Myranor Werkstattbericht 9 – Playtests

Während die Myranor-Kernprodukte aktuell in Layout, Finalkorrektorat und dann Druck gehen war etwas wenig Zeit für Werkstattberichte in den letzten Wochen. Und tatsächlich fand ich auch nach 8 Berichten gerade kein Thema, dass mir passend erschien. Bis gerade eben.

Am Uhrwerk-Discord kam (nicht konkret im Myranor-Kontext) die Frage nach Playtests auf. Auch anderswo hört man immer wieder die verständliche Aufforderung, dass neue Regeln und Abenteuer „ausführlichen Playtests“ unterzogen werden sollen. Das hat mich dazu gebracht, auf unsere Playtests zurückzublicken und mir Gedanken darüber zu machen.

Ein Hinweis: Noch mehr als die bisherigen Werkstattberichte ist dieser hier natürlich von meinen persönlichen Erfahrungen geprägt und daher mit etwas subjektiver Vorsicht zu genießen ;).

Also als Erstes: Ja, es gab (und gibt) natürlich Playtests zu Myranor. Ich habe meine Gruppe durch eine Kampagne mit ständig angepassten Regeln geführt und ihr Feedback war unschätzbar wertvoll bei der Entwicklung der Klassen und Spezies-Regeln. Auch andere in der Redaktion haben Testrunden oder sogar -kampagnen geleitet und wir haben auch vor einigen Monaten einen offenen Playtest bei den Unterstützenden gestartet, die auf Wunsch Vorabversionen der Regeln für ihre Gruppen erhalten haben.

Was konnte ich daraus mitnehmen?

Playtests von Regelfeatures sind wertvoll. Man bekommt ein Gefühl dafür, was funktioniert und was nicht. Vor allem aber bekommt man ein Gefühl dafür, ob Regeln gut lesbar und verständlich sind.

Playtests von Abenteuern sind nur eingeschränkt sinnvoll. Abenteuer sind extrem stark davon abhängig, was die SL daraus macht. Selbst ein schlecht geschriebenes Abenteuer kann mit einer guten SL ein Erlebnis sein, an das die Gruppe noch Jahrelang positiv zurückdenkt. Weil SL bewusst und unbewusst beim Leiten Fehler eines Abenteuers ausbügeln. Das Feedback der Gruppe zu einem Abenteuer ist also nur in den seltensten Fällen wirklich gut direkt für das Kaufabenteuer brauchbar. Und das Feedback der SL entspricht meist dem, das auch beim Durchlesen des Abenteuers entstanden wäre (was ja das ist, was die SL vor und beim Leiten macht), was deutlich schneller geht.

Balancing-Themen lassen sich kaum am Spieltisch testen. Auch hier spielt wieder rein, dass die SL und mehr noch der allgemeine Spielstil der Gruppe stark darüber entscheidet, ob „broken“ Kombinationen ein Problem sind. Zum einen müssen sie überhaupt vorkommen (siehe dazu auch den nächsten Punkt) zum anderen geht jede Gruppe anders damit um. Wo die einen Spaß daran haben, starke Kombinationen auszureizen, spielen andere Gruppe vor allem der Story und der Charakterkonzepte wegen. Letztere werden Probleme, die erstere zu seitenlangen Rants in Foren, Videos und Discord-Servern hinreißen, nicht einmal bemerken. Ein Beispiel: Multiclassing gilt vielfach als eine Ursache vieler Balancing-Probleme bei D&D (und infolge wohl auch bei Myranor). Das hat vor allem damit zu tun, dass gewisse Klassenkombinationen darauf ausgewählt werden, wie gut sie regeltechnisch harmonieren. In meinen eigenen Gruppen gab es mehrfach Multiclassing, aber nie ein Problem. Warum? Meine Spieler:innen wählten ihre Klassen basierend auf ihrer Charakterentwicklung in der Kampagne, nicht basierend auf ihrer Mechanik oder Schadensmaximierung. Viele Probleme fielen uns damit gar nie auf.

Daher: Balancing-Probleme lassen sich besser damit adressieren, wenn Spieler:innen mit einem Blick für Maximierung die Regeln einfach lesen und versuchen, das zu tun, was sie gut können: Starke Charaktere bauen. Und dann darauf hinweisen, wo die Extremfälle auftreten. Das geht deutlich schneller als in Spielrunden.

Erst gestern hat mich eine Spieler:in übrigens überrascht, als sich herausstellte, dass ihre Schurkin nicht gut schleichen konnte (Regeltechnisch: Nicht in Heimlichkeit geübt war). Es passte ihr nicht zum Charakterkonzept (da hatte sie recht, sie spielte eine Zirkus-Akrobatin, die gerne im Rampenlicht stand). Das hat mir wieder vor Augen geführt, wie unterschiedlich die Herangehensweisen an Charakterbau sein können.

Vollständige Playtests sind nicht möglich. Die schiere Anzahl an Möglichkeiten in einem Rollenspielregelwerk, wenn es nicht gerade Mausritter-simpel ist, sind so hoch, dass hunderte Gruppen Jahre brauchen würden, um auch nur einen Großteil davon intensiv zu testen. Wer schon einmal in der Lage gewesen ist, nach einer neuen Rollenspielrunde zu suchen, weiß, wie schwer es sein kann, auch nur eine Passende aufzutreiben, umso mehr gleich mehrere, die Lust haben ein noch in Entwicklung befindliches System zu spielen. Selbst bei Gruppen, die entstehen, ist das Feedback oft nicht groß (siehe auch oben den Punkt zu Abenteuer-Playstests) und selbst Optionen, die Charaktere haben, kommen vielleicht in gewissen Abenteuern gar nicht zum Tragen oder gewisse Konzepte/Klassen/Spezies werden einfach nicht ausgewählt. Schließlich wollen die Spieler:innen ja auch Spaß an Charakteren, haben die ihnen liegen, und Rollenspielabenteuer erleben und nicht nur Mechaniken testen.

Playtests brauchen Zeit. Die Produktion eines Buches oder sogar eines ganzen Crowdfundings sollte in 1-2 Jahren fertig sein, wenn es nach der Erwartungshaltung vieler Käufer:innen geht. In dieser Zeit ist die Anzahl an Spielrunden, die eine Playtest-Runde machen kann nicht all zu hoch. Viele Gruppen spielen nur einmal im Monat oder wenn es hochkommt alle zwei Wochen, was ich schon als hohe Ausnahme empfinde. Ich konnte im Jahr der Entwicklung von Myranor 4 Abenteuer leiten (wovon eines aber der das umfangreiche Alt-Abenteuer Palast der goldenen Tiger war). Wir haben nach jedem Abenteuer 2 Stufen Sprung in der Charakterentwicklung gemacht, andere Playtest-Runden haben gleich auf höheren Stufen angefangen. So oder so ist der Bereich, den man in sinnvoller Zeit testen kann, vergleichsweise gering.

Fazit: Playtests haben natürlich einen Nutzen. Dieser ist aber deutlich weniger hoch, als man meinen möchte und der Aufwand deutlich höher, als man vielleicht glaubt. Playtests sollten natürlich trotzdem stattfinden. Aber nur weil die Anzahl der Playtests nicht riesig ist oder nicht „alles“ in einer Runde getestet wurde, sagt das noch nichts über die Qualität des Ergebnisses aus. Letztendlich ist intensives Lesen der Texte und Außeinandersetzen mit den Inhalten die besser machbare und erfolgversprechendere Variante.

Beste Grüße
Euer Stefan/aikar

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