Nicht mehr ohne dich

Salomé

stupid fucking rope
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15. Juli 2003
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Nicht mehr ohne dich [Vampire]

Nicht mehr ohne dich


„Nein, sie kommt nicht in dieses Haus!“ Tirza bebte vor Wut, ihre Augen sprühten nahezu vor Zorn.
Blassblaue Augen, wie ein fliessendes Bächlein auf das die Sonne scheint, aber nun hatten sich diese Augen in einen reissenden Strom verwandelt, der alles fortriss, was ihr Vater ihr an Fassung und Durchsetzungsvermögen entgegenbringen wollte.
„Wenn du sie ins Haus holst werde ich gehen!“ „Tirza, versteh mich doch. Deine Mutter ist seit 5 Jahren...“ „Halt den Mund“, kreischte sie hysterisch los, die Hände in den Haaren verkrallt, das Gesicht zu einer reinsten Schreckensmaske verzerrt.
„Tirza hör auf damit. Ich will darüber nichts mehr hören, Babette wird...“, er brach jäh ab, als Tirzas Fingernägel sich in seine Wange gruben.
„Raus, raus, RAUS!“ Mit jedem dieser Worte wurde er lauter, bis er seine Tochter schliesslich anbrüllte. Seine Hand zuckte einen Moment, als wollte er die Hand gegen sie erheben. ~Ruhig Blut, Dan! Du hast sie als Kind nie geschlagen, du kannst es jetzt erst recht nicht tun, sie ist erwachsen!~
Er stopfte die Hände, wütend auf sich selbst, in die Hosentaschen. Er liebte dieses Kind einfach zu sehr, um ihr Grenzen stecken zu können. Das hatte schon Mariam einst festgestellt, als sie noch gelebt hatte...
Tirza wirbelte herum, schnappte sich ihre Jacke von der Garderobe und war schon halb aus der Tür.
„Wo willst du hin?“ Verdammt, seine Wange brannte, seine Augen brannten, sein Herz brannte, stand in Flammen.
Wie hatten sie sich nur so streiten können?
Tirza warf ihm einen Blick über die Schulter zu und auch ihre Augen brannten, vor Tränen, Leidenschaft und Entschlossenheit. Oh, wie er diesen Anblick kannte - von ihrer Mutter - doch Tirza hatte ihn perfektioniert.
„Warte, Tirza, ich...“ Doch die Tür fiel bereits hinter ihr zu.

Babette lag neben ihm, ihren Kopf auf seiner Brust gebettet, er den Arm um sie geschlungen. Aber sie schien trotz der körperlichen Nähe weit weg von ihm und seine Umarmung wirkte nachlässig.
„Was ist los, Dan? Trauerst du immer noch deiner trotzigen Tochter nach?“
„Hör auf Babette. Es ist für Tirza nicht leicht... und ich mach mir Sorgen. Sie ist schon seit 2 Wochen weg und niemand ihrer Freunde hat sie gesehen oder was von ihr gehört und...“ „...und sie ist ein Trotzkopf“, fiel Babette ihm ins Wort. „Und du jammerst ihr viel zu viel nach, Dan“
Er drückte sie von sich weg und drehte ihr den Rücken zu.
„Merkst du nicht, wie sie uns auseinander treibt? Seit 2 Wochen scheinst du mich zu ignorieren.“ Er schwieg, schloss die Augen und wie jedes Mal, seitdem Tirza gegangen war, tauchte sie vor seinem inneren Auge auf. Ihr Gesicht von Trotz und Leidenschaft gezeichnet, in einer stummen Liebeserklärung an ihren Vater.
„Lass uns morgen darüber reden. Ich bin müde...“ raunte er leise. Er war abgekämpft; erschöpft, nicht körperlich, aber seine Seele hatte an Energie verloren, an Lebenslust.
Babette sprang auf und lief aus dem Schlafzimmer. „Sie ist kein Kind mehr, Dan. Lass endlich los!“
Er hörte, wie sie in der Küche mit dem Geschirr zu klappern begann. Wahrscheinlich wusch sie ab, wie so oft, wenn sie wütend war.
Dan aber döste langsam ein und in seinem Traum empfing ihn Tirza mit offenen Armen. Ein versöhnlicher Traum, der ihn mit einem zufriedenen Lächeln auf den Rücken rollen liess.


Ein Poltern riss ihn aus dem Schlaf, der Messerblock stürzte dumpf auf den Boden und klirrend war das Geräusch der Messerklingen auf den Küchenfliesen zu hören.
„Babette?“ murmelte er schlaftrunken. Statt einer Antwort rumorte es gedämpft in der Küche.
Kopfschüttelnd über so viel – wohlbekannte - Sturheit sank Dan wieder zurück in Morpheus Umarmung.


„Es tut mir so leid... wirklich. Ich liebe dich!“ Glühend heisse Lippen pressten sich auf seine und er genoss den Kuss einen Moment, ehe er sie wegdrücken wollte. „Babette...“ „Nein“, gab die Stimme zurück. Liebevoll, umschmeichelnd, warm und mehr als vertraut.
Der Schlaf fiel ruckartig von ihm ab und Dan erkannte, warum dieser Kuss so etwas besonderes in ihm hatte auslösen können: Wer sich so liebevoll an seinen Körper schmiegte, war nicht Babette, sondern Tirza.
In diesem Moment schien alles so klar und fassbar, was er jahrelang nicht hatte wahrhaben wollen. Wenn sie je wieder gehen würde, seine Arme verlassen, wenn er auch nur einen einzigen Atemzug lang ihre Nähe missen müsst, würde er den Verstand verlieren. Er liebte sie, aus tiefster Seele. Und sie liebte ihn, wie er nun endlich begriffen hatte. Nicht wie Vater und Tochter... anders. Einmalig!
Als er sie auf das Bett niedersinken liess waren alle Vorwürfe vergessen, der Streit, die Frage wo sie so lange untergekommen war, jeder Gedanke an Babette, alle die Zweifel an der Richtigkeit seiner Gefühle, selbst das Blut, dass ihre porzellanfarbene Haut besudelte war nebensächlich.
Sie, das war alles was noch für ihn zählte!


26.1.2004, A.I.M.
 
Genial. Ich mag, wie du die Gefühlswelt deiner Charaktere beschreibst.
 
Wie eine Statue aus purem Elfenbein lag sie, an Dans Seite zusammengekrümmt, im Bett und Strahlen fahlen Mondlichts tanzten über ihre Haut, um einen kaltbläulichen Schimmer zu erzeugen. Wie ein Engel schien sie in diesem Lichtschein, der sie umgarnte, ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberte, als sie langsam die Augen aufschlug, Farben von wilden Wasserfällen.
„Herzensbegierden sind unberechenbar wie Wasserfälle“ so lautet ein afrikanisches Sprichwort, dessen Weisheit sich Dan erst jetzt vollkommen zu offenbaren gedachte. Seine Herzensbegierde war Tirza und er konnte sich nicht erklären, wie sein enger Verstand hatte sein Herz so zuschnüren können, dass er diese Begierde, diese Liebe, hatte all die Zeit leugnen können.
Erst jetzt, als er Tirza noch einmal einen aufmerksamen Blick schenkte, wurde sich Dan des Blutes bewusst, dass auf den Laken, der Bettwäsche, Tirzas Händen klebte. Ob sie sich verletzt hatte?
Erschrocken fuhr er empor und musterte Tirza. Aber sie lächelte nur entspannt. Kein Anzeichen einer Verletzung, als sie sich aufsetze und mit blutverkrusteten Fingerkuppen über seine Lippen strich. Blut, etwas Unreines, schrie seine gläubige Seite – Dan war ein streng gläubiger Jude der sich stets an die Gesetzt der Thora hielt und seine andere Seite – die, die Tirza liebte und damit alleine schon gegen mehr Gebote verstiess, als er sie überhaupt auswendig kannte – flüsterte ihm ein, dass es Tirza war und nichts war reiner als dieses Mädchen, selbst wenn sie über und über mit Blut besudelt war und sich darin wälzen würde. Sie war sein reiner Engel, vollkommen.
„Es ist spät. Du solltest deine Sachen packen.“ Ihre Stimme hatte noch immer dieses Timbre eines warmen Sommerregens, der auf einen herunterprasselte, bis die Kleidung vor Nässe an der Haut klebte und man sich selbst so nah und vertraut war, wie nur selten im Leben. Aber das drohende Gewitter lauerte bereits das machte ihre Worte so seltsam. Tirza sprach keine sanftmütige Bitte aus, - wie sie es zuvor so oft getan hatte, in dieser Nacht – sondern sie befahl, sie verkündete eine längst beschlossene Sache. Vielleicht hätte Dan diese Entschlossenheit gar nicht schocken sollen, kannte er sie doch schon zu gut von Tirza und ihrer verstorbenen Mutter... aber die seltsamen Umstände und sein Unverständnis gepaart mit der Überraschung waren es, die ihn doch einen Moment schaudern liessen. Ehe er nachfragen konnte, was sie eigentlich meinte, war Tirza schon aufgesprungen. „Nimm nur mit was dir wichtig ist. Wir brechen schon sehr bald auf.“
Aufbrechen? Wohin? Und warum? Doch Dan verwarf alle Gedanken. Sollten Tirzas Wünsche – so unverständlich sie für ihn waren – von nun an ruhig sein Befehl sein. Er würde sich beugen, müsste er sie nur nie wieder verlieren.
Er packte seine Sachen, nicht viel persönliches, was er mitnahm: Einige Bilder seiner Frau und Tirzas, zwei Bücher, die eine besondere Bedeutung für ihn hatten, ...

Der Koffer war verschlossen und in einem seiner routinierten Handgriffe, nahm Dan seine Kippa und die Thora vom Nachtschrank, ein Handgriff, den Tirza mit einer raschen Handbewegung abwehrte.
„Du wirst es nicht brauchen.“ Dan zog die Stirn in Falten und liess die Thora tatsächlich liegen, seine Kippa aber setzte er mit mechanischer Bewegung auf, was von Tirza einen zornigen Blick zur Folge hatte. Hatte er wirklich Abscheu aus ihrer Stimme gehört und dieser Blick... Unmöglich! Nein, er musste sich geirrt haben. Tirza war ebenso gläubig wie er, sie hatte stets fest im Glauben gestanden. Es musste etwas anderes zu bedeuten haben...
„Hast du alles“, riss die Stimme Tirzas ihn aus seinen abwegigsten Gedanken. Sie warf einen hektischen Blick auf die Uhr. Mit jeder Minute die verging, schien Tirza nervöser zu werden. Als Dan zur Antwort ansetzen wollte, unterbrach sie ihn sogleich. „Dann lass uns gehen.“ Sie verliess das Schlafzimmer und Dan folgte ihr, wie ein Löwenjunges seiner starken Mutter folgen würde. Ein seltsamer Rollentausch, der hier stattgefunden hatte.


Der Koffer stürzte zu Boden. Er war Dan einfach aus der Hand geglitten, ohne dass er es bemerkt hatte.
Leichenblass starrte er auf die Wand, in dem kleinen Flur, der de Eingang zur Küche und zum Badezimmer beherbergte, sie wie die Haustür und seit dem heutigen Tag... Er konnte gar nicht in Worte, nicht einmal in Gedanken fassen, was er eigentlich noch beherbergte: Babette, Messer, Blut, ... Nein, die Aufzählung war vielleicht falsch. Nüchtern betrachtet – mit dem Verstand eines Anwalts, der er doch eigentlich war - hätte er die Szenerie, die sich ihm bot wohl anders beschreiben sollen, aber ob des grausigen Bildes, dass sich ihm bot hatte er eher den Verstand eines kleinen, zu Tode geängstigten Kindes, als den eines Mannes. Babettes Körper schien vor der holzvertäfelten Wand des Flures zu schweben, was wohl allein der Tatsache zuzuschreiben war, dass zwei lange Küchenmesser durch ihre Schultern und zwei durch die Hände gerammt worden waren und sie an der Holzvertäfelung, wie einen weiblichen Jesus aufgespiesst hatten. Blut war auf der Wand hinter ihr verschmiert als habe Babette noch im Tod ihre blutigen Schwingen ausgebreitet.
Dan wich einen halben Schritt zurück und ein entsetztes
„Jahwe“, nur um schon im nächsten Moment vorzuschnellen, in der Absicht Babette zu retten. Vielleicht lebte sie noch.
Ein eiserner Griff hielt ihn zurück und Tirzas Augen stachen kalt aus den Höhlen hervor.
„Er hat uns längst verlassen“, zischelte sie hasserfüllt. „Tirza. Du sprichst wirr. Lass uns...“ Er wollte sich von ihr losmachen, doch Tirzas Griff verstärkte sich, so dass ihm der Schmerz Tränen in die Augen trieb. Woher nahm dieses Mädchen mit einem Male so viel Kraft? „Gott hat uns längst verlassen.“ In ihren Augen schienen kleine Flammen zu tanzen, als sie diese hasserfüllten Worte ausspie. Als wenn das Bild das Babette bot sie belustigen oder vielleicht sogar erregen würde, wanderte ihr Blick, wie hypnotisiert wieder zu der gekreuzigten zurück. Was war nur mit seiner Tochter geschehen? „Tirza, du darfst so etwas nicht...“
„Niemand verbietet mir mehr den Mund“, fauchte sie und als sie den Kopf zu Dan wand, schien sich etwas in ihren Mund geschobene zu haben. Die Lippen waren wie zum zerbersten gespannt, um sie überhaupt noch aufeinanderpressen zu können. Als ihr Mund sich langsam öffnete, dem wachsenden Druck nachgebend, sah Dan auch warum ihre Mundpartie so seltsam erschien: Ihre Eckzähne hatten sich aus dem Oberkiefer hervorgeschoben, Fangzähnen einer Schlange gleich.
Dan spürte einzig noch von seinem Körper, wie die Knie langsam unter seinem Gewicht nachgaben und er zu Boden stürzte. Sein Körper, seine Gedanken waren wie gelähmt, wie abgetrennt von ihm. Das alles musste ein schlechter Traum sein, eine andere Erklärung gab es nicht. Tirza stürzte neben ihn, ein Lächeln wie ein Messer auf den Lippen, was ihre Fangzähne übernatürlich hervorhob. Ruhelos lag Dan in ihrer kalten Umarmung, als sie sich über ihn beugte und die Fänge mitten in sein Brustbein rammte. War es zuvor der Schock gewesen, der seine Gedanken gelähmt hatte , war es nun das überaus angenehme Gefühl, dass durch seinen Körper jagte.
Angenehm? Ekstatisch!


6 Tage, 5 Nächte. So lange sind wir jetzt schon unterwegs.
Wohin? Ich weiss es nicht. Ich weiss nichts mehr, denn nichts ist mehr so, wie es einmal war.
Am Tag fahre ich. Durch Städte, Dörfer, die Wüste – Tucson und halb Arizona haben wir bereits hinter uns gelassen... – und Tirza liegt hinten, im Kofferraum unseres alten Fords versteckt. Des Nächtens fährt sie. Und ich? Ich bin zu müde, zu kraft- und vor allem willenlos, ihr Fragen zu stellen. Fragen über unser Ziel, über sie und mich, über unser Leben, wenn es das noch gibt...
Das ich mich einst von meinem eigenen Kind, meiner Liebe, so kommandieren lasse, wie Tirza es mit mir tut, hätte ich mir nicht träumen lassen.
„Sei unauffällig“, hat sie mir gesagt, „halte nur an, wenn es unbedingt nötig ist“, so lautete ihr Befehl.
Wenn die Sonne vollkommen versunken ist, erst dann wage ich anzuhalten und den Kofferraum zu öffnen. In einer schmalen, unbelebten Gasse, auf einem verlassenen Parkplatz, mitten in der Wüste, fern ab von allen Menschen.
Tote, leere Augen schauen zu mir auf und ich frage mich von Anblick zu Anblick, warum ich nicht einfach des Tags den Kofferraum aufreisse oder den Wagen anzünde, um dieses Ding zu beseitigen. Dann lächelt Tirza – meine Tirza – mich an, als ob sie meine Gedanken aus meinem Geist ablesen könnte und ich weiss wieder, ich würde diese Gedanken nie verwirklichen, nie, weil ich sie liebe, mehr als ich je geliebt habe.
Ich zündete unser Heim an, wie sie es wünschte; ich würde für sie töten, bereitwillig tausend Tode für sie sterben; für sie leugne ich Jahwe, meinen Herrn, für sie trinke ich, was unrein ist:
Blut.
Tirzas Blut.​

A.I.M 13/04/2004
 
Ich ziehe meinen Hut!!!!!!!!
Und hoffe sehr das es noch weiter geht!!!!!
 
Als das Leichentuch über mir riss, spürte ich bereits, dass an mir zerrte, was mir zur zweiten Natur geworden war, nun da die Nacht mein Freund.
Für einen Moment lang war die Person, die den Kofferraum öffnete nicht Vater und Geliebter, sondern nur ein Wesen aus Fleisch und Blut... alles wonach mein Tier hungerte. Sein Herzschlag schien überdeutlich und in meinem Ohren rauschte mir das abgestandene Blut.
Mein Untergebener schien eben jene Veränderung allein in meinem Blick zu bemerken.

„Tirza?“ Seine warme Umarmung, als er mir aus dem Kofferraum half, raubte mir schier den letzten Sinn und der schmale Faden an dem meine Beherrschung hing begann zu vibrieren.
„Verschwinde“, fauchte ich und schupste ihn von mir. „Aber...“ „Kein aber!“
Mit einigen Schritten war ich um den Wagen herum und setzte mich hinters Steuer.
Von einem nervösen Fingertrommeln auf das Lenkrad begleitet, wartete ich bis mein Begleiter endlich eingestiegen war.
„Was ist los mit dir?“ raunte er besorgt. Aber ich hatte keine Geduld zu Reden. Sein süsses Blut neben mir wahrzunehmen und mein Tier tiefer und tiefer in mich zurück zu zwängen beschäftigten mich ganz und gar.
Ein kurzes Knurren war meine Antwort, ehe ich den Motor startete und die Landstrasse hinabrauschte.

Die Lichter der Stadt brausten über uns dahin, während eisiges Schweigen im Inneren herrschte. Anders als sonst war Dan nicht eingeschlafen. Es war, als wenn ihn etwas – oder jemand? – gewarnt hätte; gewarnt seine Aufmerksamkeit von mir zu nehmen. Aber wer könnte schon schlafen, mit einem unkontrolliertem Raubtier zusammen im Käfig eingesperrt?
Wie ein glitzernder Schleier Chiffons legte sich der Bodennebel im Scheinwerferlicht über die Landschaft, als die Stadt sich mit einer dörflicheren Gegend ablöste.
„Tirza. Sag mir doch endlich was ich falsch gemacht habe“, brach Dan schliesslich wieder das Schweigen, was ihm einen boshaften Blick von mir einbrachte. „Mit DIR hat es sicher nichts zu tun!“ Spie ich ihm entgegen und merkte, wie das Tier inzwischen meinen Körper zum Beben brachte. Es schrie nach Freiheit, tobte um der Aufmerksamkeit willen, die ich ihm verweigern wollte. Es reizte mich mehr und mehr einfach über meinen Beifahrer herzufallen.
Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen und ich sprang auf. Mir war, als müsste ich vor allem davonlaufen, um nicht endgültig den Verstand zu verlieren.
„Tirza!“ Auch Dan war aufgesprungen und sah mich über das Autodach hinweg schreckensbleich an. Nie war ich unbeherrscht gewesen. Aufbrausend ja, aber doch mit einer gewissen Berechenbarkeit.
Dies hier setzte neue Maßstäbe für unser beider Zusammen“leben“.
Aber ich war schliesslich auch nicht mehr seine Tochter, nicht mehr in dem Sinne, in dem ich es einst gewesen war. Meine Hände flogen und scheinbar war es in erster Linie genau dieses Zittern, was Dan zu verwirren schien.
Bei aller Liebe, aber mein Temperament ging mit mir durch und hilflos vor Zorn und dem Gefühl, dass mich nie jemand verstehen würde, schlug ich mit den Fäusten auf das Autodach ein.
„Hunger!“ War es wirklich noch mein eigener Gedankengang gewesen, der sich soeben Gehör verschafft hatte, oder bereits ein Teil des Tieres in mir? Gegen das Auto sinkend nahm ich das tiefe Grollen wahr, was sich in meiner Kehle gesammelt hatte und die Ankündigung eines grausigen Kontrollverlustes zu werden drohte, wenn ich nicht etwas dagegen tat.
„Dann lass uns... an der nächsten Tankstelle halten“, stammelte Dan, der sichtlich entsetzt über mein Verhalten war. Aber jede Alarmglocke in seinem Kopf schrillte, mir jetzt bloss nicht zu nahe zu kommen oder Fragen zu stellen.
Gut für ihn. Aber trotz allem hatte er noch immer keinen blassen Schimmer von dem was eigentlich mit und in mir vorging.
Aber all seinem Unwissen zum Trotz: Der Gedanke mitten in der Nacht eine einsame Tankstelle an einer noch gottverlasseneren Landstrasse aufzusuchen, stellte einen Anreiz für mich da und vor allem einen dünnen Hoffnungsschimmer.

~~~~~~*~~~~~~​

Sie sass neben mir. Allein sie davon zu überzeugen, dass es das Beste sein würde, wenn ich weiter fuhr, hatte eine Ewigkeit gedauert. Sie auch noch dazu überreden zu können auf dem Beifahrersitz einzusteigen, anstatt wieder in den Kofferraum zu verschwinden war ein weiterer Akt gewesen.
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie sie ihre zitternden Finger immer wieder ineinander rang, nur um sie kurz drauf wieder voneinander zu lösen und das Spiel von neuem zu beginnen. Das Zittern konnte sie trotz allem nicht verbergen, ebenso wenig, wie das leise Murmeln. Was sie sagte blieb mir zunächst verborgen, doch mit jeder Minute, die unsere Fahrt verstrich, wurde sie zunehmend nervöser und ihre Worte mit jeder Meile, die wir hinter uns gelassen hatten lauter.
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe. Du aber bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels...“
Die metallene Spange, die sich schon vor langem um mein Herz gelegt hatte schien unter diesen Worten einfach dahin zu schmelzen. Es gab Hoffnung für sie und für mich. Sie hatte ihren Glauben nicht verloren, sondern in dieser schweren Not wieder den rechten Weg beschritten...

~~~~~~*~~~~~~​

Träumer, so spottete ich ihm innerlich. Ja, ich sah, wie er mich anblickte und ich wusste genau, was er in diesem Moment dachte und welchen Hoffnungen er sich wegen meiner verlorenen Seele hingab. Glaubte er denn wirklich Überzeugung läge in meinen Worten? Nein, gewiss nicht. Gott war für mich schon lange gestorben, genauer gesagt zusammen mit mir.
Alles was ich gesucht hatte war Ablenkung gewesen, um das Tier unter Kontrolle zu halten. Warum nicht ein Psalm, den ich so oft hatte auswendig lernen müssen, bis ich an ihn geglaubt hatte, ihn mit einer Inbrunst hatte vortragen können, die mir nun gänzlich fremd war.
Man hatte von mir verlangt zu lernen, also hatte ich gelernt. Man hatte mir abverlangt zu glauben, also hatte ich geglaubt. Aber ich war längst nicht mehr das Kind, dem man befehlen konnte, was es zu tun und zu lassen oder zu glauben und hoffen hatte. Ich war durch die Hölle gegangen – nein, ich steckte noch mittendrin!

Es dauerte gut eine Stunde, bis endlich eine erleuchtete Tankstelle in Sicht kam, an der wir hielten.
Dan war scheinbar noch immer der festen Überzeugung, dass ich wirklich etwas zu Essen haben wollte – Nahrung, die man kaufen konnte! –, als wir den Laden betraten, denn alle paar Sekunden hielt er inne und fragte, ob ich nicht darauf Appetit hätte.
Zwischenergebnis? Eine Packung Kekse, eine Cola und Thunfischsandwichs in Plastik eingeschweisst. Und die stetig wachsende Frage in mir, wie man so engstirnig und blind sein konnte. Ich hasse Tunfisch, das habe ich schon immer, genauso wie Cola. Die winzige Tatsache, dass ich seit unserer mehrtägigen Flucht noch keinen Bissen gegessen hatte schien Dan ebenfalls geflissentlich zu übergehen.
So bedauerlich es war, aber ich fragte mich langsam, warum ich sein Leben eigentlich noch schonte, abgesehen von der Tatsache, dass er mir ein guter Verbündeter und Fahrer bei Tag war. Aber mit jeder Nacht die verging schrumpfte mein Ansehen, jede Bewunderung für die einstige Stärke meines Vaters und jeder Funken Gefühls, den ich für ihn je gehegt hatte, auf ein Minimum zusammen.
Erschreckend... aber nun mal leider wahr. Warum sollte ich mich selbst belügen?
Während ich meinen eigenen Gedanken nachhing und den jungen Tankwart an der Kasse mit unterdrückter Gier musterte, bemerkte Dan nun erst, dass er sein Portemonnaie im Wagen vergessen hatte.
Eben jener glückliche Zufall war es doch auf den ich gewartet hatte...

~~~~~~*~~~~~~​

Die Hände wutentbrannt in die Tasche gestopft, kehrte ich zum Auto zurück. Wie konnte man eigentlich nur so schusselig sein? Vielleicht wurde ich ja auch einfach langsam alt, zu alt für diese ewige Flucht. Vielleicht frass mich auch einfach die Angst auf, die Angst um Tirza und die Ungewissheit wovor wir eigentlich auf der Flucht waren. Zugegeben, Babettes Leiche hatte man vielleicht in unserem abgebrannten Haus gefunden und vielleicht suchte man uns sogar, aber das konnte schliesslich niemand von uns beiden wirklich wissen, denn weder Tirza noch ich hatten seit unserer überstürzten Abreise etwas davon gehört.
Ich beugte ich ins Auto, nahm das Geld aus dem Handschuhfach und schon im nächsten Moment war ich mit den Gedanken schon wieder auf dem Rückweg zur Tankstelle, als mich eine innere Stimme inne halten liess. Irgendetwas stimmte hier nicht, ohne dass ich genau bestimmen konnte woher dieser Gedanke kam oder auf was er sich bezog, warf ich einen aufmerksameren Blick in das aufgeklappte Fach hinein.
Na gut, vielleicht wurde ich auch einfach schon ein wenig paranoid. Wäre das denn verwunderlich gewesen, bei all dem was Tirza mit mir und meinem Leben derzeit anstellte? Aber ich liebte sie nun mal, was sollte ich denn machen?
Wütend über mich selbst schlug ich die Autotür zu und erneut beschlich mich das Gefühl, dass hier etwas fehlte. Ein Geräusch. Das vertraute Klappern des Jagdmessers, was im Türfach steckte.
Die Hand hatte ich bereits wieder zur Autotür ausgestreckt, als mich ein dröhnendes Geräusch aufschreckte. Es klang beinahe so, als wenn... und richtig, als ich mich zur Tankstelle umwandte, konnte ich schemenhaft erkennen, dass eines der Regale im Inneren umgestürzt war. Wenn dieser Kerl meine Tirza nun angerührt hätte? Dieser Gedanken raubte mir schier den Atem. Hastig legte ich den Weg zur Ladentür zurück und stürmte hinein, um im Inneren nicht nur den Laden, sondern auch mein Leben zerstört zu finden.
Auf dem umgestürzten Regal thronte Tirza, mein kleiner Engel. In der rechten Hand das Jagdmesser, was ich eben noch im Auto hatte suchen wollen und in ihrer blutüberströmten linken das Herz des Tankwarts, der zwischen Tüten von Kartoffelchips und Schokoladenriegeln ein unschönes Ende gefunden hatte.
Nein, wer immer dieser Dämon auch war, der dort in Gestalt Tirzas hockte, es war unmöglich meine Tochter. Doch sie wandte ihren flammenden Blick zu mir, der tief in meiner Seele Brandblasen hinterliess und gurrte mit spottenden zu:
„Setz dich, Liebling und warte, bis ich mit dem Mahl fertig bin.“
Ich wartete, während ich aus lauter Verzweiflung und Ekel heraus auf die Knie sank und betete. Ja, ich betete. Für den Toten, für Tirza und für mich.
Ich wehklagte Jahwe, während meine Tochter und Geliebte lange blitzende Eckzähne im immer noch pochendem Herz vergrub und sich schmatzend an dem frischen Blut labte.
Dem Blut eines Mannes, den sie umgebracht hatte, als wäre er nichts anderes als Vieh.
Nein, nicht mal mit Vieh ging man so um. Das war unmenschlich.

Tirza war unmenschlich!​
 
Und wieder frage ich mich, wann du endlich mit SeelenBlut euer gemeinsames Buch veröffneltichst....

Ihr zwei seid einfach zu gut für diese Welt! *kopfschüttel*


EDIT:
Sehr krass sind auch die Perspektivenwechsel im letzten Teil der Geschichte. Dadurch wirkt das 'Erlebte' noch ... persönlicher...

War das von vornherein geplant oder eher eine gute Idee, die während des Schreibens geboren wurde?
 
knickst höflich Danke... verlegen auf die Schuhspitzen schielt

Meine Geschichten haben übrigens den Eigensinn sich beim Schreiben selbst zu erzählen, ich tipp sie nur! *g* Und der Perspektivenwechsel kam daher, dass grade dieser Abschnitt der Geschichte von den Gedanken und Gefühlen (wie ja fast immer bei mir) lebt. Und zum Beispiel, dass Tirza dieses Gebet nur zur Ablenkung aufsagt war einfach nicht aus Dans Sicht glaubhaft zu erkennen, also musste Tirza her.
Es kann aber genauso gut passieren, dass der nächste Teil wieder in einer ganz anderen Perspektive erzählt wird. Bei mir weiss man das nie... Mal schauen, wann mich die nächste Muse küsste...


Und das BUCH... DAS ist so ein Thema... *g* Das haben wir ja eigentlich schon seit Jahrmillionen vor. Erst mit Jean und Ian (die hier auch irgendwo als Geschichte rumschwirren) und auch mit so einigen anderen unserer gespielten Charaktere...
Wenn wir erstmal zusammen wohnen... dann wird das bestimmt irgendwann nochmal was werden... :)
 
Macht doch einfach ein "Salomé und SeelenBlut: Gesammelte Werke" draus ...

Oder Salomé's SeelenBlut, oder was weiß ich, irgendein Titel, den eigentlich nur die Blutschwerter verstehen können ...
 
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