[28.04.2008 & 17.08.1977]Am morgen

Grinsekind

Antonin Philippe Tesnos
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22. Juni 2005
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Fabian erwachte aus dem Schlaf der Toten. Nicht so wie sonst, nicht langsam und gemächlich, ein Nervenstrang nach dem anderen. Er war plötzlich wach. Sein Körper wöllbte sich nach oben und entspannte sich wieder. Verwirrt drehte sich der Brujah zur Seite. Er lag auf dem schwarzen Ledersofa in dem völlig chaotischen Wohnzimmer. Es war seine letzte Nacht hier, er hatte nicht vor hierher zurück zu kehren.

Langsam richtete er sich auf setzte sich an den Rand. Er griff sich an den Kopf. Die ewiglichen Kopfschmerzen einer durchzechten Nacht. Das ewige Leben war also ein Fluch? Zusehen zu müssen, wie die Geliebten um einen herum starben? Verdammt, Fabian hatte seine Eltern bereits verloren und die hatte er nicht einmal geliebt. War er deswegen melancholisch wie ein Toreador? Der Druck auf den Schädel schwoll langsam ab. Oder hatte er sich nur daran gewöhnt? Ein Malkavianer musste also viel durchleiden? Herrjeh, jeden Tag mit solch einem Schädel und den verspanntesten Muskeln der Welt aufzuwachen war die Hölle. War Fabian desshalb nicht ganz dicht im Oberstübchen?

Nun ja, darüber lies sich streiten, auf jeden Fall hatte er sich daran gewöhnt. Es war routine, es war normal. Der Automatismus, sich selbst zu massieren, war schon seit Jahren eine unbezwingbare Macke des Brujah.
Langsam kam er auf die Beine. Er sah sich kurz um, bleckte die Zähne und ging dann ins Bad.
Ebenso Routine war es, denn Bart zu rasieren. Er fuhr mit der Hand über die schwarzen Gesichtshaare und ging mit bedächtigem Schritt durch den Korridor, die Treppe hoch und zur Badezimmertür.
Das einstmals modernistisch und edel eingerichtete Penthouse sah aus wie eine Bruchbude. Zumindest der Innere Teil. Inzwischen hatten sich an allen Enden und Ecken Müll, leere Flaschen, verschieden Dinge -wie einzellne Schuhe, halbe Pizzas, ein zerbrochener Fehrnseher oder eben eine angefackelte Deutschlandflagge- angesammelt. All dies war Zeugnis diverser Partys und Treffen unter Freunen. Manches stammte auch nur von einer der Tiefpunkte in Fabians Launen.

Am Badezimmerspiegel angekommen, griff Fabian nach einer Schublade und zog einen Nassrasierer heraus. Er hielt ihn kurz unters Wasser, legte ihn zur Seite und blickte in den Spiegel.
"Hey da!"
Er grinste kurz in den Spiegel. Als er bemerkte, was seine Mundwinkel da schon wieder anstellten, fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. Dann drehte er den Wasserhahn auf und hielt seinen Kopf darunter. Als er wieder aufblickte tropfte Wasser von den kurzen Haaren. Er sah zu einer Ecke des Spiegels. Ein kleiner Riss hatte sich dort gebildet. Er war sich nicht sicher, von welcher Party der stammte. Langsam senkte sich der Rasierer wieder, als sich Fabian versuchte zu erinnern. Erneut durchzuckte ein kurzer Schmerz, wie ein Blitz seinen Schädel.

~

Er blinzelte mit den Augen. Die Sonne strahlte hell.
Mit einem weiteren Blinzeln gab er es auf, direkt in das Sonnenlicht zu sehen. Er blickte wieder auf den Boden. Er saß im Sannd, mit gespreitzten Beinen und dazwischen einen großen Bagger. Seine Hand war um den Griff gelegt, der ihn schaufeln lies. Interessiert beobachtete er das teure Spielzeug. Dann betätigte er den Griff und der Bagger schaufelte.
Der Sand wurde in die Schaufel befördert, dann drehte sich das Führerhaus und der Sand wurde an anderer Stelle wieder abgeworfen.
War er nicht zu alt für solches Spielzeug? Er betrachtete den Bagger intensiver. Das große Logo der Firma prangerte am Führerhaus. Es ware eine der ganz teuren Marken. Davon unbewegt stach er mit dem Finger durch das Fenster des Führerhauses und versuchte den Baggerführer zu bewegen. Keinen Zentimeter.

Hinter ihm sprach jemand etwas auf italienisch.

Er sah erneut hinauf zur Sonne, doch diesesmal mit geschlossenen Augen. Plötzlich sah er seine Augenlieder in rotem Licht. Erstaunt und gebannt von dieser Erkenntnis begwegte er den Kopf hin und her. Es war ein Wunder. Er konnte sehen ohne wirklich zu sehen.
Langsam stellte sich die Aufmerksamkeit auch bei anderen Sinnen ein. Er konnte das nahe Meer hören und den kühlen Wind spühren. Langsam sank er in sich zusammen und genoß die Wärme, die von der Sonne kam und die Feuchtigkeit, die der Wind vom Meer brachte.

Dann griff jemand nach seiner Schulter. Erschrocken schlug er die Augen auf und wurde von der Sonne geblendet.
"Hast du auch Spass Fabian?"
Seine Mutter blickte ihn sorgsam an. Die langen braunen Haare wurden nur leicht vom Wind berührt. Der modische Strohhut schützte ihr Gesicht vor der Sonneneinwirkung. Sie hatte einen zweiteiligen Badeanzug an und ein Tuch um die Hüften gewickelt.
"Vater hat den Bagger extra für dich ausgesucht, er weiß doch wie sehr du mit sowas spielst."
Die Aussage klang mehr wie eine Frage. Oder sogar eine Forderung. 'Zeig der Mutter wie viel Spass du hast, damit sie beruhigt ist'.
Er nickte eifrig mit dem Kopf und grinste sie dann breit an. Dabei griff er wieder zu dem Hebel und betätigte ihn.
Seine Mutter lächelte zufrieden und nickte.
"Ich sitze da drüben im Café. Wenn du gehen willst, komm rüber, aber ich will eigentlich noch ein wenig in der Sonne sitzen bleiben, ja?"
Er nickte und sah zum Café. Die Sonne hatte keinen Zugang, da große Schirme die Sitzenden davor schützten. Aber Michaelo, der Freund der Familie saß dort und redete gerade mit der Bedienung.

Fabian grinste erneut breit zu seiner Mutter und sie wand sich mit einem kurzen Winken ab.
"Bis nachher!"
Dann stapfte sie durch den Sand zum Café.
Er sah ihr nicht nach. Stattdessen sah er auf das Geschenk seines Vaters. Da er nicht mit nach Italien kommen konnte, hatte er seinem Sohn dieses Geschenk gemacht. Er dachte wohl, damit würde er Fabian die Abwesenheit leichter machen. Was er nicht wusste, war, dass Fabian die Gefühle, die seine Eltern für ihn hatten längst egal waren. Es hatte recht früh angefangen, im Alter von 3 oder 4. Schon da hatte Fabian gespührt, dass seine Eltern recht wenig Interesse an ihm hatten. Also hatte er sich eben mit anderen Dingen beschäftigt. Pragmatisch? Eher lebensrettend.

Wieder höhrte Fabian italienische Stimmen hinter sich. Dieses mal drehte er sich um und sah drei italienische Jungen hinter ihm stehen. Sie schienen alle jünger als er zu sein. Trotzdem wirkten sie älter. Derjenige der gesprochen hatte verschränkte die Arme und sah zum Bagger und dann zu Fabian.
Fabian schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, was die Kerle wollten. Also drehte er sich erneut um und sah zu seinem Spielzeug.
Das schien ein Fehler zu sein. Plötzlich packte ihn von hinten eine Hand und warf ihn in den Sand. Zwei der Jungs hielten ihn am Boden und der Größte, der ihn angesprochen hatte, griff sich den Bagger. Er empfing zwei kurze Schläge, ohne sich zu wehren. Als die Jungen davon rannten, sah er ihnen hinterher. Sie hätten doch auch fragen können, oder nicht?
Verwundert ging sein Blick zum Meer. Er sah einigen Möwen zu, wie sie über dem endlosen Blau kreisten.
Er war sowieso viel zu alt für solch ein Geschenk gewesen.

Langsam stand er auf und ging zum Café. Er sah seine Mutter schrill auflachen und Michaelo zufrieden grinsen. Er näherte sich bis auf ein paar Meter, dann bemerkte Michaelo ihn.
"Hey Fabian, hast du Spass am Meer?"
Fabian nickte.
Seine Mutter sah auf und blickte ihn unsicher an.
"Bist du sicher? Du willst doch jetzt nich schon gehen, oder?"
Er überlegte kurz, grinste dann breit und drehte sich wieder um.
Seine Mutter würde nicht bemerken, dass er den Bagger am späten Nachmittag nicht mitbrachte, als sie sich aufmachten zu gehen.

~

Er senkte den Rasierer. Vielleicht sollte er den Bart mal stehen lassen. Er legte die Klinge ab und fuhr sich über den Schädel. Der Schmerz war immer noch da und pochte unablässig. Warum war er so plötzlich aufgewacht. Hatte er geträumt?
Seine Finger griffen sich unter das Auge und spannten die Haut ein wenig an. Rötliche Adern am Augapfel kamen zur Erscheinung.
Erneut griff er zum Rasierer, doch dann legte er ihn endgültig weg. Ja, er sollte mal etwas anderes probieren. Warum nicht Bart. Passend eine kleine Veränderung zur Massenkundgebung.
Ein breites Grinsen öffnete sich auf dem Gesicht. Und als Fabian aufblickte und ihn den Spiegel sah, erstarrte es plötzlich. Eine Hand legte sich an den Spiegel, die andere fuhr die Grimasse entlang, die jetzt sein Gesicht zierrte.
Plötzlich, mit einer übermenschlichen Geschwindigkeit schoss seine linke Faust vor und durchbrach den Spiegel. Durchbrach den Kasten, der den Spiegel hielt und stoppte erst an der Wand. Blut, Duftwasser und Zahnpasta rannen an der Kachelwand herab. Der Spiegel war zerborsten und das Grinsen war verschwunden.

Langsam senkte er den Kopf und hohlte die Hand aus den Trümmern. Er hielt sie unter das laufende Wasser und entfehrnte Splitterreste und Hautfetzen. Sein Kopf richtete sich auf und er griff nach dem Handtuch. Nachdem er die Faust abgetupft und sich das Gesicht trockengerieben hatte, blickte er nocheinmal zu dem Spiegelrest. Ein Splitter zeigte ihm seinen Bart und seine linke Hand fuhr erkundend über die Haare.
Ja, vielleicht sollte er etwas verändern. Vielleicht war es Zeit eine neue Maske aufzulegen.
 
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