AW: 6.5.06 - Es weht der Wind ein Blatt vom Baum
Vielleicht ist Meyye ja so kaltherzig, wer weiß... vielleicht ist das alles, was ihr vom schlagenden Herzen ihrer Lebenszeit geblieben ist. Vielleicht ist auch ihre Liebe nur eine Art Erinnerung. Vielleicht ist der Kampf mit solcherlei Selbstzweifeln noch schlimmer und mindestens genauso wichtig wie der gegen das Tier.
Sie geht mit Julian mit, an den Ort von dem es hieß, sie darf ihn nie betreten. Anscheinend hat sich einiges verändert... oder der massenhafte Einfall der Fomorer hat diesen Ort schon entweiht, so dass es egal ist, wenn eine lebende Tote hierherkommt, bevor er wieder gereinigt wird. Meyye sieht sich unwillkürlich um, aber es liegen keine Tiere oder veränderten Tiere mehr herum... die Garou haben bereits aufgeräumt. Unwillkürlich bleibt sie im Torbogen stehen, als sich dieses Gefühl ihrer bemächtigt, nicht hier sein zu wollen... aber sie will Tatjana sehen... aber sie kann hier nicht durch... aber...
Als Julian ihre Hand nimmt schaut sie ihn hilfesuchend an. Sie fühlt sich, als wäre vor ihr ein Lagerfeuer, das sie durchschreiten müßte, aber da ist keins. Sie nickt zu seiner Erklärung, jetzt weiß sie wenigstens, womit sie es zu tun hat und schließt die Augen, um einen schnellen Schritt durch den Bogen zu machen. Sie ist drin. Aufatmen... zumindest innerlich.
Während sie weitergehen, sieht sie sich um in der Ruine, die immer weniger wie eine wirkt, je weiter sie kommen. Seltsamerweise beruhigt es sie, eine Treppe hinunterzugehen, in einen Kellerraum. Bei den unbekannten Garou hält sie sich wortlos im Hintergrund, erstens ist sie hier sicher nur geduldet und zweitens steht ihr nicht der Sinn nach neuen Bekanntschaften.
Ohja, es erinnert sie an Dublin. Nur dass ihre Zelle kleiner war als das hier. Burgkeller sind wohl auf gewisse Weise überall gleich. Sie bleibt erst in der Tür stehen, als müsse sie sich wie beim Torbogen überwinden... der Blutgeruch ist stark hier, und es muß schon zusammenspielen dass sie gerade wieder vollkommen satt ist und sie gleich Tatjanas Leiche sehen wird, dass sie sich beherrscht. Ihr ist gleich klar, unter welchem Tuch sie liegt und sie folgt Julian, ohne auf ihre Schritte zu achten.
Wortlos betrachtet sie Tatjanas Gesicht, sieht die Wunde und blickt kurz auf das Tuch. Was mag sie durchgemacht haben, in ihren letzten Momenten? Sie hebt die Hand, berührt damit die Wange dieses riesenhaften Wolfs. "Tatjana..?" flüstert sie, als hätte sie sogar jetzt noch die Hoffnung, dass sie eine Antwort erhält. Das Flackern des Fackellichts wäre geeignet, eine Illusion von Bewegung zu schaffen, aber Meyye weiß dass es genau das ist: eine Illusion. Tatjana lebt nicht mehr, sie ist schon weit weg. Meyye sieht es mit eigenen Augen. Sie beugt sich vor, als ob ein neues Gewicht sie niederdrückt, sieht die geschlossenen Augen der Metis und haucht ihr einen Kuß auf die Lefzen, zart wie die Berührung eines Mottenflügels. "Das hätt ich schon längst tun sollen... aber ich war blind.. und dumm. Du warst.. du.. bist... die beste Freundin, die ich jemals hatte." flüstert sie, und ihre Stimme zittert immer mehr dabei. Sie wendet sich Julian zu, ihre Augen schimmern blutigrot. Sie umarmt ihn und schmiegt sich an ihn.. er kann sie schluchzen hören. Er wird ein neues Hemd brauchen...