Infernal Teddy
mag Caninchen
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Eine [Team-Rezi] eines PC-Spiels von Manny
Wir schreiben 1187 A.D. Gill-Iosa 'the Ill-Ruler', der lispelnde König von Irland, hat das Werk seines megalomanischen Vorgängers vollbracht und alle Grafschaften Irlands unter seinem Banner vereint. Als kleinen Bonus wurde auch ein (fingierter) Anspruch auf die Isle of Man erhoben und an unseren ständig quengelnden Halbbruder abgegeben. In dieser Dekade wurde auch ein Gegenpapst in Irland ausgerufen, um die ständige Streitsucht des Grafen von Ulster mit einer raschen Exkommunikation zu ersticken. Somit steht unser nun weniger beliebte Graf von Ulster nun in ziemlicher Erklärungsnot gegenüber den anderen Vasallen, die ein Auge auf sein hübsches Fleckchen der Erdenscheibe geworfen haben. Von den unzähligen Kindern, die der König hatte, wurden die meisten so schnell wie möglich mit dem Adel Englands und Schottlands verheiratet, um Erbstreitigkeiten vorweg möglichst schnell aus den Weg zu räumen und mögliche Allianzen zu formen. Etwas, das sein nachfolgender König in gut dreizig Jahren bereuen wird, da sie legitim Anspruch auf den Thron erheben werden. Währenddessen verbreiten sich Gerüchte, dass des Königs junge Gemahlin in dunklen Hinterzimmern seine baldige Ermordung plant.
Moment, was? Das ist nicht die Geschichte, wie sie in den Lehrbüchern steht; eher klingt es beinahe wie eine gewisse HBO-Serie, die ihrerseits auf einer gewissen Buchreihe basiert. Aber ich kann beruhigen: es ist weder das eine noch das andere. Es ist Paradox Interactives neuestes Machwerk Crusader Kings 2.
Crusader Kings 2 führt uns ins feudale Europa des mittleren 11. Jahrhunderts zurück und schickt uns auf eine Reise durch die Geschichte, die wir selbst formen können. Es gibt keine definierten Siegbedingungen; man kann in die Rolle eines jeden Noblen schlüpfen, angefangen von kleinen Grafen in völlig unbedeutenden Gebieten, bis hin zum König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - so man denn will. Es gibt wirklich mehr als genug Auswahl. Als gebürtiger Österreicher habe ich sogar schon einmal versucht, die Grafschaft Kärnten aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation herauszulösen. Mann, das war ein verdammt kurzes Spiel.
Man kann aber natürlich unmöglich jede einzelne Grafschaft in einem riesigen Imperium handhaben. Dafür gibt es Vasallen. Dynastiemitglieder oder auch einfach nur an den Hof geladene Adelige lassen sich dazu einsetzen, Grafschaften und Herzogtümer zu verwalten. Dafür kriegen sie aber auch das deutlich größere Stück vom Steuerkuchen, und sie rücken nur widerwillig einen Bruchteil ihrer Wehrpflichtigen heraus, wenn wir sie in den Kriegsdienst einberufen. Klar, wir könnten die Gesetze dementsprechend ändern, aber das würde die Vasallen unzufriedener machen. Wenn sie eher weniger angetan sind, dann wird gerne auf die eine oder andere Münze bei den Steuernabgaben vergessen. Und wenn sie ganz sauer sind, ist der nächste Bürgerkrieg nicht mehr weit. Hoffentlich hat besagter Vasall nur eine kleine Grafschaft in petto, sonst müssen wir hoffen, dass wir noch genug Münzen in der Tasche haben, um diese verflucht teuren Söldnertruppen anzuheuern.
Auch wenn das Spiel anmutet, als wäre es eine deutlich komplexere Version von Risiko, so würde ich eher sagen, es ist ein charakter-zentrisches Spiel voller finstrer Intrigen, gnadenloser Machtspiele, gezielte Wirtschaftsplanung, und strategische Kriegsführung. Und auch wenn es oftmals unverständlich und frustrierend erscheint, irgendwie schafft es das Spiel dennoch dabei völlig vernünftig erklären zu können, warum alles schief läuft. Ja, es macht manchesmal sogar richtig Laune, obwohl man manchmal zu wirklich ungünstigen Zeitpunkten die kürzeren Strohhalme zieht. Und trotzdem fesseln die Intrigenspiele und man investiert emotional in die Beziehungen zu anderen Charakteren, dass man es dem Spiel nachsieht.
Man sollte trotzdem - zumindest am Anfang - ein dickes Fell haben. Das Tutorial des Spiels ist... sehr bescheiden und meiner Meinung nach nicht sonderlich hilfreich. Das Spiel hat eindeutig eine komplexe Natur und manche Dinge erschließen sich einem erst viel, viel später im Spielverlauf. Einschlägige Foren helfen auch ungemein weiter. Die Spielmechaniken sind aber keineswegs intransparent: das Spiel sagt uns geradeaus, wie gut die Chancen für ein gewisses Vorhaben stehen, oder was wir benötigen, um dieses oder jenes bewerkstelligen zu können, oder warum unser Onkel uns nicht mag. Man lernt auch viel, sollte man aus dem Geschichtsunterricht eher wenig mitgenommen haben. Mittlerweile weiß ich, was eine agnastisch-kognatische Erbfolge ist, oder was zum Kuckuck de-jure-Ansprüche sind.
Ich könnte jetzt auch ein Wort über Grafik oder Sound verlieren, tue ich aber nicht. Crusader Kings 2 ist optisch nicht negativ auffällig (es wirkt durchaus wie ein Brettspiel), die Illustrationen sind durchaus gelungen, die Musik ist thematisch passend, und so weiter. Die Kernqualität von Strategiespielen sollten aber natürlich die Mechaniken und der Spielspaß sein. Der ist deutlich vorhanden; aber wie gesagt, man braucht schon ein sehr dickes Fell und einiges an Geduld. Selbst nach über 35 Stunden Spielzeit lerne ich immer wieder etwas neues oder werde auf meine bisherigen Annahmefehler aufmerksam.
Alles in allem hat mich dieses Spiel in seiner Tiefe und Qualität sehr überrascht. Dank des eher schwachen Tutorials und einem sehr detaillosem Handbuch ist die Einstiegshürde hoch. Sehr hoch. Ich sehe auch gerne über Schwachpunkte in der Benutzeroberfläche hinweg. Ist das aber erst überwunden und gewöhnt man sich an das umfangreiche UI, dann hat man mit Crusader Kings 2 ein durchaus solides Strategiespiel in den Händen.Den Artikel im Blog lesen