Der Vampir als Einzelperson
Vampire trinken Blut - Menschenblut in den meisten Fällen.
Das klingt für viele von uns wohl inzwischen wie ein gewohntes Monsterklischee. Mumien verfluchen, Werwölfe zerfleischen und Vampire trinken nunmal Blut.
Aber nehmt euch einmal die Zeit euch das wirklich deutlich vor Augen zu führen:
Die beißen Menschen in den Hals (Arm, etc.), durchtrennen gezielt die Adern (AU!) lassen das Blut in den Mund fließen und schlucken es nciht nur, nein, sie berauschen sich daran geradezu - und dem Menschen gefällt es.
Ein solches Verhalten kann man mit sehr viel Toleranz vielleicht noch als sehr ungewöhnliche BDSM-Spielart abtun, aber spätestens wenn einem klar wird, dass es dazu noch lebensnotwendig ist und wohl im größten Teil der Fälle zwischen Vampir und Opfer ein heftiges reales Machtgefälle besteht, ist das eine ziemlich kranke Sache...
Dazu kommen dann noch die Sachen wie Sonnenlicht, Panik vor Feuer, das Tier, die vielen Clanseigenheiten, die alle auf ihre Art eine gewisse Entfremdung vom menschlichen Zustand mit sich bringen... Ein Vampir ist kein Mensch - und wenn man ihn doch zwanghaft mit menschlichen Werten beschreiben will, dann ist er ein grotesker Freak.
DAS wäre meiner Meinung das Minimum dessen sich ein Vampir klar werden müsste, der sich tatsächlich langfristig einreden wollen würde, der Kuss hätte ihn nur unwesentlich verändert. Die meisten Kainiten werden aber wohl andere Wege gehen. Und hier gibt es einen Haufen Optionen. Einen großen Teil der Optionen bilden beispielsweise die Pfade ab. "Ich bin ein Geschöpf der Nacht, erschaffen um die Menschheit zu bedrohen und ihren Glauben zu prüfen." könnte dann ein solches Ergebnis sein. Aber auch "Ich hab übersinnliche Kräfte - ich nutze sie um Leuten zu helfen."
Der "Superhero with Fangs" ist für mich ausdrücklich ein mögliches und absolut nachvollziehbares Charakterkonzept... aber eben ein Superhero, dessen wahres Ich kein Teeny-Reporter oder Milliardärs-Playboy ist, sondern ein Vampir.
Ich bin kein Freund von künstlicher Darkness. Ich schau mir gerade zur Zeit die ersten Staffeln von Buffy an und muss ganz ehrlich sagen:
Es ergibt Sinn. Teenies die mit völlig überdrehtem Horrorzeug zu tun haben und eben nicht im Twilight-Stil alle 2 Minuten wegen immer dem selben Scheiß schockiert in die Kamera starren, sondern ihren dauerhaft dauergrotesken Alltag akzeptieren und auf dieser Basis ihr Teenie-Leben leben.
Anfangs war ich irritiert als die Toreador-Spielerin bei uns nach der ersten Erwähnung von Schattententakeln fragte, ob man die Dinger auch zum Klavierspielen benutzen könnte - aber ganz ehrlich: Von künslicher stylischer Darkness mal abgesehen, wäre das nicht genau das, was eben eine junge Toreador fragen würde, die das Unleben meist von der schönsten Seite präsentiert bekommt?
Meine Kainiten sind keine Menschen. Aber sie waren alle einmal Menschen. Und wer das noch nicht aus den Augen verloren hat, der ist kein durchgestylter Vorzeigevampir, sondern stets zu einem gewissen Teil ein einstiger Mensch, der sich auf die ein oder andere Art mit seinem Schicksal arrangiert hat.
Vampire in der Gesellschaft
Und als solche haben sie Interessen. Macht beispielsweise, aber auch einfach Dinge wie Sicherheit oder eine angenehme Zeit. Wenn ein Prinz Lust dazu hat einen Sackhüpfwettbewerb zu veranstalten, dann veranstaltet er einen Sackhüpfwettbewerb. Was ihn in der Praxis daran hindert ist nicht eben seine Evil-Vampireness, sondern die Tatsache, dass er ein bedeutendes Amt innehat und die anderen potenziellen Sackhüpfer teils zum alten Hochadel gehören, teils vor 500 Jahren den Grunstein der städtischen Kathedrale gelegt haben, teils auch einfach nur grummelige Miesepeter sind oder sonst einen Grund haben, weshalb es als nicht passend, respektvoll und angemessen gelten würde einen solchen Umgang zu pflegen.
Kann er den Sackhüpfwettbewerb heimlich mit seinen Ghulen veranstalten und ihnen anschließend das Gedächtnis löschen damit solch kindisches Verhalten nicht in der Stadt bekannt wird? Ja klar, wenn er Lust dazu hat.
Es gibt keine angeborenen Verhaltensregeln für Vampire.
Als kleiner Exkurs: Es gibt sowas mMn auch nicht für Menschen. Ich kann jedem nur mal empfehlen einen Blick in den Original-Knigge zu werfen. ORIGINAL, das heißt das Buch "Über den Umgang mit Menschen" von 1788. Dieses Buch beschreibt Hilfestellungen für den Umgang mit Menschen verschiedener Schichten, die Behandlung verschiedener Themen usw. stets mit der Absicht das Miteinander angenehm zu machen.
Und 90% von dem was man heute als gute Manieren oder Etikette beschreibt geht grundsätzlich auch auf einen solchen Gedankengang zurück. Warum das Messer rechts vom Teller liegt? Na weil sichs mit links nunmal blöd schneiden lässt.
Warum man ner Frau den Stuhl zurechtrückt? Weil die früher oft ziemlich umständliche Kleider anhatten.
Warum der Torrie-Ahn beim Betrachten eines schönen Bildes im Elysium dem Küken nicht von der guten alten Zeit vorschwärmen darf?
Äh... ja, warum? Ich weiß es nicht, aber eine solche Situation hatte schonmal in einem anderen Thread einiges virtuelles Augenrollen bewirkt - vielleicht versteh ich es nach euren Ausführungen.
Vampire schätzen ein miteinander mit höflichen und freundlichen Kainiten... wobei höflich und freundlich natürlich HÖCHST subjektiv sind und für einen Gangrel eben auch eher "wir sind knallhart direkt und ehrlich" bedeuten kann.
Ich habe niemanden in meinem ganzen Leben kennen gelernt, der es vorzieht seine Zeit mit Leuten zu verbringen, die ihn direkt und absichtlich schlecht behandeln. Ein gewisses foppendes Gepöbel, spaßige Rangeleien, verbale Schwanzvergleiche etc. sind eine Sache, aber echte Feindseligkeiten und Respektlosigkeiten sind nichts was man sich gerne freiwillig antut.
Aus diesem Grund sind auch und vor allem die angehörigen der vampirischen Oberschicht der Stadt (typischerweise Ventrue und Torries, vielleicht noch Tremere und individuell Mitglieder anderer Clans) höfliche und freundliche Personen. Weils den Umgang angenehmer macht. Weils keinen Grund gibt den politischen Gegner permanent anzupöbeln. Weil man sich als Prinz ganz sicher keinen Respekt verschafft indem man spricht oder sich verhält wie der Proleten-Türsteher in der Dorfdisco, der sich an kleinen Machtdemonstrationen aufgeilt.
Man kommt dem anderen entgegen wo es einen selbst nichts kostet und erwartet ohne dies extra zu erwähnen NATÜRLICH das selbe auch zurück. Man tauscht freundlich lächelnd kleine Gefallen aus, in dem Wissen, dass jeder auch unausgesprochen weiß, was er einem schuldet... und wer dabei nicht mitspielt, wird aus diesem Zirkel eben früher oder später ebenso wortlos ausgeschlossen.
Vereinzelter Austausch von Zickigkeiten ist natürlich dennoch möglich - angesehener machts einen aber nicht unbedingt.
Und auch sonst weiß man es zu nutzen, dass es sehr nützlich sein kann, wenn man den anderen ein angenehmer Zeitgenosse ist. Und so lässt ein geschickter uralter Diplomat eben auch mal hin und wieder (wirklich oder eben auch mal nur gespielt) seine distanzierte Ältestenmaske fallen und zeigt sich dem Küken auf einer "Ich war mal wie du"-Ebene um eine persönliche Verbindung zu konstruieren.
Liebe und Freundschaft
"Die Gefühle sind nicht echt", "Die Gefühle sind nur ein Schatten von früheren Gefühlen" und ähnliches Zeug steht in den Büchern zum Innenleben von Vampiren. Dennoch wird auch klar erwähnt, dass sie manche Sachen lieber machen als andere, dass sie angreifbar über Präsenz sind und was weiß ich nicht alles, was dann verdammt nach emotional-fähigen Wesen klingt.
Für mich heißt das:
Vampire haben keine Hormonausschüttung. Sie schütten nichts aus, was ihre Freude zu einem Endorphin-Rausch macht. Was sie aber haben ist.
1. Freude - nur halt Endorphinlos.
2. Die Erinnerung daran wie sich Endorphine anfühlen und eine Art Schatten eines Endorphin-Rausches.
Kurz:
Sie sind emotional etwas abgekühlt im Vergleich zu früher und jemand, der sein ganzes menschliches Leben über nie wirkliche Freude erfahren durfte, wird nicht plötzlich als Vampir Freudensprünge machen.
Und jetzt sind wir auf einer Ebene angelangt, auf der wir uns gegenseitig in die Depression hineindiskutieren können:
Was ist Freude? Ein körperlicher Ausschuss von Chemikalien? Ein Geisteszustand? Etwas göttliches? Das was Schiller in seiner Ode an die Freude beschrieben hat? Ein kühles Bier an einem Sommerabend?

Wenn wir uns darauf einigen können, dass auch noch Geister ohne Gehirn Erinnerungen haben können - darüber hinaus sogar noch Schmerzen oder Gefühle; die Seele eines Verstorbenen also - dann kann der Kainit das bei mir auch.
Insofern ist das ganze Gefühllosigkeitszeugs für mich stimmungsvoller Emo-Fluff, den ich den Spielern frustrierend unter die Nase reibe, wenn die WK gerade Richtung 0 geht, eine Entartung passiert ist oder sonstwie Zeit für ein wenig melancholisches Gegrübel ist - und ansonsten mach ich den Spielern einfach klar, dass alles was einzig auf Hormonausschüttung abzielt für nen Vampir nicht kickt.
Freundschaft und Liebe gehört nach meinem Verständnis nicht dazu - hibbelige Teeny-Schwärmerei mit Schmetterlingen im Bauch, aber dann schon wieder eher.
Ich sehe keine Grund, warum Freundschaft und Liebe bei Vampiren nicht genauso existieren sollten - natürlich aber stets unter dem Hintergrund, dass man in ner verdammt gefährlichen Welt lebt und man besser misstrauisch sein sollte.
Sollte.
Rein rational SOLLTE wohl auch jedes Paar nen Ehevertrag schließen, aber Vertrauen abseits rein rationaler Überlegungen war schon immer ein Teil von Liebesbeziehungen. Warum sollten Vampire da auf einmal anders sein?