AW: Was muss man als Spielleiter wissen? (Spoiler)
TripleM schrieb:
mir hat er beim zweiten Ansehen besser gefallen.
Genau das ist doch aber der Punkt: Wenn jemand bestimmte Informationen nicht im Spiel (also beim "ersten Ansehen") erfährt/erspielt, sondern sie außerhalb (z.B. durch eine verspoilernden Film-Rezension oder einen Forenbeitrag) erfährt, dann gibt es für diesen Verspoilerten KEIN "zweites Ansehen". Er hatte nie die Chance den Überraschungseffekt der Enthüllung bestimmter Fakten zu erleben. Er hatte nie die Chance selbst(!) durch eigene Kombinations- und Beobachtungsgabe auf die treffenden Schlüsse zu den anderen Spielern/Zuschauern (noch) verborgenen Zusammenhängen zu kommen.
Daher ist es wichtig vor der ersten Engelrunde anzusprechen, daß es bestimmte Aspekte des Engel-Settings gibt, die man nur einmal entdecken/herausfinden/offenbart bekommen kann.
Wenn die Spieler einstimmig beschließen lieber die Engel-Hintergrund-Kenntnisse durch die Lektüre des GRW und der Ordensbücher zu bekommen, als alles erst im Spiel bzw. durch den Spielleiter gefiltert zu bekommen, dann kann man das so machen. - Aber bitte EINSTIMMIG, da nämlich auch nur ein Verspoilter in einer Schar mit seinem Vorabwissen den anderen Spielern und erst recht dem Spielleiter so manche mysteriöse Szene versauen kann (und wird! - Habe ich auf sehr unangenehme Art auch schon mehrfach erleben dürfen. Macht keinen Spaß.)
Die in solchen Fällen gerne aufgeführte angebliche Trennbarkeit von Spieler- und Charakterwissen existiert nicht, sie ist nur ein Selbstbetrug, da ja schon allein der Charakter nicht existiert und somit dessen "Wissen" ja stets identisch ist mit dem Spielerwissen. Also bitte nicht diesen verrottenden Pferdekadaver weiterprügeln, ja?
Ich vergleiche das Lesen der Engel-Publikationen, die (mit der rühmlichen Ausnahme des De Bello Britannico) praktisch keine Trennung von Spieler- und Spielleiter-Inhalten aufweisen, durch Engel-Spieler für vergleichbar mit dem Lesen von Abenteuern oder Kampagnenbänden, während man diese gerade in der Gruppe durchspielt. - Wenn man schon genau weiß, daß um die nächste Ecke eine Mordskampfszene lauert, während es in der anderen Richtung flotter weitergeht, und wenn man dann gerade keine Lust auf eine stundenlange Klopp-Sequenz hat, weil man noch einen Bus früher erwischen möchte, wo bleibt da noch die Unbefangenheit, die der Charakter hinsichtlich der beiden Richtungen eigentlich hätte? Man KANN nicht mehr so natürlich und unbefangen entscheiden, wenn man das Abenteuer schon gelesen hat.
Bei Engel KANN man sich nicht mehr wundern, warum der Gabrielit in der Schar nun plötzlich mit einem Stück Eisen um den Hals rumläuft, oder warum der Urielit ständig kurze "Botenflüge" unternimmt - und immer ist danach eine Leiche zu finden. - Das ist leider das generelle Problem mit dem Lesen der einzigen verfügbaren Spielleiterinformationen durch Spieler. Die Engel-Spielleiter können (meist) auch nur mit den Zutaten kochen, die in den ihnen vorliegenden Engel-Bänden enthalten sind. Sie haben nicht mehr im Schrank. Wenn nun ein (oder gar mehrere) Spieler alle vorhandenen potentiellen Zutaten bereits kennen, dann riechen sie den Braten, den der Spielleiter für sie vorbereitet hat, schon von Weitem und kennen die Füllung.
Eigentlich halte ich das für eine Selbstverständlichkeit, daß man als Spieler, wenn in der eigenen Kampagne der Spielleiter auf publiziertes Material zurückgreift, dieses NICHT vor Ende der Kampagne gelesen wird, um sich und seinen Freunden nicht den Spaß zu verderben und jegliches Überraschungsmoment zu versauen. Als Spielleiter lege ich darauf auch deshalb Wert, weil ich es mir erlauben möchte so frei, wie es die Handlungen meiner Spieler in der Spielwelt erfordern, am Inhalt der Kampagne bzw. an bislang noch nicht als "gespielte Fakten" der Spielwelt aufgenommenen Hintergrundkonstellationen Änderungen vorzunehmen. Da will ich keine Fluff-Text-Lawyer erleben, der mir aufgrund seiner detaillierten Kenntnisse der eigentlich als Spielleiterinformationen für die Kampagne wichtigen Punkte, in meine Auslegung der Welt der Engel rein-korrigiert.
Engel steht mehr als so manche anderen Rollenspiele mit einer Darstellung der Spielwelt durch den Spielleiter, die die Spieler (und ihre Charaktere) packt und in diese Auslegung der Welt hineinzieht.
Dabei ist die Welt der Engel beim nächsten Engelspielleiter wieder anders. Meine heroischen Kick-Ass-and-Take-Names-Engel sind anders als die Engel anderer Spielleiter. Wer weinende Kinder mit fusseligen Flügelchen spielen möchte, der wird bei mir nicht glücklich, weil er zuviel harte Kämpfe seiner Engel-SCs beschreiben können muss. So ist das eben.
Engel fällt mit der Auslegung der Welt der Engel durch den Spielleiter - vor allem, wenn dessen Auslegung so garnicht zu der Erwartung oder Vorliebe seiner Spieler passen will und er dann auch nicht - sobald das offenbar wird - seine Welt entsprechend einem gemeinsamen Konsens anders auslegen mag.
Ehrlich hätte ich schon gerne Spielerhandbücher für Engel, in denen aus allen als SC-relevant einzustufenden Orden spezifische Beschreibungen von Ausbildung, Ordens-Lehre (vor allem im Unterschied zur umfassenden Angelitischen Lehre) und Ordens-Vorurteile, Ordens-Propaganda, Ordens-Identität stets aus dem Blickwinkel des SC-Engels enthalten wären.
Die aktuelle Mischung (vor allem bei den älteren Ordensbüchern) ist für mich jenseits dessen, was ich an Informationen Engeln einschließlich Sigil-Zeichnungsstufe bei Spielbeginn zugestehen würde. Bei Scriptura lasse ich im Einzelfall mit mir darüber reden, wieviel und was der Charakter wirklich wissen könnte. - Ich habe kein einziges Ordensbuch für meine Engelspieler "freigegeben". Ich habe aber Ausbildungsabläufe und "Ordensgeprägte" Sichten auf die Welt selbst angefertigt, so daß es eine gewisse Informationsbasis auch außerhalb der eigentlichen Spielzeit gibt.
Bei Engel ist - immer noch - reichlich Do-it-yourself für den Spielleiter angesagt.