Märchenwald

clawdeen

Halbgott
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22. Dezember 2004
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Dieser Wald in seiner Größe und Abgeschiedenheit macht mir Angst. Warum man ihn als Märchenwald bezeichnet, ist mir ein Rätsel. Doch ich muss ihn durchqueren, denn auf diesem Weg – und nur auf diesem – werde ich schließlich mein Ziel, eine einsame Tankstelle, unbemerkt erreichen können.
Die Sonne hat sich bereits verkrochen und in vollem Silber scheint der Mond. Ein Heulen erklingt und lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen. Wölfe? In dieser Gegend? Ich schüttle diesen absurden Gedanken ab. Viel zu nah an der Stadt. Durch knackendes Holz und knisterndes Laub bahne ich mir einen Weg entlang eines fast vergessenen Trampelpfades.
Ich sehe Licht und laufe vorsichtig darauf zu. Mitten auf einer winzigen Lichtung brennt ein kleines Feuer und davor sitzt ein junger Mann auf einem Baumstumpf.

„Komm ruhig heran, ich habe dich bereits gehört.“, sagt er ruhig, ohne aufzusehen.
Ertappt stolpere ich auf ihn zu. Endlich sieht er mich an.
„Sie war wundervoll, weißt du? Jeden Abend kletterte ich an ihrem Haar empor, um sie in aller Stille zu lieben.“
Er hebt ein Seil an sein Gesicht und riecht daran, scheinbar selig und mit geschlossenen Augen – auf was habe ich mich da nur eingelassen?
Er sieht wieder zu mir auf, doch jetzt blicken seine Augen zornig.
„Sie hat mich betrogen ... mit diesem Jäger. Was sollte ich tun?“
Fragend zucke ich mit den Schultern, da erkenne ich, dass es gar kein Seil ist, das er hält, sondern ein unglaublich langer blonder Zopf – echtes Haar!
„Ja, ich habe sie getötet und verscharrt.“, fährt der Fremde mit einer Kopfbewegung zu einem Haufen Erde fort. „Ihr Haar habe ich abgeschnitten, damit ein Teil von ihr immer bei mir bleibt.“
Ich bin ratlos und entsetzt; der Kerl ist komplett verrückt, ein Mörder! Und ich bin ihm nun ausgeliefert ...
„Wie ... wie ... wie hieß sie denn?“ frage ich.
„Rapunzel war ihr Name, die schöne Rapunzel mit dem güldenen Haar.“
Ich schlucke. Ob er das ernst meint? Wenn ja, bin ich wohl in größerer Gefahr, als ich ahnen kann.

„Määäääh!“, ertönt es plötzlich und eine kleine Ziege springt auf uns zu.
„Lass sie ruhig. Gleich kommt der Wolf und reißt sie. Dann wird er losziehen, um das letzte von ihnen zu finden. Der ahnt nur nicht, dass es sich in einer Uhr versteckt.“, brüllt er vor Lachen.
Ich muss hier weg, schnell und unbedingt, schießt es mir durch den Kopf, als auch schon tatsächlich ein Wolf auf die Lichtung trabt und die Geiß vor unseren Augen verschlingt.
„Woher ...“, setze ich an.
„Woher ich das wusste? Jeden Abend dasselbe.“ Er seufzt. „Wenn du mal was erleben willst, musst du eine Weile östlich in den Wald laufen, da gibt es einen kleinen Irren, der um ein Feuer tanzt und etwas vom Backen und Brauen redet. Ständig plant er eine Kindesentführung, doch getan hat er es noch nie. Leute gibt es ... sag mal, bist du verliebt?“
„Wie? Äh ... ja“, gebe ich zur Antwort.
„Wie heißt sie? Ist sie schön?“, fragt er lächelnd.
Mir kommt eine Idee ...

„Ja, sogar wunderschön!“, zwinkere ich ihm zu und hoffe, er durchschaut meine Lüge nicht. „Sie hat ebenholzgleiches Haar, phantastisch. Ihr Name ist Schneewittchen.“, fahre ich fort und muss ein Lachen unterdrücken.
„Schneewittchen?“ Der Fremde springt auf und an seiner wütenden Haltung erkenne ich, dass ich wohl schon mal besser gescherzt haben muss.
„Schneewittchen? Dann bist du der Jäger!“, schreit er.
„Was?“ Ich weiche erschreckt zurück und kann seiner Logik beim besten Willen nicht folgen.
„Der mir meine Rapunzel stahl und Schneewittchen töten sollte. Stattdessen hast du dich dann in sie verliebt, stimmt es nicht?“
Ich kenne die richtige Antwort nicht – und schweige.
„Du hast die arme Rapunzel direkt zurück in meine Arme getrieben damit und ich konnte ihr zeigen, was ich von ihrer Untreue halte. Dafür sollte ich dir danken. Doch ich weiß, dass die Zwerge nicht gerade erfreut darüber sind, dass Schneewittchen ihr Haus wegen dir verließ.“
„Zwerge?“, frage ich.
Doch er muss mir nicht mehr antworten, denn sieben Zwerge stürzen auf einmal aus dem Unterholz hervor und umzingeln mich.
„Er ist der Jäger!“, ruft der junge Mann ihnen zu.
Einer der schwer gerüsteten Zwerge tritt vor und auf mich zu. Böse grinst er mich an.
„So, du bist also der Jäger. Hast du dich je gefragt, was aus unserem Haus und Hof wird, wenn sie sich nicht mehr darum kümmert?“
Der kleine Krieger wartet meine Antwort gar nicht ab, und als seine Axt auf meine Brust hinabsaust, um mich vom Leben zum Tod zu befördern, weiß ich, warum man diesen Ort Märchenwald nennt.
 
zuerst neugierig... dann gespannt... dann überrascht. Sehr schön.
Ich bin zwar kein großer Freund von deiner Erzählperspektive (die Ich-Form) aber du hast durchaus eine Ader getroffen, die mir sehr gefällt.

...auserdem hast du für meinen Geschmack das richtige Ende gefunden.

also einfach weiter machen :))

Grüße
Dis
 
Hallo,:)

ich habe mir deine Geschichte durchgelesen,sie ist gut nur muß ich etwas kleines kritisieren,teilweise ist sie etwas durcheinander,daß ende etwas schnell,vielleicht kannst du deinen Charakter auch etwas hervorheben.
Sei nicht böse.Ich finde sie ansonsten gut.

Liebe Grüße Janet:]
 
ach, kika ena schau, eine geschichte von meiner lieblingsuserin.

du hast nicht zufaellig auch diese maechwald kassette in deiner kindheit rauf und runter gehoert? das wo immer die namen vertauscht werden (rumpelwitchen oder schneestilzien), oder wo rotkaeppchen durch die ganzen maerchen laeuft weil sie sich verlaufen hat, oder wo sich das rumpelwitchen so aufregt weil der sprecher der koenigin seinen namen verraten hat?

hat mich jedenfalls sehr daran erinnert. :)

zu dem werk als solches: schoen find ichs. liesst sich sehr locker und kurzweilig, nicht nur immer dieses bedeutungsschwangere was mensch hier sonst postet.
doch, hab ich gern gelesen.
 
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