer sala, den Fischer-und-Läufer-am-ruhigen-Ufer, gebildet wurde. Ihre Mutter sah sie erwartungsvoll an, ihre Schwester mit traurigen Augen. Fast alle anderen Sippenmitglieder zeigten Neugier und drückten sie durch eine kaum merkliche Änderung in den von ihnen gespielten und gesungenen Tönen aus. Sie alle spürten schon seit Wochen, dass sich mit Kiriaade etwas verändert hatte, wenn auch die wenigsten diese Veränderung deuten konnten. Das heutige salasandra hatte schon mehrere andere Lieder gehört, stets eingebettet in das Sippenlied, das jeden einzelnen Elfen der Gemeinschaft als einzelne Stimme in die große Harmonie einband. Ihre Schwester Eire, die nun Flötentöne in Moll beizutragen begann, weil sie von allen als einzige genau wußte, was jetzt kommen würde, hatte zuvor noch von ihrer Zuneigung zu Eldariel gesungen, von dem Freundschaftslied, dem unzerreißbaren Band, das nun zwischen ihnen geknüpft war. Es war ungewöhnlich, schon in so jungen Jahren den iama gefunden zu haben, der für ihr ganzes Leben von Bedeutung sein würde. Wer weiß, vielleicht würde irgendwann noch ein tieferes Band folgen... eine Seelenhochzeit hatte es in der sala schon lange nicht mehr gegeben. Danach hatte der kleine Andayon von seiner Begegnung mit einem Rosenohrigen gesungen, als er mit seinen Eltern zum Handel mit ihnen ins nahe Quillyana gegangen war, und ganz hingerissen war er von den Baumhäusern der dort ansässigen lairfeya gewesen.

Alle in der Sippe wußten, dass Quillyana eher untypisch war für einen Ort der Rosenohrigen, der telor; was daran lag, dass es nicht nur ein Ort der telor war, denn die lairfeya, die waldbewohnenden Verwandten der Auelfen, hatten den telor einst verboten aus Stein bauen und mehr als eine bestimmte Menge Holz zu schlagen, damals, als sie gekommen waren, auf der Flucht vor irgendwelchen Streitereien zwischen ihren Stämmen. Das war auch das nächste Lied gewesen, das in sie Sippenmelodie geflochten wurde, von der Zeit, als die Rosenohrigen gekommen waren und die lairfeya ihnen Zuflucht gewährt hatten, was auch einige der biunfey angezogen hatte, vorsichtig neugierig, ob ein dauerhaftes Miteinander mit den schnelllebigen telor möglich wäre.

Nun begann Kiriaade zu singen. Sie begann mit ihrem Lebenslied, das allen wohlbekannt war, wenn es sich auch immer wieder geringfügig änderte und stets erweiterte. Dann leitete sie über zu dem, was ihr Herz bewegte, und wie es dazu gekommen war. Sie sang von der Begegnung die sie in ihrem zwölften Sommer gehabt hatte, mit der shi, einem kleinen, schalkhaften, elfengestaltigen Wesen mit buntschillernden Flügeln, welches ihr einen Traum geschenkt hatte. Einen Traum von dem, was sein würde oder könnte. Es war ein furchterregender und doch anziehender Traum gewesen für die kleine Elfe, davon dass sie ihre sala, ihre Familie, ihre Heimat, alle die sie kannte und liebte, verließ um etwas zu suchen von dem sie nicht wußte, was es war. Sie hatte diesen Traum in ihrem Herzen bewahrt, denn die shi waren noch immer dem Licht nahe, dem letztlich auch die Elfen entstammten. Doch lange Zeit hatte der Traum für ihr Leben keine Rolle gespielt. Sie wuchs auf, lernte, half und wirkte und war ein Teil ihrer sala, wie alle anderen heranwachsenden Elfen auch. Dann war, wie es immer wieder einmal geschah, ein Wanderer in ihr Dorf aus Pfahlbauten am Flachwasser gekommen. Sie sang weiter von ihrer Begegnung mit ihm, den die Menschen nur den Roten Pfeil nannten, weil er regelmäßig bei ihren Turnieren gewann (Turnier... ein Wettbewerb, nur dazu da, um den Besten zu ermitteln. Auf was für merkwürdige Ideen doch die Rosenohren kamen...). Seine Pfeile verfehlten nie ihr Ziel und selbst unter den Elfen gab es niemanden an den sich irgendwer erinnern konnte, der ihm mit dem Bogen gleichkam, außer vielleicht Tenobaal Totenamsel, den legendären Schützen und Hersteller magischer Pfeile; aber hieß es nicht auch, der Rote Pfeil wäre dessen Wiedergeburt? Kiriaade glaubte das, denn auch er befiederte seine Pfeile, die nicht nur Werk seiner Hände sondern auch seines mandra waren mit der Feder der Totenamsel. Sie wußte das so genau, weil er ihr einen geschenkt hatte.

Sie sang weiter, davon wie sie sich näherkamen. Ihre Neugier auf ihn, der viele Länder gesehen hatte und den Menschen, die dort überwiegend wohnten. Seine Müdigkeit, das Verlangen danach eben das abzulegen was ihr Interesse geweckt hatte. Interesse, das sich schließlich wandelte, als sie erkannte, dass sie genau das war, was er brauchte, um das erlebte badoc hinter sich zu lassen und wieder fey zu werden. Da hatte sie den Mann hinter seinen Erlebnissen und Erfahrungen gesehen und ihn diesen vorgezogen. Mehrere Monde hatten sie zu einem Großteil miteinander verbracht, beim Fischen, beim Jagen mit dem Bogen, im salasandra; sie teilten Lieder, Gedanken und körperliche Freuden miteinander, auch mandra um einen Bogen oder Pfeil aus dem Baum wachsen zu lassen oder für andere Dinge. Es war eine schöne Zeit für sie, und als er wieder ging, verabschiedete sie sich ohne Trauer, mit einem Lächeln.

Doch auch wenn er viel bewirkt hatte, eines hatte sie noch nicht erwähnt: Nun sang sie von den beunruhigenden Dingen, die er erzählt hatte, von dem Kampf der telor gegen das zertaubra der Äußeren, das Verderbte ihrer Art in die Welt gerufen hatten. Nun war es da und wollte nicht mehr gehen, wollte sich im Gegenteil ausbreiten um alles zu verschlingen, nicht nur die Rosenohrigen. Schon waren mehrere sala'a der biunfey bedroht oder schon verloren, schon kämpften die Brüder und Schwester in den weißen Ländern gen Mitternacht um ihr Leben gegen den Griff der Zerstörer aller Harmonie. Solche Dinge hatten sie schon vorher gehört, auch vom e'fey der fenvar, die alle Elfen aufgerufen hatte um an der Seite der Rosenohrigen in den Kampf zu ziehen gegen die Helfer der Äußeren ('Dämonen', so nannten die telor die Äußeren). Doch erst jetzt war die Zeit für Kiriaade reif. Der Samen, den sie schon seit ihrem zwölften Sommer in sich trug, keimte, als sie dem Roten Pfeil nachsah, wie er seine Wanderung fortsetzte. Das war es, was sie ihrer Familie, ihren Freunden, der sala sagen wollte.
Aller Melodie entkleidet und mangelhaft übersetzt in die krude Sprache der Menschen hätte ihr gesungener Entschluß wohl so gelautet: "Ich werde gehen und suchen, wie es mein Traum war und vielleicht mein Lebenszweck/Schicksal/Aufgabe ist. Ich werde die Sippe der Zaubersänger-am-glitzernden-See suchen, von denen unsere Lieder singen weil wir von dort gekommen sind, um dort jemanden zu finden, der mich das Lied der Reinheit lehrt, die Melodie welche die Berührung der Äußeren tilgt, die Harmonie des Landes wiederherstellt. Damit werde ich unseren Brüdern und Schwestern im Norden zuhilfe eilen oder auch anderen, die meine Hilfe benötigen. Ich werde sehr lange fort sein und mein Herz ist mir schwer. Ich vermisse euch jetzt schon und weiß, dass meine Stimme im Kreis fehlen wird. Helft mir, meinen Weg zu gehen und spielt mein Lied, damit ich auch dann bei euch bin, wenn ich fort bin."

Trauer und Bedauern waren die ersten Reaktionen, welche die verschiedenen Flötentöne, Harfenklänge, Lautentöne und Stimmen ausdrückten, nachdem sie geendet hatte, doch ihre Schwester stand als erste auf und spielte das Lied der Sucher, das von Verständnis für ihr Streben und den Geschichten anderer Elfen handelte, die nicht mehr nur ihrer Sippe allein gehörten, obwohl sie immer ein Teil von ihr blieben. Nach und nach fielen alle mit ein und bestärkten Kiriaade in ihrem Wunsch, munterten sie und auch sich gegenseitig auf und beschworen das Wiedersehen, wenn Kiriaade wie so viele vor ihr erkennen würde, dass das Ende ihres Weges nur an seinem Anfang liegen konnte. Bis dahin jedoch war der Weg das Ziel, und sie mußte ihn gehen.

Danach waren noch viele Lieder gesungen und gespielt worden, die Ratschläge für Kiriaade enthielten und Geschichten von Wanderern oder den Dingen und Wesen, die ihr begegnen konnten. Die Nacht verbrachte sie mit ihrer Familie, besonders ihrer jüngeren Schwester, um sie zu trösten, und damit, sich reisefertig zu machen. Eine Elfe auf Reisen benötigte nicht viel; mehr als ihren Bogen, ihre Pfeile, ein Jagdmesser und Reiseproviant, den sie in einer ledernen Umhängetasche mitnehmen konnte, wäre nur hinderlich gewesen. Den Morgen darauf hatte sich nocheinmal die sala versammelt, spielte das Lied des Abschieds und der sicheren Wiederkehr. Alle hatten sie Kiriaade nocheinmal berührt, umarmt, über das Haar gestreichelt oder geküßt. Dann drehte sie sich um und ging, ohne zurückzuschauen. Als sogar die Töne der Flöten leiser wurden und schließlich in der Ferne hinter ihr verstummten, fühlte sie sich einsam. Aber der Horizont lockte sie mit unbekannten Wundern und was sie nicht mehr hörte, erklang in ihrem Herzen. Eine nie gekannte Aufregung pulste durch ihre Adern, als wäre ihr nurdra noch einmal erblüht zu etwas, das sie nie für möglich gehalten hätte. Frohgemut summte sie ein Reiselied, und ihre Füße fanden den Weg ganz von allein.

Aventurien ist groß... lange wanderte Kiriaade, ohne eine andere Seele anzutreffen, zuerst gen Mitternacht, wo sie an der Grimmfrostöde umkehrte, an das Ufer des lyr kam und beinahe auf einer Eisscholle aufs Meer hinausgetrieben wurde. Mit letzter Kraft konnte sie sich retten und hielt von da an wieder auf Mittag zu. Sie war noch nicht reif für den ewigen Winter. Sie erreichte eine Siedlung anderer Auelfen, schreckte doch noch einmal vor der Begegnung mit den Menschen zurück und drang in die ewigen Wälder von sala mandra vor. Sie trank von der schäumenden Quelle des magischen Kvill und traf den Eichenkönig, der ihr Dinge sagte, welche sie in ihrer Suche bestärkten. Jetzt war sie bereit, in die Länder der Rosenohrigen zu gehen. Wie sie dann, mehr als drei Jahre nach Verlassen ihrer Sippe, zum erstenmal einen Menschen traf, ist eine andere Geschichte...
 
Hallo und herzlich willkommen im Forum der Blutschwerter, Nightwind.

Deine Kurzgeschichte ist schön geschrieben. Ich stolpere zwar immer etwas über die elfischen Begriffe. Aber mir gefällt das sehr gut, wie du die Andersartigkeit der Elfen beschreibst.
 
Danke. ;)

Genau auf die Fremdartigkeit kam es mir auch an. Da verzichte ich gern auf den Spannungsbogen, der von manchen Leuten schon als absent bemerkt wurde.

Jos
 
Das hab ich mir gedacht. ;)

Es wäre imho ein guter Text, den sich manche Spieler vor dem Spielen von Elfen mal zu Gemüte führen sollten.
 
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