[28.04.-07.05.08]Lucy in the Sky with Diamonds

Morticcia

Addams
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11. Mai 2006
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Out of Character
Sollte ich den 28ten nicht überleben ändere ich das Datum auf die Woche davor, ist unerheblich..

Der April des Jahres 2008 bestach zumindest hier in Fintertal nicht unbedingt durch seine sonnigen Tage und lauschigen Nächte. Im Gegenteil, er schien fest entschlossen, sich an selbst an die dümmsten Vorgaben etlicher Bauernweisheiten zu halten und das wo es doch grade dort hieß, er täte eigentlich stets was er will. Nieselregen überzog jetzt im Moment die grauen Häuserreihen mit einem seichten feuchten Schleier und ließ die eh schon tristen Häuserschluchten nur noch etwas deprimierender erscheinen.
Finstertal war weiß Gott keine schöne Stadt, aber sie war immmerhin ein Zuhause und das war mehr als man von all den anderen Metropolen sagen konnte. Besonders wenn man noch dazu durch und durch Stadtmensch war. Wälder, Dörfer und Wiesen waren der Anarche bestenfalls unheimlich.
Dann doch lieber Smog, Lärm, pulsierendes Leben und tonnenweise Dreck.

Jenny hatte es sich auf dem Dach einer dieser Hochhäuser nahe der Innenstadt gemütlich gemacht und saß nun rauchend und in Gedanken versunken, rücklings an den rostigen Lüftungsschacht einer wuchtigen Klimaanlage gelehnt.
Ihr kurzes Gespräch mit Meyye ging ihr nicht aus dem Kopf, es stimmte in etwa mit dem überein was sie schon in Hamburg über die Gangrel erfahren hatte. Dieser Clan war doch tatsächlich in der Lage sein Äußeres grundlegend zu verändern. Meist Wolf und Fledermaus, manchmal aber auch etwas vollkommen anderes.
Einer der älteren Gangrel Anarchen in Sankt Pauli hatte es damals den 'Spiegel der Seele der sich durch das Tier in eine nicht zu beeinflussende Form fokusiert' genannt. Scheiß Intellektuelle, die Caitiff verstand kein Wort. Aber es war ihr doch zumindest klar, was damit ungefähr gemeint war.
Allein das Monster im Inneren bestimmte demnach, welche Form sich durch die Kräfte dieser Blutmagie, Disziplin, Zauberkraft, fucking Formwandelhokuspokus, oderwieauchimmer... ihren Weg bahnte und nicht etwa, wie man meinenkönnte, der eigene Willen.
Sicher war: Es gab wohl stets nur zwei Ergebnisse, eine Angriffs- und eine Fluchtform und immer ein Tier.

Was für ein berauschendes Gefühl es doch sein musste, sich leichtfertig in die Lüfte zu erheben, schwerelos dahin zu gleiten und dabei den Wind zärtlich durch die Federn streichen zu lassen. Das absolute und allumfassende Gefühl grenzeloser Freiheit. Was würde sie dafür geben fliegen zu können. Sich einfach aus all dieser Bosheit erheben und in die Unendlichkeit des Himmels eintfliehen.
Endlich frei!!!!!!

Wie hatte die kleine Schwarze noch gesagt?

"Geh in dich und konzentrier dich auf das Tier in deinem Leib. Gib ihm eine andere Form, zwing ihm deinen Willen auf und konzentrier dich voll auf das was du sein willst. Anfangs ist es noch schwer, später wird es immer leichter. Erinnere dich an das Gefühl das du brauchtest um mit der Erde unter dir zu verschmelzen, das ist der richtige Weg. Dies brauchst du um der Form einen Weg zu bahnen. Wenn du es findest lass es einfach frei, es war immer schon da, du musst es einfach nur nehmen und frei lassen!"

So oder so ähnlich hatte Sie es gesagt.
Ungefähr... oder?

Naja, was soll es denn?
Nur Versuch macht klug und Jenny fühlte sich grade jetzt im Moment in genau der Stimmung einen Selbstversuch wie diesen zu wagen. Mit irgendetwas muss man ja mal anfangen. Cockroach ihr alter, verlorener Vater hatte sie früher stets Gangrelkind genannt, denn er war überzeugt, dass ihr verantwortungloser Erzeuger eben dieses Clans entstammte. Und wer war sie schon das Urteil dieses alten weisen Nosferatu in Frage zu stellen?

Die junge Anarche schnippte achtlos die aufgerauchte Kippe fort und schloß entspannt die Augen.

Also los!

Glücklicherweise war das Tier in ihr lauter und größer als bei anderen Vampiren und daher fiel es ihr nicht schwer mit ihm Kontakt aufzunehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Kainiten trafen sich hier keine zwei Unbekannten, eines der ewigen Probleme seit ihrem ersten Tod war, dass eben dieses eingesperrte Monster in ihr stets ein gehöriges Wörtchen mitzureden hatte.

Hey Alter, wir müssen reden!

Unbestimmte Wut kanalisierte sich in ihre Adern und ließ so erkennen, dass die Kontaktaufnahme funktioniert hatte. Tier antwortete. Jenny dachte nach. Also was könnte es sein? Keine Fledermaus, das Tier paßte nicht zu ihr, fühlte sich falsch an? Ein Rabe...? Eine Krähe...? Eine Elster...?
Ja das war es! Die Caitiff stellte sich vor eine Elster zu sein, ihre Arme wurden zu flügeln und sie spürte die Kraft, ihr Körper wurde leicht und doch energiegeladen, die Beine bildeten sich zurück und verwandelten sich zu Krallenfüßen. Sie wurde zum Vogel.

Fliegen...
Schwerelos...
Ich bin ein Vogel...
Unendlich frei und leicht wie eine Feder....
Nach all dieser Zeit, endlich dieser Welt entfliehen!
Fort von all diesem Hass und der Intrige, fort von all diesem Tod!

Ja so ging es. Nicht zu beschriebendes Glück durchströmte die junge Frau als sie sich aus dem Schneidersitz erhob und losstürmte, der Kante des hoch gelegenen Daches entgegen. Trotz ihrer noch immer geschlossenen Augen fanden ihre Füße exakt den Punkt an dem das Flachdach endete und stießen sich mit übermenschlicher davon ab in die Höhe. Keine Sekunde des Zweifels!
Jenny spürte wie der Wind ihr bei dieser Aufwärtsbewegung durchs Gesicht strich, mit einem verklärten Lächeln breitete sie die Arme aus und genoß dieses unbeschreibliche Gefühl. Sie war ein Vogel und flog durch die Nacht. Es war so einfach, ein angeborenes Talent das nur eine Ventil benötigte um in den Vordergrund zu treten. Es war vollbracht!
Neugierig öffnete Jenny die Augen um sich ihre Heimatstadt von oben zu betrachten. In freudiger Erwartung hoffte sie die Lichter der unzähligen Autos auf den Straßen zu sehen, Menschen klein wie Ameisen und Häuser in der Form von Bauklötzen.

Was sie stattdessen erblickte, aber war der rasend schnell näherkommende Rasen irgendeines schmutzigen Hinterhofgartens. Noch bevor die Nerven ein Angstsignal oder auch nur eine Form des Verstehens an die verantwortlichen Synapsen hätten senden können, hüllte sich die eben noch grenzenlose Freiheit in ein Leichtuch unsagbarer Schmerzen. Ihnen folgte Schwärze und dankbares vergessen...

#

Irgendwann später.
Viel später, oder nur Augenblicke?
Der Nachteil an der Unsterblichkeit war, dass sie nicht auch mit Unverletzbarkeit einherging. Jenny versuchte sich zu erheben, aber gnadenlose Pein strahlte aus jedem erdenklichen Körperglied ins Hirn und meldete vollkommenen Betriebsausfall. Die Schäden mussten weitreichend sein, denn die Vampirin war nicht einmal in der Lage ihren Kopf zu heben. Warum denn dann nicht wenigstens ganz tot? Warum musste sie wieder erwachen, wenn sie schon nicht frei am Himmel sein konnte, warum nicht wenigstens frei im endlosen Vergessen?
Normalerweise liebte Jenny es wenn man, oder etwas ihr weh tat, aber hier schien sogar dieser Sinn einen Schaden genommen zu haben. Nun, wen wunderte es? Wie sollte man genießen, wenn selbst der Schädel gebrochen war?

Ich bleib hier einfach liegen bis die Sonne kommt, leckt mich doch alle! Irgendein Köter wird meine Asche schon in den Rinnstein pissen!

Ein weiteres Problem der Anarche war aber auch ihre Ungeduld. Es war noch lange hin bis zum Morgengrauen und auch wenn, oder grade weil die Schmerzen so unsagbar grauenhaft waren, war an ein langes herumliegen nicht zu denken. Sorgsam konzentrierte sich Jenny wieder so gut es ging auf ihren zerschmetterten Körper und sandte sorgsam überall dorthin etwas Blut wo sie dachte das es ihr helfen würde sich wieder zu erheben.
Endlose Minuten vergingen in denen sie wie ein hartnäckiger Puzzler den eigenen Körper Stück für Stück wieder zusammenflickte. Irgendwann zeigten aufkeimende Gier und unbeschreiblicher Durst das die Vorräte an leimendem roten Blut zur Neige gingen.
Weiter ging es nicht...

Jenny breitete ein weiteres mal ihre Arme aus, vergrub ihre Hände in einige Grasnaben und stemmte sich mit einem energischen Ruck nach oben. Wieder überrollte sie eine Welle unsagbarer Agonie, aber sie schaffte es zumindest irgendwie sich zu erheben.
Auch stehen funktionierte... einigermaßen.
Humpelnd und unendlich langsam kämpfte sie sich Zentimeter für Zenitmeter nach vorne. Im Grunde genommen kämpfte das gepeinigte Mädchen eigentlich nur gegen die Kräfte der Schwerkraft an und schaffte es nur irgendwie dazu dem ständigen Vornüberkippen eine gewisse Richtung aufzuzwingen. Irgendwann gelngte sie an einen rettenden Gullideckel, hob ihn aus der Verankerung, schleuderte ihn fort und verschwand im schützenden Dunkel der Kanalisation.
Es würde eine verdammt schlechte Nacht für Ratten werden, zumindest solange bis Jenny wieder das Äußere besaß sich einen notgeilen Schnösel zu angeln.

Scheiße! Ich hätte echt den Wolf probieren sollen....
 
AW: [28.04.-07.05.08]Lucy in the Sky with Diamonds

Einmal mehr hatte sich Jenny zu ihrem Lieblingsplatz auf dem Dach der alten Fabrik begeben. Nachdenklich betrachtete sie die Skyline des westlich gelegenen Stadtzentrums. Der Ausblick war trotz des Regens einfach wunderbar. Wie schon öfter in den letzten Tagen kreisten ihre Gedanken um die Veränderung ihrer körperlichen Form. Irgendwie schaffte sie es einfach nicht.
Es war zum heulen!

Sie hatte gehört, dass die Gangrel in der Lage waren, sich in große Fledermäuse oder wilde Wölfe zu verwandeln. Ein äußerst reizvoller Gedanke, wie sie fand. Cockroach, wie auch Lurker und andere, hatten in der Vergangenheit immer wieder den Verdacht geäußert, dass Jenny möglicherweise von einem Vertreter dieses Clans abstammte. Genau würde sich dies wohl nie sagen lassen, aber wenn man ihren körperlichen Werdegang betrachtete, war es gar nicht mal so abwegig.

Die Caitiff lehnte sich zurück und stützte sich dazu rücklings auf ihre ausgestreckten Arme ab. Warum musste ausgerechnet sie immer alles so übel treffen? Ihr Erzeuger hatte sie sterbend auf ein paar verwitterten Bahnschienen zurückgelassen. Sie hatte in ihrer ersten Blutgier ihren eigenen Mann getötet und wäre fast in der Sonne vergangen, weil sie keine Ahnung hatte, was aus ihr geworden war.
Trotzdem war sie noch immer am Leben und hatte sich darüber hinaus in einer Welt behauptet, die fast ausnahmslos aus egozentrischen Monstern bestand. Jenny nannte sie allesamt liebevoll eine Bande von Arschlöchern. Aber das war eine persönliche Betrachtungsweise, der man nicht unbedingt folgen musste.

Ohne sich dessen richtig bewusst zu sein, zündete sie sich eine Zigarette an. Es half ihr beim Denken bildete sie sich ein und genau das war es, was sie als nächstes zu tun gedachte. Sie hatte es mit Gewalt versucht, war einfach mal von einem turmhohen Dach gesprungen weil sie gehofft hatte, dass der Adrenalinkick sie in eine Fledermaus verwandeln würde. Es hatte nicht geholfen und Tage gedauert, bis die durch die harte Landung entstandenen Verletzungen abgeheilt waren. Sie hatte sich eingehend mit Meyye über dieses Thema unterhalten und diese hatte darauf verwiesen, dass es eigentlich nichts weiter zu tun gab, als dem eigenen Tier im Inneren eine äußere Form zu geben.
Worte die nach einer leichten Umsetzung klangen. Aber Theorie war immer schon meilenweit von der Praxis entfernt. Trotzdem wollte sich die Anarche, nun da sie hier draußen vollkommen alleine war, mit dem Monster in ihrem Herzen auseinandersetzen. Ein gruseliger Akt, wenn man bedachte wie groß dieses Biest geworden war.

Jenny schloss die Augen und legte sich flach auf den Boden des alten Daches. Mühsam führte sie ihre Gedanken auf den animalischen Teil ihrer Person und versuchte sich ganz auf das zu konzentrieren, was sie von ihm wollte.

Fliegen, ich will fliegen! Ich bin eine Feldermaus mit ledrigen Flügeln. Ich breite meine Arme aus und erhebe mich leicht wie eine Feder in die Lüfte…

Dann, zum ersten Mal seit sie es versuchte, fand sie einen Punkt an dem sie sich festhalten konnte. Genaugenommen war es nur ein Gefühl, ein niederer Instinkt, aber es schien der richtige Weg zu sein. Jenny tauchte in die fremde Empfindung ein und ließ sich ohne Gegenwehr von ihr beherrschen. Sie spürte, wie sie sich veränderte. Irgendetwas geschah, ohne das sie genauer hätte sagen können was genau es war. Noch immer ließ sie sich von ihrem innersten Wesen beherrschen und ließ ohne jede Gegenwehr geschehen, was auch immer geschehen mochte.

Ich werde fliegen und mich in die Lüfte erheben können. Endlich frei….

Ihr drahtiger Körper schrumpfte in sich zusammen. Nicht physisch, eher mystisch. Wenn man diese Verwandlung überhaupt in Worte fassen konnte.

Dann endlich war die Veränderung vollkommen. Sie stand nun auf vier Pfoten, ihr Geruchssinn hatte sich um ein tausendfaches verbessert und auch ihr Gehör war wesentlich feiner als noch zu vor. Schnuppernd hob sie den spitz zulaufenden Kopf und sah sich um.
Die schimmlige Matratze auf der sie eben noch gelegen hatte erschien nun riesig. So als ob sie nie etwas andere getan hätte nahm sie die Düfte der verwitterten Liegstatt in sich auf und sortierte sie fein säuberlich in mehr als hundert Nuancen. Dann kam der Moment auf den die Caitiff so lange gewartet hatte. Erwartungsvoll versuchte sie die Arme auszustrecken und so den ledernen Schwingen den nötigen Raum zu verschaffen.

Aber da war nichts. Sie stand auf ihren Armen, daher setzte sie sich auf und sah an sich hinunter. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz. Sie konnte ihre Flügel nicht ausbreiten, weil sie keine hatte. Jenny hatte die Form einer riesigen Ratte angenommen. Ihr pechschwarzes Fell war fettig und verfilzt. Sie würde also niemals fliegen können. Keine endlose Freiheit für Jenny Färber. Eine Welle tiefster Enttäuschung machte sich in ihr breit, klang aber ebenso schnell ab, wie sie gekommen war. Als Ratte taten sich ihr in der Kanalisation unter der Erde ganz neue Ebenen auf. Sie würde Räume und Gänge betreten können, die selbst Lurker nie gesehen oder gar betreten hatte. War das nicht auch eine gewisse Form von Freiheit? Nur eben nicht in der Luft, hoch droben in den Wolken, sondern dort wo sie sich schon immer am wohlsten gefühlt hatte. Tief unter der Erde inmitten der ungewollten Ausscheidungen einer selbstzufriedenen Zivilisation.

Ein Lächeln breitete sich auf dem breiten Maul der Ratte aus. Wenn es für ein Tier dieser Art nicht so ungewöhnlich wäre, hätte man fast meinen können, es wäre ein Lächeln reinen Glücks.
 
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