Gralistra und der Rubin

Liriel

Nachtalb
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Gralistra und der Rubin

Gralistra sah man ihre persönliche Besonderheit nicht an, aber sie war es. Spätestens wenn sie sich in ihre natürliche Gestalt, in die eines riesigen schwarzen Drachen wandelte, überlegte wohl ein jeder, ob er sie gerade irgendwie geärgert hatte.
Sie lebte schon eine ganze Weile in dieser Gegend und hatte Unterschlupf bei Händlern gefunden, die ihre Gemeinschaft Merchants on Tour genannt hatten. Niemand wusste, wer oder besser was sie wirklich war. Die Wesen ihrer Umgebung sahen fast alle nur das, was sie sehen wollten. Eine junge, fast zierliche und leicht hungrig wirkende Frau mit smaragdgrünen Augen und tiefschwarzem langem Haar. Gute Beobachter bemerkten wohl, das sie sich anders bewegte, ihren Kopf oft anders hielt. Es erinnerte an ein wachsam gewordenes Tier, das auf eine eventuelle Gefahr horchte.
Doch bewusst hielt sich Gralistra unauffällig, denn es war ihr klar das man ihre Tarnung nicht lüften durfte. Ihr Leben wäre sofort in Gefahr.

Wer sich ein wenig mit Drachen auskannte, hatte irgendwann auch einmal davon gehört, das immer wieder von riesigen Schätzen erzählen wurde und den unermesslichen Reichtümern, die diese Ungetüme aus grauer Vorzeit horten würden.
Nur wenige Wesen allerdings hatten jemals so einen Schatz gesehen und überlebt, um davon zu berichten. Es blieb einfach für die meisten Menschen im Nebel der Mythen, ob diese Geschichten nun schlussendlich stimmten, oder einfach nur jemand "über den Durst" getrunken hatte, wird wohl nie geklärt werden.
Gralistra aber besaß einen Schatz. Sie hatte ihren einstigen, ziemlich ansehnlichen Schatz einst durch Flucht und Verrat verloren und war ausgehungert und völlig verarmt in Sosaria angekommen.
Kaum eingetroffen, sorgte sie für heftiges Aufsehen. Mittlerweile versuchte sie es mit etwas mehr Zurückhaltung. Und hatte sogar Erfolg.
Durch fast ehrlichen Lohn war sie zu einem nicht gerade riesigem aber dennoch ansehnlichem Haufen Edelsteine und Gold gekommen.
Sie hatte gejagt und gekämpft. Das, was sie am besten konnte. Zum Einen ging sie in die dunklen Höhlen auf Monsterjagd und erschlug fast jede Nacht irgendwelche riesigen Spinnen und anderes Getier. Zum Anderen verkaufte sie das Leder teuer, welches von eben den Kühen stammte, die ihr als Nahrung dienten. Es waren nicht ihre eigenen Herden, die sie niedermähte, aber Drachen haben großen Hunger.

Ihre heutige Lederlieferung hatte sie eben abgeliefert und schlenderte gerade noch in Menschengestalt an der Westbank von Britain entlang in Richtung Schneider. Schmunzelnd überlegte sie sich, bei dem Diamantenhändler vorbeizuschauen, dessen Geschäft auf dem Weg lag. In der Auslage lagen die schönsten Edelsteine und drinnen, meist unter Verschluss, hatte er die wirklich wertvollen Stücke. Gralistra liebte das Funkeln und Glitzern, sie genoss die Kühle auf der Haut.
Der Wunsch, all diese Steine ihr eigen zu nennen, war immens. In diesem Punkt war sie ebenso gierig wie jeder andere ihrer Spezies.
Die Türglocke bimmelte leise, als sie den für diese Waren perfekt beleuchteten Raum betrat. Überall waren Vitrinen mit edlen Schmuckstücken und ausgewählten geschliffenen Steinen. Es blitzte und funkelte durch die raffinierte Beleuchtung und ihre Augen bekamen einen schwärmerischen Ausdruck.

Aus dem hinteren Raum kam der Besitzer des Ladens heran, gerufen vom unaufdringlichen Leuten des Glöckchens. Er kannte sie schon, denn sie kam öfters her. Leider kaufte sie nie etwas und so wurde sein Blick eine Spur interessenloser. Er blieb auf Abstand und beobachtete die junge Frau. Er kannte diesen leicht gierigen Blick, dachte er so bei sich. Viele seiner Kunden hatten ihn, wenn sie seine Auslagen sahen. Allein ihre Augen funkelten irgendwie noch anders, aber er konnte nicht beim Namen nennen, was ihm missfiel oder beunruhigte.
Gerade in diesem Augenblick erspähte Gralistra den Rubin! Riesengroß, blutrot und funkelnd war er hinter besonderem Glas untergebracht. Der Händler hatte ihn erst gestern erstanden und unter großen Sicherheitsmassnahmen herbringen lassen. Ihm war klar, das dieser Stein einer Königin zur Ehre gereichen würde. Und noch viel klarer war es, das diese junge Frau, die ihn gerade eben fasziniert betrachtete, keine Königin war. Wahrscheinlich nichtmal eine Dame, nach der spärlichen Kleidung zu urteilen.
Gralistras Hand glitt am Glas sanft streichelnd entlang. Sie musste diesen Stein haben....wieder und wieder hallte dieser Satz in ihrem Kopf hin und her. Dieser Stein....ein Prunkstück, ein Vulkan aus allen rötlichen Farben der Welt, geschliffen von Meisterhand und so uralt, wie es sonst wohl nur noch Drachen auf der Welt waren. Die kleinen Öllampen, deren Licht und einen winzigen Lufthauch von irgendwoher zum flackern gebraucht wurden, beleuchteten den Stein immer wieder in anderem Licht, so daß er fast lebendig glitzerte und funkelte. Mal wirkte er milchig, mal klar...mal kühl und mal feuerheiß.

Das sich der Verkäufer genähert hatte, bemerkte die Drachenfrau nicht. Erst, als er es wagte sie zu berühren, fuhr sie wie von Taranteln gestochen herum und funkelte ihn an. Fast schon hätte sie sich in den Drachen gewandelt und nur ein Wimpernschlag trennte sie davon.
"Geht weg da von der Vitrine, ihr verschmiert sie mit euren ungewaschenen Fingern" polterte der Ahnungslose. Mit seinem Ärmel wischelte er am Glas entlang und entfernte so die Abdrücke ihrer Finger. Und so sah er nicht, wir ihre Beherrschung zu bröckeln begann. War doch dieser Mann zwischen sie und ihrem Rubin geraten! Sicher wollte er ihr ihn stehlen, sie von ihm fernhalten! Das konnte Gralistra nicht zulassen. Niemals!
Wer noch nicht gesehen hatte, wie sich ein Drache wandelt, kann es sich auch kaum vorstellen. Ein Drache, reinmagisches Wesen und durch seine lange Lebensdauer in der Regel sehr bewandert in der Kunst der Magie, benötigt nur einen Wimpernschlag, um sich von einer in die andere Form zu begeben. Wie ein Lufthauch nur, ein leises Geräusch, das man kaum wahrnimmt.
Aus den Augenwinkeln aber und auch in den funkelnden und spiegelnden Seiten des herrlich gearbeiteten Rubins nahm der alte Mann irgendetwas kaum fassbares wahr. Sein Geist begriff auch nicht, was seine Augen sahen. Alles in ihm wehrte sich dagegen, wirklich den Drachen zu sehen, der nun in seinem Laden stand. Wenn nicht das laute Klirren und Bersten von Glas und Holz gewesen wäre, er hätte vielleicht denken können, das dies ein Traum sei.
Doch Gralistra war für ihn ein lebend gewordener Albtraum. Schwarz schimmerten ihre Schuppen im diffusen Licht der noch nicht zertrümmerten Lampen und ihr Kopf bewegte sich leicht hin und her. Ein Künstler wäre verzückt gewesen, so nahe einem so herrlichen Tier zu sein, dessen Schuppenpanzer fast perfekt den gesamten Körper bedeckte. Riesige, tiefgrüne Augen blickten zornig auf dem Menschen und ihre Nüstern bebten bei jedem Atemzug. Der Schwanz, mit gefährlichen Dornen über und über bestückt, schlug unruhig von einer Wand zur anderen und zerkleinerte alles ihm im Wege stehende.
Ihre Pranken gruben bei der geringsten Bewegung schon tiefe Krater in den Parkettfussboden und ihre Ohren zeigten durch heftiges Zucken an, wie gereizt sie wirklich war.
In der Enge des Raumes konnte sie ihre riesigen und umso gefährlicheren Flügel nichtmal ansatzweise ausbreiten, doch das störte sich im Moment nicht. Es war ihr hier zu eng. Sie war erbost und wurde immer wütender. Sie ärgerte sich, das sie sich gewandelt hatte, das sie es hier getan hatte, das sie mitten in der Stadt war, das der Mann sie gesehen hatte und fand in jeder Sekunde mehr Gründe, sich zu ärgern. . Laut brüllend machte sie ihrer Wut luft.
Ohne noch einen weiteren sinnvollen Gedanken zu verschwenden erschlug sie den schmächtigen Menschen mit nur einem Prankenhieb. Dabei ging die letzte, wichtigste Vitrine zu Bruch. Wie als wenn sich der Stein verabschieden wollte, fiel der unendlich wertvolle Rubin fast in Zeitlupentempo zu boden, kullerte direkt zu der Leiche und blieb dann liegen wie ein riesiger Blutstropfen. Unter dem Mann hatte sich indess schon eine Blutlache gebildet, die auch bald den Stein erreichte und diesen dann nach und nach völlig umschloss.
Gralistra nahm verzückt und fast liebevoll den Stein und lagerte ihn so in ihrem Maul ab, das er ihr nicht verloren ging. Schon oft hatte sie so Dinge transportiert.
Keinen Moment zu früh, denn draussen wurde Lärm laut. Die Stadtwache kam rufend zum Gebäude gelaufen, denn der Lärm war natürlich nicht unentdeckt geblieben.
Kurzerhand zerfetzte sie das Dach und durchbrach mit ihrem wuchtigen Körper eine der Seitenwände. So verschaffte sie sich den Platz, den sie brauchte. Viel zu viele Menschen waren hier und viel zu viele Zeugen. Nicht alle würde sie töten können und die Gefahr, selbst zu stark verletzt zu werden, war zu hoch. Rückzug war angesagt. Ohne sich um die schreienden und schon mit Waffen fuchtelnden Menschen zu kümmern, bahnte sie sich einen Weg durch die Menge. Rücksichtslos trampelte sie alles nieder, was ihr im Weg stand, ob Mann oder Pferd und wandte sich zielsicher zu einer Brücke in der Nähe. Der Überraschungsmoment war noch auf ihrer Seite, sodaß sie fast völlig unverletzt zum Start ansetzen konnte.
Gralistra breitete doch erleichtert ihre ledernen Schwingen aus und erhob sich theatralisch brüllend in die Luft. Um schnell an Höhe zu gewinnen, flog sie spiralförmig höher und höher. Pfeile und Speere wurden nach ihr geschossen und geworfen, doch prallten sie alle an ihren Schuppen ab. Niemand hatte Waffen dabei, die sie ernsthaft hätten verletzen können. Wer rechnete auch schon mit einem wilden Drachen mitten in einer Stadt?!
So flog sie denn heim zu ihrem Hort, der sich inmitten eines erloschenen Vulkanes befand. Später dann, In ihrer Höhle, in dem Bereich indem ihr Schatz zu einer Art Nest aufgetürmt war, lag sie als es draussen schon tiefschwarze Nacht war, inmitten ihrer Schätze. Sie hatte sich nicht wieder in die ihr eigentlich verhasste menschliche Hülle gewandelt, sondern blieb wie sie einst geschaffen worden war, ein Drache. Verliebt betrachtete sie den Rubin, den sie auf einen aus Goldstücken gebauten Turm gelegt hatte, um ihn besser betrachten zu können. Ihr Rubin, ihr Prunkstück! Ach war er herrlich. Vergessen war der Aufruhr, den sie verursacht hatte. Vergessen war der Verkäufer, den sie getötet hatte. Niemand und nichts war mehr zwischen diesem Prachtstück und ihr und sie würde alles daran setzen, daß das auch bis in alle Ewigkeit so bleiben würde.

Copyright by Lady Anch alias meine Wenigkeit
 
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