AW: 09.05.2008 Mit vollem Magen zurück im Cafe
Moishe sog tief die Luft ein als er die Frage hörte. Aber es war nichts das er verheimlichen würde. Er blickte Helena einen Augenblick lang an bevor er zu erzählen begann.
"Ich habe versucht zu überleben. Ich bin 1925 in Frankfurt geboren und dort aufgewachsen. Mein Vater war Rabbiner der örtlichen Gemeinde, meine Mutter kümmerte sich um mich und meine Geschwister. Ich wuchs also in gutbürgerlichen Verhältnissen auf, ging aufs Gymnasium und befolgte so gut ich konnte die Gesetze meines Volkes. Allerdings begann mit der Machtübernahme 1933 endgültig das Spiessrutenlaufen, der Ausschluß aus den Vereinen, der Judenstern auf der Kleidung, Schikanen durch SA und HJ auf offener Straße - ich wuchs also seit frühester Kindheit mit Angst auf und ich schämte mich für meine Herkunft und die Feigheit meines Vaters, der der Ansicht war es sei nur eine weitere Prüfung Jahwes die unser Volk für seine Sünden zu ertragen habe.
Als 1938 der Befehl zur Deportation kam, wir aus unserer Wohnung geholt wurden organisierte mein Vater diese noch mit, immer im Glauben mit diesen Leuten irgendeine gemeinsame Lösung zu finden.
Aber ich wusste einfach das er sich irrte. Ich bat ihn mit unserer Familie wegzulaufen, es wäre für uns kein Problem gewesen. Einflussreichen und reiche Mitglieder der Gemeinde hätten uns in Sicherheit gebracht, uns freigekauft. Sie hatten es Vater angeboten, aber er sagte Nein. Am Tag der Deportation hatten wir einen furchtbaren Streit. Ich sagte ihm er sei der Totengräber der Familie, er würde für den Tod meiner Mutter und Geschwister verantwortlich sein. Ich forderte Mutter und meinen kleinen Bruder und meine beiden Schwestern auf mit mir fortzulaufen, aber die väterliche Autorität siegte. Also ging ich alleine, nicht ohne meinen Vater vor den Augen seiner Familie im namen des Herrn zu verfluchen und mit ihm zu brechen. Ich sah das ich ihm das Herz brach, er hatte gehofft das ich sein Nachfolger in der Synagoge sein würde, aber das war nun vorbei."
Moishe schluckte, wieder eine menschlliche Geste die eigentlich nicht mehr nötig war bevor er fortfuhr.
"Zu diesem Zeitpunkt war ich 13. Ich riss mir den Judenstern von meinen Kleidern und schlich mich mitten in der Nacht aus dem Haus. Die nächsten Jahre verbrachte ich damit mich vor den Schergen des faschistischen Geschmeiss zu verstecken, vor der Polizei, vor den Kindern und Blockwarten die alles an die Obrigkeit weitertrugen. Ich stahl, ich brach ein, ich durchwühlte die Abfälle nach Essensresten und ich fand hier und da eine gute Seele die mir etwas zu essen oder abgelegte Kleidung gab oder mich in ihrem Keller der ihrer Scheune schlafen lies, zu Anfang lies mich der Platzwart unseres alten Sportvereins die Duschen am Riederwald benutzen und dort wenn es kalt oder regnerisch war schlafen, aber irgendwann wurde es zu gefährlich immer wieder am selben Ort aufzutauchen und ich verlies Frankfurt, lief zu Fuß durchs halbe Land, hatte mehr als ein Dutzend mal Glück nicht gefasst zu werden. Sie wissen, ein Jude ohne Stern und Papiere wäre sofort erschossen worden.
Als der Krieg des Irren verloren zu gehen begann und die Städte zerbombt und verfallen war wurde es bizzarer Weise besser für mich, niemand interessierte sich mehr für einen wandernden Burschen so lange man eine einfache und plausibele Geschichhte dazu serviert bekam. So kam ich mit mehr Glück als Verstand durch diese Zeit. Nach der Landung der Alliierten schlug ich mich nach Westen durch und kroch bei ihnen unter als sie die Niederlande befreiten. Das war eigentlich alles, kein echtes Ruhmesblatt."