Meiner Erfahrung nach kommt man bei Charakterhintergründen mit einem "Nur soviel, wie nötig"-Ansatz am besten klar. Die Frage ist nur: Wieviel Hintergrund ist nötig?
Die Antwort darauf liegt in der Art des Spiel, für das man einen Charakter bastelt, bzw. in dem sich ein Charakter weiterentwickelt.
Man muß unterscheiden, ob man einen Charakterhintergrund initial bei der Charaktererschaffung als Vorgeschichte aufschreibt, oder ob man die prägenden Erlebnisse des Charakters IM SPIEL fortschreibt.
Wenn ich einen Charakter für ein hintergrundschwaches Fantasy-Setting bastele (wenn mich mal wieder die Lust nach dem guten alten Dungeon Crawl überkommt), dann will ich garnicht wissen, was seine Lieblingsfarbe ist, wieviele Kühe seine Tante Luise im Nachbardorf hatte oder ähnlich detailierte Informationen, die NIE im eigentlichen Spiel relevant werden. Hier reicht tatsächlich der Zweizeiler: "Hastragor ist ein Sonnenpriester aus Tarth, dessen Wanderlust ihn auf dem ganzen Kontinent herumtreibt. Wo immer er Ungerechtigkeit und Übles entdeckt, greift er zum Schutze der Schwachen und Hilflosen mit seiner besänftigenden Stimme, seinen göttlichen Wundergaben und seinem strafenden Streitkolben ein." Alles gesagt, los gehts zum nächsten Dungeon of Doom.
Wenn das verwendete Spielsystem noch z.B. durch Vorteil/Nachteil-Regelungen bestimmte Verpflichtungen, Eide, soziale Abhängigkeiten einfordert, dann sollten diese natürlich auch en detail mit aufgenommen werden. Z.B. "Hastragor ist ein Priester des dritten Zirkels des Sonnentempels aus Pelargria. Sein Mentor Telemor, ein ehemaliger Wanderprediger, hatte die Wanderlust in ihm erkannt und ihn in den Kreis der Wanderprediger ohne feste Tempeldienstverpflichtung aufnehmen lassen. Hastragor mußte dazu die priesterliche Verpflichtung eingehen, stets auf Wanderschaft zu sein und dabei nie einen Hilfesuchenden zurückweisen zu dürfen. Seine Mutter in Pelargria sieht er deshalb nur sehr selten einmal, doch wann immer es familäre Verpflichtungen gibt, bemüht er sich so schnell als möglich diesen nachzukommen." Das ist eine minimale Erweiterung des Zweizeilers, die durch ein Aufschreiben der Effekte von Vorteil/Nachteil-Punkten herrührt wie hier z.B. nach Savage Worlds System: * Arkaner Hintergrund: Priester (Sonnenkult), * Rang (dritter Kreis), * Verpflichtung (ständig auf Wanderschaft), * Verpflichtung (niemals Hilfesuchenden zurückweisen), * Abhängigkeit (Mutter in Pelargria).
Das erlaubt über das reine Monster-Bashing hinaus schon mehr an einer - wie dünn auch immer ausgearbeiteten - Kultur aufgehängte Motivationen ins Spiel einfließen zu lassen. Es gibt Settings, wo man ohne jegliche Hintergrundtiefe einfach sofort loslegen kann und alle haben ihren Spaß beim Orksplätten. Dann gibt es welche, die zumindest eine rudimentär entwickelte Spielwelt - und die Kenntnis derselben durch die Spieler! - voraussetzen, wobei hier dann andere, insbesondere auch mehr sozial interagierende Aktivitäten im Spiel relevant werden.
Ein kulturintensiver Hintergrund ist m.E. jedoch mit den Kurzfassungen für den Charakterhintergrund, wie oben aufgeführt, nicht ausreichend erschlossen. Da wäre der Charakter zu wenig eingebettet in die Hintergrundwelt. Für Settings wie Glorantha kommt man ohne als Spieler sich in zumindest seine "Heimatkultur" eingelesen zu haben, nicht klar. Da gibt es viele Punkte, an denen ein Charakter in seiner Kultur verankert sein muß, viele mehr soziale Beziehungen (zum Stamm, zum Clan, zum Häuptling, zur Familie, zum Kult, zu bestimmten Runen, etc.) , die einen erheblichen Einfluß im Spielverlauf haben. Daher kommt man hier ohne eine knappe, aber doch mehr als einen Absatz umfassende Erzählung meiner Erfahrung nach nicht aus (außer man kennt die Kultur RICHTIG gut und kann mit der Kurznotation auf dem Charakterbogen allein etwas anfangen).
Dann gibt es Settings, die ein bestimmtes Hintergrundelement mit mehr Details einfordern, als andere. Deadlands z.B. verlangt vom Charakter die Beschreibung seines schlimmsten Alptraums, da dies wichtig wird, wenn der Charakter mal das Zeitliche segnet. Die restliche Hintergrundtiefe bei Deadlands wird durch Vorteil/Nachteil-Beschreibungen relativ knapp abgehandelt. Auch hier gilt wieder "nur soviel, wie nötig".
Manche Settings gehen davon aus, daß man sich die Hintergrundinformation erspielt (z.B. Engel, so man einen Engel-Charakter und nicht einen Menschen spielt - bei Menschen läge hier nämlich ähnlich wie bei Glorantha ein kulturintensives Setting vor). Das ist z.B. mit einer Art Präludium von Spieler und Spielleiter möglich, oder es werden alle Spieler als sehr unerfahrene Charaktere in die große weite Welt geworfen und müssen sich alle Informationen darüber selbst besorgen. Das hat durchaus etwas, sich alles erspielen zu müssen.
Da haben wir dann auch gleich den Übergang zum Fortschreiben eines Charakters. Da kann man beliebig lange Romane schreiben (die sonst wohl keinen anderen interessieren werden), oder man kann sich auf die wesentlichen Informationen (Welche Freunde/Feinde hat man sich gemacht? Was hat man getan? Woher hat man welchen seelischen Knacks erhalten? usw.) beschränken. Das ist dann auch für den Spielleiter noch mit vertretbarem Aufwand lesbar und beinhaltet außerdem oftmals die Motivation für Folgeabenteuer des Charakters gleich mit.
Ich mag keine überdefinierten Charaktere - vor allem nicht, wenn sie nicht schon ein paar Spielsitzungen lang gespielt wurden. Wenn man meint VOR der ersten Spielsitzung einen superdetailreichen Hintergrund ausarbeiten zu müssen, dann kann es gut sein, der Charakter wird im Spiel diesem Hintergrund nicht gerecht und es tun sich Abgründe auf zwischen dem genauestens Beschriebenen Anspruch an den Charakter und dem, wozu der Charakter im Spiel in der Lage war. Bei mir festigt sich ein Charakter erst mit dem Spiel. Vor dem Spiel hat ein neuerschaffener Charakter nur ein gewisses Potential für eine bestimmte Richtung. Ich will einen Charakter so und so anlegen. Aber ob ich auch im Kontext der anderen Charaktere und der Art, wie ein bestimmtes Setting vom Spielleiter interpretiert wird, dazu in der Lage bin, das zeigt sich erst beim konkreten Spielen.
Ich mag es, wenn die immer schwierige Frage der Charaktermotivation in einem bestimmten Szenario aktiv zu werden, sich ganz natürlich aus dem Hintergrund des Charakters ergibt. Man kann aber als SL dabei auch ziemlich Probleme bekommen, wenn der Hintergrund bestimmte Szenarien schlichtweg ausschließen würde, da irgendwelche Blutfehden, Feindschaften etc. eine Kooperation gerade mit der Seite, der im Szenario durch den Charakter geholfen werden sollte, ausgeschlossen ist. Ja, natürlich kann man da auch noch in die Motivationstrickkiste greifen ("Der Feind meines Feindes" oder "Gemeinsam mit einem Feind gegen ein viel schlimmeres Übel antreten" etc.), aber oftmals (vor allem bei Kaufszenarien) will ich als SL das einfach nicht müssen (zuviel Arbeit - dafür kaufe ich ja ein Szenario, daß mir etwas Arbeit abgenommen wird).
Also kann man es meiner Meinung nach auch übertreiben mit der Ausarbeitung eines Hintergrundes.
Ich mag es, wenn sich die Spieler zumindest in ihrer Heimatkultur auskennen (was auch immer das im jeweiligen Setting ist - 20er Jahre Neu-England für Cthulhu, Waeland für Midgard, Esrolia für Glorantha, die Centauri Republik für Babylon 5, etc.). Dann wird es leichter Motivationen INNERHALB der Kultur glaubwürdig in Szenarien einzusetzen - und nur dafür gibt es doch die ganzen Kulturbeschreibungen, oder? Ich meine, wenn man die Kulturbeschreibung nicht mit einem Charakter verbinden kann, was nützt sie mir dann für das Spiel selbst? Dann könnte ich sie auch weglassen.
Für mich ist eben der "nur soviel, wie nötig"-Ansatz bisher der beste gewesen. YMMV.