[10.05.2008] Nächtliche Beisetzung

Drakun

Pflanze
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Out of Character
Direkte Fortsetzung zu diesem hier.


Der Mann lag halb im Eingang des Hauses, die Augen geschlossen und mit einem glücklichen Gesicht. Auf eine gewisse Weise war es auch berechtigt, musste er doch kein Leid mehr ertragen - weder jetzt noch in Zukunft. Was mach ich jetzt bloß mit dir? Marta stand über ihm, unschlüssig was sie mit ihm anfangen sollte. Im dunkeln Eingangsbereich und mitten in der Nacht waren sie vor fremden Blicken geschützt. Leider war das nicht von Dauer. Der Körper musste verschwinden und zwar so schnell wie möglich. Er hat sein Leben für dich gegeben und jetzt willst du ihn wegschmeißen wie einen Sack Müll? Nein, sie wollte nicht. Doch eine blutleere und ansonsten unverletzte Leiche war einfach zu auffällig. Er hat ein vernünftiges Begräbnis verdient. Seltsam welche Gedanken man hatte, nachdem man jemanden getötet hatte. Dabei tat es ihr nicht einmal Leid. Im Gegenteil sie fühlte sich wie neu geboren. Nach Tagen voller Mattigkeit und Schwäche hatte ihr das Blut die notwendige Befriedigung verschafft. Sie hatte es genossen das Leben aus ihm herauszusaugen. Trotzdem war sie ihm Dankbarkeit schuldig. Die Würde des Opfers respektieren - sagt du das auch Trapper, wenn er dich fragt? Auch wenn sie es schwer übers Herz brachte - das Opfer musste weg.

Da gab es schon die nächste Sorge - wohin mit den Resten? In seiner Wohnung oder einer nahen Mülltonne würde man ihn zu schnell entdecken. Weit tragen konnte sie ihn aber auch nicht. Das Risiko einer Entdeckung war einfach zu groß. Sie hatte kein Fahrzeug, nicht einmal die Fähigkeit eines zu nutzen. Hilfe fiel auch aus. Also blieb nur eine Möglichkeit: Das Opfer musste unter die Erde. Nicht dass es ungefährlich war, schließlich begab sie sich in das Revier von Vampiren, die bekannt dafür waren im Rudel zu agieren. Doch wenn man die Population betrachtete war es eher unwahrscheinlich einem oder gar mehreren zu begegnen. Die Kanalisation war schließlich kein Jagdgebiet.

Nachdem sie die Leiche in einer dunklen Ecke abgelegt hatte und sich versichert hatte keine Spuren im Eingang hinterlassen zu haben, begab sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Einstieg. Ob es nun an ihren wiedererstarkten Fähigkeiten lag oder pures Glück war - sie wurde rasch fündig. Leicht verdeckt in einer finsteren Seitengasse gab es einen Schacht, schlecht einsehbar und offensichtlich nicht versiegelt. Genauere Betrachtung offenbarte einige Öffnungen, wahrscheinlich für Regenwasser, die sie nutzen konnte. Ihre Finger schoben sich langsam hinein und suchten Halt. Sie begab sich in Position und hob das Metall an.

Verdammt ist das schwer! Selbst als Vampirin hatte sie ihre liebe Not den Deckel zu bewegen ohne alle Anwohner aus den Betten zu werfen. Beinahe hätte sie auf ihr kostbares Blut zurückgreifen müssen. So behutsam wie möglich wurde er abgesetzt. Der Eingang zur Unterwelt war frei. Stockfinster lachte er sie an wie ein gieriges Maul, das darauf wartete, dass dumme Beute von selbst hineinstieg. Willst du da wirklich runter? Sie musste. Doch im Untergrund würde sie blind sein. Ich hätte die Taschenlampe mitnehmen sollen! Nicht dass diese besonders hell gewesen wäre - eine schwache Lichtquelle war besser als gar keine Lichtquelle. So musste sie eben ohne auskommen. Der Mann wurde unauffällig zum Einstieg gebracht. Marta griff in ihre Tasche. Sorry Junge - ich muss das tun. Die Klinge glitt an seine Kehle und schnitt durch die Haut wie durch Butter. Ein Anblick, der Erinnerungen mit sich brachte, schlimme Erinnerungen. Doch heute kam kaum noch Blut aus der Wunde. Ihr Gewissen blieb still als sie seine Brieftasche an sich nahm. Dafür hast du keine Verwendung mehr. Sie nam den Körper und stieg in die Tiefe, langsam und vorsichtig bis sie die Dunkelheit ganz einhüllte.

Irgendwann, nur Momente später doch es kam ihr vor wie Stunden, traf ihr Fuß festen und glücklicherweise trockenen Boden. Es gab also einen begehbaren Seitenstreifen. Behutsam bugsierte sie ihre Fracht aus dem Schacht. In der Finsternis war sanft dahinfließendes Wasser zu hören. Marta schluckte, ihre Zuversicht sank. Ich muss weiter hinein. Möglichst nahe an der Wand schritt sie vorwärts, lauschend und angespannt, hielt ihre Fracht fest. Genau genommen hielt sie sich an ihrer Fracht fest. Das war eine bescheuerte Idee... Trotzdem tastete sie sich weiter.
 
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Einsamkeit und Dunkelheit umfingen sie und ein wenig mochte es einem erscheinen, als erzeugten sie eine Art Sog. Die schwarzen Gänge unterhalb der Straßen hatten das Monster in Gestalt einer jungen Frau und ihre Last schnell verschluckt. Eigentlich konnte man sich hier beinahe sicher fühlen. Schon nach wenigen Schritten, konnte einem das hektische Treiben, dass sich im künstlichem Licht der Stadt über einem abspielte, seltsam fern und abstrakt vorkommen, ganz so als berühre einen derartiges nicht, wenn man hier unten her gehörte. Allerdings blieb zu fragen ob Marta glaubte hier her zu gehören.
Und was geschah mit Fremden hier unten? Es gab viele Geschichten über ihresgleichen, die in dieser Stadt schon verschwunden waren. Zugegeben, nicht nur solche, es waren schon weitaus mehr Menschen in Finsteral spurlos verschwunden. Gerade im Augenblick war wieder dabei. Aber was war jenen widerfahren, die zu ihrer Art gehörten?

Was würde sie tun, wenn sie gleich um eine Ecke bog und auf jene Verschwundene traf, die sie als Horde nackter, bleicher Untoter mit blind-milchigen Augen anstieren und dann in ihrer Mitte willkommen heißen wollten? Kein guter Zeitpunkt sich Gedanken daürber zu machen.

Die tröpfelnde, faulige, feuchte Finsternis ergoss sich in langen Tunneln vor und hinter ihr. Es gab zahlreiche Abzweigungen. Manche groß genug um aufrecht hindurch zu gehen, manche so klein, dass sie kriechen hätte müssen um zu passieren. Gnädigerweise kam sie schließlich, es mochten einige hundert Meter gewesen sein, oder vielleicht auch nur wenige Minuten Fußweg, die sich hier Unten wie eine Ewigkeit anfühlten, an einen mit Notlampen spärlich, gelb ausgeleuchteten Bereich. Ihr Weg endete an einem hüfthohem Gitter, hinter dem auch das Rohr durch das sie gewandert war, abschloss. auf der anderen Seite ging es einige Meter hinab in ein tiefer gelegenes Becken. Sie konnte sehen, dass noch von anderen Seiten und auch von zwei Ebenen unter ihr, ähnliche Ausgänge in diese Kammer führten und allesamt ergossen sie ihren stinkenden Strom in das schwarze Wasser der künstichen Kaverne unter ihr. Dort wiederum, verschwand es in einem gurgelndem Strom durch ein großes Loch weiter hinab in die Tiefe. Sie konnte selber nicht passieren, da ein Gitter den Weg verschloss, aber die Stäbe waren einigermaßen weißt auseinander, damit sich nicht zuviel Unrat aus dem Wasser dort sammeln und alles verstopfen konnte. Es reichte für einen normal gebauten Menschen nicht um hindurch zu schlüpfen, aber wenn sie den Körper zwischen zwei Stäbe klemmen und dann einfach hindurch schieben würde, fiele er hinab in die Tiefe und würde sicher in dem Loch verschwinden.
 
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Marta kam nicht schnell voran, hielt sie sich doch ganz am Rand und setzte ihre Füße mit äußerster Vorsicht. Auch ihr Verstand war angespannt, dachte nicht an Verschwundene Tote oder ähnliches. Die Dunkelheit und das schmatzend rauschende Geräusch des Wassers waren schon genug. Weiter. Abzweigungen waren von untergeordneter Bedeutung. Für sie gab es nur einen Weg - was auch hilfreich für den Rückweg war. Weiter. Konnte sie die Leiche nicht einfach hier lassen und zurück gehen? Weiter! Endlich ein Lichtschimmer. Auf der einen Seite war sie froh nicht mehr blind zu sein. Auf der anderen Seite - konnte sie die zäh dahinfließende Brühe nun auch noch sehen.

Bemüht den Abstand einzuhalten schob sie sich weiter. Immer an der Wand entlang. Bis sie zu einem Gitter kam. Ein Blick auf die andere Seite lies sie erschaudern. Das Wasser strömte hinab wie in ein gefräßiges Maul. Mal sehen, ob ich dich füttern kann. Am Gitter gab es kein Vorbeikommen, doch vielleicht konnte sie den Körper irgendwie hinüber bringen. Es war über die gesamte Breite eher grob um Treibgut hindurchzulassen. Bei starken Regen verwandelte sich das Rohr sicherlich in einen reißenden Strom, welcher sich durch das Gitter presste, um danach in den Schlund zu stürzen. Marta verdrängte die Bilder und kämpfte die aufkommende Panik zurück. Es regnet nicht! Die Lücke ganz am Rand mochte breit genug sein, also schob sie ihre Fracht langsam zwischen die Stangen. Auf einen festen Stand achtend quetschte sie ihn weiter. Dann war Schluss. Komm schon! Marta setzte kurz ab, nahm eine stabile Position ein und begann wieder zu drücken...
 
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Eine ungesund dünne und ausgemergelte Person hätte das Gitter vermutlich passieren können, indem sie sich hindurch drückte. Bei einem normal gebautem Menschen, gestaltete sich das Ganze schon schwieriger. Wäre ihr Opfer nicht bereits tot, hätte es sich bei diesem Manöver leicht so starke Verletzungen und Quetschungen holen können, dass es wohl daran ohnehin gestorben wäre. Zuerst saß der Körper fest, aber mit einer gehörigen Portion Druck an der richtigen Stelle, war zu spüren, wie sich die verkeilte Leiche langsam bewegte. Die schleimige Konsistenz ihrer Umgebung, die sonst nur für ekel gesorgt hatte, weil sie die Kleidung, dort wo sie mit dem Rücken an der Wand entlang geglitten war, mit grün, gräulichem Schleim an die Haut geklebt hatte, kam ihr nun zugute, denn sie wirkte wie ein Schmiermittel.

ein widerwärtiges, feuchtes Knirschen und Bersten drang aus dem jungen Mann, dann flutschte er endlich durch den Engpass und verschwand mit einem stummen Fall und einem Platschen, dass im Rauschen der Abwässer unterging, in der Tiefe. Durch das aufgewühlte, schäumende Schmutzwasser, war die Leiche sofort außer Sicht.

Es war das Letzte, was man von Martin sehen sollte. Er war ein junger Mann gewesen, der sich wahrscheinlich noch nicht sonderlich mit dem Gedanken auseinander gesetzt hatte, wie er einmal sterben würde und was danach mit seinem Körper geschehen sollte. Da er aus einer bürgerlichen Familien stammte, wären seine Ideen wahrscheinlich auf eine blumenreiche Beerdigung auf dem örtlichem Friedhof hinausgelaufen. In der Kirche hätte es Gospel Gesänge gegeben. Man war ja modern. Ein kleiner Imbiss noch, in einem Kaffe mit gemütlich abgenutzter, alter Einrichtung.
Hiermit, hatte er sicher nicht gerechnet. Solche Dinge geschahen halt einfach, nicht wahr? Menschen starben. Unvermittelt, auf banale Art und Weise, unverdient. Solche Dinge sagten die Menschen, wenn einem von ihnen etwas zustieß. Was aber sagte man sich zum Trost, wenn man selber das Etwas war, dass anderen zustieß
 
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Ihre Kleidung war Marta diesmal sogar herzlich egal. Der Stoff war an vielen Stellen aufgerissen und blutverschmiert, sodass der Schleim nur noch etwas Abwechslung brachte. Gut - eklig war es schon, doch es gab andere Dinge, die ihre Aufmerksamkeit erforderten. Eines davon war nun auf dem Weg nach unten. Endlich! Sekundenlang stand sie einfach nur da, wagte es nicht in die Tiefe zu starren, während ihre Hände die Stangen umklammerten. Bloß nicht ausrutschen! Dann begann sie ihren Rückweg. Vorsichtig. Immer and der Wand entlang. Ohne Gepäck und doch langsam. Das Licht verschwand. Die Vampirin tastete sich weiter. Zurück lies sie Martin, der ein so ganz anderes Ende erlebt hatte. Ein einzelner Tropfen rann über ihre Wange.

Ruhe in Frieden.
 
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