Nostalgie Voluspa

Silvermane

Wahnsinniger
Registriert
22. Februar 2004
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Gehör heisch ich
heilger Sippen,
hoher und niedrer
Heimdallssöhne;
du willst, Walvater,
daß wohl ich künde,
was alter Mären
der Menschen ich weiß.

Weiß von Riesen,
weiland gebornen,
die einstmals mich
auferzogen;
weiß neun Heime,
neun Weltenreiche,
des hehren Weltbaums
Wurzeltiefen.

Urzeit war es,
da Ymir tauste:
nicht war Sand noch See
noch Salzwogen
nicht Erde unten
noch oben Himmel,
Gähnung grundlos,
doch Gras nirgend.

Bis Burs Söhne
den Boden hoben,
sie, die Midgard,
den mächtgen, schufen:
von Süden schien Sonne
aufs Saalgestein;
grüne Gräser
im Grund wuchsen.

Von Süden die Sonne,
des Monds Gesell,
schlang die Rechte
um den Rand des Himmels:
die Sonne kannte
ihre Säle nicht;
die Sterne kannten
ihre Stätte nicht;
der Mond kannte
seine Macht noch nicht.

Zum Richterstuhl gingen
die Rater alle,
heige Götter,
und hielten Rat:
für Nacht und Neumond
wählten sie Namen,
benannten Morgen
und Mittag auch,
Zwielicht und Abend,
die Zeit zu messen.

Die Asen eilten
zum Idafeld,
die Heiligtümer
hoch erbauten;
sie setzten Herde,
hämmerten Erz;
sie schlugen Zangen,
schufen Gerät.

Sie pflogen heiter
im Hof des Brettspiels-
nichts aus Golde
den Göttern fehlte-,
bis drei gewaltge
Weiber kamen,
Töchter der Riesen,
aus Thursenheim.

Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter,
und hielten Rat,
wer der Zwerge Schar
schaffen sollte
aus Brimirs Blut
und Blains Knochen.

Motsognir ward
der mächtigste da
unter den Zwergen,
der zweite Durin;
die machten manche
menschenäh Rich,
wie Durin es hieß,
die Höhlenzwerge.

Bis drei Asen
aus dieser Schar,
stark und gnädig,
zum Strand kamen:
sie fanden an Land,
ledig der Kraft,
Ask und Embla,
ohne Schicksal.

Nicht hatten sie Seele,
nicht hatten sie Sinn,
nicht Lebenswärme
noch lichte Farbe;
Seele gab Odin,
Sinn gab Hönir,
Leben gab Lodur
und lichte Farbe.

Eine Esche weiß ich,
sie heißt Yggdrasil,
die hohe, benetzt
mit hellem Nass:
von dort kommt der Tau,
der in Täler fällt;
immergrün steht sie
am Urdbrunnen.

Von dort kommen Frauen,
vielwissende,
drei, aus dem Born,
der unterm Baume liegt:
Urd heißt man eine,
die andre Werdani-
sie schnitten ins Scheit-,
Skuld die dritte;
Lose lenkten sie,
Leben koren sie
Menschenkindern,
Männergeschick.

Da kam zuerst
Krieg in die Welt,
als Götter Gullweig
mit Geren stießen
und in Heervaters
Halle brannten,
dreimal brannten
die dreimal geborne.

Man hieß sie Heid,
wo ins Haus sie kam,
das weise Weib;
sie wußte Künste:
sie behexte Kluge;
sie behexte Toren;
immer ehrten sie
arge Frauen.

Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter,
und hielten Rat,
ob Zins die Asen
zahlen sollten
oder alle Götter
Opfer haben.

Den Ger warf Odin
ins Gegnerheer:
der erste Krieg
kam in die Welt;
es brach der Bordwall
der Burg der Asen,
es stampften Wanen
streitkühn die Flur.

Zum Richtstuhl gingen
die Rater alle,
heilge Götter
und hielten Rat,
wer ganz die Luft
mit Gift erfüllt,
Ods Braut verraten
Riesensöhnen.

Nur Thor schlug zu,
zorngeschwollen:
selten sitzt er,
wenn er solches hört;
da wankten Vertrag,
Wort und Treuschwur,
alle Eide,
die sie ausgetauscht.

Ich weiß Heimdalls
Horn verborgen
unterm heilgen
Himmelsbaume;
Flut seh ich fallen
im feuchten Sturz
aus Walvaters Pfand-
wißt ihr noch mehr?

Saß einsam draußen,
als der Alte kam,
der furchtbare Ase,
und ins Auge mir sah:
Was fragst du mich?
Was forschst du bei mir?
Ich weiss, Odin,
wo dein Auge du bargst.

Ich weiß Odins
Auge verborgen
in Mimirs Quell,
dem märchenreichen;
Met trinkt Mimir
allmorgentlich
aus Walvaters Pfand-
wißt ihr noch mehr?

Halsschmuck und Ringe
gab Heervater,
für Zukunftwissen
und Zauberkunde:
weit sah ich, weit
die Welten alle.

Ich sah Balder,
dem blutenden Gott,
Odins Sohne,
Unheil bestimmt:
ob der Ebne
stand aufgewachsen
der Zweig der Mistel,
zart und schön.

Ihm ward der Zweig,
der zart erschien,
zum herben Harmpfeil:

Hödur schoß ihn;
und Frigg weinte
in den Fensälen
um Walhalls Weh-
wißt ihr noch mehr?

Geknebelt sah ich
im Quellenwald
den Leib Lokis,
den listenreichen.
Da sitzt Sigyn,
ihr Gesell bringt ihr
wenig Wonne-
wißt ihr noch mehr?

Durch Gifttäler
gleitet von Osten
mit Schneiden und Schwertern
der Schreckenstrom.

Im Norden stand
auf dem Nachtfelde
für Sindris Sippe
ein Saal aus Gold;
ein andrer hob sich
auf heißem Grund,
der Biersaal des Riesen,
der Brimir heißt.

Einen Saal sah ich,
der Sonne fern,
am Totenstrand,
das Tor nach Norden:
tropfendes Gift
träuft durch das Dach;
die Wände sind
aus Wurmleibern.

Dort sah ich waten
durch Sumpfströme
Meineidige
und Mordtäter;
dort sog Nidhögg
entseelte Leiber,
der Wolf riß Leichen-
wißt ihr noch mehr?

Eine Alte östlich
im Erzwald saß;
die Brut Fenrirs
gebar sie dort.
Von ihnen allen
wird einer dann
des Tageslichts Töter,
trollgestaltet.

Er füllt sich mit Fleisch
gefallner Männer,
rötet mit Blut
der Rater Sitz.
Schwarz wird die Sonne
die Sommer drauf;
Wetter wüten-
wißt ihr noch mehr?

Dort saß auf dem Hügel
und schlug die Harfe
der Riesin Hüter,
der heitre Eggdir;
es krähte bei ihm
im Kiefernbusch
der feuerrote Hahn,
der Fjalar heißt.

Doch Güldenkamm
bei den Göttern kräht:
er weckt die Helden
bei Heervater;
unter der Erde
ein anderer kräht,
in Hels Halle,
ein braunroter Hahn

Gellend heult Garm
vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf.
Vieles weiß ich,
Fernes schau ich:
der Rater Schicksal,
der Schlachtgötter Sturz.

Brüder kämpfen
und bringen sich Tod,
Brudersöhne
brechen die Sippe;
arg ist die Welt,
Ehbruch furchtbar,
Schwertzeit, Beilzeit,
Schilde bersten,
Windzeit, Wolfzeit
bis die Welt vergeht-
nicht einer will
des andern schonen.

Es gärt bei den Riesen;
des Gjallarhorns,
des alten, Klang
kündet das Ende.
Hell bläst Heimdall,
das Horn ragt auf;
Odin murmelt
mit Mimirs Haupt.

Yggdrasils Stamm
steht erzitternd,
es rauscht der Baumgreis;
der Riese kommt los.
Alles erbebt
in der Unterwelt,
bis der Bruder Surts
den Baum verschlingt.

Was gibt's bei den Asen?
Was gibt's bei den Alben?
Riesenheim rast;
beim Rat sind die Götter.
Vor Steintoren
stöhnen Zwerge,
die Weisen der Felswand-
wißt ihr noch mehr?

Gellend heult Garm
vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf.
Vieles weiß ich,
Fernes schau ich:
der Rater Schicksal,
der Schlachtgötter Sturz

Hrym fährt von Osten,
er hebt den Schild;
im Riesenzorn
rast die Schlange.
Sie schlägt die Wellen;
es schreit der Aar,
Leichen reißt er;
los kommt Nagelfar.

Der Kiel fährt von Osten,
es kommen Muspells
Leute zum Land;
Loki steuert.
Mit dem Wolfe zieht
die wilde Schar;
Byleipts Bruder
bringen sie mit.

Surt zieht von Süden
mit sengender Glut;
von der Götter Schwert
gleißt die Sonne.
Riesinnen fallen,
Felsen brechen;
zur Hel ziehn Männer,
der Himmel birst.

Dann naht neue
Not der Göttin,
wenn wider den Wolf
Walvater zieht
und gegen Surt
der sonnige Freyr:
fallen muß da
Friggs Geliebter.

Der starke Sohn
Siegvaters kommt,
Widar, zum Kampf
mit dem Waltiere:
es stößt seine Hand
den Stahl ins Herz
dem Riesensohn;
so rächt er Odin.

Der hehre Sproß
der Hlodyn naht.
Der Lande Gürtel
gähnt zum Himmel:
Gluten sprüht er,
und Gift speit er;
entgegen geht
der Gott dem Wurm.

Der Erde Schirmer
schlägt ihn voll Zorn-
die Menschen müssen
Midgard räumen-;
weg geht wankend
vom Wurm neun Schritt,
der Gefecht nicht floh,
der Fjörgyn Sohn.

Die Sonne verlischt,
das Land sinkt ins Meer;
vom Himmel stürzen
die heitern Sterne.
Lohe umtost
den Lebensnährer;
hohe Hitze
steigt himmelan.

Gellend heult Garm
vor Gnipahellir:
es reißt die Fessel,
es rennt der Wolf.
Vieles weiß ich,
Fernes schau ich:
der Rater Schicksal,
der Schlachtgötter Sturz.

Seh aufsteigen
zum andern Male
Land aus Fluten,
frisch ergrünend:
Fälle schäumen;
es schwebt der Aar,
der auf dem Felsen
Fische weidet.

Auf dem Idafeld
die Asen sich finden
und reden dort
vom riesigen Wurm
und denken da
der grossen Dinge
und alter Runen
des Raterfürsten.

Wieder werden
die wundersamen
goldnen Tafeln
im Gras sich finden,
die vor Urtagen
ihr eigen waren.

Unbesät werden
Äcker tragen;
Böses wird besser:
Balder kehrt heim;
Hödur und Balder
hausen im Sieghof,
froh, die Walgötter-
wißt ihr noch mehr?

Den Loszweig heben
wird Hönir dann;
es birgt beider
Brüder Söhne
das weite Windheim-
wißt ihr noch mehr?

Einen Saal seh ich
sonnenglänzend,
mit Gold gedeckt,
zu Gimle stehn:
wohnen werden
dort wackre Scharen,
der Freuden walten
in fernste Zeit.

Der düstre Drache
tief drunten fliegt,
die schillernde Schlange,
aus Schluchtendunkel.
Er fliegt übers Feld;
im Fittich trägt
Nidhögg die Toten:
nun versinkt er.


-Silver, kryptisch.
 
Ah. Ich liebe dieses Werk! Allein das "Gähnung grundlos" hat mich immer wieder absolut fasziniert.
 
"Schwertzeit,Beilzeit,Schilde bersten ......"


Die Mythologie ist einfach nur traumhaft, wenn man skandinavische Philologie wenigstens sinnvoll gebrauchen könnte, würde ich es ja studieren, wenn ich erstmal soweit bin, aber grmpf ..... ;)
 
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