[10.5.2008, kurz nach Sonnenuntergang] Mandala in the clouds

Nightwind

Erzketzer
#StandWithUkraine
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11. September 2003
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Es fängt schon an ehe sie überhaupt aufwacht.. denn auch wenn das Sonnenlicht versiegt ist, schläft sie noch länger und kann sich noch nicht aus dem bleiernen Scheintod hervorkämpfen.. früher war das anders. Früher, als sie ihrem Menschsein noch näher war, ein bißchen zumindest. Zachariis Einfluss hilft auch nicht gerade, auch wenn dieses elende Gewisper sie endlich aufschrecken lässt. "Was?" knurrt sie und spürt schon wieder, wie hungrig sie ist.. sie sieht Schatten tanzen in ihren Augenwinkeln, und sie hört diese gehässige, süffisante, herablassende, belehrende, verhöhnende Stimme.. Zachariis Stimme! "Scheisse!" ruft sie und springt aus dem Bett, hält sich mit beiden Händen den Kopf. Gleich darauf schreckt sie davon wieder weg.. nein, sie will gar nicht genauer lauschen, ob sie da irgendwas versteht, sie will es gar nicht verstehen! Sie hat etwas zu tun, sie muss zum Tierpark, dann zur Kunstakademie, sie müssen das Ritual schaffen und keine verdammten Stimmen können sie davon abhalten... sie marschiert los, und erst als sie schon die Haustür geöffnet hat merkt sie, dass sie nur einen Slip und ein Shirt trägt. Sie knallt die Tür wieder zu dass das Haus wackelt und geht zurück, um sich neu einzukleiden. Die Sachen von gestern sind alle völlig kaputt, sogar jenseits dessen was jemand anziehen kann, der zerrissene Jeans mag. Das passiert ihr immer öfter... sie muss mal wieder shoppen gehn.

Stimmen hin, Schatten her.. sie kann sich währenddessen auch erinnern, dass sie erst etwas gegen den Hunger tun sollte. Die Leute zu beschützen die das Ritual durchführen werden wird sicher kein Zuckerschlecken.. sie braucht jeden Tropfen den sie kriegen kann. Darum darf sie auch nicht zimperlich sein.. nicht heute. (..nicht jemals..? Nein, wir wollen eigentlich nicht dass das zur Norm wird, oder mein Tier? Ja, du willst das schon.. aber du kannst mich mal!) Und da draussen auf der Strasse kaum jemand sein wird, muss sie sich wohl als Einbrecherin betätigen. Nicht, dass das jetzt so besonders schwierig wäre, solang keiner die Bullen ruft. Und das wird ja keiner tun, wenn sie die Sache richtig einschätzt. Missmutig sieht sie in den Himmel, wo graugrüne Wolken groteske Formen zu bilden scheinen.. und wenn sie schon Schatten an den Häuserecken sieht, welche Dinge lauern da oben in diesem von Zacharii vorgezeichneten düsteren Mandala, oder vielleicht eher Menetekel?

Meyye tut also was, das sie im Normalfall vermeiden würde.. sie marschiert einfach durch ihre Strasse und sucht sich das Nachbarhaus aus, das sie besuchen will. Sie kennt ihre Nachbarn nicht groß.. und die sie auch nicht, sie ist ja so gut wie nie hier und nie bei Tag zu sehen. Allenfalls fällt es als merkwürdig auf, weil ihr Haus zum Großteil abgedunkelt ist. Aber es gibt immer merkwürdige Leute.. wer wüsste das besser als die Einwohner von Finstertal. Ihr fällt eine offene Haustür auf.. schön, da hat sich wer freiwillig gemeldet!

Es ist nicht damit zu rechnen, dass noch jemand groß auf sie achtet, dennoch ist sie vorsichtig.. sie hüllt sich in Schatten ehe sie die Tür öffnet und hineinspäht, in einen unscheinbaren Hausflur. Jemand redet und lacht. Das ist ungewöhnlich.. vielleicht hat sie die Chance, jemanden zu sehen der von Zacharii noch nicht jeglicher Lebensfreude und Handlungsfähigkeit beraubt wurde. Aber sie wird enttäuscht.. die Geräusche kommen aus dem Fernseher. Zwei Kinder, Zwillinge, schätzungsweise 8 Jahre alt, sitzen davor und starren verständnislos das Geschehen auf der Mattscheibe an. Eine Frau, die wohl die Mutter der beiden sein könnte, liegt auf dem Sofa und wendet den ganzen Rest an Aufmerksamkeit den sie aufwenden kann für einen Säugling in ihren Armen auf. Still und heimlich verzieht sich Meyye wieder. Hier ist die Lage zwar beschissen, aber noch nicht hoffnungslos.. und sie sucht lieber woanders weiter, wenn auch immer noch im Haus. Da.. ein weiteres Zimmer, mit einer älteren Frau. Die Großmutter, wie es aussieht. Das leise Geräusch eines Plattenspielers, dessen Nadel längst das Ende der Schallplatte erreicht hat. Wie lange schon? Stromverschwendung, aber nicht ihr Problem. Sie schleicht sich an die Frau im Sessel heran und beisst zu. Ein gutes Gefühl...
Danach ist die Frau schon einge- aber nicht entschlafen, das prüft sie extra nochmal nach. Mal sehen.. ob es noch einen Mann im Haus gibt? Sie findet ihn in seinem Hobbykeller. Sieh an, ein Modellbauer. Welcher Impuls mag ihn hierhergetrieben haben? Jedenfalls hat er nicht geholfen, dass hier irgendwas zustandekommt. Auch der Mann sitzt mehr oder weniger apathisch herum.. vielleicht hat er anfangs das ein oder andere Werkzeug in die Hand genommen, sich versucht zu erinnern warum er das überhaupt tun wollte. Dann hat er es aufgegeben. Sie gibt ihm wenigstens für kurze Zeit ein gutes Gefühl und bettet ihn auf eine Liege, als er zusammensackt. Auch er wird es überleben. Jedenfalls wenn Zacharii nicht das vollendet, was sie so zaghaft begonnen hat.

Aber sie hat die Menschen in diesem Haus schon wieder aus ihren Gedanken verbannt, als sie sich zum Tierpark aufmacht. Wobei das eher die Stimme macht. "Verschwinde aus meinem Kopf..." knurrt sie, aber das kann Zacharii nicht aufhalten...
 
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