Tränen aus Blut - Eine Erzählung aus den Ländereien der Neuen Hoffnung

Sanguis

Sanguis de Alá
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30. Oktober 2003
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Tränen aus Blut - Eine Sage aus längstvergessener Zeit

Seid mir gegrüsst edle Wanderer,

dies ist eine mehrteilige Geschichte mit dem tiefpoetischem Titel Tränen aus Blut. Wie so viele der alten Legenden, welche ich euch zu erzählen habe, ist auch sie in den Ländereien der Neuen Hoffnung angesiedelt und auch die handelnden Personen sind euch vielleicht schon bekannt. Solltet ihr nach dem ersten Kapitel verwirrt das aufgeschlagene Buch zur Seite legen, so seid unbesorgt. Unser Held, oder besser: die Hauptperson, hat eine recht erbauliche Biografie, die ihr natürlich auch in dieser Bibliothek finden werdet. Solltet ihr also mehr über ihn erfahren wollen, so leset am besten in diesem altem Folianten nach. In der gleichen Ecke der Bibliothek werdet ihr auch ein paar andere Lebensgeschichten finden, die euch vielleicht interessieren werden, doch hoffe ich sehr, dass ihr sowohl ohne den obigen Folianten als auch ohne weitere Nachschlagewerke auskommen werdet.

Bevor wir uns aber dem ersten Kapitel widmen, habe ich noch eine Bitte und einen Hinweis an euch. Zwar ist jeder guter Erzähler auf sein Publikum angewiesen, doch bitte eröffnet mir eure Kritik in einem anderem Beitrag oder per persönlicher Nachricht um den Fluss der Erzählung nicht zu bremsen.

Desweiteren sollten die Kenner vieler Geschichten sich über ein oder zwei Ungereimheiten nicht wundern. Die Ereignisse hier sind die wahren. Andere Berichte sind gekürzt oder beruhten auf einem Mangel an Informationen.

So lasset uns also nun beginnen...
 
Kapitel I: Abschied am Krähenfels

Die Sonne stand schon tief am Himmel. Bald würde die Nacht über das Land hereinbrechen. Sanguis de Alá gab seinem Pferd die Sporen. Es war von äußerster Wichtigkeit für ihn, dass er das Ziel seiner Reise noch vor dem Einbruch der Dunkelheit erreichen würde. Die kalte Abendluft zog über seine Haut hinweg, als der schwarze Hengst immer weiter über die grüne Ebene hetzte. Hinter sich konnte Sanguis noch die Überreste der schwarzen Zitadelle erkennen, in welcher sein Freund Freako Lainvendil von einem alten Feind festgehalten worden war. Doch zusammen mit dem Magier Landaro, dem Kriegsharfner Jehlan und dem Elfenfürsten Andloth hatten sie es geschafft den Kriegerpoeten aus seinem Verlies zu befreien.

Selbst Sanguis jagte noch ein leichter Schauer über den Rücken, wenn er sich die Ereignisse, die vor einigen Stunden erst passiert waren, noch einmal ins Gedächnis rief. Der schwarze Herr der Zitadelle hatte eine beeindruckende Kampfesfertigkeit gezeigt und wenn man den Worten von Freako Glauben schenken konnte, und das konnte man, dann zog dieser dunkle Krieger die Quelle seiner Kraft aus dem dunklen Einfluss der Titanen, die vor mehreren Zeitaltern die Ländereien der Neuen Hoffnung als Spielfläche für ihren Kampf und Macht und Einfluss genutzt hatten. Zwar hatte eine Allianz der Völker am Ende den Sieg über die schwarzen Gestalten davongetragen, aber niemand vermochte zu sagen, wie viele Artefakte unfassbarer Macht von den Titanen zurückgelassen worden waren. Zwar beherbergten sie einen Quell großer Kraft, doch am Ende richteten sie sich immer gegen ihren Besitzer. Langsam, wie eine Fliege in einem Spinnennetz, verstrickte man sich in einen Kampf gegen die dunklen Stränge der Titanen, bis man sich in den Fäden versponn und man niemanden mehr daraus erlösen konnte.

Eine Gedanken kam Sanguis auf, während er auf seinem Pferd dahinritt. Der junge Jehlan, Mitglied der Laibgarde Freakos, hatte während des Kampfes in der Zitadelle die Mächte der Titanen genutzt. Mit Sicherheit würde auch er bald dem bösen Einfluss der Titanen ausgesetzt seien und ein Diener der Dunkelheit werden. Und dann gab es nur noch einen einzigen sicheren Weg um das Böse von ihm abzuwaschen. Sanguis spürte, wie er an den Griff seines Schwertes fasste, doch dann schüttelte er den Kopf. Es war nicht an ihm über Jehlan zu richten. Diese Aufgabe würden andere übernehmen, denn schon bald würde er die Ländereien der Neuen Hoffnung auf eine unbestimmte Zeit lang verlassen. Die Sonne war jetzt nur noch ein roter Streif am Horizont und die letzten Strahlen des lichtes fielen auf einen grauen Felsen in der Mitte der Ebene. Sanguis zog die Zügel stramm und stieg langsam ab. Einige aufgeschreckte, schwarze Vögel flogen laut davon. Sanguis seufzte leicht. Die Einwohner der näheren Dörfer nannten diesen Stein den Krähenfelsen. Einer uralten Sage nach würde ein jedes Lebewesen, welches die Nacht hier verbringen würde, am nächsten morgen als Krähe verwandelt erwachen. Tagelöhner und fliegende Händler mieden diesen Ort aufgrund dieses Aberglaubens. Soweit Sanguis wusste, war noch niemand in eine Krähe verwandelt worden, doch der Aberglaube des gemeinen Volkes war von einem gewissen Nutzen für diejenigen, welche die wahre Natur des Felsen kannten. Mit einem schlag auf das Hinterteil des Pferdes sandte Sanguis es fort. Auf dieser Reise konnte es ihm nicht mehr von Nutzen sein und es gab andere, die ein Pferd dringender brauchen würden als er. Mit langsamen aber festen und sicheren Schritten trat er auf die moosbewachsene Westseite des Felsens zu. Die Sonne war jetzt vollkommen hinter den Bergen verschwunden.

"Erstaunlich wie sich die Welt ändert, sobald die große Sonne verschwunden ist, nicht wahr? Alles versinkt in einem heiterem Reigen aus grauen Schemen." Er brauchte sich nicht umzudrehen, er kannte die Stimme. "Dem Leben nicht unähnlich, ist es das, was Ihr erwartet, Synkarian?" Die Stimme lachte kurz auf. Sanguis drehte sich um und sein Blick begegnete dem eines anderen Elfens. Langes, schloweißes Haar fiel von seinen Schultern herab und tiefe Falten der Sorge waren in sein Gesicht gemeiselt. "Zynik ist ein recht unbrüderliches Verhalten, Sanguis." Der Elf lächelte sanft. "Ich erscheine euch hier nicht als Feind, diese Rolle ist dem dritten in unserem Bunde übriggeblieben." Sanguis verzog die Munkwinkel zu einem verärgertem Ausdruck. Groll klang in seiner Stimme mit, als er antwortete. "Und welche Rolle beliebt Ihr dann in diesem Stück zu spielen, Synkarian? Der weise Bruder, der beide Seiten berät und sie dann verrät? Oder werdet ihr eure Kehle dem Sieger des Kampfes anbieten, sodass er das gemeinsame Erbe erhält?" Synkarian trat einen Schritt auf Sanguis zu. Seine Miene drückte eine tiefsitzende Verärgerung über den Spott des Elfens aus. "Ihr habt keine Ahnung, Bruder Sanguis. Das Schicksal ist nicht so einfach, wie ihr es gerne hättet. Es gibt feste Regeln und Gesetzmäßigkeiten, an die auch Ihr euch halten müsst." Sanguis winkte düster ab.

Das Geräusch zweier aufeinanderprallender Klingen erschallte. Synkarians schlanke Feenklinge blockierte das Fadenschwert Sanguis mit einer unglaublichen Präzision. Die bläulich schimmernde Schneide des Fadenschwertes musste einige fingerbreit vor dem Hals des weißhaarigen Elfen im Angesicht der Feenklinge stoppen. Wenn Sanguis von der Reaktionsschnelligkeit Synkarians überrascht war, so zeigte sich dies nicht in seinem Mienenspiel. Genausoschnell wie er es gezogen hatte, liess er das Fadenschwert wieder in der schwarzen Scheide verschwinden. Synkarian liess seine Feenklinge sinken und schüttelte missbilligend den Kopf. Es herrschten einige Augenblicke ausgedehnten Schweigens. "Habt ihr einen Vertreter für eure Geschäfte hier Sanguis? Es könnte immerhin sein, dass ihr von dieser Reise nicht zurückkehren werdet." Der Angesprochene wandte den Kopf leicht und blickte in die Ferne. Synkarian lächelte. "Es ist die Hüterin del Sangre, nicht wahr? Eine hübsche Erscheinung und ich denke, dass sie auch für euch etwas empfindet." Verärgert blickte Sanguis den Elfen wieder an. "Das ist nicht von Interesse, Synkarian. Gabrielle ist meine beste Generälin und ich vertraue ihr." Mit einem füchsischem Unterton fügte er hinzu. "Und ihr Synkarian? Keine Gefolgsleute nehme ich an? Keine Marionette die ohne euch tanzen wird?" Der Weißhaarige schüttelte den Kopf. "Ich habe mein Vermächtnis in Büchern hinterlassen. Ein junger Mensch wird sie finden und ihren Worten folgen. Er wird den von uns finden, dessen Los vom Schicksal auserwählt sein wird." Sanguis nickte. Er hatte soetwas ähnliches erwartet.

In einträchtiger Stille gingen die beiden Elfen vom Krähenfelsen aus in Richtung Norden. Am dunklem Himmel zog langsam ein Gewitter auf. Der Donner grollte und ein Blitz setzte einen Baum in Brand. Der rötliche Schein des Feuers liess die Schatten der beiden Elfen zittern. Als der Regen einsetzte begannen die Flammen zu zischen und schwächer zu werden. Doch das wenige Licht war genug um zu sehen, dass keine Schatten und keine Elfen mehr auf der Ebene zu sehen waren. Ein leicht süsslicher Wind verwehte die unversehrten Blätter des Baumes und wirbelte sie durch die Luft. Hinter den aufgetürmten Gewitterwolken leuchteten die Sterne ein wenig heller als sonst. Und das Sternzeichen des Schwertes war besonders klar zu sehen.
 
Kapitel II: Das Vermächtnis des Hartwulf

Der harzige Geruch des Balsams drang tief in die Nasen der Anwesenden. Mild schimmerten die Strahlen der Mittagssonne auf dem bärtigem Gesicht des Toten. Hartwulf von Nibelgard war tot. Dahingerafft durch das Fieber. Über vierzig Jahre hatte er das Lehen der von Nibelgards mit starker Hand regiert. Es hiess er hätte mit seinem Schwert einmal einen Räuberhauptmann der Länge nach gespalten ohne dass seine Stirn dabei Zeichen von Schweiss gezeigt hätte. Aber jetzt weilte er nicht mehr unter ihnen. Die Priester hielten die Totenwache für ihn am Bett. Einige seiner Generäle standen betreten am Fenster und überblickten den Innenhof von Burg Rabenhorst. Fragen geisterten in ihren Köpfen umher. Sie alle drehten sich um die Zukunft und um den neuen Herrn von Burg Rabenhorst, den einzigen Sohn des Grafens.

Gunthardt von Nibelgard lehnte sich gegen die dicken Wände des Bergfriedes. Sein Kopf war in den Nacken gelehnt und er betrachtete einige Vögel, die hoch oben am Himmel ihre Bahnen zogen. Sie war dort oben und blickte auf ihn herab. Selina, seine geliebte Gattin. Das Kindsbett hatte sie und sein Kind beide mit eisigen Klauen aus seinem Leben gerissen. Er seufzte. Und jetzt auch noch sein greiser Vater. Mit über sechzig Wintern war er einer der ältesten Herrscher in diesen Teilen der Ländereien der Neuen Hoffnung. Jetzt lag es an ihm, sich um das vom König vor Generationen verliehene Lehen zu kümmern.

Gunthardt seufzte abermals. Er blickte zu Boden und seine buschigen Brauen verdeckten fast die stahlblauen, eisigen Augen. Gedankenverloren starrte er auf die durch Mist und Schmutz verdreckten Steine. Viele der Berater seines Vaters standen nicht auf seiner Seite. Sie hätten es lieber, wenn sein Onkel Leowardt von Dankenfeld die Herrschaft in Burg Rabenhorst hätte. Wenn man die Lehen von Dankenfelds mit dem Land um Burg Rabenhorst vereinigen würde, wäre Onkel Leowardt der Titel eines Großherzoges gewiß. Denn seit dem Fall der Könige waren diese nur noch Marionetten und Titel wurden nicht mehr verliehen sondern gekauft.

Ein Bediensteter der Burg riss Gunthardt aus seinen Gedanken. Leicht verärgert fuhr der neue Graf den Dienstboten an. "Was will er? Sieht er nicht, dass ich beschäftigt bin?" Leicht nervös trat der Bedienstete einen Schritt zurück und verneigte sich sanft. "Verzeiht Herr, doch scheint es, als würdet ihr im Thronsaal erwartet. Eine Gesandtschaft eures Onkels, des ehrenwerten Grafen von Dankenfeld ist dort just zur Stunde eingetroffen." Gunthardt unterdrückte einen leisen Fluch. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Sein raffgieriger Onkel wollte wohl keine Zeit verlieren und ihn dazu bringen jeden Anspruch auf das Erbe seines Vaters abzulehnen. Mit einer verärgerten Geste schickte er den Boten fort. "Sage er ihnen, dass ich noch früh genug kommen werde.", rief er dem davoneilendem Mann hinterher.

Das Bett des Vaters war noch nicht kalt und schon wollten die Aasgeier sich am toten Laib des Grafen sattessen. Gunthardt ging langsam über den großen Innenhof in die Burg. Sein Blick war zielstrebig und finster. Als er das große Flügelportal passierte hörte er, wie die Wachen es hinter ihm schlossen. Verdammte Bande, dachte er. Auch vor Verrat würden sie nicht zurückschrecken, aber sie wussten nicht, dass er ihr Kommen schon erwartet hatte. Sollten sie ihm ruhig ihr Angebot unterbreiten. Am Ende würden sie mit leeren Händen davoneilen müssen und den Götern dafür danken, dass ihre Dreistigkeit ihnen nicht Leib und Seele gekostet hätte. Denn auch das war ein altes Gesetz in den Ländereien der Neuen Hoffnung. Zwar geziemte es sich nicht die Überbringer schlechter Neuigkeiten zur Strafe zu töten, aber das galt nicht für unmoralische Angebote von Verrat und Täuschung. Unter den Menschen mochte der Bote zwar häufig nur gefangengenommen werden und gegen ein hohes Lösegeld in die Freiheit entlassen werden, aber die alten Völker der Zwerge und Elfen waren dafür bekannt, grausame Exempel zu statuieren. Diese Hinrichtungen wurden von den Vertretern der Menschen als Beweis dafür genommen, dass dieses Vorgehen schon seit langer Zeit das Richtige war.

Als er den Thronsaal betrat, war er ein wenig verwundert. Zwar sah er die erwarteten Emissäre, doch sah er auch einen hochgewachsenen weißhaarigen Mann auf dem rotbraunem Teppich stehen. Der Mann betrachtete interessiert das Familienwappen der von Nibelgards. Als er Gunthardts Schritte hörte wandte er sich langsam um. Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht und drückte aufrichtige Freude über Gunthardts Erscheinen aus. Doch eine gewisse Verschlagenheit versteckte sich hinter seinen freundlich wirkenden Zügen. Gunthardt kannte nur einen Mann, der so freundlich wirken konnte, und doch so ein verschlagenes Herz besass.

"Onkel Leowart, was verschafft mir die Ehre?", sprach Gunthardt mit einem drohendem Unterton. Der Onkel lächelte immer noch.
 
Kapitel III: Jenseits von Raum und Zeit

Dies sind die Ländereien der Neuen Hoffnung. Eine große Landmasse in der Mitte des bekannten Sein. Seit Urzeiten bekämpfen sich hier die Orken mit den Elfen, die Elfen mit den Zwergen und die Zwerge mit den Menschen. Die fruchtbaren Eben wurden schon allzuoft vom dunklen Brut der Kämpfenden getränkt und das Land seufzte schon myriadenmal unter dem Andrang der Heere. Doch die Geschichte in den Ländereien der Neuen Hoffnung wiederholt sich immer und immer wieder. Egal wie oft Chaos und Zerstörung das Land fast vernichteten und die Sonne zu einem neuem Zeitalter leuchtete. Die Fürsten und Krieger der Ländereien der Neuen Hoffnung kämpfen immer noch gegeneinander, sowie sie es schon vor Hunderten von Jahren taten, und so wie sie es wohl auch in Hunderten von Jahren noch tun werden. Manch einer spekulierte bereits, dass die Ländereien der Neuen Hoffnung unter dem Fluch des Kriegsgottes standen, aufdass niemals ein wahrer Frieden herrschen möge. Noch nie gelang es einem Herrscher die gesamten Ländereien zu unterwerfen, stets flackerte irgendwo das Feuer des Kampfes auf und Fürstentümer erhoben sich um gegen den Eroberer zu streiten. So lebt dieses Land in einem beständigem Wechsel aus Leben und Tod, Hochzeit und Niedergang. Nur die Götter selbst mögen den Plan hinter diesem sehen. Die Sterblichen jedoch haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden und so sind die Ländereien doch kein dunkler und bedrohlicher Ort, sondern sie sind Heimat für viele. Über dieser Heimat dreht sich die Sonne im Takt mit dem Mond und die Sterne stehen am Himmel und spielen eine gar liebliche Melodie dazu. Viele von ihnen haben sich am Firnament als Sternenbilder zusammengetan und seit jeher ist die Beobachtung der Sterne eine Disziplin der Gelehrten und vielen der Sternbilder werden besondere Bedeutungen nachgesagt. Ob die nur ein törichter Aberglaube ist oder Teil eines weitgehenden Planes ist unbekannt, doch vielleicht dienen sie auch nur einer göttlichen Dramaturgie in einer Welt der Ungewissheit. Wer kennt die Antwort, nennt die Gründe?

Das Sternzeichen des Schwertes leuchtete hell am Himmelszelt. Drei weißglühende Sterne bildeten dieses Symbol der Stärke und des Kampfes. Uhlrân, der Elfenstern, war der hellste von ihnen. Er bildete die Spitze und Klinge des Schwertes. Die Elfen der nördlichen Wälder erflehten seine Hilfe, wenn sie auf die Jagd gingen und in grauer Vorzeit hatten primitive Stämme dem Uhlrân gar Opfer dargebracht. Das Heft des Schwertes bildete Sagan ab. Mittlerer und zugleich auch schwächster der drei Sterne. Unter seinem Zeichen sassen die Elfen zum Gericht und zu Rate, verband man mit seinem milden, zurückhaltendem Leuchten doch Weisheit und Gerechtigkeit. Auch die Ordnung war Sagan zugeordnet, denn gleich einem Schwerheft musste auch die Ordnung sein, auch wenn sie häufig vergessen wurde. Der letzte in diesem Dreierbund war Astrûn, der Elfenstern. Der Legende nach war Astrûn ein alter Gott, dessen Tränen auf das Land fielen und die Elfen erschufen. Doch niemand konnte sich daran erinnern, wann die Elfen in die Ländereien der Neuen Hoffnung kamen und so wurde von den meisten Gelehrten unterrichtet, dass Astrûn nur ein Symbol für die Göttin Cyrra, Schutzherrin der westlichen Elfen war. Doch noch immer wollten viele der Elfen, vorallem die jungen, denen die jahrzehntelange Erfahrungd er Älteren fehlte, an die Schöpfungslegende des Astrûn. In den östlichen Wäldern hatte es vor vielen Zeitaltern sogar einen Geheimbund namens "Söhne des Astrûn" gegeben, dessen Ziel die Unterminierung der herrschenden Elfenkönige am Hofe der lichten Elfen war.

Ein leichter Nebelschleier zog langsam über den Himmel hinweg. Eine vollkommene Stille herrschte über den Wassern des großen Schilfsees. Die festen Eichen schützten den See in der Mitte des Heiligen Waldes. Kein Sterblicher war je auf die Lichtung des Schilfsees gekommen und auch nur wenige der Elfen hatten den Weg hierher gefunden. Der Wald hatte seine eigenen Gesetze und nur jene, die vom Schicksal auserkoren waren, konnten darauf hoffen die Lichtung des Schilfsees zu erreichen ohne sich im dichtem Wald zu verirren und am Ende ausgezerrt am Rande des Waldes zu erwachen. In der Mitte des Sees auf einer kleinen Insel thronte eine mächtige Eiche. Sie war der größte Baum der Welt und ihre armdicken Wurzeln ragten bis über die grüne Insel in das dunkelblaue Wasser hinein. Einige kleine Lichter schwirrten um den Stamm herum, der ebensogut ein gewaltiger Bergfried hätte seien können. Bei näherem Hinsehen hätte man erkönnen können, dass es sich um Glühwürmchen handelte. Die magische Stille die über diesem Ort hängt zerplatzt wie eine Blase, als zwei Gestalten sich durch das Dunkle Gebüsch schlagen und langsam an das Ufer des Sees herantreten.

Synkarian nahm einen kleinen Stein und warf ihn in einer ausholenden Bewegung über das Wasser. Der Stein setzte auf und zog weite Kreise. Dann blickte er stumm seinen Bruder Sanguis an. "Ihr kennt diesen Ort noch allzu gut, nicht wahr?" Sanguis blieb stumm. Doch seine Miene verzog sich. Ungewollte Erinnerungen zwangen sich ihren Weg an die Oberfläche seiner Gedanken. Dieser See ähnelte dem Schlangensee von Aríuvel so sehr. Der Ort an dem er die einzige Frau, die er je geliebt hatte, zu Grabe tragen musste. Ihr Grab war auf einer kleinen Insel in der Mitte des Sees. Versiegelt durch das Emblem des Hauses Feenflügel. Unbekannt ihren Angehörigen, ungesegnet und nicht vor dem Fluch der Untoten geschützt. Einzig und allein einige Tropfen seines Blutes hatten mit einem eilig dahergesagtem Gebet das Grab geschlossen und ihm seine Geliebte auf ewig genommen. Die Ewigkeit war lang, wenn man zum Volk der ewig Jungen und ewig Schönen gehörte. Ein Elf vermochte große Freude über eine jahrelange Arbeit gewinnen, aber genauso groß war der ständig an ihm nagende Schmerz um das Wissen, dass er die Äonen durchleben musste ohne jemals wieder ihre zärtliche Berührung auf seiner Haut zu erleben. Nie mehr ihr schimmerndes dunkles Haar zu sehen und niemehr ihre sanfte Stimme zu hören. Er war bereit gewesen für sie zu sterben und für sie zu morden, doch kein einziges der gegebenen Versprechen konnte er mehr einhalten, nachdem sie in der Schlacht gegen die Nebelorken ihm entrissen war. Er spürte, wie eine kleine Träne aus seinen Augenwinkeln langsam über seine Wange lief. Wie glühendes Eisen brannte sie sich ihm in die Haut, bevor sie endlos langsam neben seinen Stiefeln zu Boden fiel. Seine Hände verkrampften sich, als ihn weitere Erinnerungen überkamen. Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Nächte und an die langen Ausritte, welche sie durch die Ländereien des alten Landes Aríuvel unternommen hatten. Es war eine der wenigen Zeiten gewesen, in denen er Glück verspürte, in der er nicht kämpfen musste und in der nicht Hader und Verrat ihn bedrohten. Damals, als er noch in der Heimat weilte und nicht in diesen verdammten Ländereien, wo ständig neue Feinde auftauchten, und die engsten Freunde einem im Schlaf zu erdolchen vermochten.

Er spürte, wie Synkarian ihm brüderlich die Hand auf die Schulter legte. Ein gewisser Trost lag darin, dass er jetzt einige Zeit mit seinem Bruder verbringen konnte, bevor das letzte Gefecht zwischen den Erben seines Hauses bevorstand. Doch bis dahin musste der dritte Bruder, Zarkovian de Alá, erst noch erscheinen. Sanguis, Synkarian und Zarkovian. Das waren die Namen der drei Brüder, deren Leben miteinander verknüpft waren. Sie alle waren große Krieger, doch hatte jeder von ihnen sich teils bewusst, teils unbewusst für eine andere Ausrichtung entschieden. Synkarian folgte den Lehren der Waagschale. Sein Leben war ein einziger Wandel auf dem schmalen Grat zwischen Licht und Schatten. Er betrachtete sich selbst als ein Hüter des Gleichgewichts. Zarkovian jedoch war dunkel und verschlagen. Schon früh hatte er sich den Dunkelelfen angeschlossen. Er war ein hohes Mitglied in einer finsteren Sekte, welche sich selbst "Der Kult vom tiefschwarzem Abgrund" nannte und gegen alles was gut und tugendhaft war in den Kampf zog. Sanguis schließlich, der einzige der drei Brüder, welcher noch im Hause seiner Mutter aufgezogen worden war, hatte sich immer dagegen gewehrt die finstere Prophezeiung seines Schicksals zu erfüllen. Doch hatte auch er sich schließlich entscheiden müssen und so vertrat er nun das Licht und kämpfte gegen finstere Streiter der Schatten, wie es Zarkovian einer war. Wenn er alleine Nachts auf dem Nordturm des Elfenhofes stand, so dachte er viel über das Schicksal nach. Wenn er wie Zarkovian geworden wäre, hätte dann Zarkovian seinen Platz als lichter Bruder eingenommen? Nichteinmal Synkarian hatte ihm diese eine Frage beantworten könne, oder vielleicht wollte er es auch nicht. So vertrauenserweckend und gut er sich auch präsentierte, Sanguis zweifelte nicht daran, dass es auch eine Zeit gegeben hatte, in welcher Synkarian nicht ihm sondern Zarkovian über das Schicksal und die drei Brüder aufgeklärt hatte. Freilich, diese Zeit lag schon mehrere Zeitalter zurück, hatte Synkarian doch vor noch vor mehreren Zeitaltern, als Sanguis noch in Aríuvel weilte verhindert, dass Zarkovian de Alá der rechtmässige Herrscher über das Haus Feenflügel wurde und damit auch das Leben von Sanguis gerettet, indem er gegen Zarkovian kämpfte. Sanguis war an jenem Tag noch schwächer gewesen als Zarkovian, doch hatte er sich geschworen, nie wieder hilflos zus ein und spätestens seit seinem Kampf gegen den Anführer der grauen Nebelorken hatte er bewiesen, dass er zu den mächtigsten Elfenhelden gehörte. Synkarian hatte schließlich Zarkovian mittels seiner grauen Magie aus Aríuvel gebannt, auch wenn er selbst bei dem Vorgang verschwand. Damals hatte Sanguis noch gehofft, der Alptraum der Prophezeiung wäre vorbei, aber tief in seinerem Inneren hatte er gewusst, dass dieses Spiel, dessen Dauer in Äonen gemessen wurde, doch gerade erst begonnen hatte. Synkarians sanfte Stimme unterbrach seinen Gedankengang.

"Ich weiß, Du wirst mir nicht glauben, Sanguis, aber ich verstehe deinen Schmerz." Er hielt einen Moment inne und betrachtete Sanguis nachdenklich. "Auf meinen vielen Reisen habe ich viele Legenden und Erzählungen gehört." Er grinste wie ein kleiner Junge, als er Sanguis tief in die Augen blickte. "Es hat den Anschein, als läge das Sammeln von Schriften in unserer Familie. Auch unser dunkles Geschwisterkind Zarkovian ist für seine Kenntnis von Legenden und Sagen bekannt, auch wenn er sie weniger freigiebig teilt, so wie ich." Synkarian senkte den Blick. "In dieser Hinsicht gleicht er dir, mein Bruder." Der erwartete Zornesausbruch von Sanguis blieb aus. Er sprach mit ruhiger Stimme. "Ihr wolltet mir eine Geschichte erzählen, Synkarian. So zögert denn nicht." Der graue Elf lächelte schmerzlich und setzte sich auf einen großen Stein. Seine Füße baumelten kurz vor der dunklen Wasseroberfläche.

"Vor langer Zeit, als die Urkräfte noch ungestüm und wild waren, da gab es ein himmlisches Volk, welches über die noch jungen Völker der Erde wachten. Dieses Volk war bekannt als die hohen Elfen und sie sind unsere Ahnväter. Zwar gibt es sie schon seit langer Zeit nicht mehr und die letzten der ihren verbergen sich in einer Stadt, deren Name in der Sprache so viel wie Himmel des Ruhmes bedeutet, aber ihr Blut fliesst noch immer in den Adern der alten Elfenhäuser. Das Haus Feenflügel, unser gemeinsamer Ursprung, ist eine der Linien, welche noch viel Blut der Alten hat. Die damit verbundene Macht erklärt unsere selbst für Elfen ausserordentliche Befähigung für gewisse Arten der Magie. Doch ist dies eher zufällig. Ich weiß, dass Zarkovian ein erfolgreicher Schüler der schwarzen Nekromantie ist. Nun, ich selber verstehe mich mehr auf die Magie der Weissagung und Erkenntnis, was dein Talent ist, Sanguis, darüber bin aber selbst ich mir nicht im Klaren. Es hat den Anschein als würdest Du keine Zauberei verwenden, sondern dich allein auf dein Schwert verlassen." Synkarian machte eine kleine Pause. "Sei es wie es sei, unter dem Volk der alten war einer besonders hervorstehend. Sein Name war Eligas der Geschickte. Doch leider verliebte er sich in eine menschliche Jungfer. Aus ihrer verbotenen Beziehung erwuchs eine Tochter, aber sie war 'armal', unrein aus Sicht der anderen Alten. So sperrten sie das kleine Kind in einem Brunnen ein. Es tobte, pochte gegen die Steine des Schachtes, doch am Ende verhungerte es. Aus Trauer darüber warf sich die Frau des Eligas in eine tiefe Schlucht. Niemand fand je ihren Leichnam." Erneut pausierte Synkarian. Er hob den Zeigefinger und deutete auf Sanguis. "Nun kommt der Teil, der für dich von Bedeutung ist, Bruder." Dann setzte er fort:

"Eligas war natürlich sehr traurig über all dies und sein Herz begann zu Eis zu werden. Er verhärtete innerlich und war kaum mehr wiederzuerkennen. Doch unter der Kühle seines Wesens brodelte eine heisse Quelle des Zorns. Er zürnte dem Rat der Alten, der ihm Frau und Kind genommen hatte. Und eines nachts schwor er einen Blutschwur. Er würde den Verantwortlichen finden und ihn zur Rechenschaft ziehen. Dann zog er fort. Für mehr als ein Zeitalter wanderte er durch das Land. Wo immer er auch erschien spürten die Menschen eine Aura der Verunsicherung. Denn keine menschliche Logik lag noch in seinem Handeln. Nach einem Zeitalter kehrte er zurück in die Stadt der Alten. Alle waren sehr erstaunt, dass er zurückgekehrt war, doch als der erste der Alten auf ihn zuging ihn willkommen zu heissen, streckte Elligas ihn mit einem einzigem Hieb seines tiefschwarzen Schwertes nieder. Dann erhob er die Stimme zu sprechen und er drohte ihnen, dass er kommen würde sie alle zu richten, für das, was er von ihren Händen erleiden musste. Dann kehrte er ihnen den Rücken zu und war verschwunden. Als sie jedoch die Leiche des getöteten Elfen betrachteten erschraken sie. Keine Wunde zierte den Leib. Nur seine verdrehten Augen und die Kälte des Leichnams wiesen auf seinen Tod hin. Doch ein Elf, der neu in den Rat aufgenommen wurde, entdeckte einige kleine Eiskristalle neben der Leiche. Daraufhin schwiegen die Alten, denn sie wussten was Eligas getan hatte. Er war bis zum Schmied der Götter gewandert und hatte sich von ihm sein kalte Herz in eine finstere Klinge schmieden lassen, die mit nur einem leichtem Streich töten konnte. Verzweifelt versteckten sich die Alten in ihren Kammern. Sie verbarrikadierten Türen und Fenster mit Tischen, voller Furcht, dass Eligas kalter Streich sie alle töten würde, doch Eligas erschien nicht. So vergasen sie ihn und begannen weiter zu leben. Doch als das nächste Jahr einsetzte erschien Eligas wieder aus den Nebeln der Vergangenheit und streckte einen weiteren von ihnen Nieder. Und so kam er Jahr für Jahr, jedesmal streckte seine Klinge einen der Alten nieder."

Synkarin blickte Sanguis direkt in die Augen. Ruhig erwiederte der Elf den Blick. Diese Geschichte mochte vielleicht aus Sicht von Synkarian de Alá einen Sinn und Zweck haben, für ihn aber war es nur eine Legende. Synkarian fuhr mit seiner Erzählung fort. "Im siebten Jahr, aber war nur noch ein Mitglied des Rates übrig. Eben jener, der vor vielen Jahren über die Beschaffenheit der Klinge des Eligas gelernt hatte und den aufgrund seiner Jugend keine Schuld am Los des Eligas traf. Als Eligas schließlich seine Klinge zum letzten Streich erhob zersplitterte sie und ein eisiger Splitter drang tief in seine Brust ein. Leblos kippte Eligas nach vorne herüber und war tot, noch bevor seine Stirn den Boden berührte." Synkarians Schweigen verband sich mit der mystischen Stille des Ortes und Nichts rühte sich. "Verstehst Du worauf ich hinaus will, Sanguis? Alle Wut, aller Zorn wird sich gegen dich richten, wenn Du ihn gegen die Unschuldigen einsetzt, die nichts für dein Los können. Du hattest deine Vergeltung und..." Er blickte Sanguis nach, der ruckartig aufstand und am Ufer entlang ging. Er hatte sein Schwert gezogen und das silberne Mondlicht schimmerte geheimnisvoll auf der runenverzierten Klinge des Fadenschwertes.

"...und die Engel weinen Tränen aus Blut, wenn der Gestrafte sein Werk nicht vollendet." Synkarian hob schützend die Hände, als Sanguis mit einem Satz auf ihn zusprang und das Fadenschwert mit einem hohen Bogen hob.

Die geheimnisvolle Stille der Lichtung des Schilfsees hält auch dannn an, wenn die Welt zerbrechen wird. Es ist, als wäre sie der Ausgleich für all den Krieg und die Zerstörung, welche die Ländereien der Neuen Hoffnung in ständiger Wiederkehr heimsucht.
 
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