Kult: Die Verlorene Göttlichkeit erscheint bei Truant Spiele!

Von Manfred Lill

Wir leben in einer Welt, in der die Sonne längst untergegangen ist.

In der unsere Göttlichkeit verloren ist.

In der der Tod nur der Anfang ist.




Entrinne deinen Alpträumen, schließe Pakte mit Dämonen und versuche, in einer Welt voll Schmerz, Folter und Tod deine verlorene Göttlichkeit zurückzuerlangen. Dein Leben ist eine Lüge, deine Welt eine Illusion und die Wahrheit mehr, als du verkraften kannst. Wölfe in Schafspelzen sind unsere Gefängniswärter und Scheusale aller Art hassen uns wegen dem, was wir ihnen einst angetan haben. Doch unser aller Schöpfer ist verschwunden, und die Maschinerie ist in Aufruhr. Götter, Dämonen und Engel kämpfen um die Vorherrschaft, und obwohl wir Menschen in diesem Tumult die kleinsten Lichter sind, stehen wir dennoch im Mittelpunkt. Denn sollten wir die Fesseln der Illusion abstreifen und Stück für Stück dem Wahnsinn anheimfallen, erlangen wir damit gleichzeitig auch unsere Göttlichkeit zurück. Und damit droht jenen Kreaturen, die uns um jeden Preis in unserer Lethargie festhalten wollen, erneut jene Schreckensherrschaft, die sie alle in grausiger Erinnerung haben.

KULT: Divinity Lost ist in der Gegenwart angekommen, und zwar auf Deutsch! Beinahe dreißig Jahre nach seiner Premiere erscheint das Spiel in seiner vierten Edition nun in neuem Gewand und mit neuen, narrativen Regeln. Das Spiel ist „powered by the Apocalypse“, verwendet also den so bezeichneten Regelsatz, allerdings in abgewandelter Form. Diese legt viele Entscheidungen wieder zurück in die Hände des Spielleiters, sodass er alle Mittel zur Verfügung hat, die er benötigt, um das Grauen auf den Spieltisch zu bringen, ohne viel Zeit für Buchhaltung aufwenden zu müssen.

Dieses Spiel ist für Erwachsene. Um dem Grauen und den teils verstörenden Themen Rechnung zu tragen, legt das Spiel einen Horrorvertrag zwischen den Spielenden sowie einige Sicherheitsmaßnahmen nahe, damit alle auf ihre Kosten kommen und niemand mit Dingen konfrontiert wird, die er nicht verarbeiten kann oder möchte. Sowohl die behandelten Themen als auch die Illustrationen sind nichts für leichte Gemüter, sodass solche Vorsichtsmaßnahmen angebracht sind.

Die Mythologie des Spiels speist sich vor allem aus Elementen christlicher und jüdischer Mystik sowie der Gnostik und findet sich überall wieder, von der Kosmologie über den Charakterbogen bis hin zu den verwendeten Würfeln. KULT: Divinity Lost ist ein Spiel um Verschwörungen, tiefste Abgründe und psychologischen Horror, in dessen Mittelpunkt der Mensch und sein Weg zum Erwachen stehen. Doch der Weg dorthin ist lang und steinig, und bis man es erreicht hat, bleibt reichlich Zeit, die eigene Psyche zu ergründen, von einem Abgrund in den nächsten zu stolpern, Monster zu bekämpfen, Paralleldimensionen zu erkunden und rituelle Magie zu wirken. Und selbst, wenn Du dabei stirbst, bedeutet dies noch lange nicht, dass deine Reise vorbei ist, denn…

… der Tod ist nur der Anfang!



Diese vierte Edition von Kult stellt das gemeinsame Erleben und Erzählen einer actiongeladenen Geschichte in den Vordergrund, deren Splatterskala von Anschreien bis Gedärmregen, deren moralische und menschliche Abgründe von knöcheltief bis bodenlos, und deren Spannungsladung von “mild verunsichert” bis “dauerhafte Sitzkante” reicht.

Sicher, wer als SL etwas auf sich hält, kann mit (fast) jedem Regelsystem eine spannende Geschichte erleben. Regeln dienen schließlich in erster Linie dazu, allen Spielenden am Tisch die gleichen Voraussetzungen zu bieten, Entscheidungen herbeizuführen und dafür zu sorgen, dass niemand benachteiligt wird. Und wie wir wissen, gibt es Regelsysteme mit mehr Verwaltungsaufwand und solche, die den meisten Spielleitenden und Spielenden leichter von der Hand gehen.

Nach meinem Dafürhalten hebt sich die vierte Edition von Kult jedoch von den meisten Rollenspielen dadurch ab, dass sie einen Regelsatz proklamiert, der stärker als alle anderen narrativen Rollenspiele die Fiktion des Spielgeschehens fördert. Kult kommt mit nur wenigen numerischen Spielwerten aus. Eigenschaften, Schaden, Rüstung, Boni und Mali gibt es auch hier, doch diese bewegen sich ausnahmslos im Bereich um -2 bis +4 herum. Allein der Umstand, dass Monster und NSC über keinerlei numerische Spielwerte verfügen, lässt den administrativen Aufwand auf SL-Seite praktisch verpuffen. Alle Würfe erfolgen nach dem gleichen Schema: 2W6+Eigenschaft (oder nicht, falls es ein Nachteilswurf ist), und das Endresultat ergibt sich wie folgt:

2W10 + Eigenschaft > (15+) Voller Erfolg, (10–14) Erfolg mit Konsequenzen, (–9) Misserfolg.

Alle Charaktere in Kult verfügen über die gleichen Eigenschaften und die so genannten Spielzüge, die jeweils mit einer der 10 Eigenschaften verknüpft sind. Tritt eine bestimmte Situation ein, die einen dieser Spielzüge auslöst, würfelt die oder der Spielende auf die damit assoziierte Eigenschaft. Liegt keine solche Situation vor, wird nicht für die Spielzüge gewürfelt. Auf die gleiche Weise funktionieren die Vorteile und Nachteile: liegt eine Situation vor, die einen positiven oder negativen Wesenszug triggern könnte, wird gewürfelt. Wenn nicht, dann nicht. Die Range, in der das Endergebnis liegt, bestimmt den Ausgang der Situation. Hier bietet jeder Spielzug eine Reihe von Ergebnissen, aus denen, je nach Beschreibung des Spielzugs, entweder die oder der Spielende oder die SL wählt. Ein Wurf hat aber grundsätzlich immer eine Auswirkung auf den Verlauf des Geschehens.



Wer jetzt denkt, „das kommt mir aber bekannt vor“, wird die Übereinstimmungen mit der Spielefamilie der Powered by the Apocalypse Spiele erkannt haben, denn zu dieser zählt sich auch Kult. Im Vergleich zu den übrigen Spielen dieser Reihe (u.A. Apocalpyse World, Dungeon World, Mythos World, Blades in the Dark, etc) legt Kult die Entscheidungsgewalt über die meisten Konsequenzen der Spielzüge jedoch in die Hand der Spielleitung. Wo die anderen Spiele dieser Reihe sagen „Du entscheidest, ob Du etwas verlierst, Schaden erleidest oder in eine unangenehme Situation gerätst“, überlässt Kult diese Entscheidung hauptsächlich dem Ermessen der Spielleitung. Für ein Horrorrollenspiel ist dies (nach meinem Dafürhalten) essenziell und ein wesentlicher Grund dafür, dass Kult so gut funktioniert.

Alles was die SL und die Spielenden tun, dient der Story. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen PbtA-Spielen, bei denen man für gewöhnlich „spielt, um herauszufinden, was passiert“, folgen die Szenarien bei Kult schon dem roten Faden der Spielleitung, denn ansonsten wäre es sicherlich schwierig, die logische Kohärenz eines Horrorszenarios zu wahren.

Die Spielleitung hat unheimlich viel Macht in Kult, und dies drückt sich zusammengefasst dadurch aus, dass sie nicht würfelt. Sie kann einfach bestimmen. Aber was in anderen Rollenspielen als Willkür verstanden sein mag, hat hier nur den Zweck, die Geschichte voranzutreiben. Alle Spielzüge und Regeln für die SL haben eine sehr große Flughöhe, denn es obliegt der Spielleitung zu entscheiden, wie diese sich im Detail im Spiel auswirken und was am besten für die Geschichte ist:Greift jemand einen SC an, dann verkündet die SL dies einfach. Die oder der Spielende würfelt nur, um die Verletzung zu vermeiden (und ggf. noch einmal, um den Schaden zu widerstehen). Greift ein SC jemanden an, dann würfelt die oder der Spielende, ob der Gegner getroffen wurde (gemäß den regulären Probenregeln weiter oben). Konsequenzen können – je nach Ergebnis des Wurfs – entweder weich oder hart sein. Und wie genau diese aussehen, wird entweder von der Beschreibung der jeweiligen Spielzüge oder von der Spielleitung vorgegeben.

Kann die SL entscheiden, ob sie einen weichen (Jemand schießt aus dem Hinterhalt auf dich – vermeide eine Verletzung!) oder einen harten (Du wirst aus dem Nichts von einer Kugel getroffen – widerstehe dem Schaden!) Spielzug macht. Andere Spielzüge haben andere Konsequenzen – man verliert etwas, wird von seinen Gefährt*innen getrennt oder ähnliches.

Gegner haben ebenfalls keine numerischen Spielwerte, sondern kommen mit Spielzügen, die auf das vorliegende Szenario oder die Spielwelt abgestimmt sind. Alles, was die Spielleitung an die Hand bekommt, sei es in den Monsterbeschreibungen oder den Hilfestellungen im Spielleiterschirm, sind Anregungen und Inspirationen dahingehend, wie die jeweiligen Kreaturen sich im Spiel verhalten könnten:

Was tun sie, wenn sie im Kampf getroffen werden? Kult hat keine Trefferpunkte, sondern Wunden, die nacheinander abgekreuzt werden. In der Kreaturenbeschreibung ist nachzulesen, wie die Kreatur auf die einzelnen Verletzungen reagiert (lacht irre und leckt sich das Blut vom Arm, fleht um Gnade, versucht zu fliehen).

Welche Optionen hat die SL für die soziale Interaktion der Kreatur? Auch dies steht dort geschrieben (seine Spießgesellen rufen, jemanden aufs Übelste beleidigen, immer nur zu Boden schauen).

Was macht eine Kreatur aus? Besitzt sie besondere oder magische Spielzüge(kann einen Riss in der Illusion hervorrufen, kann Kreaturen aus Inferno beschwören, kann Raum und Zeit krümmen)?



Aus Erfahrung kann ich, der nun schon seit über 30 Jahren Fan und leidenschaftlicher Spieler/Spielleiter von Kult ist, sagen, dass es niemals eine bessere Edition von Kult gegeben hat als diese. Den alten Editionen haftet der Mief der frühen Neunziger an, das Regelsystem war ein veränderter Klon des W%-Systems , und die Bücher schrien einem praktisch „Blut und Gedärm!“ entgegen. Dies wurde jedoch den Möglichkeiten und dem dramaturgischen Potenzial der Kosmologie und der menschlichen Seite des Spiels keineswegs gerecht, denn die thrashige Aufmachung vermittelte das nicht.

Dabei ist es gerade die Kosmologie und deren Implikationen für die Welt, in der wir (scheinbar) leben, die mich so an Kult faszinieren. Denn (kleiner Spoiler!) auch in dieser Spielwelt voller Monster, Leid und Drama sind es noch immer die Menschen, vor denen sich sogar der Großteil der Monster fürchten. Man spielt keine guten Menschen, meistens sogar das Gegenteil. Aber weil die Spielwelt praktisch der unseren Welt entspricht, ist die Immersion größer, und es wird weniger Gehirnkapazität für die innere Logik der Spielwelt verbraucht, sodass man sich stärker auf das Charakterspiel fokussieren kann. Und wenn dann schließlich alles um einen herum einstürzt und man beginnt, die bekannte Welt in Frage zu stellen, kommt der Knall umso härter und reißt einen mit. So zumindest ist meine Erfahrung mit Kult, und auch die aller anderen, die ich damit beleiten durfte.



Fazit

Warum ist die neue Edition besser als alle anderen zuvor? Die vorherigen drei Editionen waren sehr kampflastig und sind einfach nicht gut gealtert. Dazu kommt, dass sie sehr simulationistisch waren, denn um des Erfolges Willen flanschte man seinerzeit einen Klon des W%-Systems drauf (ich schätze, die einzige andere wirtschaftliche Alternative wäre D20 gewesen), was dem dramaturgischen Potenzial ziemlich abträglich war. Die neue Edition jedoch hebt zum einen die Kosmologie und die Spielwelt in das 21. Jahrhundert, und – wie bereits oben ausführlich beschrieben – kommt mit einem Regelkern, der das krasse Gegenteil von den alten Regeln darstellt: ein narratives System, welches den Namen auch verdient und all das fördert, was eine SL benötigt, um sich mit minimalem Aufwand maximal um die Charaktere, die Spielwelt und die Story zu kümmern.

Am 14.07. um 16:00 Uhr begann das Crowdfunding für die deutsche Version von Kult: Divinity Lost, die zu Übersetzen ich die Freude hatte und war nach 36 Minuten bereits finanziert. Hierzulande wird das Spiel erscheinen unter dem eingedeutschten Namen Kult: Die Verlorene Göttlichkeit. Abgewickelt wird alles über die Plattform Game On Tabletop, und Ihr könnt HIER dem Crowdfunding beiwohnen.

Lurch und Lama, die wesentlich an der Veröffentlichung und der Abwicklung des Crowdfundings beteiligt sein werden, haben HIER ein sehr informatives Video über das Crowdfunding selbst veröffentlicht und gehen auch auf das Spiel selbst ein. Es gibt auch bereits ein sehr gutes Let’s Play auf Youtube von Lurch & Lama:

Links:

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