AW: [23.04. 2008] Im Hovel
Es gab Nächte die nicht an Banalität und Eintönigkeit zu überbieten waren. Qäulend langsam tropfte Augenblick für Augenblick von der Zukunft in die Vergangenheit und es waren eben solche Nächte, die den Fluch so schrecklich machten das man das Gefühl hatte nicht mehr Nacht für Nacht einzeln zu erleben, sondern das die Zeit sich einen grausamen Scherz erlaubte und für die Vampire eine einzige, endlose Nacht kreiert hatte in der sich alles immer und immer wiederholte. Alles schmeckte gleich, alles roch gleich, jede Farbe war gleich. Alles war gleich bedeutungslos.
Dann aber wieder gab es Nächte wie diese. Aufwühlend und mit Wucht trieben die Ereignisse Lurker durch die Stadt und stürzten ihn in ein Wechselbad der Gefühle.
Das war insgeheim auch der Grund aus dem der Nosferatu immer noch hinter dem Rosen Kavalier her war. Solange die Jagd andauerte, fühlte er etwas. Es war nicht nötig die öde Leere in ihm künstlich mit irgendwelchen Routinen zu füllen. Seine Nerven brannten fiebrig und er war aufgeregt. Neckisch spielte er mit seinen langen Spinnenbeinartigen Fingern, tippte sich mit seinen schwarzen Nägeln vor seine Vorderzähne und leckte sich ab und an über seine schorfigen Lippen. In seinen Mundwinkeln sammelte sich zähe kleine Klümpchen schwarzen blutigen Speichels.
Voller wolliger Vorfreude hockte er auf einer rußigen, mit Graffiti beschmierten Mauer irgendeiner kleinen, dreckigen Fabrik. Unter sich fuhr er mit den Fingerspitzen immer wieder die einzementierten Scherben auf dem Mauerrand nach, während er den Eingang und die Umgebung des 'Hovell' beobachtete.
Hier konnte man hervorragend jagen. Oft wankten völlig zugedröhnte Junkies aus dem Laden heraus und schafften es gerade mal in irgendeine dunkle Gasse, wo sie besinnungslos zusammenbrachen. Man konnte sie packen und überall hinschleifen um sie auszusaugen, niemand würde sie suchen. Man konnte sogar ab und an eine Leiche einfach im Dreck liegen lassen, man war es gewohnt Leichen aus dieser Gegend zu bergen. Normalerweise kreuzte man einfach nur ein 'Überdosis' auf ihrem Totenschein an, oder schrieb einen Zweizeiler darüber das sie an ihrem Erbrochenem erstickt waren.
Dies war das Reich der Nosferatu. Die Luft schmeckte nach Verzweiflung. Alle die sie hier her kamen waren gestrandet oder gestrauchelt. Flüchtlinge die aufgehört hatten sich an die sinnlose Hoffnung zu klammern das ihr Leben irgendetwas bedeutete. Sie hatten aufgehört im endlosen, schrecklichem Ozean der diese Welt war Wasser zutreten und ergaben sich dem langsamen, gnädigem Tod. Das einzige das sie noch wollten war, das sie nach den Schmerzen, wenn sich ihre Lungen mit dem Wasser der Hoffnungslosigkeit gefüllt hatten, noch einen letzten Trip haben würden. Sie injizierten sich rücksichtslos alle möglichen Substanzen in ihre zerstochenen, geschundenen, völlig abgenutzten Venen und schütteten alles in sich hinein, bis der klebrige Schleier der Illusion sich über ihre wunden Nerven legte und der scheuernde Schmerz der Realität erträglich wurde.
Nosferatu Gebiet. Ost-Stadt. Die Gosse.
Lurker hatte sein Glück beinahe nicht fassen können, als er die Information eingeholt hatte wohin das Taxi, das ihm vor der Nase weggefahren war, den merkwürdigen Fahrgast gebracht hatte.
Eigentlich war die Idee sich in das östliche Industriegebiet zu flüchten sehr gut gewesen. Wo sonst konnte man untertauchen, ohne von der Obrigkeit verfolgt zu werden, wenn nicht in der Nosferatu Domäne.
Cortéz konnte schließlich nicht wissen das er ausgerechnet von einem des Clans der Verborgenen gesucht wurde.
Der schwarze Umriss ließ sich einfach von der Mauer herunter fallen und schlich von Schatten zu Schatten, durch einen Stapel alter feuchter Kartons, vorbei an einem großem, rostigem Container, weiter hinüber zum Eingang der merkwürdigen Lokalität.
Normalerweise mied Lurker solche Orte. Die hämmernde, laute Musik tat seinen Ohren weh und er hasste es wenn sich zu viele Menschen auf einen Haufen drängten. Heute war es aber unabdingbar.
Er schob die Hände in seine Manteltaschen und ging mit schlurfendem Gang auf den Eingang zu. Lange bevor irgendeine Menschenseele ihn ansehen, oder gar ansprechen konnte, begann er damit sich so unauffällig zu bewegen, dass er nicht auffallen würde. Ein sanfter Wink nur und die Sterblichen würden einfach kurz den Blick abwenden, wenn er des Weges kam. Es war einfach sich hier zu bewegen, viel leichter noch als irgendwo sonst, denn diejenigen die nicht sowieso bis zum Rande der körperlichen Belastbarkeit mit berauschenden Substanzen abgefüllt waren, interessierten sich ohnehin für nichts und niemanden.
Die meisten sahen ihn nicht, anderen erschien er als einer von vielen uninteressanten Schemen, die das Bewusstsein nur leicht streiften und es direkt wieder verließen. Am Ende der Nacht würde niemand überhaupt daran denken das er etwas gesehen haben könnte. Da war nichts.
Lurker schlenderte am Rande ihrer Wahrnehmung hinein in den Laden. Man tanzte um ihn herum, man wich ihm letzten Moment, bevor man gegen ihn stoßen konnte aus,sogar eine junge Frau die sich gar die Hand vor den Mund hielt und verzweifelt versuchte den Brechreiz zu unterdrücken, bis sie irgendwo in eine Ecke gelangen konnte in der sie der Nacht etwas abgeschiedener ihren Tribut zollen konnte, machte einen abgehakten Bogen um ihn herum. Wie eine kleine Luftblase durch einen schmutzigen Tümpel glitt er durch die Menschenmenge.
Zuerst hatte der Nosferatu befürchtet das er den ganzen, verschachtelten Laden würde absuchen müssen, aber dieses mal war das Glück auf seiner Seite. Schon nach wenigen Metern sah er die isolierte Gestalt an der Theke stehen, die irgendwie traumverloren in die Gegend starrte.
Verächtlich verzog er seine zerworfenen Lippen. Das konnte auch nur dem Rosenclan passieren.
Steht hier im Unrat und träumt vor sich hin.
Kurz befühlte Lurker das Waffenarsenal das er sich umgegurtet hatte. Als er erfahren hatte das sein Ziel in seinem Heimatgebiet lag, war er kurzerhand in seinen Unterschlupf geeilt und hatte sich bewaffnet. Wofür hatte man schließlich so einen geerbten Hausstand, wenn man ihn nicht genau für solche Gelegenheiten ausführte ? Unwillkürlich fragte er sich wieviele solcher Einsätze die Waffen der alten Nosferatu Geißel wohl gesehen hatten ?
Dann konzentrierte er sich auf den Flüchtigen, straffte seine Gestalt so gut ihm das mit seinen Verwachsungen und seinem Buckel möglich war und ging hinüber.
Der Clan der Rosen war dafür bekannt das seine Mitglieder nicht nur sehr feingeistig, sondern auf feinsinnig waren. Gut möglich das Miguel, kurz bevor Lurker ihn erreichte plötzlich den moddrigen Geruch schimmeliger Erde wahrnahm, oder das sich seine Nackenhaare aufrichteten.
Guten Abend Herr Cortéz.... hatten sie eine angenehme Flucht bis hier hin ?
Die Stimme des Nosferatu war ein leises, kratziges zischen. Wenn Miguel sich umdrehte, würde er die gebückte Gestalt mit dem abgewetztem, braunem Ledermantel und den vielen Schichten aus Kleidung, die ihn aus dem dunklen Schatten ihrer Kapuze anzustarren schien, sehen können.