Welcome to Deuce deVille

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Das ist also Deuce deVille. Ich habe mir das alles ganz anders vorgestellt. Nicht so urban, eher ländlich. Gegründet 1757 ist die Stadt durch die Waffenfabriken groß geworden, aber man ist eher stolz auf seine Meat Balls, eine Fleischspezialität, der ich bislang noch nichts abgewinnen konnte. Das Gebiet mit seinen Sümpfen auf der einen und der Steppe auf der anderen Seite wurde einstmals einem Indianerstamm entrissen. Die Siedlung nahm Schwerverbrecher aus dem Umland auf, hielt sie gegen Geld gefangen oder richtete sie hin. Daher der Name Deuce - Henker. Draußen vor der Stadt gibt es noch Codo-Indianer, die Nahe ihrem Reservat ein recht ansehnliches Casino betreiben, daneben ein Bordell der Mexikaner, oder nein Verzeihung, es heißt Tabledancebar. Das neue Correctional Center, dass 1998 seinen Betrieb aufnahm liegt auf halber Strecke dorthin. Sie haben auch gleich eine Irrenanstalt daneben errichtet. Deuce deVilles Innenstadt ist sehr spießig. Erlaubt ist weder das Rauchen noch das öffentliche Ausspeien. Direkt am Stadtpark mit See findet sich das Rathaus, der große Bau der Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage neben diverser anderer Bürogroßbauten. Mein Chef beim Houston Chronicle hat mich hier auf eine Geschichte angesetzt. Bei einer Hinrichtung 1892 – damals noch im alten Stadtgefängnis – soll sich etwas seltsames abgespielt haben. Der Schlachter Arthur Drago hatte zugegeben, für „seinen Meister“ mindestens 10 Menschen getötet und zu Hackfleisch verarbeitet zu haben. Immer wieder beteuerte er, er habe unter Zwang gestanden und wollte eigentlich niemandem Schaden. Selbst im Gefängnis noch wunderte er sich darüber, dass sich noch niemand nach ihm erkundigt hatte. Von einem auf den anderen Tag wurde er plötzlich still und wirkte unheimlich gefaßt. Er verriet seinem Wärter – einem Mr. Penningworthy – sein Meister habe ihm versprochen, er werde ihn aus dem Gefängnis heraus holen. Die Elektrokution am 13.7.1892 verlief ohne Zwischenfälle. Der Tod trat pünktlich um 12 pm ein. Als jedoch die Bestatter am nächsten Tag den Sack mit der Leiche abholen wollten, fanden sie die Leiche nicht mehr. Gut - damals nahm man an, jemand hätte die Leiche aus unerfindlichen Gründen gestohlen. Letzte Woche rief mich jedoch ein Mann an, der seinen Namen nicht nennen wollte. Er behauptete steif und fest, es gäbe einen Zusammenhang zwischen Arthur Dragos Verschwinden und ein paar ungeklärten Verbrechen – in den letzten Jahren - immerhin über ein Jahrhundert später. Er will sich mit mir heute Abend in einem kleinen Restaurant namens Joeys Roadhouse im Vorstadtbezirk Narrow Creek treffen. Das ist nur etwa eine halbe Stunden von meinem Motel entfernt. Mal sehen, was dieser Mann mir zu berichten hat. Hoffentlich verschwendet er nicht meine Zeit.
 
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Es ist Abend. Ich fahre mit meinem Chevy Impala an dem Riesenrad im Vergnügungspark vorbei. Es war heute warm. Viele Menschen sind wie aufgedreht. Die Rushhour ist noch nicht vorüber. Das Hupkonzert tut sein übriges und ich kämpfe mit Kopfschmerzen. Ein kurzer Griff in das Handschuhfach und mir kommen einige Dinge entgegen gefallen. Hinter mir hupt ein Jeep. „Ja – ja!“, stöhne ich laut heraus, obwohl er mich nicht hören kann, greife nach dem Tablettendöschen und schlucke, was die Dose auf ein Schütteln auswirft und setze eine Sonnenbrille auf. Drei Wagen überholen bevor ich das Gaspedal wieder durchdrücke und die Beschleunigung der Automatik mich sanft in die Samtpolster drückt – immerhin hat der Impala selbst in der billigsten Version 211 PS. Durch das offene Fenster bläst der Fön, auf der nachtblauen Effektlackierung beginnt das monotone Flacker der Straßenbeleuchtung und versetzt mich in Trance. Letztendlich bringt mich der Highway doch noch rechtzeitig nach Narrow Creek. Über den Tag hatte ich Zeit gehabt, mich ein wenig über diesen Ort zu informieren. Narrow Creek hat eine eigene Highschool mit einem überdurchschnittlichen Football- und Basketballteam. Es gibt einen Sheriff und eine Bürgerwehr. Hier leben die meisten Familien von Deuce deVille und diese haben durchschnittlich 1,85 Kinder. Niemand wird hier herkommen, um sich zu amüsieren, es sei denn, er wohnt in der Nähe. Es gibt kaum Unterhaltungsangebote. Um es kurz zu machen, hier ist nichts los. Die einzigen Gewalttaten, die ich hier recherchieren konnte, wurden den Alligatoren zugesprochen, die nicht allzuweit in den Sumpflöchern leben, die noch nicht ausgetrocknet wurden. Joeys Roadhouse steht am Rande des Einkaufsviertels, das sich um diese Uhrzeit noch nicht geleert hat. Mammis und Daddis halten hier auf ihrem Weg nach hause, um noch schnell einkaufen zu gehen. Ein großes Schild macht auf das Roadhouse aufmerksam, winkt die Kundschaft auf den eigenen Parkplatz. Ich cruise die kleine Abfahrt entlang, vorbei an einem Spirituosenladen. Flackerndes, blaues Licht fällt auf meine Augengläser. Eine Menschenmenge, darunter viele Jugendliche stehen um das Gebäude herum, das von einem Policeofficer gerade abgesperrt wird. Ich reagiere prompt, fahre meine neue Karre in den Sand, ziehe den Schlüssel ab und schlage die Tür mit wehendem Jackett zu. Der Presseausweis hängt reflexartig an meiner Brust. Ungesehen schleiche ich mich in den Diner, niemand stellt mir Fragen. Dann sehe ich den Leichnam. Ein junger Mann um die zwanzig Jahre liegt leichenblass mit dem Gesicht auf dem Tisch. Ich greife zu meinem Handy und versuche unbemerkt Fotos zu schießen. „Sir?“, höre ich eine dunkle Stimme hinter mir: „Das ist ein Tatort! Sie haben keine Erlaubnis hier zu sein. Gehen sie bitte hinter die Absperrung, wie die anderen Passanten auch!“ Er deutet auf den Ausgang. Mit ernster Miene nicke ich ihm zu, versuche noch ungezielt ein paar Aufnahmen zu machen und gehe nach draußen. Kann es sein, dass dieser Junge mich treffen wollte? Was wollte er mir erzählen?
 
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Die Sirenen wurden abgestellt. Sie macht Platz für die Musik aus dem Radio. Bullet For My Valentine spielt Your Betrayer. Gerade ruft der Sänger: „...You were told, to run away, Soaked the place, Enlight the flame, Pay the price, for your Betrayal ...“ Ich drücke mich an den Beamten die mir mit Handschuhen entgegenkommen vorbei. Die Tür schwingt hinter mir zu und ich sehe in die aufgerissenen Augen der vielen, jungen Passanten – darunter wahrscheinlich viele Schüler. Ich beschließe sie zu dem Jungen zu befragen, schließlich kann ich so eine Geschichte nicht auf sich beruhen lassen. „Ich bin von der Zeitung“, rede ich auf meinen Ausweis deutend zwei Mädchen an, die so aussehen, als ob sie die Klatschtanten der Schule wären, „Ihr beide seht so aus, als ob ihr gut über den Jungen im Grill bescheid wüßtet. Wenn ihr wollt, könnte ich eure Namen in meinem Artikel erwähnen? Wer ist denn der Tote, kennt ihr ihn?“ Die beiden schauen sich einen Moment lang an und dann platzt es aus ihnen förmlich heraus: „Das da drinnen ist Archibald Disson - äh – war Archibald Disson. Der Typ hatte auf unserer Schule keine Freunde. Der war neu hier und war sowieso ein völlig abgedrehter Freak. Kein Wunder, daß sowas passiert ist.“ „Wie meint ihr das, abgedreht? Was war denn so seltsam an ihm“, wollte ich wissen. „Naja, seine ganze Art halt. Er ist kaum ausgegangen und hing mit irgendwelchen Emos 'rum. Manchmal ist er spät in der Nacht noch auf den Friedhof gegangen.“ „Wo er wohnte wisst Ihr nicht zufällig?“ mein Blick viel auf einen Officer, der mittlerweile auch die Befragung der Zeugen begonnen hatte. „Öhm, war das nicht -“, das andere Mädchen half ihr aus: „Der wohnte in einem Schülerheim. Das ist ganz in der Nähe der Dolph-Briscoe-Highschool, hier in Narrow Creek.“ Sie beschrieb mir den Weg auf der Karte, die ich auf der Motorhaube ausbreitete. Kurz darauf machte ich mich schon auf den Weg, dem Heim einen Besuch abzustatten. Mal sehen, wie ich in Dissons Zimmer gelange.
 
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8 pm. Die Nachrichten haben gerade begonnen. Aus dem Radio meines Impala kommen die Kurzmeldungen. „Deuce deVille. Am frühen Abend wurde in Narrow Creek in einem Roadhouse nahe des Einkaufzentrums Archibald Disson tot an einem Tisch sitzend aufgefunden. Es sei niemand aufgefallen, wie der Junge unter den Augen der anderen Gäste sterben konnte. Bislang schließt die Polizei jedoch ein Verbrechen nicht aus. Dallas . . .“ Mmmh, dachte ich so in meinem Kopf, der Junge könnte also auch einfach gestorben sein? Unwahrscheinlich. Die Polizei weiß noch nichts von unserem Treffen. Ich habe also einen Vorsprung. Da ist ja auch schon das Heim. Eine umgebaute Fabrik, eine alte Ziegelei nehme ich an. Das Gelände ist von einer hohen Steinmauer umgeben, die wie die Fassade des Gebäudes auch in den dunklen Rottönen erscheint. Der alte Werkplatz teilt sich nun seine Parkplätze mit vielen Sportanlagen, für Basketball und Leichtathletik, die von einigen Schülern genutzt wird. Unbewußt fühle ich mich in meine eigene Jugend versetzt, als ich durch die schwere Türe in das Haus hinein gehe. Am Portal sitzt niemand mehr, aber eine kleine Kamera kündet von meinem Besuch hier. Shit, das könnte die Cops auf mich aufmerksam machen, aber ich kann wenigstens erstmal – ja, wohin eigentlich. Ich suche nach einem Belegungsplan und finde tatsächlich eine Tafel auf der die Namen und Zimmertüren verzeichnet sind. Disson – mmh – Disson, Disson, ahhh ja hier: Zimmer 237 zusammen mit Carlito Ramirez, einem Mexikaner nehme ich an. Auf der ausgetretene Treppe kommt mir eine Gruppe Mädchen entgegen. Sie plaudern über die kommenden Ferien. Ich gehen weiter nach oben, durch den Flur, wo ein paar Schüler herumstehen. Es riecht nach Zigarettenrauch, aber sie scheinen soviel Respekt vor mir zu haben, das kein Glimmstengel zu sehen ist. Die Tür zu 237 ist geschlossen. Ich klopfe an. „Carlito ist nicht da. Ich kann ihm etwas ausrichten!“, erschallt es von der anderen Seite des Flures. Ich tue verwirrt und enttäuscht: „So etwas. Du weißt nicht zufällig, ob es noch einen Schlüssel gibt?“ „Beim Hausmeister vielleicht? Aber der ist bestimmt wieder betrunken in seiner Wohnung und rafft nix mehr“, entgegenet mir die Figur, die durch die Sonne im Rücken nicht zu erkennen war. Ich halte meine Hand reflexartig an den Kopf, um mir ein klareres Bild zu verschaffen, aber sie bleibt ein Scherenschnitt. „Dann werde ich ihn mal aufsuchen, danke!“, sage ich und suche die Wohnung vom Hausmeister im Erdgeschoß, wo er meistens zu finden ist. Nahe des Eingang verrät eine Blumenvase vor der Wohnung, daß es sich bei dem Wohnungseigentümer um eine ältere Person handeln müsste. Von drinnen hört man ein starkes Husten und fluchen. Ich schaue auf das Klingelbord – Josez. „Mister Josez! Ich benötige eine Schlüssel für Zimmer 237“, rufe ich mit einer beschäftigten Miene. Das Husten kommt der Tür näher. Sie öffnet sich einen Spalt weit ein Geruch von Altherrenumkleide schlägt mir ins Gesicht. Der unrasierte ältere Mann schaut erschrocken: „Es ist nach Acht. Mein Dienst ist beendet“ , sagt er schroff. Ich spüre meine Chance: „Ich will sie nicht bei ihrem abendlichen Umtrunk stören. Ich möchte nur kurz in das Zimmer eines Schülers, Nummer 237. Ich habe Grund zu der Annahme, daß er Rauschgift in seinem Zimmer versteckt hält und möchte mich nur absichern, um kein böses Erwachen zu erleben.“ Der Alte wankt von der Tür weg. Schlüsselklappernd kommt er zurück und reicht mir den gewünschten Gegenstand mit lallenden Worten: „Die bringen sie mir aber sofort zurück, sonst bekomm' ich Ärger.“ Schließt die Tür. Ich flitze nach oben und öffne endlich die Kammer.
 
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Jetzt wird sich also herausstellen, ob sich der Aufwand gelohnt hat. Der Schlüssel dreht sich im Schloss und gibt mit einem Klacken den Weg frei. Ich öffne die Tür ein Wenig und werfe einen ersten vorsichtigen Blick in den Raum. Es handelt sich um ein einfaches Appartment, ein Raum mit Waschbecken. Kein Klo, keine Dusche. An den Wänden hängen Poster von Gothic und Blackmetallbands, die meisten von Bloodbound. Ich untersuche hastig die Schreibtische und finde den von Disson. Auf dem Tisch stehen ein paar alte Einbände aus der Stadtbücherei mit Titeln wie Von Hexen, Teufeln und anderem Bösen, Die Schutzzauber der Heiligen Schrift oder Enzyklopädie des Übernatürlichen. Nicht gerade Standardwerke, vermutlich aus der Kassette. Ich nehme mein Handy und mache ein paar Fotos. Die abgeschlossene Schublade wird schnell mit dem Brotmesser aufgebrochen. Darin befindet sich ein vollgekritzeltes, morbides Werk eines Schülers, so wie man das aus dieser Lebensphase kennt. Voller seltsamer Ergüsse und Zeichnungen. Ich stecke das Teil unter meinen Gürtel und will gerade gehen, als ich jemanden an der Tür bemerke. In sekundenschnelle liege ich unter dem Bett von Carlito. Die Tür öffnet sich. Eine Frau kommt herein und durchsucht das Zimmer. Sie bleibt kurz vor dem Bett stehen und schaut im nächsten Moment mit starrem Blick in meine Augen. „Hören Sie, es ist nicht so wie sie denken!“, sage ich und erwarte, daß sie mir drohen würde mich anzuzeigen. Da greift sie nach dem nächsten Gegenstand, um mich damit zu schlagen. Ich halte meine Arme überkreuzt, meinen Kopf schützend. Mit unvorstellbarer Kraft reißt sie das Bett hoch. Mir wurde in diesem Moment klar, daß ich fliehen muß. Mein Kopf denkt nicht mehr, er handelt. In einem Atemzug bin ich auf dem Flur, fliege die Treppe hinunter und starte meinen Wagen. Ich trete die Automatik bis zum Anschlag durch, sodaß die Reifen in der Kurve zu heulen beginnen. Im Spiegel beobachte ich die Frau aus dem Haus rennen. Sie hat sich jetzt einen kurzen Pfosten geholt und hält ihn neben sich her. Gelassen geht sie auf ein Fahrzeug zu. Auf der Straße angekommen suche ich nach der erstbesten Gelegenheit, um mich samt Auto zu verstecken. Eine offene Garage. Ich fahre hinauf, stelle den Motor ab, sprang heraus und ziehe das Tor herunter. Draußen höre ich einen alten V8 vorbeifahren. Ich warte eine ganze Weile. Der Hausmeister würde erstmal ohne seinen Ersatzschlüssel auskommen müssen, schießt es mir durch den Kopf.
 
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„Hey, was ist Dein verdammtes Problem?“, schießt es von der Seite auf mich zu. Wie aus einem Traum erwachend, schaue ich die Frau an, die mit einem Schießprügel schweren Kalibers in meine Richtung hält. Ich schlucke wieder, kann jedoch diesmal die Fassung wiedererlangen. „Hören Sie, ich wurde von jemanden verfolgt. Ich habe mich nur in Sicherheit zu bringen versucht und werde sofort in meinen Wagen steigen und wegfahren. Bitte nehmen Sie die Waffe herunter . . . oder halten Sie sie wenigstens in eine andere Richtung. Danke!“, höre ich mich sprechen, während die Frau die Flinte absenkt. „Gut! Gehen sie jetzt und kommen Sie nicht wieder!“, antwortete sie barsch. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Irgendwie hatte sie mich wieder wachgerüttelt und meinen Adrenalinspiegel normalisieren können. Das Tor schwingt auf. Der Impala surrt an. Ich löse die Handbremse und gebe die Fahrt frei. Langsam sucht sich die lange Schnauze des Wagens einen Weg durch die Seitenstraßen. Jetzt sammeln und erstmal nach hause. Ein kurzer Blick auf die Kladde und das Thema findet sich wieder in meinem Gehirn. Ich schalte das Radio an und versuche irgendetwas Brauchbares zu finden. Jedoch sprach nur eine Frau über ihre Ehe mit einem Polygamisten der FLDS und ihre verlorene Unschuld. Es brachte mich zumindest auf andere Gedanken. Mit 14 Jahren wurde sie verheiratet, hatte keine Ahnung von Sex oder wie man Babys bekäme. Als Reporter fühle ich mich aufgeklärt, trotzdem fällt es mir schwer, mich in die Situation dieser Frau zu versetzen. Schon in der Grundschule wurde uns beigebracht, was Sex bedeutet und wie man Schwangerschaften vermeidet. Sicherlich hatten wir viel gekichert, aber dennoch blieb eine Menge davon hängen. Ich reibe mir die Nase, schaue meine Hand an und sehe den Blutstreifen auf dem Handrücken. Jetzt war mir klar, warum die Frau eben in dem Haus so verstört war. Da ist eine Tankstelle. Ich lasse mir den WC-Schlüssel geben und mache mich frisch. Beim Blick in den Spiegel versuche ich mir einzureden, daß alles ganz normal war. Du bist eingebrochen, was willst Du denn. Die Person war aufgebracht und wollte Dich einfach nur rauswerfen. Klar. Im Shop hole ich noch etwas zu trinken, schiebe einen Hamburger und eine Packung Popcorn zusammen in die Microwelle und warte, bis das Knallen in der Tüte aufhört. Dem Spruch des Tankstellenverkäufers höre ich nur beiläufig zu, nicke und werfe ihm einen Abraham Lincoln auf die Theke. Er scheint nicht begeistert, aber ruft auch nicht mir – wird schon stimmen. So, dann . . . da fährt es durch mich hindurch. Eine Person begutachtet meinen Wagen. Ich gehe auf den Bürgersteig zu und tue, als ob ich nicht der Besitzer wäre. Als die Schweißperlen zu tropfen aufhören, drehe ich mich um. Er ist weg. Mmmh. Schnell mache ich mich wieder hinters Steuer und gebe Gas. Kein guter Tag, lieber unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit bleiben. Zurück auf dem Highway in die Stadt und bei der nächstgelegensten Abfahrt herunter. Vorsichtshalber nochmal um den Block. Ich werde eine Waffe brauchen, wenn ich das weiter machen möchte. Der Motelbesitzer spielt mit seiner PlayStation hinter seinem Thresen, Singstar. „I wonna be like You“ aus dem Dschungel Buch. Dazu ist er schwarz und fett, trägt einen Hut und seine Füße liegen auf dem Tisch. Er läßt sich nicht von mir beirren. Der Schlüssel am Brett ist nur eine Armlänge entfernt. Er schaut und nickt. Ich winke mit dem Schlüssel in der Hand und gehe die Kolonnade entlang zu meiner Tür - Zimmer 23, nein ich scherze, es ist die 16. Die Tür schnappt hinter mir zu. Ich nehme die Cola, das Popcorn, werfe mich auf das Bett und mache die Glotze an. Da ist sie ja wieder, das Mormonenmädchen. Will mir jemand einen Wink damit geben? Mein Kreislauf bricht zusammen und ich knacke ein.
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„Sie sind die schönste Frau, die mir je begegnet ist. Immer wenn ich Sie ansehe, denke ich, wir kennen uns schon aus einer längst geschehenen Vergangenheit.“, sagte ich wie in Trance. Die Fahrerin des roten MGA Cabrios hatte gewellte, dunkelbraune Haare, einen blassen Teint und knallrot gefärbte Lippen. Ein verwegenes Lächeln auf den Lippen, ließ sie die Reifen in den Kurven quietschen. Es ging einen Berg hinauf. Ich erkannte die Schemen von Deuce deVille hinter mir, das Capitol, die Kirche, aber wo waren die Hochhäuser hin. Die Gegend durch die wir fuhren erschien mir zurückgeblieben. Die Schilder waren an Holzpfählen festgenagelt, der Asphalt grobkörnig und die Farben matt. Es war ganz schön warm. Selbst der Fahrtwind konnte da keine Abhilfe schaffen. Wir waren mittlerweile auf dem Hochplateau angekommen. Ich starrte die gradlinige Straße hinunter. Ein paar Baracken standen am Wegesrand, dort wo ich das Casino vermutet hätte. Zwischen einem kleinen Parkplatz und den Hütten pendelten Leute. Sie gingen in die Hütte und kamen mit großen Papiertüten heraus. Viele von ihnen qualmten. Ich wollte jetzt auch eine haben, sah die Frau wieder an und war wie gebannt. Ihre Kurven reizten mich. Obwohl ich sie nicht kannte, wollte ich sie berühren. Mit den Augen fuhr ich eine Kleidfalte entlang und erkannte die Straße in ihr wieder. Die Falte führte über das Knie, den Oberschenkel, doch als sie in Höhe der Hüften waren, stoppte der kleine Wagen abrupt. Die Fliehkraft schleuderte mich über die Frontscheibe direkt vor eine Grube inmitten der ausgetrockneten Prärie. Ich drehte mich auf den Bauch, schaute zur Grube hinüber. Sie erschien von Menschenhand ausgehoben. Ich stemmte mich auf die Knie und krabbelte langsam auf den Rand des Loches zu. Aaaah. Ein Reflex schützte meinen Kopf. Etwas Großes flog schreiend an mir vorbei. Jetzt erkannte ich den Geier am Himmel. Einige andere stiegen mit ihm auf. Ein beißender Geruch von verwesendem Fleisch folgte ihnen. Drunten in der Grube lagen viele blutige Leiber, sie waren so stark zerfressen, daß es mir schwer viel zu erkennen, was für Tiere dort unten lagen. Unvermittelt bekam ich einen Tritt von hinten und fiel in auf die Teile. Die abgenagten Knochen rieben einander, kleinere brachen. Der scharfe Geruch würde mich wohl für immer verfolgen. Ich spürte förmlich, wie das Verwesungsgift auf mich überging, versuchte mich mit den Händen abzudrücken, die immer tiefer in diesen Gebeinen versanken. Immerhin konnte ich mich umdrehen und sah jetzt die Frau am Rande der Grube stehen. „Siehe! Du bist nicht der erste, der der Nacht ihr Geheimnis zu entlocken versucht. Und alle sind sie gescheitert.“ Sie fing an zu lachen, erst ganz leise, aber energisch, immer lauter werdend tauchte ich in ein infernalisches Gelächter ein, während die Knochen mich langsam begruben. Zuletzt schaute ich einem halb abgefressenen Schädel ins Gesicht, der meinem Redakteur verdammt ähnlich sah. Moment. Dort drinnen piepte etwas. Ich schnappte nach Luft und tauchte in den Haufen, immer tiefer hinein. Gleich . . .
Mit einem Japsen richte ich mich im Bett meines Motelzimmers auf. Im Fernseher dudelt eine Werbesendung. Klingeltöne fürs Handy. Draußen ist es mittlerweile völlig dunkel. Ich mache das Licht an, ziehe mir den kalten Burger rein und wechsle die Kanäle – nichts zum Ablenken. Also das Notizbuch des Jungen wieder herausnehmen. Mal sehen, was mir die Glyphen verraten.
 
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Das Buch im Invoice-Format ist voll mit wilden Zeichnungen und Papierfetzen, die mit allen möglichen Fixiermethoden am oder im Buch festgemacht sind. An mehreren Bändchen hängen kleine Knöchelchen und zwei silberne Plaketten mit ziselierten Bildern darauf, die ich erstmal als irgendwelche Runen beschreiben würde. Ich lese in Gedanken die Fetzen, die mir auf diesen Seiten entgegen prangen und versuche die Klosprüche und Zeichnungen zu übergehen. Bleiben noch drei Arten von Nachrichten. Die ersten waren suizidale Gedanken:
Nie wieder Schmerz, Spring in die Freiheit, Sie haben Deine Tränen nicht verdient, Wenn Du lange genug zudrückst, dann kannst Du das Paradies sehen
Die zweite Art:
Blut ist dicker als Wasser, Blut ist das einzige was mich noch nährt, Blut gibt mir Kraft, Rot ist die Liebe, Vereine das Unmögliche in einem Mittel und es ist Blut
Schließlich konnte ich noch Sätze finden, die diese beiden Nachrichten miteinander verbanden:
Die Farbe der Rache ist die des Blutes, Sie wollen Dich, aber Du willst Dein Blut für Dich allein, Lauft schon, ich werde Euch trinken, so wie Ihr es von mir wolltet
Dazwischen Symbole an die ich diffus erinnere. Wenn ich nur heraus bekäme, wann ich diese schon einmal gesehen hatte. In Büchern kann ich bestimmt fündig werden, aber erstmal werde ich einfach im Netz schauen. Beides findet sich heutzutage in öffentlichen Bibliotheken. Also meine Yellow Pages auf dem Handy nach einer großen Bibliothek durchforstet. Neben der Universitäts- und der Staatsbibliothek gibt es noch einige kleinere in diversen Schulen. Diese würden bei speziellen Themen jedoch die Bücher bestellen. Ich nehme einfach die nächste größere, also in der Innenstadt. Es war jedoch noch viel zu früh. Das Gebäude wird noch verschlossen sein. Ich lehne mich zurück und mache von dem Buch eine Photoreihe, diese lade ich fix auf meinen Laptop als auch auf mein Handy. Das Original verstecke ich unter einer Schublade und gehe dann nochmal in mein Bett um eine oder zwei Stunden Ruhe zu finden.
 
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