Sorcerer [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Silvermane

Wahnsinniger
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Sorcerer spielen ist ein wenig...anders.

Einige etablierte RPG-Konventionen werden dabei schwungvoll über den Haufen geworfen. Ich versuche mal, die wichtigsten Dinge zu erklären.


Dein Charakter:

Der typische Sorcerer-Charakter ist auf dem Zenit seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Er wird, im gegensatz zu einem frischgebackenen D&D-Charakter keine nennenswerten Verbesserungen mehr erfahren.

Ausserdem hat er bereits sein kostbarstes Gut geopfert um im Gegenzug dafür unglaubliche Macht zu erhalten. Und zwar die Sorte Macht, die korrumpiert. Er befindet sich bereits auf der stetig abwärts führenden Spirale, und er wird früher oder später verlieren. Es ist nicht die frage "ob". Es ist lediglich die Frage "wann".

Der Charakter hat einen Dämon. Und er ist nicht deswegen cool, weil er einen Dämon hat. Er hat einen Dämon, weil er cool ist. Der Dämon ist es, der ihm Macht verleiht, große Macht, aber der Preis den er dafür zahlt ist hoch, immer zu hoch.

Und dann noch eine Kleinigkeit: Dies ist ein Narrativisten-RPG, also sollte der Charakter interessant genug sein, um eine Geschichte mit ihm und über ihn erzählen zu können. Solltest du also nicht gewillt sein, 6,50€ an der Kinokasse zu lassen um dir seine Geschichte anzuhören, dann überdenk' das Konzept nochmal.


Kommen wir zum wichtigsten: Die Story.

Es ist DEINE Story, definiert durch den von dir geschriebenen Kicker. Es ist ausserdem deine heilige Pflicht, das dir von dir selbst durch den Kicker gestellte Problem OHNE DIE HILFE DES SL zu lösen. Du brockst dir die Suppe ein, du löffelst sie aus.
Der SL kann die Handlung durch Bangs vorantreiben, plötzliche (meist unvorhergesehene) Ereignisse.

Beispielzeit.

In unserem Kurzgeschichtenforum spukt noch eine kleine Geschichte von mir herum. Nehmen wir diese als Basis.

Ich bin ein Berater am Hofe König Roans und habe erfahren, wer und was der rote General tatsächlich ist, und daß er das Reich in Chaos und Verderben stürzen will.

Das ist der Kicker.


Ich kann versuchen, mehr über ihn zu lernen, eine Schwäche aufdecken, um ihn aufzuhalten. Ich kann mich mit ihm verbünden, um nach dem Sturz des Königs die Macht an mich zu reissen. Ich kann versuchen, diejenigen die ich Liebe zu retten und das Reich zu verlassen. Ich kann versuchen, mir seine Macht anzueignen um selber zu herrschen.

Das sind mögliche Lösungswege des Kickers.


Der General erfährt von meinen Plänen und will mich beseitigen. Der General buhlt um Prinzessin Jessamine, auf die ich ein Auge gewofen habe. Hauptmann Sorrel hat sich mit dem General verbündet und plant, meinem Ursupationsversuch zuvor zu kommen. Prinzessin Jessamine hat ein Auge auf den General geworfen und weigert sich, mit mir zu kommen.

Das sind Bangs, mit denen der SL die Handlung vorantreiben kann.




Das sind die Besonderheiten des Charakters und seiner Geschichte. Aber das sind nicht die einzigen.




Sorcerer hat sehr wenige Regeln, aber die paar Regeln die existieren sind unumstösslich. Dazu zählen:

Die Würfel entscheiden.
Die Würfel entscheiden den Ausgang der Story, und keine Meisterwillkür, keine Fate Points, Bennies, Bestechungsversuche mittels Schokolade, Autowaschen oder Blowjobs (Ich bevorzuge Zartbitter, btw.) kann sie beeinflussen.

Zelebriere deine Niederlagen.
Es wird erwartet, das du deine dunkelsten Stunden, deine Niederlagen und die Situationen, in denen du Versagt hast mit dem gleichen Enthusiasmus erzählst und beschreibst wie deine schillerndsten Triumphe. Hier wird eine Geschichte erzählt, also erzähle uns wie du blutend am Boden liegst und deinen Gegner verfluchst. Erzähle und, wie du in den Kerker geworfen worden bist. Berichte uns in aller Detailfülle von dem vergifteten Wein, der dich deiner Sinne beraubt hat, und von dem tödlichen Biss der Schlange, der dich binnen weniger Tage töten wird wenn du kein Gegenmittel findest. Leide. Aber leide Publikumswirksam.


Eine Niederlage ist keine Schande.
Du hast es also nicht geschafft. Naja. Denk an den obigen Absatz und mach das Beste aus der Situation. Du bist cool. Du bist Protagonist. Du bist stark.
Du hast die Tür nicht deswegen nicht aufbekommen, weil du zu blöd dazu warst. Nein. Der Dietrich ist abgebrochen, oder deinen vor Kälte steifen Fingern entglitten und in einen bodenlosen Abgrund gestürzt. Du bist nicht in den Kerker geworfen worden weil du beim abendlichen Empfang der Königin wie ein Bauer ins Gesicht gerülpst hast. Im Gegenteil, die Dame war so von deinen Advancen fasziniert das dich ihr eifersüchtiger Ehemann hat in den Kerker werfen lassen. Du wurdest nicht von den Schergen des Fürsten überwältigt, weil du zu blöd zum Kämpfen bist. Du bist überwältigt worden, weil die fiesen Mistkerle mit Verstärkung auftauchten, nachdem du 10 von ihnen überwältigt hattest.
Sei heroisch! Nur weil etwas nicht nach Plan funktioniert hat, mußt du deswegen noch lange kein inkompetenter Hanswurst sein.


Dies sind die Konventionen des Spiels; eigentlich sind sie auf fast alle RPGs übertragbar, aber hier sind sie von entscheidender Wichtigkeit.

-Silver
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

"Kicker" und "Bangs" sind aber doch normale Aspekte des charakterbezogenen Rollenspiels, nur dass sie hier einen Namen haben, oder liege ich da falsch?

Ist ein Sorcerer ein typischer Zauberkundiger, oder kann er auch der bis zu den Knien im Blut watende Barbar sein?
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Skar schrieb:
"Kicker" und "Bangs" sind aber doch normale Aspekte des charakterbezogenen Rollenspiels, nur dass sie hier einen Namen haben, oder liege ich da falsch?

Nunja, es gibt ein paar feine Unterschiede...

Der "Kicker" definiert die Story, die gespielt werden wird, und liefert nicht wie sonst üblich dem SL nur ein paar Punkte zum einhaken. Oder um es deutlicher zu sagen: Der SL bereitet keinen Plot vor, den arbeiten die Spieler und der Zufall aus.

Ebenso wird nicht gerailroadet, die einzige Einflußmöglichkeit des SL sind ebendiese Bangs, die aber zu den Kickern der einzelnen Protagonisten passen müssen.

Die beiden Konzepte sind nicht wirklich neu, das gebe ich zu, aber ich habe bisher kein RPG gesehen das so konsequent auf ihre Einhaltung pocht.

Ist ein Sorcerer ein typischer Zauberkundiger, oder kann er auch der bis zu den Knien im Blut watende Barbar sein?

Ein alter Tattergreis in einer langen Kutte mit einem spitzem Hut? Tolkien ist tot, Babe!

Aber mal Scherz beiseite, nein. Ein Sorcerer ist jemand, der große Macht besitzt und ihrer nicht so recht Herr werden kann. Tolle Beispiele aus der klassischen Fantasy sind Elric von Melniboné und Wagners Unsterblicher Kane. Beide sind zwar in Magie gewandet, aber soweit vom obigen Klischee entfernt wie es nur geht.
In Sorcerer-Maßstäben gesehen ist Conan ein Sorcerer. Wenn man sich mal die alten Geschichten von Howard durchliest (die einzig wahren, IMHO. Später wurde unter dem Namen Conan viel Mist publiziert) stellt man fest, das der Kerl andauernd mit übernatürlichen Wesenheiten dealt und paktiert (ausführliche Beispiele auf Anfrage erhältlich). Oder Schau dir General Thyrion an ("Sorrel"); der ist zwar frech bei Wagner geklaut, aber auch der ist ein Sorcerer, und nebenbei ein äußerst fähiger Feldherr und Krieger.

Man betreibt die Beschwörerei nicht um ihrer selbst willen; man will diese Macht für ein bestimmtes Ziel, und diese können so mannigfaltig sein wie die Leute die sie erreichen wollen.

Das hier ist "The Keys of Uriel", ein recht nettes Western/Fantasyszenario für Srocerer. Und es gibt einen hübschen Überblick, wie verschieden Sorcerer sein können.

The Keys of Uriel

-Silver
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Dämon muss dabei auch nicht Dämon sein, sondern es könnte sich auch um Aliens, eine KI oder sonst was handeln.

@Skar: Die Dinger haben schon Namen. Seid Sorcerer heißen die Kickers und Bangs.

Und immer dran denken: Your mama's so Narrativist, whoever she meets, she bangs.
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Wie wär's wenn du mal was zum Würfelsystem von Sorcerer sagst?

Und ist eigentlich das ganze Buch so von diesem GNS-Bullshit durchzogen, wie ich befürchte, oder beschränkt sich Edwards vielleicht mal auf das Spiel an sich?
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Wie wär's wenn du mal was zum Würfelsystem von Sorcerer sagst?

WX-Pool (aka "Art des Würfels ist egal, hauptsache alle benutzen den gleichen"). Höchste Zahl gewinnt.

Und ist eigentlich das ganze Buch so von diesem GNS-Bullshit durchzogen, wie ich befürchte, oder beschränkt sich Edwards vielleicht mal auf das Spiel an sich?

Definiere mal "GNS-Bullshit". Es ist ein Narrativisten-RPG, entsprechend sehen Regelmechaniken und -konventionen aus. Es ist ausserdem ziemlich "dicht" und schwer verdaulich, weil einem die meisten Implikationen der Regeln erst beim Spielen klar werden, und es absolut keinen Flufftext in dem Buch gibt.
Und es schmeißt, wie anderswo schon erwähnt, 'ne Menge RPG-Konventionen über den Haufen, was bei Typen der Marke "Ich spiele seit 17 Jahren Rollenspiele und bin nie über DSA/D&D/SR (nichtzutreffendes bitte streichen) hinausgekommen" Hirnblutungen auslösen kann.

Allerdings hab ich es lesen können ohne Ohrensausen zu kriegen (was bei den meisten Forge-Essays durchaus der Fall ist) und es ist soweit relativ komplett und spielbar. Ich gehe sogar mal soweit zu sagen, das es in der richtigen Gruppe, ähnlich wie InSpectres, durchaus eine interessante Erfahrung ist.

Ich gebe allerdings auch offen zu, daß ich dem Ganzen ohne das wirklich geniale Sorcerer & Sword-Supplement niemals soviel Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

-Silver
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Außerdem findet man in Sorcerer am Ende die schönste Erklärung für Rollenspiel, die ich kenne: Rollenspiel ist wie in einer Band zu spielen. Man hat zusammen einen Plan, man improvisiert, jeder muss mitmachen und seinen Teil, dazu beibringen und das Zusammenspielen ist eigentlich wichtiger als die Songs auf dem Demoband.

Ist ein wenig ungewohnte Kost (auch weil's dem Story now! und No Myth! Prinzip angehört, d.h. man entwickelt den Großteil des Settings erst während des Spiels), aber es sind wirklich sehr viele hilfreiche Tipps für das SPiel und die Vorbereitung drinnen. Fast würde ich ja sagen, dass die Zusatzbände sogar besser als das eigentliche GRW ist (vor allem das bahnbrechende Sword & Sorcery sowie Sorcerer's Soul - Sorcery and Sex find ich leider das schwächste, aber gut ist es dennoch). Ich finde, es lohnt sich.
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Silvermane schrieb:
Definiere mal "GNS-Bullshit".
Recht simpel: ergeht sich Edwards in seiner Theorie und legt explizit dar in welche Kategorie dieses RPG fallen soll, oder geht er auf seine Theorie überhaupt nicht näher ein?

Silvermane schrieb:
Allerdings hab ich es lesen können ohne Ohrensausen zu kriegen (was bei den meisten Forge-Essays durchaus der Fall ist)
Das klingt schonmal beruhigender. ;)
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Hier eine Auflistung des Inhalts. Bis auf die ersten paar Seiten ist es erfreulich theoriefrei.

CONTENTS of SORCERER

PREFACE
A word on role-playing systems
Art or game?
Disclaimer
Visit the Sorcerer website
The supplements
A word of encouragement

Chapter One: INTRODUCTION TO THE GAME
The heart of sorcery
A quick question
The heart of the game
The player
The Game Master
The System
Rolls
Bonuses and penalties
A crucial role-playing mechanic
Bibliography
Books and stories
Comics
Movies
Television

Chapter Two: CREATING SORCERERS
Sorcerers
Steps to make a player-character
Scores
Score descriptions
Humanity
Cover
The Price
Telltale
Starting demons
Once-over
The Kicker
If you're stuck
Development
Improvement
Humanity
Everyone else
Other sorcerers
Persons of power
Just folks

Chapter Three: DEMONS
Demon characters
Demon type
Some important terms
Demon abilities
Desire
Role-playing demons
What are they?
The Three Rules
Example demons
Ruatt
Monicus
Doppelganger
Li'l (insert master's name here)

Chapter Four: PLAYING SORCERER
Customizing
Humanity
Sorcerers
Demons and what they want
Tone
Organizing a game
Setting it all up
The story
So what do we do?
Actual Play
Responsibilities
Understanding the currency
Making the story work
Sneaky player tricks
The training run
The back-story
The scenario
Some notes on play

Chapter Five: RULES FOR SORCERY
Sorcery
The Sorcery Chart
Group sorcery
Sorcerous rituals in action
In-game Contacts and Summons
Binding Subtleties
Dumb sorcery

Chapter Six: RULES FOR EVERYTHING ELSE
Everything but combat
Characters and their skills
Perception
Combat
Actions
Combat rolls and modifiers
Damage
Keeping track of damage
Recovery from damage
Effect
Demons in combat
Various modifiers

Chapter Seven: THEME AND MEANING
How I did it
Part One: the world and style
Part Two: sorcery
Deep stuff
Complex sorcery and other magic
Conspiracies
The really big questions
Thematic points
Going over the edge
Over the what?
Something simple
Recursion
A narrative experiment
A scary idea

APPENDICES
System Does Matter
Reference sheets


-Silver
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

Silvermane schrieb:
[...] Blowjobs (Ich bevorzuge Zartbitter, btw.) [...]

Andere Leute sollen ja auf Pfefferminzbonbons stehen, aber das sind nur Gerüchte die an mein unschuldiges Ohr gedrungen sind...
 
AW: [Sorcerer] Grundlegende Dinge zum Spielen von Sorcerer.

*Threadnekromantie*

Ich habe jetzt nach langer Zeit endlich Sorcerer sowie das Supplement Sorcerer & Sword gelesen. Ich werde es demnächst spielen, danach kann ich mehr dazu sagen. Aber: Man merkt, dass das Spiel von 1999 ist. Viele Konzepte werden da noch nicht so klar formuliert wie in späteren Äußerungen. Gerade die Erklärungen von Kicker und Bang im Grundregelwerk finde ich eher dünn. Auch fehlen Redundanz und Beispiele, sodass man eigentlich alles zweimal lesen muss, um es zu verinnerlichen.

Wenn ich lese, dass es Bonuswürfel für "gutes Rollenspiel" gibt, ohne dass genauer erklärt wird, was gutes Rollenspiel eigentlich sein soll, und dass diese vom SL frei nach Schnauze verteilt werden, dann kann ich kaum glauben, dass das Ron Edwards geschrieben hat... ;)

Sorcerer & Sword ist da etwas präziser und weiter entwickelt, im Kapitel "Authored Roleplaying" wird besser erklärt, wie man das Spiel spielen soll. Außerdem besticht das Werk durch seinen engen Bezug zur Quellenliteratur (Howard, Leiber, Moorcock etc.)

Ich werde mal berichten, wie das Spiel läuft.
 
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