Rezension Shadowrun 2.01D [Team-Rezi]

Infernal Teddy

mag Caninchen
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Shadowrun 2.01D


Grundregelwerk 2. Edition [Team-Rezi] von Infernal Teddy


Die frühen Neuziger waren eine tolle Zeit für Rollenspieler. Vieles war einfacher: Es war einfacher Spieler zu finden, da es weniger Konkurrenz durch andere Medien gab. Es war auch aus einem anderen grund einfacher: Jeder spielte eines der drei prägenden Rollenspiele dieser Zeit: DSA, Vampire: the Masquerade und Shadowrun 2.01D (Es sei denn, man war Ausländer, ein Intellektueller, oder beides. Dann hat man AD&D 2nd, Mage: the Ascension und Rifts gespielt.) Von diesen drei Spielen war für mich Shadowrun das mit dem größten Reiz, weil es meine Liebe zur Fantasy mit meiner Fazination für Cyberpunk verband. Aber wie schneidet das Buch heute ab? Wie wirkt Shadowrun 2.01D fünfzehn Jahre nach dem deutschen Erscheinen? Um diese Fragen zu beantworten haben wir keine Kosten und mühen gescheut um ein Shadowrun 2.01D (SR2) zu klau... errrr... ja...

Rein äußerlich war SR2 ein dickes, stabiles Hardcover, Schwarz mit einem Schaltkreismuster, vor dem das von Larry Elmore gemalte Covdrbild liegt (Zu diesem Bild gibt es eine exzellente Kurzgeschichte in SR1, leider wurde sie in SR2 nicht wieder aufgegriffen). Auch das Logo – Widderschädel vor Pergamentrolle mit aufgedrucktem Schaltkreis – gehört zu dem, was ich immer wieder mit „Shadowrun“ verbinde. Die Bindung ist SEHR stabil – meines wurde bei zahllosen gefechten um das letzte Stück Pizza eingesetzt, und hat bis heute überlebt. Während das Layout heute nicht besonderes wirkt war es damals recht innovativ, und hatte zur Folge das auch eine reine textseite nicht erschlagend wirkte. FASA / FanPro galten bis zur zweiten Auflage von V:tM als die besten Layouter im Buissness, und das zeigte sich hier auch. Für das Artwork gilt ebenfalls: heute wäre es nichts besonderes, damals machte es SR2 zu einem der schönsten regelbücher die damals auf dem markt waren, mit Bildern wie Tim Bradstreets „Crazy Man“, für mich immer noch eines der Bilder, die den Look von SR ausmachen. Nur über die Farbtafeln würde ich an dieser Stelle gerne schweigen... Nach einer kurzen Einleitung, in der die Welt von SR kurz angerissen wird und mal wieder kurz erklärt wird, was Rollenspiele sind, kommt eine der besten „Game Fiction“-texte, die mir bisher untergekommen sind, „Plus Ca Change“. Auch heir: während heute Game Fiction abgenutzt, es mittlerweile fast schon eine Gegenbewegung gibt, war es damals eine recht innovative Methode Spielern die Welt schnell und locker näher zu bringen, und selten ist das so gut gelungen wie in den ersten zwei versionen von Shadowrun. Aber jetzt weiter im Text.

Das erste „richtige“ Kapitel, „Und es begab sich...“ beschreibt die Entwicklung von „heute“ bis ins Jahr 2053, wobei wir die Timeline von Shadowrun mitterweile eingeholt haben. Kurz zusammengefaßt läst sich sagen das die Magie zurückgekehrt ist, sich deswegen viele Leute in sogenannte „Metamenschen“ verwandelt haben, und das sich die sieben größten Konzerne zu Quasi-Nationen entwickelt haben – und außerdem an fast allem Schuld sind. Eine detailiert Übersicht über die „Erwachte“ oder „Sechste“ Welt (So genannt weil 2012 die Magie erwacht ist, dem Jahr in dem laut Maya-Kalender wir von der fünften in die sechste Welt wechseln werden) liegt weit außerhalb des Rahmens dieses berichts, falls es wirklich noch Leute da draußen gibt, die nicht wissen worum es in SR geht, so verweise ich auf unseren SR-bereich un die Wikipedia. Danach werden die Grundmechanismen des Spiels erklärt: Würfelpool bilden, Mindestwurf schaffen – oder auch nicht. Heutzutags sind Poolsysteme ein alter Hut, aber als 1989 SR erschein war es meines Wissens nach das erste solche System, und auch 1993 waren Würfelpools „State of teh Art“. Ebenfalls kurz erklärt werden das Schadensmodell, Magie und die Matrix, aber darauf kommen wir später nochmal zurück. Das nächste Kapitel beschreibt dann noch den „Fluff“ der fünf „Metamenschen-rassen“: Zwerge, Elfen, Menschen, Orks und Trolle. Ein weiterer Punkt in dem SR recht innovativ war – während es heute normal geworden ist, aktuelle und heikle Themen in einem Rollenspiel zu verarbeiten überraschte damals Shadowrun die Spielerschaft, in dem es Rassismus als problem aufgriff und thematisierte, ein mutiger Schritt.

Kommen wir zur Charaktererschaffung, und auch hier wird der einfluß deutlich, den dieses Spiel auf nachfolgende Spiele hatte. Shadowrun verwendet ein Prioritätensystem, bei denen fünf Kategorien – Rasse, Magie, Attribute, Fertigkeiten und Ressourcen – gewichtet werden müssennach ihrer Bedeutung für den Charakter, etwas, das White Wolf später für ihre World of Darkness adaptierte. Viele Leute fanden das System zu einschränkend, ich persönlich mag das Prioritätensystem, da Charaktere, die damit erschaffen werden dazu neigen, besser gerundet zu sein, und man selten gamebreaker-Charaktere vorgelegt bekommt. Nach der Charaktererschaffung folgen 14 „Archetypen“, vorgefertigte Charaktere (Auf den grausigen Farbtafeln...) welche die Sicht der meisten Spieler entscheidend geprägt haben. Anderseits – hat jemand jemals den Stammeskrieger gespielt? Ernsthaft jetzt? Die beschreibungen der einzeln fertigkeiten folgt im nächsten Kapitel, zusammen mit einer Liste der Standardschwierigkeiten. Hier gibt es ehrlich gesagt nichts herrausragendes oder neues, so das wir direkt zum nächsten Kapitel überspringen können, den Kampfregeln.

An dieser Stelle verrate ich euch mal was: Ich hasse Kämpfe in Shadowrun. Nicht, weil ich Kämpfe nicht mag, oder weil ich ein pazifistischer Laiendarsteller bin, sondern weil mir Kämpfe immer viel zu lange und kompliziert vorkommen, wenn mehr als zwei Leute pro Seite beteiligt sind. Ich hatte damals das Glück das ich zwei Cracks in meienr Gruppe hatte, die das Kampfsystem rauf und runter beten konnten. Aber genug von mir, ihr wollt ja was über das Buch hören. Jeder Kämpfer hat eine gewisse Anzahl von Handlungen die er pro Runde ausführen kann. Initiative ist – im Grunde – recht einfach: jeder Charakter würfelt 1w6 und addiert dazu seinen reaktionswert. So weit, so einfach, oder? Das Problem ist das mache Charaktere durch Cyberware oder Magie auf einen Initiativewert von über 40 kommen können. Die Initiativereihenfolge wird bestimmt, in dem man vom höchsten Initiativewert ausgeht, und dann runterzählt allerdings zieht jeder, der gehandelt hat, zehl von seinem Initiativewert ab, und handelt beim Ergebniss nochmal, bis der Countdown bei Null angekommen ist. Im Prinzip ist das auch kein schlechtes System – aber sobald nur einige in der gruppe solche Verstärkungen haben kann es passieren das der hochgezüchtete Killercharakter mit seinen Handlungen die Opposition ausschaltet, bevor der Rest der Gruppe handeln kann (Ich bin immer zu beginn eines Kampfes tee machen gegangen, Leute töten konnte ich eh' nicht...). Die weiteren Kampfregeln sind nicht weiter herrausragend, nur komplex – in meinen Augen unnötigerweise. Das Kampfsystem hat eine große Menge an Sonderregeln, Ausnahmen und Modifikatoren die das recht einfache Grundsystem unnötig aufbauschen. Manschen mag das Spaß machen, mir erscheint das zuviel. Das Kampfsystem geht außerdem auf den Einsatz von Magie im gefecht ein, und stellt auch ein Schadensmodell vor, das es vor Shadowrun meines Wissens nach nicht gab: Dem Schadensmonitor, mit zwei Skalen für geistigen und körperlichen Schaden.

Gefolgt wird das Kampfsystem vom nächsten großen Regelkomplex: der Magie. Shadowrun teilt Magie in zwei große Traditionen, der schamanistischen und der hermetischen Magie. Bei der schamanistischen Magie wählt der Spieler bei der Charaktererschaffung ein Totem aus. Jedes Totem gibt dem Charakter Vor- aber auch Nachteile, zusätzliche Würfel bei bestimmten Magiearten werden wettgemacht durch Verhaltenseinschränkungen. Schamanen benötigen eine sogannte Medizinhütte um ihre Magie zu verbessern. Hermetische Magie dagegen entspricht dem, was man sich unter einem Magier vorstellt, einem Gelehrten mit vielen Zauberbüchern. Ein solcher Magier benötigt eine teuere Magiebibliothek um seine Magie zu steigern. Danaben gibt es noch die sogenannten Adepten, Magier die nur bestimmte eingeschränkte Magiearten verwenden können, ebenso wie „Ki-Adepten“, die ihre Magie in körperliche Fähigkeiten kanalisieren. Regeltechnisch gibt es zwischen den Magiearten keinen unterschied, Zaubersprüche werden im Grnde genauso wie Fertigkeiten behandlet, und nach dem Wirken wird eine Probe gemacht, um zu sehen wie viel geistigen Schaden der Zaubernde erhält. Neben der Spruchmagie geht das Kapitel außerdem auf das Beschwören von Geistern und dem Astralraum ein.

Was gehört zu einem Cyberpunkrollenspiel? Richtig: regeln fürs Netrunning – und die gehören bei Shadowrun zu den regeln, die am häufigsten Außen vor gelassen werden. Warum? Ganz einfach: sobald etwas in der Matrix gemacht werden muß kommt die Handlung zum stehen, während der SL und der Hacker mal 'ne halbe Stunde lang austüfteln was passsiert, weswegen selten ein Spieler diese Aufgabe übernimmt, und sich selten jemand mit diesem Kapitel auseinandersetzt. Dabei sind die regeln nicht mal sonderlich kompliziert – aber die Sache mit der Systemarchitektur hat damals schon keinem bekannten Computernetzwerk geähnelt, und heute ist es noch weiter von der realität entfernt...

„Hinter den Kulissen“ geht es dann im nächsten Kapitel, das man am ehesten als „Spielleiterkapitel“ beschreiben kann. Hier werden solche Themen behandelt wie der Einsatz von Fertigkeiten unter widrigen Umständen; die Verfügbarkeit von Ausrüstung; wie Wahrnehmung, Gifte und Drogen funktionieren; Anmerkungen zu NSCs und Lebensstile; Anweisungen zur Erfahrungspunktvergabe; ein „Quick & Dirty“-System für Matrix-Runs; und die üblichen Tipps und Tricks zum leiten eines Rollenspiels (Natürlich auf Shadowrun zugeschnitten). Insgesamt kein schlechtes Kapitel, aber deutlich ein Kind seiner Zeit. Das darn anschließende Kapitel dagegen ist – vor allem bei Shadowrun-Neulingen – sehr gut dazu geeignet dem leser die Welt näher zu bringen, es handelt sich nämlich um „Connections“, NSCs mit denen die Charaktere im Laufe ihrer Karriere zu tun bekommen könnten. Abgerundet wird diese trilogie von Spielleiterkapiteln durch einen Katalog von Wesen, die durch das „Erwachen“ entstanden sind – oder im Falle von Drachen wieder aufgetaucht sind. Ja, Drachen gibt es auch. Was habt ihr denn erwartet? Leider wurden diese „Critter“ im Spiel selten verwendet, weswegen die Monster bei späteren Editionen ausgelagert wurden.

Nach so viel Material für die Spielleiter kommt wieder ein Kapitel für die Spieler da draußen: der Ausrüstungskatalog. Hier findet das Spielerherz alles was es begehrt, um aus dem Charakter eine halbkybernetische Mordmaschine zu machen. Was schreibt man über eine Ausrüstungsliste? Nahrkampfwaffen... Check. Knarren... Check. Und so weiter. Eine Ausrüstungsliste für ein Cyberpunkspiel halt. Ich muß zugeben, mich stört was daran, und es ist das Selbe, was mich vor 15 Jahren schon gestört hat: fast alles in dieser Liste ist Kampf- und Missionsorientiert. Während Cyberpunk 2020 ganz getreu dem Motto des Genres „Style over Substance“ bereits im Grundregelwerk Ausrüstung hatte, die auch Lifestyle-orientiert war (Erinnert sich noch jemand an die „Potentzverstärkende Cyberware“?), liest sich das Ausrüstungskapitel hier wie die Inventarliste eines Stützpunktes der Royal Army.

Und nachdem ich mich wieder abgeregt habe können wir uns auch über die letzten beiden Kapitel unterhalten. Shadowrun hat seid der ersten Edition ein „Signature Setting“, eine Statd, die als Beispiel dafür dient, wie diese Welt als Rollenspielsetting funktioniert. Seattle. Ich kann leider nicht rekonstruieren, wie FASA damals auf Seattle gekommen ist, vielleicht waren die Jungs Fans vom damals aufkommenden Grunge (Ich wars), aber über die Jahre wurde Seattle in Gamerkreisen zu einem Synonym für Shadowrun und für gut durchdachte Settings. Die später von FanPro entwickelte ADL wäre gerne so Cool wie es Seattle von Anfang an war. Abgerundet wird das Buch durch die Anmerkungen der Designer, Updates für ältere Quellenbücher, einem hervorragenden Index, und eine zweiseitige Karte als Einlage, auf der einen Seite eine farbige Karte Nordamerikas im Jahre 2053, auf der anderen Seite eine Karte von Seattle.

Fazit:
Es ist schwer, heute noch die Bedeutung von Shadowrun zu erkennen. Für die meisten Spieler, die heute aktiv sind hat es Shadowrun schon immer gegeben, ist Shadowrun nichtsbesonderes. Aber damals war es sowohl von der Grundidee als auch von der Umsetzung einzigartig. Vieles, was heute gängige Praxis ist, würde ohne Shadowrun vermutlich nicht exisiteren. Und ebenfalls sollte man nicht vergessen das Shadowrun eines der ersten „Storygames“ oder „Attitudegames“ war, deren prominenteste Vertreter – die World of Darkness reihe – wohl ohne Shadowrun so auch nie entstanden wären. Im Vergleich zu heutigen Rollenspielen mag Shadowrun 2.01D nichts besonderes mehr sein – Hölle und Verdammnis, rein regeltechnisch haben selbst die späteren Editionen diese Version überholt. Aber verdammt nochmal, SR2 ist und bleibt immer noch meine Lieblingsedition! Die dritte Edition hat zwar viele der Hausregeln übernommen, die meine Gruppe damals hatte, aber vom Setting her, vom Feeling her ist die Zweite MEIN Shadowrun. Hier ist noch immer diese Stimmung der revolution vorhanden, das Gefühl von Straßengangs und Punks, vom Kampf gegen das System. Spätere Editionen mögen Regeltechnisch besser sein, oder für moderne Augen besser aussehen, aber dieses Buch ist heute noch die Essenz des Ganzen. Ich hätte richtig Lust, meine alte Gruppe zusammenzutrommeln, einen Charakter zu bauen, und einen Run zu machen, und ein größeres Kompliment kann ich einem Spiel nicht machen – oder einer Gruppe (Ihr seid doch nicht immer noch wegen dem Terminator-Nachbauten sauer, oder Jungs?)...Den Artikel im Blog lesen
 
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