Er kam sich seltsam abwesend vor, so als nähme er nur aus sehr großer Entfernung an diesem Geschehen teil. Die Szenerie vor ihm war vollkommen stumm, denn jedes Geräusch das ihn hätte erreichen können, wurde übertönt von dem lautem Dröhnen in seinem Schädel.
Es war das aufwallen des gestohlenen Blutes in seinem totem Leib das er hörte und auch spürte. Geraubtes Blut flutete um seine abgestorbenen Nerven und entriß ihnen so ein schwaches Flackern. Er schüttelte den Kopf um die Benommenheit loszuwerden.
Das erste was er hörte als sein Bewußtsein zurück kehrte, war der Spott des wunderhübschen, zerschlagenen Engels.
Die Gier und der Hunger in ihm stachelten seine Wut an, er fletschte knurrend seine gelblichen Zähne, die nun von Schlieren blutigen Speichels überzogen waren.
Dimitri ging hinüber zu dem Schönling und hockte sich neben ihn, aber was er sagte war für Lurker ungeheuerlich. Bevor er jedoch protestieren konnte, hatte der Tzimisce seinen Mund unnatürlich weit aufgerissen und mit seinen spitzen Zahnreihen eine riesige Wunde in den Menschen gerissen. Blut Geruch wallte auf und sofort klaffte das blutige Loch in Raphales Hals verführerisch auf.
Lurker wurde von seinem Verlangen vorwärts gerissen, aber nacktes Entsetzen stoppte ihn nach wenigen Metern. Das konnte er nicht tun. Er starrte auf seine Hände hinab, mit ihren langen fingern die wie die Beine einer riesigen Spinne aussahen, knotige Gelenke an dünnen Gliedern. Er tastete über sein Gesicht, seinen missgestalteten Schädel, seine hervorstehenden Scheidezähne und seinen aufgeworfenen Lippen. Was er hier tat war eine Strafe, er hatte dies alles immer gehaßt. Er haßte diese widernatürliche Existenz, er haßte seinen Herrn, der ihm dies angetan hatte. Er haßte wie er aussah, er haßte es ein Monster zu sein, das einzige das ihn stets begleitet hatte seid der Mensch der er war sein Leben verloren hatte war Haß.
Aber das konnte er nicht tun. Er hatte lange gegen die Monster hinter seinen Augen angekämpft und erst in der letzten Zeit begonnen sie hinzunehmen, sich ihnen sogar hinzugeben, aber wenn er das jetzt tat, wenn er seine Strafe auf diesen armen Menschen übertrug, dann würde er sich selber opfern. Er spürte es genau, das was er da tun sollte war böse.
Aber er konnte nicht leugnen das es da auch Kratzer auf der Oberfläche gab. Monster nannte man ihn, häßlich hieß man ihn. In den Kanälen sollte er leben. Und hier war also der gefallene wunderschöne Engel, er hatte Dimitri betört und war dann doch den Torreador gefolgt, hatte sich mit Dumont eingelassen, hatte mit den Schönen gespottet über seine abartigkeit. Er hatte sich seinen Fluch nicht ausgesucht, warum sollte die Welt zu diesem Raphael Wicht gerechter sein als zu ihm ? Zu Lurker ?
Dieser Mensch war nicht besser als er. Er selber hatte dieses Schicksal ebenso wenig verdient wie das Menschenkind, aber es hatte ihn dennoch getroffen. Würde er es nicht genießen zu sehen wie der Fluch sich nun Raphale holte ? Wie er dessen ebenmäßige Züge brutal griff und verzerrte und verschob.
Dimitri hielt ihn zur Eile an, aber immer noch konnte er es nicht tun. Verzweifelt klammerte er sich an fest an seinem Willen das er niemals jemandem dasselbe antun würde was man ihm angetan hatte.
Aber dann stob die Wolke des Blutgeruches auf. Raphaels Blut, der Fluß aus Wonne der durch das Paradies strömte. Er spürte wie das Verlangen und die Gier durch seine Glieder kroch, meinte sogar erkennen zu können wie sich seine Haut wölbte, wo jener Teil von ihm durch seinen Körper kroch der das Monster war. Sein Hunger stemmte schmutzige Klauen in die Risse der Oberfläche seines Verstandes und riss sie auf.
Es gab nur noch das Blut des Menschen, er mußte es haben. Verzweifelt weinend und bettelend klammerte sich dieser kleine Teil von ihm der widersprach fest, aber er begann langsam ab zurutschen. Wieder und wieder schlug das Monster auf ihn ein, tobte immer wütender umher und warf seinen Körper beinahe um. Dann war das Ende seiner Kraft da. Er konnte sich nicht mehr festhalten. Er bat um Vergebeung, aber er hatte alles versucht. Mit einem Brüllen wurde er fortgerissen, hinab die dunkle Schlucht in ihm.
Lurker warf sich wild fauchend auf den Menschen und Dimitri entließ den Blutstau den er dort gesammelt hatte. Das wunderbar warme Blut klatschte in Lurkers Gesicht und Mund und belohnte süß sein Versagen. Er packte den Körper seiner Beute und mit einem hieb durchtrennten seine schwarzen, langen Fingernägel das Seil, damit er Raphael besser greifen konnte. Dann schlang er sich um den Menschen, wand sich immer fester und fester und krallte in das Fleisch. Sein Gesicht war tief in der Wunde am Hals des Mannes vergraben und er schmatze und glupschte laut.
Das war nicht einfach nur Blut, das war purer, völlig unverwässert. Es war reines Leben, der Duft von tausend Verheißungen, der Geschmack aller Sünden, das Versprechen der Ewigkeit.
Lurker trieb auf dem Strom des Glücks und tanzte dabei mit Raphales Herzschlag. Es lief so bereitwillig in ihn hinein, er hätte noch nicht einmal schlucken müssen. Lurker fraß und fraß immer weiter, liebkoste die Wunde und trieb sich weiter in das Fleisch.
Das Donnern des Herzes wurde zu einem sanfterem Schlag, immer sachter und lieblicher. Schließlich war es nur noch ein Wispern in der Brust des Menschen.
Mit blutunterlaufenen Augen sah er auf, er war über und über mit Raphaels Blut besudelt und er leckte seine Finger ab. Ein wenig ratlos hockte er vor dem Körper, der ganz langsam starb, wie ein Kind das Vaters Uhr kaputt gemacht hatte und nun nicht wußte wie sie wieder in Gang zu setzen war, saß er auf dem Boden und sein verständnissloser Blick traf den warmen Schimmer in Dimitris Augen. Der Andere wußte was zu tun war, sanft, ganz vorsichtig, griff er nach Lurkers dürrem, krummen Arm und zog ihn mit ein wenig Druck an den starren Zähnen des Nosferatu entlang.
Ein länglicher Schnitt öffnete sich an Lurkers Unterarm, der Schmerz war scharf und wunderbar klar, so wie eiskalte Luft an einem Wintermorgen.
Dann führte er den Arm zu Raphael und legte ihn auf die bläulichen, zu einem Schrei der niemals gekommen war verzogenen Lippen des Menschen. Langsam lief das Blut in den Mund verschwand dann plötzlich in Raphael als der Schluckreflex einsetzte. Langsam, ganz schleichend kam Bewegung in den Toten. Seine Finger zuckten und seine Lippen schlossen sich allmählich über der Wunde aus der er trank. Lurkers Finger legten sich um den Kopf des Mannes und zärtlich stützte er ihn, zog ihn an seine Brust und streichelte ihn beruhigend, während er ihn säugte.
Beide hatten die Augen geschlossen und schienen völlig abwesend und glücklich in ihrer kleinen Welt, die nur aus Raphael und Lurker bestand. Ein zufriedenes Lächeln lag auf den Lippen des Vampires.
Irgendwann jedoch faßte Dimitri ihn und trennte sie, immer noch sanft, aber dennoch mit Nachdruck. Lurker war noch nicht bei Verstand und versuchte kurzzeitig Raphael wieder zurück an sich zu drücken, doch die vertraute Stimme seines Bruders führte ihn weg von seinem Kind und so ließ er von ihm ab und kroch ein wenig zurück von ihm. Er war wunderbar müde, zufriedene Erschöpfung lag auf seinen Gedanken, lief durch seine Glieder. Er bemerkte nicht wie sich der Schnitt an ihm langsam wieder schloß. Er sah zu Rahpael und Dimitri hinüber.
Lurker war glücklich.