[2008] Offene Enden

Drakun

Pflanze
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9. Juni 2007
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Ihre Klinge glitt durch das Fleisch, durchtrennte mühelos Gewebe und Muskeln. Rosig leutete das Innere, doch das Messer hielt nicht inne, schnitt weiter, bis es auf der anderen Seite wieder herauskam. Ein kleines Stück war abgetrennt und lag nun vor ihr. Mit routinierter Präzision spießte sie es auf.

"... da hab ich ihm eine mit der Flasche verpasst. Glaube er hat jetzt noch Narben davon."

Da hatte er es - von wegen hilfloses zartes Mädchen. Sie konnte schon auf sich selbst aufpassen. Obwohl sie in Wahrheit vermutlich nur Glück gehabt hatte. Immerhin waren die beiden sturzbetrunken und rechneten sicherlich nicht mit einem Kampf. Marta schien nicht sicher, ob sie stolz oder verschämt sein sollte und legte sich letztlich auf einen Punkt dazwischen fest. Ein leicht freches Grinsen schlich sich auf ihr Züge. Ich kann auch ohne Beschützer auf mich aufpassen. Dazu bestand momentan aber kein Anlass. Das Restaurant war gut besucht, die Gäste schienen eher aus wohlhabenderen Kreisen zu stammen. Endlich landete der Happen in ihrem Mund. Und gutes Essen haben sie hier. Auch wenn es ihr keine Sättigung versprach, konnte sie den Geschmack durchaus würdigen. Ricco bewies ein gutes Händchen, was Lokale anging.

"Das war aber zum Glück meine einzige derartige Begegnung..."

Das war sogar irgendwie nicht ganz gelogen.

"... und hoffentlich bleibt das auch so. Scheint hier ja weniger von denen zu geben."

Mit 'denen' waren Angehörige des rechten Randes gemeint, die vor Gewalt nicht zurückschreckten, auch nicht gegen ihre Kritiker. Oder deren Umfeld.
 
"Ja, scheint es weniger zu geben", erwiderte Ricco. "Aber bist du sicher, daß sich nicht unter der Fassade einige finden, die auch so denken?" Auch Ricco schnitt sich einen Happen von seinem Steak ab. "Wenn ich mir die Politker der Rechten Parteien anschaue, sieht man es auch nicht allen an."

Er lachte leise.

"Aber wenn er Narben davon getragen hat, dann hat er es verdient, meinst du nicht? Ich bin immer wieder erstaunt, was so alles in dir steckt."
 
Viel zu viele. Sie versteckten sich hinter der Toleranz gerade solange wie es ihnen nützte und sobald diese auch nur ein wenig unangenehm wurde, warfen sie sie weg wie dreckige Lumpen. Und was die Politiker der rechten Parteien angeht... Deren Umfragewerte rutschten gerade in den Keller, zumindest was Finstertal anging. Große Reden von Recht und Ordnung schwingen und sich am Ende nur von Wirtschaftsbossen schmieren zu lassen, vertrug sich halt doch nicht so gut. Leider wird das wohl nicht lange vorhalten.

"Kann sein, dass ich etwas übertrieben habe. Keine Ahnung was die genau vorhatten, aber auf jeden Fall nichts Gutes."

Bei zwei aggressiven Männern, zusammen mindestens dreimal so schwer wie sie selbst, konnte man es ihr wohl kaum verübeln, wenn sie auf Nummer sicher ging.

"Vielleicht hat er mich aber auch einfach an meinen Vater erinnert..."
 
Ricco grinste.
"War dein Vater so schlimm?" fragte er dann und dachte eigentlich eher, dass bei der nächsten Wahl die Rechten vermutlich sogar Chancen hätten.

"Was machen wir denn nun in Sachen Maidland?"
 
"Ein Arschloch. Hat sich aufgespielt wie der Herr im Haus, aber außer Geschrei und Schlägen nichts weiter beigetragen. Klar, es gibt noch schlimmere, aber zu tun haben will ich mit dem Typen trotzdem nichts mehr. Wenn er sich nicht schon totgesoffen hat..."

Immerhin hatte er sein 'Dienstmädchen' damit mehr oder weniger davon gejagt. Seitdem hatte sie nichts mehr vom ihm gehört, auch nicht von ihren Großeltern, die auch nicht gerade eine hohe Meinung von ihrem Schwiegersohn besaßen. Und zu seinem Teil der Familie hatten sie schon damals kaum Kontakt. Vermutlich hätte sie noch etwas weiter wettern können, doch am Ende brachte es ja nichts. Im schlimmsten Fall kommt dir noch sowas wie Aussöhnung in den Sinn! Ohne sie.

"Maidland beschäftigt dich ziemlich, oder? So wie das hier läuft, ist alles in Sack und Tüten. Die Fabrik wird gebaut, auch wenn es den Leuten nicht gefällt. Die Konservativen haben sich aber etwas in den Fuß geschossen."

Das nahm Marta offensichtlich als positiv wahr. Sie zwinkerte ihm zu.

"Ich glaube ich kenne jemanden, der dort für ein Praktikum oder sogar eine Anstellung geeignet wäre..."
 
Ricco grinste, irgendwie verstand er sich mit Marta immer besser.

"Kannst du Gedanken lesen, das ist nämlich das, was ich mir auch schon gedacht habe", sagte er. "Die stellen zwar schon für ein Praktikum Bedingungen, die auf keine Kuhhaut gehen, aber für irgendwas muss es ja gut sein, daß ich keine Eintragungen im Strafregister habe und auch sonst nie aufgefallen bin.
Versprichst du mir, daß du mich rächst, wenn sie an mir Waffentests machen wollen?"

So ganz ernst war das mit den Waffentests wohl nicht ganz ernst gemeint und es ging eigentlich auch in eine ganz andere Richtung, was er sich für sein Leben wünschte, aber das lag ihm am Herzen.
 
"Vielleicht... kommt darauf an, ob du bis dahin lieb zu mir bist."

Als wollte sie beweisen, dass sie auch tatsächlich dazu in der Lage war, schnitt sie ein weiteres Stück von ihrem Fleisch. das kam letztendlich ihrer Kampferfahrung auch am nächsten. Und mit den Regeln hier, wird das wohl auch so bleiben. Aber möglicherweise konnte sie wenigstens noch etwas an ihren Nahkampffähigkeiten feilen.

"Die wollen halt verhindern, dass du Teile für den Schwarzmarkt abzweigst. Halte ich für richtig - es sind schon viel zu viele Waffen auf der Straße."

Man konnte sich fragen, ob es dann Sinn machte neue Waffen herzustellen. Eine Frage, die man leider kaum mit einem klaren 'nein' beantworten konnte.
 
"Ich bin doch immer lieb zu dir, so wie sich manche benehmen, das würde ich nie machen, schon garnicht zu einer Frau", erklärte er mit grossen Hundeaugen.

Dann wurde er ernst.

"Ich weiss auch nicht, warum es noch mehr waffen braucht und ich hätte mir was anderes für unsere Stadt gewünscht als ausgerechnet eine Waffenfabrik, die über kurz oder lang subversive Subjekte anziehen wird."
 
Der Blick brachte sie zum Lachen. Ja, das glaube ich. Auf seine Ausführungen runzelte sie die Stirn, doch aus anderen Gründen als er wohl zunächst annehmen würde.

"Subversive...?"

Man konnte buchstäblich sehen, wie es in dem hübschen Köpfchen ratterte, bevor ihr ein Lichtlein aufging.

"Mensch Ricco... kann man das nicht verständlicher ausdrücken? Außerdem muss man da wohl nicht lange warten, denk nur an die Mafia."

Auch wenn es nicht ganz das gleiche war, dürfte es für die meisten Beteiligten keinen Unterschied machen.
 
Ricco streichelte ihre Hand kurz. "Ich werde versuchen daran zu denken, das kommt vom Studium", sagte er. "Ich habe jeden fall gestern meine Bewerbung abgegeben. Und ja, das Mafi-Problem haben wir auch noch an allen Ecken und Enden, da weiss man nicht, wo man anfangen soll."

Er ass zwischen durch auch von seinem Steak.
 
Du warst aber schon fleißig. Also hatte bereits auf eigene Initiative eine Bewerbung losgeschickt. Was natürlich auch bedeutete, dass 'was machen wir' eher rhetorisch gemeint war. Trotzdem gefiel es ihr.

"Wenn das so einfach wäre, hätte sich schon längst jemand darum gekümmert."

Tatsächlich war die Situation sicherlich nicht im Interesse der meisten. Und trotzdem hatte sich kaum etwas geändert.

"Man müsste ihnen den Nährboden entziehen. Kämpft man direkt dagegen an, erreicht man nicht viel und tut seinen Angehörigen keinen Gefallen."

So oder so bewies Finstertal da ein eher unglückliches Händchen.
 
"Da müssen wir nur etwas finden, denn leider ist es so, daß den meisten Menschen Geld wichtiger ist als alles andere und es da den meisten egal ist wo das Geld herkommt", meinte Ricco. "Und wenn die Rüstung eines bringt, dann ist es leider Geld und ich fürchte, daß wir da gegen Mauern laufen würdem."
Er zuckte die Schultern. "Du willst ja wohl nicht einen Anschlag verüben, oder?"
 
"Also wenn du es so sagst..."

Sie grinste ihn an, ein weiteres Stück Fleisch verschwand zwischen den blutroten Lippen. Wohl aus diesem Grund gab es eine Pause, in der das gesagte in der Luft schwebte. Wie kommst du eigentlich jetzt darauf? Schließlich fuhr sie fort.

"Nein, natürlich nicht! Was sollte das bringen?"

Wenn überhaupt verschlimmerte es die Situation und würde sie selbst in Schwierigkeiten bringen. Zwei Dinge, die Marta gerne vermied.
 
"Was hast du dir denn gedacht?" fragte er und würde bestimmt dann am Ende doch machen, was Marta wollte.
 
Wie sich das eben gehörte. Doch eigentlich war sie mit dem aktuellen Status zufrieden.

"Das passt schon. Bring dich nicht in Schwierigkeiten, aber wenn es klappt, könntest du ja vielleicht mal überprüfen, ob da alles koscher ist."

Das dürfte am Ende ja auch in Moishes Interesse sein. Natürlich nur, wenn der Blaublüter nicht auf beiden Hochzeiten tanzte, um selbst besser voranzukommen. Soll ja vorkommen...
 
"Na, ich werde mich bemühen, allen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen." Ricco fand es schon lustig. "Na, der Geschäfsführer ist doch Jude, da sollte er schon darauf achten, daß es koscher ist. Oder wird es sich zumindest koscher reden."

Man durfte ja gegen Juden nichts sagen, sonst kamen die immer mit ihrem Nazikram.
 
Sie beide waren wohl sichtbar weit entfernt davon, Nazis zu sein.

"Ja. Aber er ist auch ein Geschäftsmann - die sollten da etwas flexibler sein."

Immerhin musste Moishe das auch noch mit seinen... Bedürfnissen unter einen Hut bringen. Ventrue sind da aber generell komisch. Krankhaft wählerisch, was ihre Beute anging, doch anscheinend nicht abgeneigt, deren altes und abgestandenes Blut aufzunehmen. Von wegen verfeinerter Geschmack... In einem Versuch, die Gedanken am abschweifen zu hindern, bevor sie Ricco... unangemessen anstarrte, nahm sie lieber einen Schluck. Erst als das Glas den Tisch, kam sie zum Thema zurück.

"Außerdem kann man von oben nicht immer alles sehen."

Vor allem tagsüber... Natürlich hatte der Sheriff seine Methoden - aber das waren eben auch nur seine eigenen.
 
Ja, weiter konnte man davon wirklich nicht sein.

"Du erwartest jetzt aber nicht, daß ich für den spioniere, der Typ ist mir einfach nur unsympathisch, auch wenn ich ihn nur ein oder zweimal gesehen habe", meinte Ricco. "Oder willst du mit dem Geschäfte machen?"

Nein, das konnte er sich wirklich nicht vorstellen.
 
Das brachte auf ihrer Seite nur ein energisches Kopfschütteln hervor.

"Was, für den? Ganz sicher nicht! Der hat seine eigenen Leute, da bin ich mir sicher."

Sehr sicher sogar, wenn man seine Vorgeschichte bedachte. Moishe überlässt du besser mir, das ist nicht dein Kaliber. Ihres auch nicht, aber das war momentan noch nicht wichtig.

"Außerdem würde ich dem an deiner Stelle nicht gleich trauen."
 
"Prima, dann schaue ich mich nur für uns um", sagte Ricco. "Das Praktikum geht auch nur ein halbes Jahr, denn ob ich eine Festanstellung wollte, bin ich mir nicht sicher."

Die Vorstellung, daß sich Marta mit dem Juden anlegen wollte, kam ihm nicht.

"Keine Angst mit dem trauen bei solchen Leuten habe ich Probleme, ich werde mich nicht einlullen lassen und wenn du meinst es ist doch so, dann knall mir eine."
 
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