AW: Stimmung bei Deadlands
Zur Stimmung/Verhaltensweisen von Bewohnern von Städten im Unterschied zu Dörfern:
Vorneweg: näher an der "Wahrheit" (was das auch immer bei Deadlands sein soll) KANN keine Siedlungsform per se sein.
Wenn man sich das sehr kleine Dorf Varney Flats in Night Train anschaut, dann sind die Leute dort anfangs völlig ahnungslos vor der Weirdness im Weirdwest - bis das Grauen zu ihnen kommt...
In dem Ort in Worms! hingegen kommen die Spieler in einen Ort, wo JEDER Angst hat. Alle wissen, daß etwas ungutes, sogar etwas nicht-natürliches (wohl aber nicht zwangsläufig ÜBERnatürliches) vorgeht. Alle haben Angst und alle wissen, daß sie nicht (mehr) wegkönnen.
In New Orleans, the Big Easy, ist das Leben leicht, sorgenfrei, ein Leben wie ein fröhliches Lied in einer warmen Sommerbrise. Oder nicht? - Es gibt in ein und derselben Stadt Gegenden wie der Garden District, wo Furchtstufe 0 eine wahre Deadlands-Idylle darstellt. Und dann gibt es Gegenden wie das garnicht so weit weg vom Garden District befindliche ehemalige Schlachthofviertel, dessen Furchtstufe dazu führt, daß Polizei nur in größeren Gruppen und nur tagsüber da überhaupt hinzugehen diskussionsbereit ist.
Was ich damit sagen will: keine Siedlungsform wird überzeugenderweise stets das gleiche, sehr stereotype Verhalten ihrer Bürger an den Tag legen. Städte wie Dodge, Denver, Lost Angels, St. Louis, etc. haben alle SEHR charakteristische, sehr eigentümliche Ausrichtungen, die zum Teil offensichtlich das Verhalten ihrer Bürger beeinflussen bzw. durch das Verhalten der Bürger erst zur Ausprägung kommen, zum anderen gärt es aber in Städten wie in Dörfern oftmals unter der Oberfläche und es ist alles längst nicht so, wie es anfangs den Anschein hatte.
(Am Rande: Es gibt ein Rollenspiel "Dogs in the Vineyard", welches ein sehr am psychologischen, inneren Konflikt und an dessen Eskalation zu äußerer, teils extremer Gewalttätigkeit ausgerichtet ist. In diesem spielen die Spieler die "Dogs", die Hunde des Herrn, die rechtgläubigen Prediger-Gunslinger, die in den Städten einer noch nicht zum Bundesstaat erhobenen Region im Westen (in etwa im Zeitrahmen der Deadlands-Spielzeit) nach dem Rechten sehen sollen. Dabei wird im Regelwerk ein enorm breiter Raum der Bestimmung interessanter Western-Orte mit angelegten Konflikten und Eskalationspotential eingeräumt. - Das nur am Rande als Tip, der aber von der Art des Spielens meilenweit und mehr von Deadlands entfernt ist.)
Selbst eine Ranch mit Rancher-Familie, Vorarbeiter, Cowpokes und ein paar anderen unterbezahlten Handlangern kann ein enorm spannungsgeladenes soziales Klima aufweisen (siehe z.B. den Film "Das Weite Land", "The Big Country"). Auch das Sozialgefüge auf einem monatelang auf Achse befindlichen Siedlertreck oder auf einem Viehtrieb kann reichlich Konfliktpotential mitbringen.
Bei mir sind unabhängig von den schwelenden Konflikten, von den offensichtlichen Konflikten, von den persönlichen Tragödien die Menschen immer noch Menschen. Auch in Deadlands. - Da kann es selbst in einer verschlossenen religiösen Sektierersiedlung der Mormonen durchaus freundliche "Heilige der Letzten Tage", wie sie sich selbst nennen, geben. Aber ebenso auch die säuerlich-verbiesterte Fremdenfeindlichkeit, wie sie es im Westen zwangsläufig gab (oder überall sonst auf der Welt, wo jemand einen anderen nur erschießen mußte, um sein Pferd, sein Land, seine Herden zu bekommen, ohne ernstlich befürchten zu müssen, dafür von einem Gesetz, welches einen halben Kontinent weit weg ist, dafür verfolgt zu werden - das war übrigens ein Grund, warum es so enorm wichtig für den Aufstieg ganzer Städte war, daß sie einen Bundesrichter mit zugehörigen US Marshals und ein Gefängnis hatten - denn das war das sichtbare Zeichen dafür, daß die Zivilisation, das Gesetz und nicht das Recht des Stärkeren hier galt. Erst mit ausreichend garantierter Rechtssicherheit ziehen Unternehmer nach, die eine stabile Infrastruktur für ihr Geschäft benötigen, und nicht ständig eigene Polizeitruppen unterhalten wollen/können, um ihr Hab und Gut zu schützen.).
Mir waren Eure obigen Antworten ein wenig zu starr, zu stereotyp ausgerichtet. Ich wäre bei Deadlands - oder fast jedem anderen Rollenspiel - vorsichtig meine NSCs alle nach vorhersehbarem Schema agieren zu lassen. Für mich steckt in jeder - auch noch so ungewöhnlichen, oder noch so banalen - Interaktion von SCs und meinen eigenen NSCs das Potential etwas Bedeutsameres daraus erwachsen zu lassen.
Wenn sich der Gunslinger mit dem Barbier anfreundet, dann hat ein NSC einen Namen, ein markantes Verhalten und die Welt wird für den Spieler via seines SCs umso stimmiger erfahrbar. Das alles auch ohne jegliche Relevanz des Barbiers für irgendeinen Plot. - Wobei ich mir offenhalte einen alten, guten, geschätzten Bekannten ab und an mal in bedrohliche Situationen geraten zu lassen, aus denen ihn zu befreien ein wirklich befreundeter SC weit mehr, und vor allem nicht-monetäre Motivation hat, als wenn das ein beliebiges Hired-Gun-Szenario wäre.
Wenn ich in einer Kampagne vorausplane bestimmte Szenarien oder Personen einzusetzen, dann lasse ich diese - oder auch nur ihre Auswirkungen in der Welt - vorab bereits zum Teil weit vor ihrem ersten richtigen Auftritt in den Kampagnen-Szenarien durchschimmern. Das gibt dann einen interessanten Effekt des Vertrautseins. - Ein Vehikel dafür ist für mich die Information, die SCs von NSCs gänzlich normaler Profession über diese wichtigen, seltsamen, oder sonst irgendwie bemerkenswerten Personen/Ereignisse/Politische Lage bekommen. Und das kann sowohl durch freundlich-umgängliche NSCs als auch durch schroffes "Schert Euch weg, ihr dreckigen <ergänze politische Fraktion, Großrancherfamilie, etc.>-Freunde!" erfolgen.
Kurzer Sinn: Deadlands lebt - wie jedes Rollenspiel - von überzeugenden NSCs. Überzeugende NSCs (auch unwichtige) handeln menschlich. Das impliziert eine enorme Bandbreite an "normalen" Verhaltensweisen und an ungewöhnlichen bzw. extremen Verhaltensweisen. Der Weirdwest macht aber aus Menschen keine Abziehbilder. Rollenspiel verflacht natürlich durch das Klischee als stärkstes Mittel der Darbietung von NSCs. Aber es gibt bei Deadlands nur Western-Klischees plus die Deadlands-Sonderklischees (Huckster, Mad Scientist, ...). - Der stärkste Deadlands-Einfluß auf das NSC-Verhalten liegt für mich in der Furchtstufe, in der die NSCs leben. Die Schilderung von NSC-Verhalten hilft die Stimmung einer Region mit Furchtstufe != 0 zu vermitteln. Die Furchtstufe zeigt an, wie weit die Manitous mit dem Weichkochen der Seelen der Menschen in einer Region bereits sind. - Also: kein generell höheres Aggressionspotential oder mehr Angst oder was auch immer. Aber: in Zonen erhöhter Furchtstufe liegen die Nerven blank - dann wird jemand je nach seiner Art mit deutlich sichtbarer Ängstlichkeit, mit unmotivierter Aggression, mit krampfhaftem Freundschaften suchen diese innere, ständige Spannung zu mildern zu suchen. - Aber: Es sind und bleiben immer noch Menschen.