Das Schwarze Auge 5 — Thorwal

Erlebt eine Kurzgeschichte aus der kommenden Regionalspielhilfe Die Gestade des Gottwals.




Illustration: Holger Schulz




Der Schicksalsfelsen​


Ihre müden Augen folgten den bunten Segeln der Drachenschiffe, die am Horizont langsam von den blaugrauen Wogen verschluckt wurden. Sie waren nur noch mit Mühe zu erkennen, und zurück blieb nichts außer dem Pfeifen des Windes an ihren Ohren und dem Kreischen der Seevögel hoch über ihrem Kopf. Wie es schien, schrumpfte die gesamte Welt auf diese einsame, kleine Felseninsel zusammen, auf der sie stand. Von hier gab es kein Zurück mehr.

»Was für ein alberner Gedanke.«, schoss es ihr durch den Kopf.

Jurga Trondesdottir seufzte. Sie wusste nicht mit Sicherheit zu sagen, seit wann genau es für sie kein Zurück mehr gab, aber ganz bestimmt nicht erst ab dem Augenblick, da die Ottas der Windzwinger und der Gischtreiter nicht mehr zu sehen waren. Das Gottesurteil, dem sie sich heute stellen musste, hatte sich schon viel früher angekündigt.

Im Grunde hatte sie schon lange ein seltsam ungutes Gefühl geplagt, das so schwer im Magen lag wie ein schlecht zubereiteter Varnheimer Holzfisch. Viel zu lange schon hatte sie bei allem, was sie vorhatte, Gegenwind verspürt – viel davon. Sicher, sie hatte immer Gegenstimmen aushalten müssen, aber die letzten Jahre hatten sich angefühlt wie eine niemals endende Fahrt durch einen Sturm. Die Reform der Jarltümer hatte für einigen Unmut gesorgt, mit dem sie gerechnet hatte, doch der geballte Zorn, der sich nach dem letzten Hjalding entladen hatte – nein, mit dem hatte sie nicht gerechnet.

»So viel Ärger nur wegen der Schreibweise von Namen. Nur wegen einem ›s‹ mehr! Die Runjas haben einen komischen Sinn für Humor.«

Und danach hatte alles nur noch mehr Fahrt aufgenommen. Jurga versuchte sich zu erinnern, aber es fiel ihr schwer, genau den Augenblick zu bestimmen, in dem sie hätte wissen müssen, dass es kein Zurück mehr gab. Vielleicht war es ja jener Moment gewesen, als Rekker der Gischtreiter, ihrer eigenen Ottajasko, mitten in eine Besprechung in der Ottaskin der Hetleute hineingeplatzt waren. »Die Windzwinger belagern uns, komm schnell!«, hatten sie gesagt, und Jurga hatte keinen Augenblick gezögert. Vielleicht hätte sie da schon wissen müssen, was passieren würde.

»›Vielleicht‹ ist so ein unnützes Wort. Ein Wort für Feiglinge.«

Schließlich hätte sie nicht einmal im Traum je daran gedacht, zwischen jenen beiden Ottajaskos zerrieben zu werden, die ihr am nächsten waren. Und das alles wegen eines traurigen, tragischen Todesfalls, für den jemand die Verantwortung übernehmen musste. Die Tote, Svanjara, war schließlich ein Kind Swafnirs gewesen, eine Auserwählte, und ihr Ableben ungesühnt zu lassen, wäre ein großer Frevel gewesen.

»Ich hätte schon wissen müssen, was kommen wird, als ich von ihrem Tod gehört hab. Als sie mich gerufen haben, da dampfte die Kacke doch längst. Ich hätte wissen müssen, dass Arve da hinein gezogen wird …«

Hatte sie aber nicht, und dann war es zu spät gewesen. Oder nicht? Hatte nicht ihre Entscheidung, Hasgar Tildasson, den Hetmann vom Bodir, zum Richter in dieser Sache zu berufen, sie letztlich auf diese karge Felseninsel verschlagen? Möglich, aber die Entscheidung war ohne Zweifel richtig gewesen. Der Zwist zwischen zwei der größten Ottajaskos des Landes musste aufgelöst werden. Die Windzwinger bestanden auf Sühne für Svanjaras Tod, und die Gischtreiter wollten den Verdächtigen nicht herausrücken.

»Eine verdammt beschissene Situation.«

Damals wie heute hatte sie das Gefühl verspürt, keinen anderen Weg gehen zu können als jenen, auf den das Schicksal sie zwang. Sie hatte Hetmann Hasgar die Entscheidung übertragen müssen. Was sonst hätte sie schließlich tun können, als die Windzwinger gegen ihre Tore hämmerten – jene Leute, die seit Jahr und Tag ihre Leibgarde stellten, viele von ihnen gute Freunde und schon treue Gefolgsleute ihres Vaters und ihrer Großmutter vor ihr?

Doch wenn Jurga an den Jungen dachte, an Arve, wie er sie in panischer Verzweiflung auf Knien anflehte, ihn nicht auszuliefern, und wie er beteuerte, dass alles ein bedauernswerter Unfall gewesen war, dann hätte sie gar nicht anders entscheiden können. Die Flucht nach vorn, zu Hetmann Hasgar, war die einzige Lösung, die ihr noch irgendwie aushaltbar erschienen war, um Arves Leben zu schützen, so wie sie es geschworen hatte.

»O Arve …«

Und jetzt stand sie hier, umtost von schäumender Gischt, auf diesem traurigen Stück Fels im Golf von Prem, mit nichts als einer einfachen Streitaxt, einem Schild und einem Gegner, den sie töten musste, bevor er sie tötete.

»Es ist der Wille der Runjas.«

Wieso sonst hatte sich alles so gefügt, dass sie schließlich hier stand? Und wenn es die Runjas waren, die sie hierhergeführt hatten, dann gab es keinen Grund, an irgendeiner der Entscheidungen zu zweifeln, die Jurga an diesen Ort, in diese Lage gebracht hatten. Dennoch – ein letzter Rest Traurigkeit blieb.

»Branda …«

Jurga dachte an sie, die Freundin und Kampfgefährtin, deren Klappe so groß gewesen war, dass ein Reiter samt Pferd hätte hineintraben können – jedenfalls hatte Jurga so über sie gespottet. Branda Tevilsdottir, jene tapfere Rekkerin, die in der Schlacht von Hammer und Amboss gegen die Orken einen Hieb abgefangen hatte, der eigentlich Jurga galt. Warum hatte sie das nur getan?

»Es war Schicksal.«

Jurga dachte an die Söhne ihrer Freundin, damals noch zu klein, um überhaupt zu verstehen, dass ihre Mutter zu Swafnir gegangen war. Sie hatte Branda geschworen, gut auf die Burschen aufzupassen, und für lange Zeit hatte nichts diesen Schwur ins Wanken gebracht. Jurga lächelte, als sie daran dachte, wie Arve Ziegendung in den Schuhen ihrer Nichte Idun versteckt hatte, als beide noch so klein waren, dass sie kaum über die Tischkante schauen konnten. Das ganze Jolskrim hatte über Iduns vor Ekel verzogenes Gesicht gelacht! Und Jurga erinnerte sich auch an Thorir, der nicht nur aufgrund seines Namens oft mit ihrem eigenen Sohn Thure verwechselt wurde. Sie waren ein Herz und eine Seele gewesen, so unzertrennlich, dass ihre Freundschaft gewiss von Travia selbst geschmiedet worden war.

»Ach, Thorir … Armer kleiner Rotschopf …«

Sein Tod war eines der wenigen Dinge in ihrem Leben, das Jurga wirklich bedauerte. Sie wusste, dass sie nichts daran hätte ändern können. Eine Walwütige hatte ihn erschlagen, und solche Dinge passierten nun einmal. Sie wusste, dass es nicht ihre Schuld war. Den Kummer, den ihr die Erinnerung an Thorirs zerschlagenes, blutiges Gesicht bereitete, linderte dieses Wissen nicht.




Illustration: Torben Weit




»Reiß dich zusammen!«

Jurga dachte an ihre Schwester, die ihr durch Stärke und Entschlossenheit in den letzten Tagen viel Kraft gegeben hatte. Doch Kjaska war nicht diejenige, die am Ende Entscheidungen treffen musste, und bei all ihren guten Absichten verstand sie doch nicht, was wahre Verantwortung bedeutete. Jurga aber wusste es. Sie hatte es in vielen Jahren als Oberste Hetfrau schmerzlich erfahren müssen, und sie spürte es auch jetzt, als sie die Axt in ihrer Hand hin und her wiegte.

»Es ist Zeit«, hörte sie sich selbst sagen. »Bringen wir es hinter uns.«

Ihr Blick wandte sich nun ihrem Gegner zu, obwohl es sich merkwürdig anfühlte, ihn als solchen zu sehen. Sie kannte Hakon seit Jahren, war mit ihm gesegelt, hatte mit ihm gezecht, gestritten und gelacht. Trotzdem würde sie ihn nun töten – oder selbst bei dem Versuch sterben.

»Hast du deinen Frieden mit Swafnir gemacht?«, fragte sie ihn mit fester Stimme.

»Habe ich.« Hakon nickte und grinste dann breit. »Um ehrlich zu sein, hatte ich aber auch nie wirklich Streit mit ihm.«

Jurga wollte mit ihm lachen, aber die Schwere der Axt in ihrer Hand erinnerte sie daran, dass jetzt nicht mehr die Zeit für Späße war. Sie richtete den Schild vor ihrer Brust auf und reckte das Kinn nach vorne.

»Gut. Dann lass uns anfangen.«

Auch Hakon hob seinen Schild. Sein Blick verriet, dass er fest entschlossen war, sich seinem Schicksal zu stellen – ebenso wie sie. Vorsichtig ging Jurga einige Schritte auf ihn zu, dabei stets überlegend, wo sie ihren ersten Hieb setzen sollte. Sie musste es kurz und schmerzlos machen, das war sie ihm schuldig. Ihr Arm hob die Waffe nach oben, als sie nah genug herangekommen war.

»Alles, was jetzt geschieht, ist Schicksal

Der Klang von Metall auf Stein hallte weit über das winzige Eiland, bis er sich im Wind und dem Kreischen der Vögel verlor. Einige Herzschläge lang schien die Welt aus nichts anderem als diesem seltsamen Missklang zu bestehen, bis Jurga endlich begriff, was geschehen war. Es erschien ihr dennoch unverständlich – sie hatte doch noch gar nicht zugeschlagen; wie war er ihr nur zuvorgekommen? Entsetzt starrte sie auf die Axt ihres Gegners, die mit Scheppern vor ihr auf dem Felsen aufgeschlagen war. Gefallen aus Hakons eigener Hand.

»Was, bei Swafnirs Fluke …«, entfuhr es ihr, als ihr Blick den von Hakon traf.

»Ich kann nicht gegen dich kämpfen, Herrin. Vergib mir«, erwiderte dieser mit schwerer Stimme. »Und nun beende es.«

Jurga blinzelte. Mehrmals. Seine Worte tanzten in ihrem Kopf.

»Das ist nicht dein Ernst«, murmelte sie halb zu sich selbst.

»Doch, Herrin«, bekräftigte Hakon. Wie um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen, machte er nun Anstalten, sich auf seine Knie fallen zu lassen.

Das war zu viel. Barsch schlug sie ihn mit ihrem Schild gegen die Schulter, stark genug, um ihn ins Wanken zu bringen und so von seinem albernen Vorhaben abzuhalten.

»Lass den Unsinn! Und hör auf, mich Herrin zu nennen. Das machst du sonst auch nicht, du Fischfresse«, fuhr sie ihn an. »Heb deine verfluchte Waffe auf und kämpf gefälligst.«

Hakon schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Du bist die Oberste Hetfrau. Egal, ob ich dich so nenne oder nicht, du bist die Herrin, der ich folge. Warst du schon immer. Wie kann ich meine Waffe gegen dich erheben und noch von mir behaupten, ich hätte Ehre im Leib?«

Jurga spürte, dass sie zornig wurde. »Was auf allen Wassern machst du dann hier? Die Windzwinger hätten auch einen anderen Rekker schicken können.«

»Ich weiß.« Hakon nickte und lächelte dabei entschuldigend. »Hätten sie. Wollten sie auch. Aber ich habe alle ausgestochen, die so versessen darauf waren. Hat mich ein paar Gefallen gekostet und sogar einen Zahn. Hier, siehst du?«

Bei diesen Worten zog er die Oberlippe hoch und deutete ungelenk mit seiner Zunge auf einen fehlenden Backenzahn. Jurga dankte es ihm mit einem weiteren Schlag ihres Schildes, diesmal frontal gegen seine Brust. Er strauchelte einige Schritte rückwärts. Jurga trat gegen die Streitaxt auf dem Boden, damit sie ihm hinterher rutschte.

»Hör jetzt auf mit diesem albernen Möwendreck, Hakon! Sei nicht wie so ein ehrloser Südländer, der sich vor seiner Verantwortung drückt. Kämpf gefälligst gegen mich! Ist dir denn nicht klar, dass Swafnir uns zusieht?«

»Nichts war mir je klarer. Glaub mir einfach. Es ist mein Schicksal, heute hier zu sein, und ich biete dir – nein, Swafnir – mein Leben an«, gab er zurück, ohne sich um die Axt vor sich zu kümmern. »Daran ist nichts ehrlos.«

»Nichts ehrlos?« Ihre Stimme war inzwischen so laut, dass sie die Vögel über ihren Köpfen verschreckte. »Du scheust einen ehrenvollen Kampf unter Swafnirs prüfendem Blick!«

Hakon schüttelte erneut den Kopf. »Ich scheue ihn nicht. Ich stelle mich nur nicht gegen den Willen der Runjas. Und die wollen, dass du lebst. Sie müssen es wollen – es ist das Beste für Thorwal! Hast du dir keine Gedanken darüber gemacht, was geschieht, wenn du nicht mehr bist?«

»Ob ich sterbe oder nicht, ist nicht meine Entscheidung. Und auch nicht deine!«

»Vielleicht«, gab er zu.

»›Vielleicht‹ ist so ein feiges Wort!«

»Aber ich werde trotzdem nicht gegen dich kämpfen, Jurga Trondesdottir. Ich habe geschworen, dich zu schützen, an jedem Tag bis zu meinem letzten. Diesen Schwur werde ich auch heute nicht brechen. Du wirst mich töten müssen. Ein anderes Ende kann dieser Tag nicht nehmen.«

Sie sah ihn mit funkelnden Augen an. Ihre Kiefermuskeln pressten die Zähne aufeinander, bis sie knirschten. Es gab so vieles, was sie ihm jetzt an den Kopf werfen wollte, so viele wüste Verwünschungen und verzweifelte Argumente, aber nichts davon kam letztlich über ihre Lippen. Stattdessen wiederholten sich ihre eigenen Gedanken wieder und wieder.


Illustration: Julianna Michek


»Alles, was jetzt geschieht, ist Schicksal

Auch das. Auch Hakons Entscheidung. Auch seine verfluchte Axt auf dem verfluchten Felsboden dieser verfluchten Insel. Es war Schicksal.

»Und ich hätte es kommen sehen müssen.«

»Robbendreck.«

Jurga warf ihren Schild ungehalten vor seine Füße und wandte sich dabei von ihm ab. Sie stieß noch ein paar weitere Flüche aus, aber leiser, während sie mit unruhigen Fingern versuchte, ihre Axt am Gürtel festzumachen. Offenbar war dies nicht die Reaktion, mit der Hakon gerechnet hatte.

»Was soll das?«, presste er hervor und klang dabei ebenso überrascht, wie sie es vor wenigen Augenblicken gewesen war.

»Na, was wohl«, herrschte Jurga ihn an und fuhr dabei so schnell herum, dass ihr die Axt beinahe aus dem hastig verknoteten Band entwischte. »Dieser Kampf ist vorbei. Ich bin doch nicht deine Henkerin, Hakon!«

»Aber … der Hetmann vom Bodir hat doch bestimmt, dass jemand hier sterben muss …«

Jurga brummte tief und spuckte auf den Boden. »Das hat er wohl, aber du siehst ja, was die Götter dazu sagen. Sie spucken auf die Entscheidung des Hetmanns! Was wir Menschen entschieden haben, kratzt sie offenbar nicht. Ögnir hält sich sicher den Bauch vor Lachen, während er uns hier zusieht!« Ihre Augenbrauen hatten sich zu einer grotesken Fratze des Zorns verzogen, was Jurga plötzlich bewusst wurde, als sie die Angst im Gesicht ihres treuen Gefährten erkannte. Sie atmete tief ein. »Vergiss es, Hakon. Es ist nicht deine Schuld. Du hast Recht – es ist Schicksal, dass wir hier sind, und es ist auch Schicksal, dass keiner von uns den anderen töten will. Swafnir wird einen Grund dafür haben, es so zu fügen. Wir verstehen ihn nur nicht.«

Sie wandte den Blick von ihm ab und sah hinaus auf die wiegenden grauen Wogen.

»Ich verstehe vieles nicht mehr«, gab sie dann in leiserer Stimme zu. »Seit Wochen … ach, was red’ ich, seit Monden schon frage ich mich, was Swafnir von mir will, bei all der Scheiße, die mir die Runjas vor die Füße werfen. Aber eigentlich … eigentlich muss ich es gar nicht verstehen. Swafnir ist groß, und ich war albern zu glauben, selbst die Oberste Hetfrau könnte auch nur ahnen, was genau er von uns will. Jurga Tjalfsdottir, die wusste es vielleicht! Aber ich … Egal. Es ist Schicksal, was hier passiert, und wir verschwenden nur unsere Kraft, wenn wir versuchen, dagegen anzukämpfen.«

Jurga nötigte sich ein Lächeln ab, das sie Hakon schenkte, bevor sie an ihm vorbei zur Kante der kleinen Felsinsel stapfte. Dabei löste sie, ihre Finger noch immer leicht zitternd, den Met-Schlauch von ihrem Gürtel und zog hastig den Korken. Mit dem Blick auf den Horizont, dort, wo er die Drachenschiffe verschluckt hatte, setzte sie sich auf den kalten Fels. Aus der weißgrauen Gischt vor ihr sprang ein Fisch, der mit einem lauten Platschen nur wenige Herzschläge später wieder in den Fluten verschwand. Jurga setzte den Schlauch an und trank, während eine merkwürdige Ruhe sie erfasste.

»Fast wie nach einem Kampf …«

Hakon trat langsam an sie heran, den Blick ebenfalls aufs Meer gerichtet.

»Was hast du nun vor?«, fragte er. Auch seine Stimme klang seltsam ruhig und gefasst.

»Verantwortung übernehmen«, gab sie lapidar zurück.

»Wie?«

Jurga zuckte mit den Schultern »Werden wir sehen. Aber irgendjemand muss es tun. Mein Vater wäre vor dieser Verantwortung auch nicht davongelaufen. Also tu ich es auch nicht.« Dann klopfte sie mit der Hand neben sich auf den Stein. »Komm, setz dich, Hakon, und trink mit mir. Lass uns reden – über alte Zeiten und große Taten. Oder über das Leben, über die Stadt, über deine Familie. Wie geht es deiner Tochter? Wie alt ist sie jetzt?«

»Der nächste Winter wird ihr dritter«, sagte Hakon, während er sich geräuschvoll neben ihr fallen ließ. »Aber willst du jetzt wirklich über sie reden?«

»Warum nicht?«

Sie sah ihn an, und zum ersten Mal an diesem Tag sah sie in ihm wieder einen treuen Freund, keinen Gegner. Es fühlte sich gut an. Richtig. Was hier heute geschehen oder nicht eben nicht geschehen war, würde einen Sturm entfesseln, vor dem sich Jurga lange gefürchtet hatte. Das wurde ihr plötzlich klar, und in dem Moment, indem sie es verstand, wich alle Angst von ihr.

»Lass uns einfach reden. Es ist vermutlich unsere letzte Gelegenheit für sehr lange Zeit.« Sie reichte Hakon ihren Met und klopfte ihm auf die Schulter. »Und lass uns zusammen trinken!«

Er nickte eifrig und lachte dabei. »Hätten die uns bloß mehr Met mitgegeben.«

»Die konnten doch nicht wissen, dass wir hier hocken werden, statt uns gegenseitig in Stücke zu hauen«, wandte Jurga ein. »Das wussten nur die Runjas.«

Hakon hob den Schlauch in die Höhe. »Darauf trinke ich. Auf die Runjas!«

»Auf die Runjas«, erwiderte Jurga. Dann sah sie wieder raus aufs Meer und lächelte.

»Alles, was jetzt passiert, ist Schicksal.«



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