AW: Pirates of the Spanish Main
Da ich ja von dem 7te See-System erstmal genug habe, wie ist denn das Savage World-System? Ist es eher cinematisch oder doch eher gritty?
Es ist ein cinematisches, action-betontes Regelsystem, welches einen kompakten Regelkern aufweist, auf dem alles an settingspezifischen Zusatzregeln (wie bei Pirates(otSM) z.B. die Fechtschulen, die Segelschiffmanöver, der Kampf zu See, etc.) aufbauen.
Die Charaktere sind in zwei Arten aufzuteilen:
Extras, welche stets NSCs sind, die keine tragende Rolle in der Geschichte spielen sollen, und daher auch schnell ableben können, wenn es gewalttätig zugeht.
Und Wild Cards, welche die Hauptrollen in der Geschichte sind - die "Helden" und die "Schurken" - die wichtigen SCs und NSCs.
Das Spiel ist im Kampfsystem miniaturenorientiert (ähnlich wie D&D, Midgard und andere, aber - so meine Erfahrung - wesentlich schneller und flüssiger auch bei größeren Auseinandersetzungen (Entermanöver mit allen Besatzungsmitgliedern) spielbar).
Es werden durch für alle Charaktere zugängliche Kampfmanöver wie z.B. Tricks der Gewandtheit oder der Schläue, oder wie Willensduelle (Einschüchtern oder Verhöhnen des Gegners), sowie eine Fülle an Kampfoptionen, die z.T. erst durch spezifische Vorteile, die ein Charakter erlernen kann, noch erweitert werden können, dynamische Kampfaktionen mit den typischen cinematischen Effekten, wie dem Gegner den Hut ins Gesicht werfen und dieweil zustechen, oder den alten "Oh, was ist das da drüben denn?"-Trick zur Ablenkung, sowie der Einsatz all dessen, was die Szenerie so bietet, gefördert.
Man MUSS NICHT mit Figuren spielen, aber es hat so viele Vorteile - gerade bei solchen Settings, die eher Kampf- und Action-Szenen favorisieren, wie z.B. Pirates - daß ich nur EMPFEHLEN kann mit Figuren im Kampf zu agieren.
Das Detailniveau ist GROB. Die Charaktere werden NICHT so sehr durch die Fertigkeiten (Skills), sondern mehr durch die Vorteile (Edges) und Nachteile (Hindrances) individualisiert und weiterentwickelt. Die Fertigkeiten sind umfassend (so gibt es nur einen Fighting Skill für alles, was Nahkampf ist) und entsprechend grobgranular. Detailliertere Unterscheidungen kommen durch Vorteile (z.B. Florentine, welches beim Kampf mit zwei Fechtwaffen bestimmte Vorteile bietet).
Da in PotSM KEINE übernatürlichen Fähigkeiten vorgesehen sind, spare ich mir das Anreißen der "Arkanen Hintergründe" (Arcane Backgrounds) und der Mächte (Powers), die in andere Settings eine größere oder sogar eine wesentliche Rolle spielen. Pirates ist ja auf eher "bodenständige" Piraten-Action ausgelegt, ohne Davy Jones, ohne Voodoo, ohne Luftelementar-Beschwörer, usw.
Trotz der herausragenden Stellung, die Wild Card Charaktere im Spielregelsystem haben, sind sie selbst auf hohen und höchsten Erfahrungsniveaus noch von einem einfachen Extra mit ein wenig Glück zu töten. - Es gibt hier KEINE unverwundbaren SCs!
Wild Cards haben noch einen Vorteil gegenüber Extras: Sowohl SC als auch NSC Wild Cards verfügen über Bennies (so etwas ähnliches wie bei Deadlands die Fate Chips). - Diese gewinnen sie für coole Aktionen, für das Ausspielen von Nachteilen, und aus eine Vielzahl andere Gründe. - Sie werden ausgegeben um gescheiterte Handlungsversuche (bei denen das Würfelergebnis nicht hoch genug war) zu wiederholen (man kann sich bei einem Bennie-Einsatz aber nie verschlechtern). Oder für das Vermeiden von Wunden (Soak-Würfe), oder für eine Reihe weiterer Effekte wie z.B. einen Gegner völlig auf dem falschen Fuß (The Drop) zu erwischen (nur mit dem Edge "Dirty Fighter" zugänglich), oder das "Editieren" der Szenerie (z.B. "Ich kann die Leute, die sich unten am Strand breitmachen nicht genau erkennen auf die Entfernung. Wenn ich jetzt ein Fernroh hätte... " *Bennie ausgeb* "Oh, gut daß ich vor dem Aufbruch daran gedacht hatte, das Ersatzfernrohr des Captains mitzunehmen! Hoffentlich merkt er's nicht, bevor ich es zurückgeben kann. - Na, mal sehen, wer da jetzt unten ist...").
Die Bennies erlauben den Spielern selbst zu entscheiden, welche der Handlungen ihrer SCs nun besonders wichtig sind, so daß sie dort eine weitere Chance haben wollen. - Sie erlauben es bei Wild Card NSCs diese ein wenig länger gegen eine sehr glücklich würfelnde Spielergruppe haltbar zu machen. - Aber auch NSCs, seien sie noch so wichtig, sind NICHT "hit proof". Ich habe selbst mehr als einmal erlebt, wie ein wichtiger NSC von einem entschlossenen SC niedergemacht wurde. Kein Problem, solange man sich im Spielen damit arrangieren kann, daß der Plot das ist, was die SPIELER draus machen und nicht das, was der Spielleiter vorliest.
Im Kampfsystem haben Extras drei Zustände: "Gesund" (voll aktionsfähig), "Angeschlagen" (Shaken, kann nur eingeschränkt agieren), "Außer Gefecht" (Incapacitated, KO, schwer verwundet, tot - was genau, das wird bei einem Haufen Extras erst nach dem Kampf auf die Schnelle bestimmt. Tendenz: Extras sterben einem schnell unter den Fingern weg - was bei der notwendigen Mannschaftsstärke von Segelschiffen ein interessantes Problem darstellen kann; vor allem, wenn diese Mannschafts-Extras noch durch Skorbut geschwächt sind, oder anderweitig krank sind.).
Wild Cards haben auch die Zustände "Gesund" und "Angeschlagen", jedoch können sie bis zu drei Wunden (Wounded, mit jeweils Abzügen auf Handlungen je mehr Wunden sie kassiert haben) erhalten. Erst ab der vierten (oder weiteren Wunde) sind sie "Außer Gefecht" (Incapacitated). Dann wird bestimmt wie schlimm es ist (Battered&Bruised, Bleeding Out, Mortally Wounded), und wo (Lokation) es was (Auswirkungen auf Spielwerte) für wie lange (permanent oder nur temporär) erwischt hat. So ist es durchaus möglich einen Arm zu verlieren, oder ein Auge ausgestochen zu bekommen (mitsamt der zugehörigen Nachteile (Hindrances)), jedoch sind die Spielercharaktere eben ein wenig zäher als die stinkende Bilgen-Ratte von nebenan.
Da bei Savage Worlds bei fast allen Würfelwürfen die Würfel "explodieren" können, sind auch sehr hohe Erfolgsqualitäten möglich. Und sehr hoher Schaden. Und gegen solch einen hohen Schaden ist auch ein Legendärer Wild Card Charakter nie gefeit.
Was bei PotSM noch ins Gewicht fällt: es gibt NUR mundane Heilungsmittel. Somit behält man seine kritischen Schäden, Verstümmelungen, etc. einfach bis ins (nasse?) Grab. - Es gibt hier nicht die Heilungsmacht "Greater Healing" (eine Power für einen Arcane Background), mit der man solche Sachen behandeln kann (wobei die strikt nach Buch auch keine permanenten Schäden beseitigen kann - also keinen abgehackten Arm nachwachsen lassen kann; im Fantasy-Umfeld haben wir das anders "gehausregelt", in Deadlands:Reloaded hingegen verfahren wir nach Buch und man behält seine Verkrüppelungen, weil Deadlands einfach ein härteres Setting sein soll - eben "gritty").
Somit ist Savage Worlds - so meine Erfahrung - cinematisch UND gritty.