AW: D20 - Threat or Menace?
Prisma schrieb:
Ich finde es schade das man bei vielen interessanten Settings, auf die d20 Mechanik zurückgreift, anstatt selbst ein "besseres" (ist ja nur Geschmackssache, darum die ") System zu liefern.
z.B. Lone Wolf.
Vergleiche das mal mit Betriebssystemen...
D20 ist wie Windows. Es gibt eine ganze Menge offizieller Produkte des Herstellers und Lizenzinhabers. UND es gibt eine ganze Menge offiziell lizensierter Produkte von vielen Lizenznehmern, die eben nicht das Risiko einer kompletten Eigenentwicklung von Mechanismen finanzieren wollten, die auch keine im Wesentlichen anderen Aufgaben bewältigen, als es der Marktführer tut.
Dann gibt es natürlich die Spezialisten. Für bestimmte Sondergebiete (bei Betriebssystemen z.B. Echtzeit etc.) LOHNT sich die Eigenentwicklung wieder, da ohne ein eigenentwickeltes System die gestellte Aufgabe (bei Rollenspielen z.B. ein bestimmtes Genre/Setting im Rollenspiel abzubilden) garnicht ginge.
Ein Hersteller, der eine Ausprägung von D20 verwendet, muß sich weitaus weniger Gedanken über die potentielle Marktakzeptanz machen, als jemand, der ein nagelneues Regelsystem entwickelt hat. Die Marktmacht auf dem US-Markt ist nicht zu unterschätzen, auch wenn D20 in Deutschland aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Verwöhntheit deutscher Rollenspielkonsumenten mit Übersetzungen nicht so eingeschlagen hat wie in den USA. Die meisten D20-Lizenzprodukte werden in Deutschland NICHT übersetzt zu erhalten sein, was deren Absatz hier naturgemäß einschränkt.
Hinzu kommt hierzulande die Monopol-Stellung von DSA auf dem Fantasy-Sektor. Für viele deutsche Rollenspieler ist DSA = Rollenspiel (ebenso wie für viele Amerikaner D&D = Rollenspiel ist).
Nur, DSA hat eben KEINE offene Lizenzpolitik, nach der beliebig viele DSA-Lizenznehmer Produkte auf Basis eines deutschen Kernregelwerks produzieren könnten.
Und das ist das Besondere an der Lizenzpolitik zu den D20s (Plural, da es hier unterschiedliche Lizenzen gibt und D&D, D20, D20 Modern, SRD etc. nicht identisch sind): es wird den Lizenznehmer erleichtert sich auf den Spielwelthintergrund, das Genre, das Setting, die Inhalte und nicht auf die Mechanik zu konzentrieren. Das erspart zum einen Entwicklungskosten, da hier allein im Grundregelwerk eines neuen Spiels geschätzt ein Drittel bis die Hälfte der Gesamterstellungskosten wegfallen. Natürlich werden Anpassungen vorgenommen, doch eben auf Basis eines bestehenden Rollenspiel-Frameworks, welches weit verbreitet und bewährt ist. Das ist für einen Hersteller schon eine attraktivere Sache, als immer ein neues System mitliefern zu müssen (und das Rad bei Regelwerken neu zu erfinden rechnet sich einfach nicht).
So kommt z.B. Thieves World gerade als D20-Adaption heraus. Ich sage: Super! Endlich kommt mal was zum Thieves World Hintergrund in aktueller, attraktiver Form heraus. Ach ja, und die Spielwerteangaben sind für jemanden, der D&D oder D20 kennt, auch noch verständlich (so daß ich z.B. diese auf Savage Worlds anpassen kann

). - Das ist doch toll! So kommt wenigestens überhaupt etwas zu diesem seit fast 20 Jahren nicht mehr publizierten Rollenspiel-Setting heraus (damals war das übrigens eine Ausgabe mit den Spielwerteangaben für 8 oder gar 10 Regelwerke, von denen die meisten heute keiner mehr kennen dürfte).
Solche "multi-statted" Ausgaben sind enorme Platzverschwendung. Wenn heutzutage ein Setting mit Daten für GURPS, HERO, FUDGE, D20, nWoD, ... herauskäme, dann wären bei 300 Seiten Buch ca. 80% für die parallel aufzuführenden Spielwerte verschwendet, da ja ein D20-Spieler nur die D20-Werte braucht und den Rest ignorieren kann. So ginge das allen anderen auch. (Bei Deadlands hatte es entsprechend schlechte Kunden-Feedbacks gegeben, als man dazu überging die späteren Bände auf Deadlands Classic UND Deadlands D20 "dual statted" auszuliefern, da u.a. ein D20 Werte-Block auch noch umfangreicher als der entsprechende Deadlands Classic Werte-Block ist. Dieses Experiment des Verlags ist als gescheitert von den Autoren angesehen worden.)
Mit D20 existiert ein Standard.
Standards sind IMMER faule Kompromisse, mit denen KEINER richtig gut leben kann. Aber man KANN damit leben! Und sie haben eben auch die Vorteile der übergreifenden Verständlichkeit.
Ich bin froh, daß Babylon 5, Jeremiah, Thieves World, etc. mit D20-Werten für mich verständliche Angaben enthalten, die ich dann leichtest in mein aktuelles Hauptsystem Savage Worlds umsetzen kann. Hätte jedes einzelne Setting seine settingspezifischen und von einander völlig unterschiedlichen Regeln, dann wäre dieses Unterfangen deutlich arbeitsaufwendiger. (Das Serenity Rollenspiel hat zwar KEINE D20-Werte, sondern mit Sovereign Stone ein eigenes, andersartiges System, doch ist dieses so nah verwandt zum Savage Worlds System, daß eine Conversion für meine Savage Firefly Kampagne wirklich leichtest ist. Das hätte aber bei geringerer Verwandtschaft der Regelsysteme auch anders aussehen können.
Was ist dann aber das Problem mit den "Standards", die es schon vor D20 gab?
FUDGE, GURPS etc. waren schon deutlich vor D20 bekannt, doch nie weitverbreitet. D20 wäre auch nie so weit verbreitet worden, wenn es nicht DAS D&D-Spiel(betriebs)system gewesen wäre. D&D = Rollenspiel. Wenn D&D = D20, dann ist D20 = Rollenspiel. - Sehr vereinfacht, aber den Kern der Sache treffend. - In den USA hatte das D20-System einfach die Läden im Sturm erobert und ist nun - gerade für die kleinen Läden mit nicht so umfassenden Sortimenten - geradezu erdrückend in seiner "Regalplatz-Macht". Die großen Ketten wie Walmart verkaufen ja auch die D20/D&D-Produkte, und zwar oftmals viel günstiger als es die FLGS könnten.
D20 ist eine Bedrohung. Ja. Für manche (unkreative) FLGS-Betreiber. Für manche unausgegorenen Eigenentwicklungen im Rollenspielmarkt.
D20 ist aber auch eine Chance. Ein Standard. Eine "lingua franca" der Spielwerte quer durch die meisten Genres und Sprachgebiete. Viele Publikationen wären nie erschienen, hätte D20 nicht den Erfolg gehabt. Viele Verlage (wie Mongoose z.B.) gäbe es ohne die D20-Lizenzpolitik nicht oder sie wären bestenfalls zu den Indies zu rechnen.
D20 polarisiert aber auch ein wenig. Zum Schlechten ("Alles Scheiße!") und zum Guten ("Entwickeln wir doch mal ein D20, in dem alles RICHTIG funktioniert."). - Letztere Einstellung gibt der ganzen Indie-Szene als Ausweichrichtung für Suchende nach wirklich innovativen Rollenspielen mehr Auftrieb (und natürlich hält es auch viele Eigenverlage in der Indie-Szene, da sie NIE groß genug werden können, daß sie eine Chance gegen die D20-Marktsegment-Inhaber hätten. - Alles ziemlich ökonomisch verheddert, aber nicht wirklich schlimm.)
Aber es gibt ja neben der Wahrnehmung D&D = Rollenspiel noch einen guten Grund, warum GURPS oder FUDGE nie eine Chance auf einen solchen Siegeszug wie D20 hatten. - Es gab KEINE offene Lizenzpolitik für GURPS (wie bei Suns Solaris). Und bei FUDGE hat man das (frühe) Linux-Problem, daß man erst den Kernel compilieren können muß - mit allem, was man dazu wissen muß - um ein Rollenspiel zu erhalten.
Beide waren also in der Frühzeit von D&D 3.0 und der OGL keine echten Konkurrenten für einen Industriestandard.
Somit finde ich - unter dem Strich - die Existenz von D20 gut für die inhaltliche Vielfalt im Rollenspielmarkt. Schlecht ist es wegen gewisser Systemspezifika, die sich eben (System DOES matter!) nicht wirklich für alle Genres und alle Spielstile eignen, und weil es den FLGS das Leben bzw. die Vielfalt vorrätig zu halten, schwer macht (im Online-Shop ist das ja eh kein Problem).
Aber kein Grund zur Sorge oder Panik. Es gibt bisweilen SEHR gute D20-Adaptionen, ein paar SEHR schlecht und eine ganze Menge mittelmäßig umgesetzter D20-Adaptionen. Ich glaube, daß hier aber eine solche Fülle an Material da ist, aus dem spielerisch zu schöpfen möglich ist (egal wie gut die D20-Umsetzung nun wirklich ist - man MUSS ja nicht D20 SPIELEN, wenn man D20 kauft.

).