AW: Trefferzonen
Glaswandler schrieb:
Mir gefällt die Trefferzonen-Regelung aus Deadlands.
Mir auch.
Ich fand aber auch die Trefferzonen bei RuneQuest ganz OK.
Bei Savage Worlds gibt es ein Wunden/Verwundungssystem, welches mit "unlokalisierten" Wunden (geben nur generelle Abzüge auf Handlungen) arbeitet, bis die Schwelle zu einer kritischen Verletzung überschritten ist (das kann gleich mit dem ersten Treffer sein, oder nach längerem Abtragen der Kampfkraft durch leichtere Treffer). Bei Überschreiten dieser Schwelle werden lokalisierte temporäre bzw. permanente Verletzungen angewandt (Arm ab, Auge raus, Charakteristikverluste durch innere Verletzungen, etc.). Diese lokalisierten Verletzungs-"ergebnisse" können auch direkt erzeugt werden, indem man einen gezielten Angriff auf ein bestimmtes Körperteil ansagt, die dafür anzuwendende Erschwernis auf seinen Angriff in Kauf nimmt und dann dort für mindestens eine Wunde auch Schaden verursacht. - Insgesamt ist hier ein Schadenssystem völlig ohne jegliche Hitpoint-Zählerei umgesetzt worden, welches schnell und einfach zu handhaben ist und dem sonstigen Detailierungsgrad der anderen Regelteile entspricht (Savage Worlds ist ein tendeziell eher leichtgewichtigeres Regelsystem ohne viel Simulationsansprüche).
Trefferzonen erlauben "graphische" Darstellungen der konkreten Verwundung. Die kann man aber auch ohne regeltechnisches Ermitteln abgeben: bei Engel oder HeroQuest kommen nach meiner Erfahrung SEHR dramatisch und detailiert geschilderte Verletzungen vor. Durch die freie Schilderung kommen vor allem auch mal Verletzungen vor, die durchaus plausibel sind, aber wohl kaum von einem Regelwerk (außer den RuleMonster-artigen Alles-Simulierern) abgedeckt werden würden.
Trefferzonen erlauben die Auswirkungen von Treffern nicht nur quantitativ ("Du hast jetzt 10 HP verloren" oder "Du bekommst jetzt -2 auf alle Würfe"), sondern auch qualitativ anzugeben ("Dir wurde der rechte Ellbogen zertrümmert, weshalb Du jetzt bei allen Handlungen, die beide Arme oder eben den rechten Arm erfordern hohe Erschwernisse bekommen wirst." gegenüber "Dir wurde ein Pfeil in den Rücken in die Wirbelsäule geschossen. Du kannst von Glück sagen, daß keine Querschnittslähmung die Folge ist, sondern, daß Du "nur" für die nächsten Monate stehen, langsam gehen, nicht liegen und nicht ohne Stützkorsett sitzen können wirst. Dein Charakter kann nur noch geistige Handlungen aber keine einzige körperliche mehr ausführen. Selbst alltägliche Dinge werden dem Charakter für die nächsten Monate nur unter Beschwerden möglich sein.").
Meiner Meinung nach BRAUCHT niemand Trefferlokationen. Aber in manchen Regelwerken sind sie einfach stimmig integriert in das Gesamtregelgebäude und stören den Spielfluß auch nicht.
Man kann aber auch in noch so abstrakten Schadenssystemen die konkretere Visualisierung und konkretere, auch rein spieltechnische Auswirkungen (in der Regel Behinderungen, Abzüge, Einschränkungen für den SC) ausspielen. In eher erzählorientierten Rollenspielen, in denen die Konfliktauflösung ohnehin recht regeltechnisch abstrakt gehandhabt wird, ist eine graphische und konsequente Schilderung von Verwundungen und ein ebenso konsequentes Ausspielen der Auswirkungen eigentlich selbstverständlich.
Mir graust es eher bei dem Gedanken an überquellende Regelwerke mir exakten Trefferlokationen nach denen man eine Unfallchirurgie-Doktorarbeit abfassen könnte (nur vom Detailierungsgrad, nicht von der Korrektheit der geschilderten anatomischen Sachverhalte, da diese zumeist - hm - etwas "verklärt" dargestellt werden); auch Medizin kann ziemlich langweilig sein, wenn man es so genau nehmen wollte, wie es sich manche Regelwerke zum Anspruch erheben. Und der Gewinn für das Spielerlebnis, den eine sehr detailverliebte Verwundungsregelung bieten soll, erschließt sich mir auch nicht im Geringsten.
Noch was zu Trefferlokationen: Wenn man A (Trefferlokationen) sagt, dann muß man auch B (Heilungsregeln) sagen. Und was da an z.T. selbst Gesundbetern als medizinisch unhaltbarer Schwachfug auffallenden Regelungen verbreitet ist, das ist oftmals noch mehr ein Tiefpunkt des Un-Spaßes (über Un-Realismus sollte man da eh nicht reden, da "realistisch" bei Heilungsprozessen aufgrund von überlebten Verletzungen typischer Rollenspielhandlungen bedeuten würde, daß man eine Weile "Krüppel: Die Rehabilitation" spielen muß, bevor der Charakter vielleicht(!) wieder große Sprünge macht - oder auch nur alleine aufs Klo gehen kann).
Interessant finde ich, daß viele Regelautoren sich enorm viele Gedanken machen, wie man einem Charakter welche Art von physischer (und z.T. auch psychischer) Gewalt antun kann, aber dann mächtig nachlassen, wenn es darum geht ein für das Genre, das Setting, die Art der Geschichte, die erspielt werden soll, stimmiges Heilungssystem zu entwerfen.
Ein klassisches Beispiel ist die natürliche Heilung im alten AD&D, wo man pro Woche Rast (Nichtstun!) insgesamt 1 Hitpoint (!) an natürlicher Heilung zurückbekommen hat. Wenn man sich einen Fighter mit >100 HP anschaut, der in einem Kampf schon mal gute 90 Punkte verlieren kann, dann würde der glatte 90 Wochen (fast zwei Jahre!) auf der faulen Haut liegen müssen, um wieder antreten zu können. Und das in einem "heroischen" Fantasy-Rollenspiel! Ohne die magische Heilung, die gefälligst immer und überall verfügbar zu sein hat, wäre da wohl nichts zu machen. - Wie würde nach solch einem System eine Conan-Geschichte gespielt werden können, in denen er zwar ständig einsteckt, wo er aber schon in der nächsten Szene, spätestens aber in der übernächsten wieder kämpft wie - naja - wie Conan eben (oder Solomon Kane oder alle anderen "Hart im Nehmen, härter im Geben"-Helden).
Wenn eine Verwundungsregelung, ob mit oder ohne Trefferlokationen, die SCs für in-game Monate oder gar Jahre auf die Reserve-Bank schickt, dann stimmt da was an der Konzeption des Spielsystems nicht.
Ich finde, man kann nicht Trefferlokationen diskutieren, ohne auch die zugehörigen Heilungsregelungen mitzudiskutieren. Was meint Ihr?