Zuflucht [16.05.2008] Die Ängste einer Liebenden!

Lady Noir

Prinz der Stadt Finstertal
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Sie hatte ihn wieder!

Nach all diesen schrecklichen Nächten, nach allem was sie ihm angetan hatte, war er zurückgekommen und liebte sie noch. Als sie ihr Heim betreten hatten, durch die Garage hindurch über den Nebeneingang in die Küche hinein. Oliver hatte ihre Hand genommen und gelächelt. Dann hatte er sie auf die Stirn geküsst.

„Ich bin froh, wieder bei dir zu sein!“, hatte er gesagt. Dann hatte er sich in sein Schlafzimmer begeben, die Schuhe ausgezogen und sich aufs Bett gelegt. Seit dem lag er da. In einer Art selbstauferlegter Starre. Nicht wirklich schlafend aber auch nicht wach. Oliver Buchet wartete auf den Beginn seiner Verhandlung. Auf seine Art. Für ihn war klar, dass er in seinem Amt bestätigt wurde. Er hatte sich keinerlei Verfehlungen zu Schulden kommen lassen und war nach wie vor der Einzige, der in der Lage war eine Stadt wie Finstertal zu führen. Außerdem standen viele bedeutende Persönlichkeiten hinter ihm. So sagte er es ihr: Caitlin, Helena, Roxanna, Lurker auf jeden Fall. Andere vielleicht nicht. Aber selbst Querdenker wie Meyye mussten sich eingestehen, dass ein Oliver Buchet vielleicht nicht die Beste Wahl für Finstertal war, aber wenigstens eine, die man berechnen konnte. Und eine, die sich schon häufig um das Wohl der Stadt und der niederen Clans bemüht hatte. War nicht Meyye mit vielen für sie wichtigen Ämtern ausgestattet worden? Damit sie die Gelegenheit hatte die Garou nach belieben zu kontaktieren? Die Kleine war ein Biest. Aber sie war jemand, den man als Gegner schätzen konnte. Eine würdige Gegnerin, die zwar mit harten Bandagen kämpfte, sich aber stets an die Regeln hielt. Die Brujah, Malkavianer und Ventrue waren unberechenbar, aber doch auch in der Minderheit.

Oder?

Magdalena hoffte es inständig. Sollte Oliver nicht in seinem Amt bestätigt werden, würde es ihn zerbrechen. Sie hatten so lange gesprochen auf dem Weg hierher in die Villa. Er hatte ihr seine Sicht der Dinge erklärt und dabei so selbstsicher und überzeugt geklungen. Nie, nicht für eine Sekunde, zweifelte er daran, dass er die einzig richtige Wahl für die Stadt war. Seiner Überzeugung nach, hatte er genau genommen nie aufgehört der Prinz zu sein.

Das Herz der jungen Toreador verkrampfte sich vor Angst. Allein die Vorstellung mitzuerleben, wie dieser Schlag den Mann traf, den sie am Meisten liebte, ließ sie in tiefe Trauer sinken.

Doch was konnte sie tun?
Wem konnte sie sich vor die Füße werfen? Wen konnte sie anflehen, dass einzig richtige zu tun? Und was würde das bringen? Wurde sie nicht selbst von den meisten gehasst? Sie, das abnormale Mischwesen aus Toreador und Lasombra? Magdalena traf eine Entscheidung. Mit zitternden Händen wählte sie die Nummer des Sheriffs. Wenn wenigstens die Ventrue zu ihnen halten würden. Einst hatten sich die Primogene beider Clans so gut verstanden. Bis die Blaublüter plötzlich beinahe im Tagestakt dahingerafft wurden….

Das Freizeichen erklang!
Einer plötzlichen Panikattacke folgend, legte Noir wieder auf. Was wenn er ablehnte? Der Gedanke war ihr unerträglich. Sie konnte einfach keinen weiteren Hass ertragen.

Lena entschied sich um.
Nun wählte sie die Nummer eines sterblichen Freundes aus der Stadt. Vertrauenswürdig und verschwiegen. Ein altbekannter Handlanger ihres Mannes. Er musste eine Nachricht aufnehmen und zu einem der stillen Briefkästen bringen. So schnell und auffällig wie möglich. Noir musste mit Lurker sprechen, wohl dem einzigen Wesen, das bereits jetzt ahnen konnte, wie der morgige Tage zu Ende gehen könnte…


Ihr einzig noch verbliebener Freund!

Oh bitte, melde dich….
 
Moishe hatte einen Anruf über eine ihm unbekannte Nummer erhalten, bei dem der Anrufer aber auflegte bevor der Ventrue abnehmen konnte. Als er die Rückruftaste betätigte war besetzt. Wenn der Anrufer spricht hat er sich wohl umentschieden. Aber wenn das Telefon des Anrufers nicht von anno dazumal ist sollte meine Nummer angezeigt werden. Ich werde später noch einmal dort anrufen, vielleicht braucht jemand Hilfe und hat Angst vor der eigenen Courage bekommen.
Wie richtig er mit seiner Vermutung lag, wenn auch in gänzlich anderem Zusammenhang als von Moishe vermutet, war dem Ventrue nicht klar.
 
Hoffnung war eine wirklich wunderliche Sache. Sie hatte die Macht einen durch die finsterste Nacht zu ziehen und sich mit letzer Kraft aus noch so schrecklichem Elend zu zerren. Oft genug war Hoffnung in Finstertal das einzige das einem blieb. Hoffnung, dass ein blinder Schritt hinaus in die Dunkelheit nicht in einer bodenlosen Tiefe, sondern auf sicherem Boden endete. Hoffnung, dass ein verkümmertes, böses Herz im entscheidenden Augenblick plötzlich Mitleid kannte. Nun wollte die Frau des vermutlich mächtigsten Mannes der Stadt ihre Hoffnung an eine kleine, hässliche Kreatur hängen, deren bisheriger Weg oft genug nur deswegen nicht geendet hatte, weil die Angst sie voran getrieben hatte. Lurker war vermutlich so etwas wie die Zecke unter den Verborgenen, zu hartnäckig um im richtigem Moment aufzugeben, zu ängstlich um los zu lassen und dann plötzlich trotzig und mutig, dass es an Wahnsinn grenzte, wenn es zum Beispiel darum ging sich dem Prinzen der Stadt und einem Archonten vom Clan der Rose zu widersetzen und nur in der Position eines Primogens, weil er schlicht am Ende der letzte Nosferatu gewesen war, der noch in Finstertal geblieben war.
Aber vielleicht hatte sie ja auch Recht damit. Vielleicht war der Verborgene gewachsen, wenn er auch ganz klar immer eine Nummer zu klein gewesen war für die Rollen die man ihm im Laufe der Zeit angedeihen hatte lassen.

Nur eine Stunde war vergangen, seit die Lady Noir ihr Netzwerk angestoßen hatte um den Nosferatu zu sich zu rufen und nur wenige Minuten davon hatte Lurker damit verbracht nervös vor der Grundstücksgrenze der Villa Buchett zu stehen und seinen Körper mit seiner langgliedrigen Hand zu umschlingen und zu kneten. Es war eine Sache hier heimlich die Seneschall, oder vielmehr ehemalige Seneschall, zu besuchen als diese noch alleine in dem riesigem Haus ihren Arrest fristen musste, aber es war eine völlig andere Sache sich zu nähern, wenn man wusste, das Oliver Buchett dort drin war.
Daher hatte er sich kurz sammeln müssen und sich in Erinnerung gerufen, dass die Frau die er kennengelernt hatte nicht einfach nur die Frau des Prinzen oder ein Rosenküken war, sondern dass irgendeine Art von Finsternis an ihr haften geblieben war, die Lurker unweigerlich anzog. Sicher, vorher schon hatte er die Frau sehr hübsch und anziehend gefunden und es wäre ein Vergnügen gewesen heimlich in ihrer Nähe zu sein und so sehen wie sie durch die kleinen Staubflocken schwebte, die im Licht durch die Luft wirbelten, aber erst seit sie die Lady Noir war, hatte sie diesen morbiden Glanz gewonnen, diese seltsame Dunkelheit, die ihn zu sich zu rufen schien.
Er hatte sich daran erinnert, wie er sie nach dem Kampf bei diesem Werwolf Heiligtum besinnungslos geborgen und in Sicherheit gebracht hatte. Wie sie in einem dunklem Loch gemeinsam die Sonne abgewartet hatten und wie aus der ehemaligen Rosen Hoffnung mehr und mehr eine Ausgestoßene geworden war, die am Ende dann in seine Zuständig gefallen war.

Bringt mir die Elenden, die Verstoßenen und Verhassten. Alle die ihr nicht ertragen könnt, weil sie euch zeigen wo euch der Weg am Ende hinführen wird. Wir werden dort auf euch warten.

Leise klopfte er gegen eine der Terrassen Türen um der Dame des Hauses zu signalisieren, dass er gekommen war.
 
Noir hatte gehofft, dass Lurker diesen Weg nehmen würde.
Nachdem er geklopft hatte, öffneten sich die Türen. Langsam und wie von Geisterhand. Die gefallene Toreador saß in einiger Entfernung zusammengesunken auf einem Sofa. Sie trug ein schwarzes Hauskleid, dass mit schwarzen Spitzen besetzt war. Der kostbare Stoff schien ihr förmlich auf den Körper geschneidert und wahrscheinlich war er das auch. Sie sah hinreißend aus. Wunderschön und verletzlich. Der größte Teil des Raumes um sie herum lag in völliger Finsternis, einzig ein paar Strahlen des Mondes fielen durch den nun geöffneten Eingang herein und schwängerten die allumfassende Dunkelheit mit zaghaftem Zwilicht. Gerade genug, um Magdalena betrachten zu können.

"Guten Abend, Lurker!", ihre Stimme klang leise, war jedoch gut zu vernehmen. "Danke, dass du gekommen bist."

Sie schenkte dem Nosferatu ein dankbares Lächeln.

"Ich brauch deine Hilfe! Morgen Abend wird die Stadt über meinen Mann zu Gericht sitzen. Ich muss wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass er gestürzt wird. Lurker, er weiß nicht das er etwas falsch gemacht hat. Ihm ist keine Schuld bewusst. Wird er seines Amtes enthoben, wird es ihn zerbrechen und das...", ihre Stimme versagte. "...und das kann ich nicht ertragen!"
 
Leise und ungesehen wie es seine Art war und wie er diesen Ort schon immer betreten hatte huschte er auch heute durch die geöffnete Türe, wie ein Gast von dem man nicht wollte das andere von seinem Besuch wussten. Andere wären möglicherweise beleidigt über so einen Empfang gewesen, weil sie es für unter ihrer Würde hielten wenn man sie nicht mit einem Tusch und einem Feuerwerk durch den Haupteingang empfing, aber für den Verborgenen war dies sie einzig denkbare Art hier her zu kommen. Nicht nur weil es ihm entsprach, sondern weil er um die Macht dieser Heimlichkeit wusste.
Lurker ging soweit in das Anwesen hinein, dass er am Ende des Rechteckes aus blassem Mondlichtes das sich auf dem Boden abzeichnete stehen blieb. Die Dunkelheit überließ er den Anderen. Sie gehörte sowieso ihr, zumindest die unmittelbare.

Guten Abend.

Nur Clansgeschwister bekamen die krähende Stimme des Nosferatu in einer anderen Lautstärke als einem Flüstern zu hören, aber heute war es sogar nur wenig mehr als ein Rascheln vertrockneter Blätter. Als hätte er Angst, dass der Gatte dieser Frau ihn hören könnte.
Ihren Dank erwiderte er mit einem kleinem Diener, der aufgrund seines Buckels und seiner katastrophalen Haltung und Motorik gewohnt linkisch ausfiel.

So wirkte es sich also aus, wenn den Großen und Mächtigen langsam die Luft dünn wurde. Die Seneschall sparte sich alle Floskeln und ihre wahren Prioritäten kamen zum zu Tage. Nicht das sie untereinander zu Geschwafel neigten, ihr Umgang hatte sich, seit sie sich als Verbündete wiedergefunden hatten, sehr schnell auf ein angenehm ehrliches und direktes Niveau begeben, aber der Teil der Lady der eine Rose war konnte gar nicht anders als zumindest ein wenig an den Saiten des gesellschaftlichen Instrumentes zu Zupfen, selbst Lurker gegenüber, der für so etwas wie Smalltalk mit einer Toreador in etwa so gut geeignet war wie ein Hufschmied für Stickarbeiten.
Doch dafür blieb keine Zeit. Schon morgen war der Tag X für die Buchetts.

Ihre Bitte schwebte noch eine Weile durch die dunkle, warme Nacht. Der Nosferatu verharrte regungslos in seinem Karree aus bleichem Licht und die Sekunden rannen zäh dahin. Für einige Momente schien es so, als würde Lurker schlicht und ergreifend gar nichts zu sagen haben. Dann setzte er zu sprechen an, verharrte noch einmal kurz, als müsse er Anlauf nehmen für den nächsten Satz.

Sie möchten, dass ich ihren Mann wieder zum Prinzen mache.

Es war keine Frage, sondern seine Analyse. Allerdings offenbarte der Tonfall des Verborgenen bares Erstaunen und Unglauben. Natürlich zum Einem, weil die Bitte wahrlich ungeheuerlich war, zumindest wenn sie unter zwei Individuen ausgesprochen wurde, die einwandfrei von der Schuld des Rosenprinzen wussten und denen man mit solchen Belanglosigkeiten und Winkelzügen wie 'aber-sind-wir-da-wirklich-sicher' oder 'gibt-es-denn-überhaupt-Beweise' gar nicht erst zu kommen brauchte. Buchett war schuldig. Sie wusste es und er wusste es. Trotzdem wäre dies, wenn es auch ein wirklich ein unvorstellbarer Wunsch war, nicht die Hauptursache für das leise Entsetzen Lurkers.
Was ihn wirklich fassungslos da stehen ließ, war die Tatsache, dass ihre Bitte nicht abwegig war, sondern dass er vermutlich tatsächlich die Macht hatte dies für sie zu tun. Alle würden tuscheln und taktieren und versuchen die Standpunkte der Befürworter und Gegner herauszufinden und er hatte tatsächlich die Macht zu entscheiden was wohin fließen würde. Er konnte nicht nur einfach seine Stimme abgeben, sondern auch dafür sorgen, dass bestimmte Beweise unerwähnt und manche Dinge ungesagt blieben.
Als sich diese Erkenntnis plötzlich in seinem Verstand festigte, wie eine Eisblume an einem Fenster erblühte, fröstelte der Nosferatu innerlich.
 
"Ja!"

Die Antwort kam spontan und ohne zu überlegen. Lena wich den Blicken des Nosferatu aus und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sie drehte ihm den Rücken zu, ging ein paar Schritte bis zur Terrassentür und sah hinaus in die Nacht. Zeit verging, Sekunden, vielleicht ein paar Minuten.

Schweigend!

"Nein?", sagte Magdalena plötzlich. Nun endlich wagte sie den Blickkontakt und sah Lurker über die Schulter hinweg direkt ins verborgene Gesicht. "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht! Jede Zelle in meinem Körper will Oliver beschützen. Leid von ihm abwenden und ihm den Gram eines Umsturzes ersparen. Seit fast hundert Jahren diene ich ihm nun schon. Niemand kennt ihn besser als ich. Er ist ein guter Mann, weißt du? Ich meine im Grunde seiner Herzens ist er das. Aber er ist auch besessen. Besessen von Kunst, Musik und diesem elenden Gedanken wahrhaftige Unsterblichkeit zu erschaffen. Ich habe so lange versucht ihm klar zu machen, dass es uneingeschränkte Unsterblichkeit kein Geschenk ist. Ich meine, sieh dir an was aus Ziege geworden ist? Denkst du, er ist glücklich mit seinem Dasein? Wieviele geliebte Wesen hat er begraben? Wieviel Schmerz hat er ertragen müssen? Ist das ein erstrebenswertes Ziel?"

Sie zuckte mit den Schultern, als wolle sie sich selbst bestätigen wie sinnlos diese Suche war.

"Ich hätte Oliver fast von seinem Pfad abgebracht, Lurker! Obwohl ich ihm als Ghul vollkommen verfallen war, hätte ich es schaffen können. Aber da war Johardo! Seine Flüstereien, seine Ideen, sein ganzer magischer Zinober. Ich will nicht sagen, dass ihn eine größere Schuld trifft. Sicherlich nicht, die wahren Verbrechen hat Oliver begangen. Schwerer und ausschweifender als sich ein jeder von euch vorstellen könnte. Im Dienste der Wissenschaft und mit der Billigung der Uralten! Mein Mann war kein Drahtzieher, auch er war Handlanger. Er forschte im Dienste einiger Vampire die so alt sind wie die Menschheit selbst. So zumindest sagte er immer, wenn ich ihn anflehte Ziege zu töten und endlich diesen Wahnsinn zu beenden. Ich weiß nicht was daran wahr ist und was nicht. Es ist glaube ich auch nicht wichtig...."

Der Toreador versagte einen Moment lang die Sprache. Ein zittern ging durch ihren Körper, ganz so als fröstele sie.

"Ich beginne damit, dir meine Sicht der Dinge aufzuzwingen, verzeih.", ein schmales Lächeln trat auf das von Sorgenfalten zerfurchte Gesicht. "Worauf ich eigentlich hinaus will. Oliver ist schuldig, sich dessen aber in keinster Weise bewusst. Lassen wir ihn weitermachen, wird er genau das tun. Er wird Ziege finden. Er KANN Ziege finden, bedenke warum dieser Widerling trotz allem stets in Finstertal geblieben ist. Und dann wird er dort weitermachen, wo er aufgehört hat. Ich fürchte mich davor. Ich fürchte aber auch, dass es ihn zerreißt, wenn er keinen Lebensinhalt mehr hat. Warum ich dich also gerufen habe, Lurker, ist,.... ist...."

Ihre Stimme wurde flehend.
Wie auch ihr Blick.

"Hilf mir das Richtige zu tun! Was kann ich tun? Was sagen und morgen Nacht trotzdem noch in den Spiegel schauen können. Ohne angwidert zu sein, vor dem was ich getan habe und was aus mir geworden ist?"

Sie grinste humorlos.

"Wenn ich denn noch so etwas wie ein Spiegelbild hätte....."
 
Das Schweigen nach dem kurzem Ausbruch der Anderen war angenehm. Er lies es kühlend um seine wie entzünd glühenden Nervenenden fließen und seine rasenden Gedanken langsamer werden. Daher genoss er den kurzen Moment in dem sie Rücken an Rücken in der Dunkelheit standen. Als er seine eigene Erkenntnis einigermaßen verdaut hatte und die Seneschall weiter sprach, fiel ein Fetzen des fahlen Mondscheins in die Kapuze und erlaubte ihr den Blick auf die Augen des Nosferatu. Sie waren ausgewaschen und milchig grau, ein wenig als ob sie auch blind sein konnten, aber obwohl sie so trüb wirkten konnte Lurker sie offensichtlich sehen.

Zieglowski konnte sich allerdings nach Lurkers Meinung kaum beschweren. Zugegeben, im Moment schon, aber sein gefährliches Verhalten hatte ihn in die jetzige Lage gebracht. Vielleicht war er auch einfach größenwahnsinnig geworden und dachte, nur weil ihn niemand töten konnte, konnte man allen ins Gesicht spucken. So oder so, der Wiedergänger hatte die bessere Seite der Unsterblichkeit erwischt, denn immerhin konnte er noch Essen. Richtige, wirkliche Nahrung mit echtem Geschmack. Er konnte dabei wirkliche Freude empfinden und sich nicht nur daran erinnern wie es war sie zu spüren. Er war nicht verdammt dabei langsam abzustumpfen und Sinneserfahrungen immer extremer zu gestalten, weil die Erinnerung daran wie es war zu fühlen jedes mal ein klein wenig blasser war, so als müsste man mit einer Nadel jeden Tag ein wenig tiefer in sein Fleisch stechen damit es noch schmerzte.
Er konnte schlafen und träumen und war tagsüber nicht einfach tot. Er konnte lieben, mit Körper und Seele und er konnte sich jeden Morgen ansehen wie die Sonne aufging und ihr Licht die Welt zum erblühen brachte. Zumindest könnte er grundsätzlich, wenn er sich nicht mit den Finstertalern angelegt hätte.
Sie waren unsterblich, weil sie schon tot waren, er aber war noch am Leben. Sicher hatte das Nachteile, aber welcher Untote würde wohl nicht mit ihm tauschen wollen? Aber die Noir hatte Recht. Es war sinnlos darüber zu sinnieren. Es war wie es war.

Als sie sich dafür entschuldigte ihn zu beeinflussen huschte kurz ein amüsierter Glanz durch seine sonst eher stumpf wirkenden Augen. Natürlich manipulierte sie ihn. Das taten alle. Jeder mit dem man umging. Man konnte mit niemandem Kommunizieren ohne ihn auch zu beeinflussen. Wichtig war immer die Intention der Beeinflussung. Als sie geendet hatte war es nun wieder an Lurker zunächst zu schweigen. Er verschränkte die Arme hinter seinem Rücken, was ein wenig so aussah als klappte ein großer, schwarzer Käfer seine Flügel nach außen, und begann einen kleinen Pfad in das nachtschwarze Zimmer hinein und wieder zurück zu laufen.
Ihre Bemerkung über ein fehlendes Spiegelbild nahm er als Randnotiz auf, aber das war nicht das wichtigste. Er hatte schon davon gehrt, dass es einige ihrer Art gab, die dieses Merkmal aufwiesen, tatsächlich gehörte das fehlende Spiegelbild ja sogar zur Folklore und er wusste auch welchem Clan man es als Merkmal nachsagte. Schließlich hatte er nicht wenig Zeit mit einigen Sabatti verbracht und noch mehr unter Angehörigen der Tzimiscen. Es schreckte ihn nicht, das die Seneschall, oder ein Teil von ihr, zum Clan der Nacht gehörte. Die Nosferatu sahen derartiges weniger eng. Wäre es nicht so, weilte er schon lange nicht mehr unter den Untoten.

Wieder begannen sich seine Gedanken umeinander zu drehen, Informationen und Fetzen von Dingen die er nur gehört hatte drehten sich, wie ein wahnsinnig gewordenes Karteikarten System, rasend schnell umeinander und wurden überprüft an welchen Stellen sie zueinander passten. Man musste in dieser Stadt lernen schnell zu denken und man musste lernen die Dinge in Frage zu stellen. Dies war auch hier der Schlüssel, dämmerte es dem Verborgenen plötzlich. Die Noir wollte nicht wirklich, dass er ihr bei deren Überlegungen half, sondern sie versuchte ihn dazu zu bringen dass er auf eine bestimmte Idee kam, die ihr passte und diese dann verfolgte, weil er glauben sollte, dass er selber darauf gekommen war. Ein schmales Lächeln huschte durch den Schatten seiner Verhüllung.

Cleveres Biest

Auch das würde er ihr nicht übel nehmen, denn im Grunde hatten sie vermutlich das Gleiche Ziel und das war es worauf es ankam. Es ging um Finstertal, wie immer. Die Ventrue dachten immer an ihr Gleichgewicht und ihre Wünsche und Ziele. Darum wurde auch einer von Ihnen nach dem Anderen hier vernichtet. Vielleicht musste ein Toreador an der Spitze dieser Stadt stehen, weil nur sie die Vorstellungskraft, das Verständnis und das Gespür dafür hatten, dass es die Stadt selbst war, die bestimmte Dinge brauchte und wollte. Ein wenig so wie das Ding das sie in der Mine getroffen hatten, nur transzendenter, weniger einem menschlichem Verstand ähnlich. Auch wenn es keinen Beweis gab, glaubte etwas in Lurker fest daran, dass es so war. Es würde darum gehen was für das Ding namens Finstertal das Beste, das Richtige war. Wenn man sich daran nicht hielt, dann verschlang einen diese Stadt so blitzschnell wie eine fette Spinne die Fliege.

Es lag keine Anklage und keine Empörung in seiner Stimme als er dann also in einer ruhigen, leisen Tonlage feststellte, was er kombiniert hatte.

Du willst das ich dich zum Prinzen dieser Stadt mache.

Möglich das sie sich nun ein wenig ertappt fühlte, aber sie hatte ihn sicher nicht als Verbündeten akzeptiert weil sie jemand Dummen brauchte.
 
Ein wenig ertappt traf nicht einmal im Ansatz das, was nach Lurkers Worten mit der Toreador geschah.
Lena war geschockt, ihre Augen weiteten sich erschrocken und sogar ihr Kiefer sank verblüfft einige fingerbreit nach unten.
Zum ersten Mal in ihrer Existenz als Kainit (und auch mehrere Dekaden zuvor...) , entgleisten ihr die Gesichtszüge.
Und dies völlig!

Dann aber trat ein schmales Lächeln auf ihre Lippen.
Nicht frech oder wissend, sondern schüchtern und von ehrlicher Scham durchsetzt.

"Du bist ein verflucht kluger Hund, Lurker! Und du bist etwas Besonderes, weißt du das? Ich spüre weder Anklage noch Entsetzen in deinen Worten...." Lena schloss die Terassentür, es war nicht mehr notwendig sich Lurkers wachen Blicken zu entziehen. "Ich entnehme deiner Reaktion, dass du mir die Gelegenheit geben wirst, mich zu erklären? Ich danke dir dafür! Ja, ich möchte dass du mir dabei hilfst Prinz von Finstertal zu werden. Eigentlich wollte ich die ganze Geschichte allein durchziehen, aber ich habe eine derartige Angst davor, dass ich das Gefühl habe mir springt das tote Herz aus der Brust. Ich bin froh, dass du mir auf die Schliche gekommen bist. Vielleicht kannst du mir sagen, dass meine Idee wahnsinn ist und ich aufhören soll mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Ich bin ein verdammter Ghul! Die nette Seele hinter der Theke des Cafe de Trois, der Gute Geist der sich dort für Jahrzehnte der Sorgen aller annahm.... Ich bin kein Prinz, kein Ahn. Verdammt, ich bin erst seit ein paar Tagen tot! Ich HASSE es!"

Lena ging zum Sofa hinüber und setzte sich hin.
Lurker bot sie ebenfalls einen Platz an, auch wenn sie wusste, dass er das Angebot wahrscheinlich nicht annehmen würde.
Nur schwer gelang es ihr, sich wieder zu beruhigen.

"Ich habe einen Plan, wie ich die ganze Miesere hier beenden kann. Ich habe dir bereits umfassend erzählt, wie sehr die Streitereien um Ziege uns ins Chaos stürzen werden. Marty Zieglowski steht kurz davor alles zu zerstören, was wir in den letzten hundert Jahren aufgebaut haben. Was aber , wenn ich einen Weg gefunden habe, meinen Mann zu bestrafen und aus dem Weg zu räumen, das Problem um Ziege entgültig und für alle Zeiten zu lösen und sogar die Blicke der Uralten von uns abzuwenden? Was wenn ich dir sage, dass ich tatsächlich in der Lage bin die Stadt zu retten? Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg -das wünschte ich wirklich- aber dazu ist das ganze Vorgehen zu kompliziert."

Wie sollte sie Lurker nur klar machen, dass sie nicht vorhatte ihn zu hintergehen oder zu missbrauchen?

"Lurker, du MUSST mir vertrauen! Eigentlich ist das alles Olivers Plan! Er ist nach wie vor der festen Überzeugung, dass ich an sein Blut gebunden bin. Aus Gewohnheit wohl, weil ich es als sein Ghul schon immer gewesen bin. Er kann mich in keinem anderen Licht sehen. Und genau das, NUR das, eröffnet uns die Chance das Ruder herumzureißen. Oliver will, dass ich Prinz werde und er sich ein paar Tage, offiziell natürlich Jahrhunderte, in Starre legt. Im Gegenzug dafür will er den Tremere in Wien Zieges Gemälde überstellen, damit gesichert ist, dass er seine Forschungen nicht mehr weiter fortführen kann. Ziege hingegen soll in eurer Hand bleiben, gefoltert von den Brujah, Nosferatu... Gott weiß wem... Es ist ihm vollkommen egal was aus ihm wird. Solange das Bild in Sicherheit ist wird Ziege nicht sterben. Wahnsinnig werden vielleicht, aber das ist Olivers Forschungen nicht abträglich. Wohl eher im Gegenteil. Sobald etwas Gras über die Sache gewachsen ist, wird er zurückkommen, Johardo wird das Gemälde heranschaffen und beide werden mit ihren Untersuchungen fortfahren. Ich werde natürlich zurücktreten und wieder die gehorsame Ehefrau sein. Bestenfalls, es kann auch sein das er keine Zeugen will....!?"

Soviel zum Hintergrund.
Nicht wirklich rühmlich für ihren Gemahl, aber eben auch nicht sonderlich ungewöhnlich für einen Ahn. So waren sie eben!

"Was aber, wenn wir dafür sorgen dass jemand anderes das Gemälde in die Hände bekommt? Sagen wir Kiera? Oder Enio? Du? Wenn wir dafür sorgen, dass es tatsächlich verbrannt wird? Anschließend töten wir Ziege in aller Öffentlichkeit. Oliver muss natürlich in Starre bleiben, seine Rache wäre furchtbar...."

Ihr versagte die Stimme, der offensichtliche Verrat an ihrem Mann ging ihr sichtlich nahe.

"Anschließend, wenn alles geregelt ist, werde ich abdanken und Finstertal verlassen. Ich möchte hier nicht herrschen. Ich möchte überhaupt nicht herrschen. Am liebsten würde ich nach Spanien zurück, in irgendeine kleine Stadt am Atlantik..."
 
Das einzige Problem des Verborgenen war, dass er sich nicht sicher sein konnte, ob die Überraschung der Anderen nun gespielt war, oder nicht. Aber wirklich sicher konnte er sich mit ihr ohnehin niemals sein, vermutlich konnte sie ihr Gegenüber so ziemlich alles glauben lassen, was sie wollte. Er würde sich einfach weiter auf seine Kombinationsgabe, seinen Verstand und seine Intuition verlassen müssen. Ob er nun wirklich einen dicken Knochen ausgegraben hatte, oder ob er nur ein braves Hundchen war, das sein vorher verstecktes und genau geplantes Leckerlie geschnappt hatte war immer noch unklar. Es war sogar möglich dass er dadurch, dass sie ihn glauben ließ, dass er durchschaut hatte, dass sie ihn auf einen bestimmte Idee kommen lassen wollte, in Wahrheit wirklich erst dahin gebracht hatte wo sie ihn haben wollte. Man durfte aber auch nicht zu lange auf diesem Gedankenkarussell fahren, sonst wusste man hinterher überhaupt nicht mehr von wo man abgesprungen war und wo man hin wollte.

Daher zuckte er auf ihr Kompliment hin lediglich kurz mit den Achseln. Alle die sie kannten sahen natürlich in ihr nur Magdalena Buchett. All die Zeit, die sie im Hauptelysium und an der Seite des Beligers gedient hatte und ihr Status als Guhl hatten dafür gesorgt. Allerdings hatte der Nosferatu natürlich einen Vorteil. Er hatte sich so gut wie nie in diesem Elysium oder überhaupt in der Gesellschaft der Oberen herumgetrieben. Deswegen hatte diese Jahrzehnte lange Aushöhlung bei ihm nicht statt gefunden. Er hatte die Lady Noir erst später kennengelernt und Zeit mit ihr verbracht, während sie im Exil war. Er hatte die Lady Noir kennengelernt von der er glaubte, dass sie überhaupt erst die Entführung des Prinzen in die Wege geleitet hatte. Sie würde ihn aus dem Weg räumen, so wie sie selber sagte, weil sie ihn liebte.
Kurz musste Lurker an Stray denken. Würde er so etwas tun können? Würde er sie eines Tages verraten und aus dem Verkehr ziehen, damit sie nicht vernichtet wurde. Wäre er zu so einem Opfer fähig? Es war leicht für jemanden sein Leben zu geben, aber würde er auch auf ihre Liebe verzichten können aus Liebe zu ihr?

Die Seneschall schloss das Fenster und begab sich zu ihrer Sitzgelegenheit, um ihm ihren Plan zu erörtern. Kurz sah er durch das Fenster hinaus in die Nacht und Schlagartig wurde ihm klar, dass er nun eingesperrt war. Die Noir war ein fürchterlicher Gegner, soviel hatte er in den letzten Nächten gesehen, und was würde wohl nun mit ihm passieren, wenn er keine artige, kleine Kanalratte sein würde?
Aber es war wohl zu spät um nun zu lamentieren, er hatte ja so oberschlau tun müssen.
Also ging er zu ihr hinüber und wagte es sogar noch nicht einmal ihr Angebot abzulehnen sich zu setzten. Der metallische Geschmack von Angst begann sich auf seiner Zunge zu sammeln, aber in der Falle, war in der Falle. Diese Frau würde den Mann den sie liebte zu Fall bringen. Was sie mit einem Nosferatu anstellen würde, der zwar ein Vebündeter, oder sogar so etwas ähnliches wie ein neuer Freund war, tun würde, wenn er nicht in ihre Pläne passte, mochte er sich lieber nicht vorstellen.

Als sie geendet hatte faltete der Verborgene seine Hände vor sich zusammen und knetete seine Hände. Wieder rasten Ideen und Gedanken in schneller Folge hinter seiner Stirn und sie rieben sich aneinander, dass er glaubte so etwas ähnliches wie Fieber zu spüren.
Es ging nicht um sie beide. Sie waren zwar die Regisseure dieser Sache, aber es ging immer um den Film, nicht um diejenigen die ihn anstießen. Die Lösung war leider eine Andere als die Noir sich wünschte, oder vorgab zu wünschen.

Ich werde dir helfen und wenn alles so aufgeht wie gewünscht, wirst du Prinz sein.

Er hatte es gesagt. Es war amtlich, so gut wie mit Blut besiegelt. Zumindest hörte er das gestohlene Blut, dass in seinen Ohren rauschte vor Aufregung.

Aber..

Ja, natürlich, es gab immer ein Aber, einen Haken, das musste sie ja wissen. Er würde eine Bedingung haben, einen Preis. Er würde irgendetwas von ihr verlangen. Vermutlich würden demnächst die Nosferatu einen Bereich der Domäne haben wollen so groß wie Alaska und freies Bahn fahren und halber Eintritt für das Kino. So waren sie, die Blutsauger.

Es gibt eine Bedingung.

Vielleicht würde die Lady Noir nun das zweite Mal in dieser Nacht überrascht sein, oder das erste Mal wirklich. Lurker würde kaum die Wahrheit aus ihr heraus bekommen, egal wie talentiert er darin war andere einzuschätzen. Bei einer Toreador kam er schnell an seine Grenzen.
Vermutlich dachte sie, dass es um Zieglowski gehen würde. Er würde Zusagen haben wollen, vollen Zugriff auf alles, Logenplätze und die Garantie dass alles an Wissen was es zu erlangen gab an sein Blut gehen würde, dem nichts heiliger und wichtiger war als Information. Das ultimative Rätsel von Finstertal gelöst von ihm, Lurker. Das war es um was es dem Tunnelkriecher gehen musste.

Sie können nicht wieder einfach gehen. Diese Stadt braucht einen Prinzen und zwar einen starken. Wir brauchen Sicherheit. Wir brauchen Stabilität. Wenn sie Prinz sein wollen und diese Stadt retten wollen, dann müssen sie Prinz sein. Das ist der Preis. Das ist mein Preis.

Manchmal war es nicht nötig das große Gesamtbild zu sehen, oder es zu verstehen. Manchmal musste man nur wissen, dass es da war und worum es ungefähr ging und dann musste man trotzdem tun, was getan werden musste.
Wer abbeißen wollte, der musste auch schlucken. Zieglowski hatte er so oder so. Er war schließlich kein Idiot und hatte gewusst, dass er den Widergänger würde schützen müssen, wenn er ihn einmal hatte. Sogar vor sich selber, wenn es nötig werden sollte. Daher hatte er alle Maßnahmen hierzu getroffen, denn er wusste natürlich, dass Buchett oder jemand von seinem Formate, ihn zwingen konnte. Daher hatte er vor einigen Tagen keine Angst gezeigt, als sie ihn gewarnt hatte und darum würde er nun auch nicht um ihn pokern, oder ihn in seine Verhandlungen überhaupt einbeziehen.
 
"Nein!", das Wort kam leise, wiederwillig und gepresst. Die Toreador wagte nicht dem Nosferatu in die Augen zu sehen und blickte bekümmert nach unten. Nach vorne gebeugt saß sie da, die Arme auf die Knie gelegt, mit gefalteten Händen. Eine unbewusste Geste verzweifelnden Flehens.
Natürlich hatte auch sie diese Möglichkeit in Betracht gezogen, länger und intensiver als es ihr lieb war. Irgendwann aber hatte sie den Gedanken, als unsinnig verworfen. Sie war nur die freundliche Magdalena, die junge spanische Schauspielerin. Das große Talent, dass am Höhepunkt ihrer Stummfilmkarriere durch einen beglischen Vampir zu ewiger Sklaverei verdammt worden war.

Wie soll jemand wie ich diese Stadt führen? Was sieht er in mir? Bin ich in der Lage eine Stadt zu führen? Glaubt er wirklich daran? Oder ist es nur ein Akt der Verzweifelung, weil es niemand anderen gibt, der diesen Posten einnehmen könnte. Den Bock zum Gärtner? Nun, vielleicht nicht ganz.... Immerhin hatte ich den besten aller Lehrer. Aber ich bin auch eine Verfluchte. Ich habe das Nichts gesehen! Die endlose Schwärze, allumfassend und dunkler als alles was du dir vorstellen könntest. Lurker, ich habe den Kampf um meine Seele vielleicht gewonnen, aber irgendetwas in mir ist dabei gestorben..."

"Bitte, Lurker! Tu mir das nicht an...", noch immer hielt Lena den Kopf gesenkt. "Lasst mich gehen und wählt Enio zum Prinzen. Er ist ein guter Mann. Kein Toreador vielleicht .... und sicher auch nicht die Art von Wahl, die von den Archonten gutgeheißen würde. Aber er ist stark und hat viele Gefolgsleute..."

Ihr war klar, dass dieser Gedanke unmöglich war. Weder der Clan Toreador, noch die Ventrue oder Tremere Europas würden einen Brujah an der Spitze akzeptieren. Nicht hier in Finstertal! Trotzdem griff sie nach jedem Strohhalm. Wie jämmerlich... Lurker lachte sicher über ihre verzweifelten Versuche sich vor ihrer Verantwortung zu drücken.

Mit einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung schnellte die Schönheit in die Höhe. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte es, als wolle sie Lurker anfallen. Aber der Schein trog. In Wahrheit war dieser unwillkürliche Impuls nicht mehr als das niedergekämpfte Überbleibsel eines gekonnt unterdrückten Triebes zur Flucht.

Ein schneller Sprung durch die geschlossene Scheibe. Rennen bis zum nächsten Taxi. Dann zum Flughafen und mit der nächsten Maschine nach Spanien. Ein Flucht wäre so leicht. Und doch auch so unmöglich...

"Ich will nur, dass Ziege stirbt und das dieses widerliche Gemälde vernichtet wird. Mehr nicht! Ich will nicht für diese Stadt verantwortlich sein. Der Tod selbst wohnt in Finstertal und ich will mir nicht jede Nacht aufs Neue vorwerfen müssen für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein. Oder eines Kainiten..." Sie seufzte laut. "Mierda! Du weißt was ich meine! Was macht dich so sicher, dass ich dir nicht jetzt einfach das blaue vom Himmel verspreche und mich dann nicht einfach doch klammheimlich verdrücke. Was zur Hölle bringt dich auf die Idee, ausgrechnet an MICH zu glauben?"
 
Er hatte nicht mit ihrem Flehen gerechnet. Ablehnung, das konnte er kalkulieren, oder Wut, weil er so etwas forderte, obwohl es ihm wohl nicht zustand überhaupt irgendetwas zu fordern, aber ihre Bitte sie nicht in die Pflicht zu nehmen verblüffte ihn. Vermutlich, weil es nicht wirklich er war, der es von ihr verlangte, sondern nur derjenige, der es formulierte.
Natürlich wäre Enio eine gute Wahl gewesen, aber anscheinend versuchte ihn jemand aus der Schusslinie zu bringen, anders konnte sich Lurker die plötzliche Abberufung des Italieners nicht erklären. Er war der Kriegsherr gewesen und kurz darauf war er plötzlich weg gewesen. Vermutlich wusste aber die Noir das sogar besser als er, denn außer ihm wusste es im Moment wohl kaum noch jemand, dass Pareto überhaupt wieder in der Stadt war. Wenn sie es also wusste und das erschien ihm so, weil sie ihn als Option aufzählte, dann musste sie auch mehr wissen. Vielleicht sogar, warum er wirklich aus dem Verkehr gezogen worden war und was wohl passieren würde, wenn man ihn wirklich auf den Thron hievte. Da wären wohl Rosen, König und Krawallmacher alle gleichzeitig auf die Barrikaden gegangen. Nicht das, was man unter Stabilität und Sicherheit verstand.

Das es der Anderen aber ihr Wissen um die Tatsache das der Turiner wieder da war überhaupt herausgerutscht war deutete der Nosferatu als Zeichen von wirklichem Entsetzten und Furcht. So ein Fauxpas war der Toreador bislang noch nie passiert.

Dann sprang sie plötzlich auf und Lurker erstarrte, bevor er auch nur in der Lage war zu fauchen, die Zähne zu fletschen oder sich in die Polsterung des Sofa zu krampfen und es dabei zu zerfetzen. Für einen Moment dachte er, dass es nun soweit war und sein letztes Stündlein geschlagen haben musste. Die Lasombra hatte beschlossen, dass der Wurm zu lästig war und zuviel wusste, was bedeutete, dass sie ihn nun auslöschen musste. Wie erbärmlich, dass der Verborgene, der so viele Kämpfe in Finstertal überstanden hatte, gegen Dämonen angetreten war und mit dem Sabbat paktiert hatte nun plötzlich nicht einmal mehr die Gelegenheit hatte sich zumindest aus Reflex zu wehren und seine Geschichte damit enden würde, dass irgendeine Haushälterin der Buchetts ihn fluchend als Pfütze aus der Couch rubbeln würde.

Doch es folgte kein Angriff und auch keine wirkliche Anklage oder Drohung. Nur ein weiterer Versuch sich um diese Sache zu drücken.
Es folgte die große, allumfassende Frage nach dem Grund. Natürlich wollte sie ihn wissen. Eigentlich musste sie es besser wissen, denn genauso gut hätte sie fragen können, warum die Dinge so gekommen waren wie sie sie nun vor sich hatten, warum alles passiert war oder sogar, warum sie beide überhaupt hier sein mussten. Sie beide waren einmal Menschen gewesen, irgendwo dort draußen. Was war der Grund? Warum hatte es ausgerechnet sie getroffen? Warum hatten sie sterben müssen und warum war ihnen danach der Frieden des Todes verweigert worden? Wenn man begann nach dem ultimativem Warum zu fragen, dann war man an dem Punkt, an dem man sich entweder damit trösten konnte, dass es irgendwo vielleicht einen Grund gab und man ihn nur noch nicht gefunden hatte, oder man konnte akzeptieren das es keinen Grund gab und den Verstand verlieren. Wenn man einmal damit begann nach dem Warum zu fragen, wo sollte man dann damit beginnen und wo sollte es enden?

Glücklicherweise konnte er ihr aber vor Augen führen, dass es vermutlich einen Grund gab. Oder sogar viele. Vielleicht keine wirkliche, rationale Begründung, wie sich ein Verstand das wünschte. Aktion, Reaktion - Ursache und Wirkung, möglicherweise war der Grund ein kompliziertes Geflecht aus vielen Dingen, von denen einige noch in Bewegung waren und noch gar nicht wirklich feststanden und die erst passieren konnten, wenn man einen bestimmte Wirkung erzielt hatte und diese dann plötzlich die Ursache wurde? Kismet? Aber wenn der Grund so ein komplexes Gebilde war, ein großes Muster, dann konnte er es ihr nicht direkt erklären. Einmal mehr überlegte er, was weisere, oder stärkere Männer als er es war wohl dazu gesagt hätten und einmal mehr, erinnerte er sich an die Stimme von Ignatzius Chezmoi, der bei solchen Sinnkrisen immer so getan hatte als könnte man sie im Grunde mit einer guten Tasse Hühnerbrühe lösen, wenn man nur die richtige Frage stellte. Plötzlich glaubte er zu wissen was die richtige Antwort war, oder besser, wie die Lady Noir die richtige Antwort finden konnte. Mit der richtigen Frage.

Warum du? Nun...warum hast du mich zum Primogen gemacht?

Nein, das hier sollte nicht seine Rache sein dafür, dass sie ihm dies hier aufgebürdet hatte. Aber Tatsache war, das sie es seinerzeit gewesen war, die ihn ernannt hatte, als der Prinz schon aus dem Weg geräumt war. War die Antwort nun so banal wie Lurker selber dachte? Weil es sonst niemand tun konnte. Weil wir die letzten sind die übrig geblieben sind. Weil es getan werden musste.
Waren das die Gründe? Oder hatte es damals einen komplizierten Plan gegeben? Oder war es die Eingebung einer höheren Macht gewesen? Weil es die Stadt so brauchte? Alles davon? Nichts davon?

Konnte man den Weg den sie gegangen waren auch anders beschreiten? Wenn man ihn aber so beschritten hatte wie sie, konnte man dann plötzlich umkehren oder einfach nicht mehr mitspielen, weil man keine Lust mehr hatte? Natürlich tat sie ihm leid, denn obwohl sie beide ein wirkliches, echtes Leben als Mensch gehabt hatten, war das ihre erst wenige Nächte her und sie fühlte sich wahrscheinlich noch öfters wie eine Leiche, weil sie sich noch so gut daran erinnern konnte wie es war am Leben zu sein. Bei ihm war dies nicht nur länger her, sondern er verdrängte es auch aktiv, weil er ganz sicher schon vor langer Zeit in die Sonne gegangen wäre, wenn er jede Nacht in den Spiegel schauen würde und versuchte sich erinnern welcher Mensch er einmal gewesen war.

Wenn die Stadt einen forderte. Konnte man dann nein sagen?
 
Magdalena hatte Lurker damals zum Primogen berufen, weil es notwendig geworden war. Notwendig, wichtig und vor allem... richtig. Sie verstand, was er ihr sagen wollte. Gefallen musste er ihr trotzdem nicht. Lena stand eine ganze Weile nur da und starrte in die Schwärze der sie umgebenden Schatten.

"Ich kann dir keine Antwort geben, Lurker. Gib mir etwas Zeit die ganze Sache zu überdenken. Wenn ich zustimme, verändert es meine gesamte Existenz, es ändert das Schicksal der Stadt und besonders auch meine Verbindung zu Oliver..."

Sie brach den Satz ab, ihre Augen weiteten sich entsetzt und starrten zu dem Nosferatu hinüber. Erst jetzt verstand sie, dass sie bei einer Zusage für alle Zeiten mit ihrem Ehemann brechen würde.

Endgültig!

Ihr eigener Plan war bereits ein unverzeihlicher Verrat. Aber wenigstens einer, bei dem sie darauf verweisen konnte, dass sie es nur zum Wohl der Stadt getan hatte. Zum Wohle aller und sogar zum Wohle Oliver Buchets selbst. Bei ihrer Idee ging es nur darum Ziege zu vernichten, das Bild zu zerstören und ihren Mann aus dem Strudel seiner fanatischen Suche zu erlösen. Sie würde im Anschluss daran in die Heimat fliehen und damit beweisen, dass sie sich kein eigenes egoistisches Interesse hinter ihren Taten verbarg. Irgendwann würde ihr Mann sie finden und ihr eventuell vergeben...

Wenn sie sich aber entschied, Prinz von Finstertal zu bleiben, würde ihr das Oliver niemals verzeihen. Dann konnte sie sagen was sie wollte, dann war sie nur noch eine Verräterin aus Machtgier. Kein anderes Argument würde er gelten lassen. Er würde sie hassen, jagen und töten...

Trotz allem! Hatte sie eine Wahl? Lurker hatte recht, außer Oliver und ihr gab es niemanden, der den Thron besteigen und gleichzeitig die Stabilität wieder herstellten konnte. Man konnte die Archonten zwingen. Aber das würde nur eine gewisse Zeit funktionieren. Irgendwann würden sie an einem anderen Ort benötigt und Finstertal würde durch Madama Guil eine Marionette vorgesetzt bekommen. Einen Prinzen, der allein die Interessen dieser Frau vertrat und niemals die der Stadt. Man musste Finstertal kennen, um hier regieren zu können. Man musste diese Stadt lieben um ihr dienen zu können...

Natürlich wusste Lena, über die Hintergründe von Enios Abberufung. Er war für die Kainiten der Stadt die erste Wahl, doch die großen Mächte Europas hatten entschieden, dass er niemals diesen Posten einnehmen durfte. Magdalena war sich nicht sicher, ging aber davon aus dass man ihm eben dies in England unterbreitet hatte. Man hatte andere Pläne mit Enio Pareto, größere...

Du hast keine Wahl!

Schweigend öffnete Lena die Terrassentür und sah zu Lurker hinüber.

Bitte geh...

"Wenn mein Plan aufgeht, werde ich tun was nötig ist! Du hast mein Wort! Wir sehen uns morgen..."

Etwas im Herzen der Spanierin starb in diesem Augenblick.
Aber das war eine Sache, mit der sie sich allein auseinandersetzen musste.
 
So wie der Verborgene diese Sache sah, gab es keinen anderen Weg für die ehemalige Guhl. Sie würde ihren Mann verlieren, so oder so. Wenn Buchett den Thron wieder bestieg, würde das ohne das Einverständnis vieler wichtiger Leute passieren und am Ende würde sich seine Stadt als nicht mehr regierbar herausstellen. Der alte Rosenprinz mochte mächtig und raffiniert sein, vielleicht sogar klug, aber er konnte Finstertal nicht nur mit den Hexern halten und am Ende würde er über Martin Zieglowski stolpern und fallen, so wie er es jetzt auch getan hatte.

Das war nun wieder eine neue Erkenntnis, die ihn siedendheiß durchfuhr. Der Lude hatte Oliver Buchett vernichtet und was mit Johardo passieren würde war auch ungewiss. Es hatte gedauert, es war leise und unauffällig passiert, aber am Ende würde der Belgier über den Wiedergänger fallen.
Der Unsterbliche war der Einzige der auf jeden Fall gewinnen würde. Innerlich bedachte der Nosferatu den Mann mit stummen Applaus.
Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis blühte aber noch etwas anderes in ihm auf. Großes Geheimnis hin oder her, egal wie groß sein Triumph darüber gewesen war das es ihm gelungen war Zieglowski für seinen Clan zu beanspruchen, alle die sagten, dass er 'weg' musste hatten recht. Man konnte ihn nicht für ewig auf Eis legen und herum doktoren bis man alles was es zu Wissen gab entschlüsselt hatte. Es war eine Schande. Das ultimative Rätsel und man konnte es nicht lösen, weil es einen dann vernichtete. Wie perfide. Wie genial. Wie wunderschön.
Glücklicherweise gab es aber einen Weg dieses komplexe, fantastische Konstrukt in seiner vollen Pracht zu erhalten. So wie ein James Dean der ewige Rebell und Draufgänger bleiben würde aufgrund seines Todes, würde der Nosferatu das Rätsel um Zieglowski für alle Zeiten bewahren, indem er den Wiedergänger endgültig töten würde.

Dennoch brachte all dies Leid über Magdalena Buchett. Im Augenblick schien sich ihr Verstand noch zu weigern alles einzugestehen, aber sie bat sich aus darüber nachzudenken und das war nur vernünftig.
Vermutlich hätten andere noch ein paar aufmunternd gemeinte Worte oder einen tröstenden Händedruck auf die Schulter für die Frau übrig gehabt, aber es gab keine Worte und keine Geste das ihr Los erträglicher machen konnte. Man konnte es nur achten, indem man es anerkannte und nicht bagatellisierte mit einem 'Kopf-hoch' oder durch ausgesprochenes Mitgefühl.

Also nahm der Nosferatu, ein wenig dankbar, dass er mit heiler Haut aus dieser Sache heraus gekommen war, die offene Türe an.
Nur kurz wandte er auf der Terrasse noch einmal um und erinnerte sich an die Nacht in der er diese Frau das erste Mal getroffen hatte.
An ihnen beiden konnte man ermessen wie unglaublich viel passiert war in den wenigen Jahren.
 
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