Bei Schlachten im Rollenspielkontext habe ich die Erfahrung gemacht, daß man auf zwei sehr unterschiedliche Arten die Spielercharaktere direkt im Schlachtgeschehen einbinden kann (also nicht nur den Spezialauftrag wie "Bringt die Brücke dort zum Einsturz, damit wir dem Gegner den Rückzug versperren" oder so etwas). Dabei ist vornehmlich vorab zu überlegen, wieviel Befehlsgewalt und damit Einflußmöglichkeiten die Spielercharaktere in der Schlacht haben sollen: sind sie
Befehlshaber (Offiziere, Kriegerpriester) oder als
Befehlsempfänger (einfache Soldaten, Miliz-Kämpfer, Stammeskrieger) oder gar als vom Krieg überraschte "
Zivilisten" im Schlachtgetümmel gelandet.
Als Befehlshabende können und sollen die Spieler über ihre das Kommando ausübenden Spielercharaktere den Verlauf der Schlacht selbst mit beeinflussen können. Dazu benötigen die Spielercharaktere die notwendigen Fertigkeiten und Strategie und Taktik. Nicht jedem einzelgängerischen Waldläufer liegt das Anführen einer ganzen Streitmacht (eigentlich noch nicht einmal Aragorn). Für solche Auseinandersetzungen bedient man sich eines meist von den Regeln des "normalen" Rollenspiels abweichenden Systems, damit bei 300 Stufe 3 Ork-Kriegern der Spielleiter nicht vor lauter Würfeln einen Krampf im Arm bekommt, weil die reinen Rollenspiel-Kampfsysteme eher sehr persönlichen Charakter an Auseinandersetzungen von ihrem Abstraktionsgrad her voraussetzen. Ein Schlachtensystem muß dabei fast zwangsläufig vereinfacht sein, um noch in angemessener Zeit die Schlacht durchspielbar zu machen.
Karou schrieb:
Alles nur meine Erfahrung, da ich noch kein System gefunden habe, was Massenkämpfe wirklich spielbar macht.
Gibt es:
Savage Worlds. Das ist ein Rollenspiel, welches von abstrakten Schlachten mit tausenden Beteiligten über Skirmish-Truppengrößen analog manchen Tabletopspielen (es kommt ja ursprünglich von
Deadlands UND von
The Great Railwars Tabletop her). bis hin zu den üblichen individuellen "close and personal" Schlägereien von Abenteurergruppen alles stimmig abdeckt ohne sich in Regelwirrwarr zu verlieren. Massenkämpfe gehen damit schnell, problemlos und trotzdem mit allen notwendigen Details und Einflußmöglichkeiten der Spieler. Insbesondere wirken sich hier die Vorteile/Feats/Edges zur Führungsfähigkeit aus: Spielercharaktere mit solchen Vorteilen beeinflussen die Moral ihrer Truppen, können ihre Truppen geschickter manövrieren lassen, können die Schwächen der Gegner-Einheiten besser ausnutzen etc. Diese Fähigkeiten sind für Charaktere, die eine Offiziersposition in einer Armee haben unbedingt empfohlen und sie haben merkbare(!) Auswirkungen im Schlachtverlauf.
Meine erste Begegnung mit
Savage Worlds war im Piraten-Fantasy-Setting
50 Fathoms, wo wir im ersten Szenario gleich ein ausgedehntes Massengefecht (Skirmish-artig) zwischen 4 Spielercharakteren und 12 Matrosen, Kanonieren (mit einem durch den Dschungel geschleppten Bordgeschütz) und Seesoldaten auf der einen Seite und einem blutrünstigen Ugak-Schamanen mit als Blutopfer hergerichteten verschleppten Matrosen unseres Schiffes, 10 erfahrenen Stammeskriegern und einer ganzen Anzahl vom Schamanen heraufbeschworener Tiere sowie - als Krönung - einem Avatar eines "Walking Gods", einem King Kong-artigen RIESEN-Affen durchgespielt hatten. Diese ganze Auseinandersetzung ging etwa 30-40 Minuten Spielzeit und war zeitlich und von der Aktionsfülle her der Höhepunkt des Szenarios. Das hatte mich dann schon umgehauen, da ich solche Kämpfe mit sehr detailierter Aktion in D&D 3rd in einem Vielfachen der Zeit durchgeführt kannte.
Wenn man von seiner Story WIRKLICH vor hat einen echten Krieg auszuspielen, mit vielen Schlachten, kleineren Scharmützeln und einzelnen Aufträgen dazwischen, dann kann ich nur empfehlen, sich ein EINFACHES System zu suchen, welches solche Situationen SCHNELL und trotzdem SPANNEND und VOLLSTÄNDIG abhandeln hilft. Ich habe für solche Fälle meine Wahl getroffen.
Karou schrieb:
Nur, wie wir festgestellt haben, was sehr wichtig ist: der Verlauf muss von vorneherein feststehen. Man kann spontan etwas ändern, wenn die Helden die ultimative Idee haben, aber ansonsten sollte alles vorher feststehen. So kann man den Spielern die stimmigsten Beschreibungen geben, und das ganze spannend und dramatisch halten.
Dies kann ich für die zweite Variante - die Schlacht aus der Sicht der Befehlsempfänger bzw. aus Zivilistensicht - nur empfehlen. Aus der hier wieder sehr persönlichen Perspektive kann ein einzelner Charakter wohl kaum den Gesamtverlauf der Schlacht komplett ändern, aber er hat in höherer Detailtiefe mehr unterschiedliche Handlungsoptionen. Für diese Option muß man das normale Kampfsystem des jeweiligen Rollenspiels auch nicht ändern oder aufgeben.
Wichtig ist hier tatsächlich den Verlauf der Schlacht als spannende Geschichte vorzubestimmen (mit eventuellen Entscheidungsmöglichkeiten: "Falls die Spielercharaktere den ihnen zugewiesenen Mauerabschnitt gehalten haben, dann werden sie zur Verteidigung des Südturms kommandiert. - Falls jedoch die Mauer vom Feind eingenommen wurde, sollen die Spielercharaktere zum zweiten Mauerring zurückfallen und dort die Zivilisten evakuieren und in den inneren Ring geleiten."). In jeder einzelnen Szene kommen dann beherrschbar viele Gegner auf die Spielercharaktere und wenige Nichtspielercharaktere zu.
Man kann natürlich manche Szenen zu Schlüsselszenen erklären: "Wenn der zweite Ring fällt, dann ist die Burg verloren und alle müssen fliehen. Wenn der zweite Ring hält, dann ist der Vorsturm der Angreifer aufgehalten und die Burg wird belagert werden".
In beiden Fällen jeweils Situationen für sehr individuelle Rollenspielmöglichkeiten "die Frauen und Kinder durch die Höhlen unter dem Bergfried zum Fluchttunnel geleiten, um festzustellen, daß die Gegner dort bereits einen Erkundungstrupp hineingeschickt haben => kurzer Kampf und erfolgreiche Flucht" oder "die Burg wird nun den vierten Monat belagert, ohne daß von Fürst Oswyn Entsatz geschickt wurde. Es wurden schon zwei Gruppen zum Fürsten durch die feindlichen Linien gesandt, doch kam wohl keine bisher durch - nun ist es an der Gruppe der Spielercharaktere sich durchzuschlagen => mit Heimlichkeit, Austricksen und Überlegung sind die Feindestruppen zu durchqueren ohne Aufmerksamkeit zu erregen, dabei hören die Spielercharaktere "zufällig" wie von einem Informanten in der Burg gesprochen wurde, der eine dritte Gruppe an Gesandten dem Befehlshaber der Belagerer gemeldet haben soll - die Spielercharaktergruppe!"
In den eigentlichen Kampfszenen kommt es bei Schlachten nicht darauf an, den jeweiligen Gegner bis zum Umfallen zu besiegen, sondern - so mein Eindruck vom Schlachtgetümmel - den nächsten Gegner anzugreifen, bzw. sich so gut es geht zu schützen, während man versucht das befohlene Ziel des Auftrags ("haltet den Thermopylen-Paß koste es, was es wolle") zu erfüllen. Daher können einem Spielercharakter im Schlachtgetümmel sowohl unverletzte frische Truppen begegnen, die nach einem kurzen Schlagabtausch weiterstürmen - ihrem eigenen Missionsziel zu. Oder er gerät hinter die feindlichen Linien und wird von seiner Einheit getrennt - nun ist erste Priorität wieder zurück zur Einheit zu finden. Oder er landet mitten in einer schon ziemlich schwer zerschlagenen Einheit des Gegners, wo er über Verstümmelte, Verletzte, Tote und erschütterte Feindestruppen vorankommen soll.
Ich finde es gut, wenn es mir gelingt, dieses Chaos eines Schlachtgetümmels, in dem NIEMAND weiß, wer jetzt eigentlich gerade gewinnt (Henry IV von Shakespeare z.B.), zu vermitteln. Auch wenn die gesamte Schlacht vorbestimmt sein mag, so darf sie für den einzelnen Charakter nicht anders als das blanke planlose Chaos wirken, bis er eventuell plötzlich merkt, daß seine Einheit tatsächlich eine tiefe Bresche in die Fußtruppen des Feindes geschlagen hat, da nämlich die eigene Reiterei hindurchbricht und hinter den Linien des Feindes den Tod bringt.
Ein recht ähnlich wie oben beschriebenes Szenario ist mir noch gut im Gedächtnis: da hatte es eine durch ein vorangeganges Abenteuer ziemlich gebeutelte Gruppe, die sich in einer Kleinstadt erholen wollte, praktisch über Nacht zu Zivilisten in einer Stadt gemacht, in der bereits im Schutze der Dämmerung Feindestruppen aufmarschiert waren und im Morgengrauen die Tore gestürmt hatten. Was sollten sie nun machen, wo marodierende Feindestruppen durch jedes Haus streiften und die Stadtverteidiger in Auflösung begriffen waren?
Also: JA. Ich finde man kann und soll Schlachten ausspielen. Man sollte sich nur überlegen, welchen Einfluß die Spieler(!) auf den Ausgang haben sollen. Wenn sie bestimmend sein sollen, dann muß das Spielsystem dies hergeben UND ihre Charaktere für diese Kommandoübernahme geeignet sein. Wenn sie Spielbälle im Chaos des Schlachtgetümmels sein sollen, dann muß die Schlacht vorbestimmt werden und durch Szeneneinteilung ein spannender Ablauf gewährleistet werden, in dem die Spieler durch Schlüsselszenen eventuell DOCH etwas Wichtiges, Heldenhaftes beitragen konnten (oder episch scheitern konnten). Das alles meine ich natürlich vornehmlich für Fantasy-Settings. In einem 2. Weltkriegs-Setting wäre ich von der Stimmung, die ich vermitteln wollte, wesentlich weniger auf "heroisch", sondern eher auf "depressiv" und "desillusioniert" abzielend. Da sind Szenen angezeigt, in denen die Charaktere ALLES gegeben haben und es hat rein garnichts genutzt, weil es NIE etwas nutzt. Oder Szenen von moralischen Zwiespalten wie im Film "Die Brücke" mit dem angeschossenen Amerikaner (Der Film ist übrigens eine tolle Inspiration für ein Engel-Szenario, weil der Einsatz gehirngewaschener Kindersoldaten zu allen Zeiten und überall gleich übel ist).
Ich habe in der Regel bei typischen Fantasy-Gruppen ein Problem bei Schlachten, Belagerungen etc. festgestellt: Die Charaktere in solch einer Gruppe sind alles Einzelkämpfer oder zumindest eine Art S.W.A.T-Team. Sie sind aber in der Regel KEINE Führungspersönlichkeiten. Insbesondere D&D mit der Aufstiegs-Geschichte von Stufe 1 bis irgendwohin hat da einiges an Lücken zu füllen. Ein guter Feldherr muß z.B. nicht ein guter Kämpfer sein, vielleicht sogar das Gegenteil (siehe "Alfred, Bezwinger der Wikinger" in dem der Feldherr ein Bruder des Königs ist, der eigentich kurz vor der Mönchsweihe steht, aber, da er Lesen und Schreiben kann viele der griechischen und lateinischen Klassiker zur Kriegskunst gelesen hatte).
Eine Gruppe, die in einem Feldzug bestimmde Kräfte darstellen will, MUSS m.E. als Führungskader von Anfang an konzipiert werden. Ein Zauberer in dieser Runde ist Berater und Koordinator für die arkanen Verteidgungen, jedoch LÄßT er zauber; ein Dieb ist Geheimdienst-Chef und regelt den Einsatz seiner Agenten unter den Feindestruppen; ein Priester ist für die Aufrechterhaltung der Kampfeskraft (körperlich und seelisch) verantworlich und hält Feldgottesdienste ab und stärkt den Mut der wankenden und zweifelnden Belagerten; ein Kämpfer ist der Feldherr, der sich nicht selbst mit irgendwem herumschlägt, sondern kommandiert seine Truppen kommandiert, die Katapulte positioniert, die Sapper und Minierer-Einsätze plant etc. Dabei braucht der Kommandeur so viel Wissen über seine Feinde, wie er nur kriegen kann, weshalb hier Informationsgewinnung durch Informationsmagier und Hellsichtspriester VIEL wichtiger sind, als Feuerball zum X-ten Male zaubern zu können. Denn das können auch die unteren Chargen der königlichen Magierschule von den Verteidigungstürmen aus bewerkstelligen. Aber ob die Gegner z.B. ihre Gefallenen als Zombies wieder an die Front zu schicken planen, davon wird man mit Kampfzaubern nichts erfahren.
Die Anforderungen an Charaktere auf "Feldherren"-Niveau sind wesentlich anders als an die durch schlammige Kerker krabbelnden Schätzesammler Stufe 20. Dies gilt es zu bedenken, wenn man Schlachten aus der Kommandeurs-Perspektive in seinem Setting durchziehen will. Wenn die Charaktere nicht adäquat sind, oder die Spieler keinen Spaß daran haben (wie z.B. in Babylon 5 in der Kommandozentrale) die nächsten Taktiken mit ihren Verbündeten zu diskutieren, dann kann ich nur empfehlen die Gruppe als Befehlsempfänger, als Zivilisten oder eben - wie oben ja schon gesagt - als S.W.A.T.-Team für Spezial- (und Einzel!)Einsätze heranzuziehen.