AW: Universale Regelsysteme
First things first...
Universal: Nicht auf eine spezifische Aufgabe bezogen, gültig für ALLE möglichen/denkbaren Aufgaben
Generisch: Teil einer Gruppe/Klasse, die über gemeinsame Eigenschaften verfügt
Wie so manche Vorredner, so kann auch ich nur zu "universalen" Rollenspielen die Erkenntnis präsentieren, daß sie sehr "geschmacksneutral" und steril wirken. Dabei müssen universale Rollenspiele nicht zwingend einfache, ja gar primitive Regelmechanismen aufweisen.
Ein Rollenspiel mit dem Anspruch "universal" zu sein, hat ja den Anspruch über ALLE denkbaren Genres und über ALLE denkbaren Spielstile hinweg tauglich zu sein.
System DOES matter!
GURPS ist da ein gutes Beispiel. GURPS - lassen wir vorerst mal das G weg und konzentrieren uns auf das U - hat ja schon im Titel das "Universale" als Anspruch. GURPS ist kein leichtgewichtiges System, es ist meinem Eindruck nach ein System, welches sogar eher ziemlich schwergewichtig und detailverliebt daherkommt. - Kann ein solches Regelwerk ALLE denkbaren Genres unterstützen?
Ja.
Kann es sie alle GLEICH GUT unterstützen?
Gewiß nicht.
Woran liegt das?
Das liegt daran, daß ein System mit universellem Anspruch prinzipiell zwei Wege gehen kann: der eine, einfachere, wie ich finde, ist alle Details, alle feinen Unterschiede auszublenden.
RISUS ist ein funktionierendes universales System. Man kann damit wirklich jedes Genre spielen und es gibt auch einen ganzen Haufen von Settings, für die RISUS-Adaptionen (zumeist mit sehr wenig Aufwand erstellbar) zu bekommen sind.
RISUS blendet alle Details aus und konzentriert sich auf das eine Element, welches die Charaktere im Rollenspiel seit eh und je definiert: das Klischee. In RISUS haben die Charaktere als definierende Angaben nur ihre Klischees (z.B. Durchtriebener Schmuggler 3, Treuer Freund 2, Zäher Soldat 4). Alle weiteren Details - inklusive der Ausrüstung! - werden ausgeblendet (da z.B. die Ausrüstung Teil des Klischees ist: Verwegener Musketier hat zwangsläufig eine Muskete, ein Rapier, einen Parierdolch, Rüschenhemden und einen lockeren Spruch auf den Lippen. Fehlt da etwas, wie z.B. wenn er entwaffnet wurde, so kann das Klischee Verwegener Musketier nicht mehr eingesetzt werden. Simpel was?).
Diese vereinfachte, detailarme Art von System kann zwar jedem Genre übergestülpt werden, doch ist es ja so, daß viele Genres auch über ihren Detailreichtum, über subtile Differenzierung, die dort die Quelle für Konflikte ist, definiert werden. Und hier kommt RISUS nicht gut weg. Für solche Genres/Settings ist es ZU EINFACH.
GURPS hingegen versucht den anderen Weg: man definiert Regeln für ALLES erdenkliche, was je im Rollenspiel vorkommen könnte. Und das erzeugt ein detailreiches Regelmonster, daß versucht alles gleich gut - und zwar gleich gut detailiert - zu können. Hier MACHT es einen Unterschied, ob man mit .44er oder .45er Knarren ballert. Bei RISUS ist das egal.
GURPS kann als Regelsystem (die Setting-Schilderungen hier bitte ausblenden) mit einer Fülle an Regeldetail aufwarten, welches einer Anpassung eines Settings auf das GURPS-Regelsystem die erste Hürde in den Weg legt: was alles brauche ich von der Fülle an GURPS Regeln für mein Setting wirklich?
Bei RISUS muß man nur die Klischees des Settings kennen und hat alle Arbeit geleistet. Bei GURPS reicht das nicht. Da ist mehr Detailkenntnis und mehr Arbeit notwendig.
Das war jetzt der eine Anwendungsfall für ein unversales Rollenspielsystem: "Was muß ich tun, wenn ich es mit meinem Setting verwenden will?"
Jetzt hat man die Anpassung gemacht und nun kommt der zweite - und häufigere - Fall: "Wie spielt es sich denn in meinem Setting mit diesem Regelwerk so?"
Und da wirkt sich das System merklich auf den vom System zugelassenen bzw. kanalisierten Spielstil aus. Man kann da in die Theorie-Schmiede schauen und entsprechende Begriffe hervorkramen, man kann aber auch einfach mal überlegen, wie z.B. ein Setting wie Deadlands sich nach GURPS Deadlands, D20 Deadlands, Savage Worlds Deadlands und nach dem ursprünglich für dieses Setting entwickelten Deadlands Classic Regelwerk spielt.
GURPS Deadlands hat KEIN Weirdwest-Feeling, sondern es fühlt sich an wie steriles GURPS mit ein paar neuen Permutationen der bestehenden und ein paar neuer Vorteile/Nachteile/Magieelementen.
D20 Deadlands hat KEIN Weirdwest-Feeling, sondern Level, KEINE Nachteile für die Charaktere sondern nur Vorteile(Feats) und unverwundbare Charaktere (liegt am Hitpoint-System)
Savage Deadlands hat kaum Weirdwest-Feeling - kaum, da das Savage Worlds System zumindest zum Teil aus dem Deadlands Classic System hervorgegangen ist, aber eben deutlich vereinfacht wurde. Savage Worlds hat viel weniger von den Details, die im Fokus des Deadlands-Settings stehen.
Classic Deadlands ist das einzige System, welches das Spielgefühl mit hohem Detailreichtum in den RICHTIGEN Elementen des Settings und wenig Details in den nicht bestimmenden Elementen des Settings kombiniert.
Für mich ist - trotz meiner Begeisterung für Savage Worlds - Deadlands nur nach dem originalen, speziellen und alles andere als universellen System das richtige Deadlands.
Das könnte aber bei jemand anderem ganz anders aussehen. Da könnte der D20-Spieler, der alle Mechanismen von D20 gut kennt, sich leichter mit dem Hintergrund des Settings befassen, als wenn er jetzt über die so ganz andere Art einen Kampf durchzuziehen oder zu Zaubern erst etwas neu lernen müßte und sich dann eventuell auch noch ärgert, weil er über manche Hakeligkeiten des Deadlands Classic Systems unglücklich ist.
Und hier kommt dann gleich der nächste Punkt: Systemfehler!
Genauer gesagt: Hausregeln.
Hausregeln sind Patches auf wahrgenommenen Fehlern des eigentlichen Regelwerkes. Entweder sind Regeln fehlerhaft, unspielbar, unlogisch etc., oder es fehlen für von den Spieler als wichtig empfundenen Elementen des Settings einfach die Regeln, so daß die Hausregel sie nicht nur ändern, sondern gleich zusätzlich einfügen muß.
Oben hatte ich den Punkt angesprochen, daß man ein universales System ja an ein Setting anpassen, zuschneiden muß (keine Laser in meiner Fantasy!). Dieses Anpassen wird aber auch bei speziellen, engfokussierten Systemen fast jeder Spielleiter machen, um den Anforderungen seiner eigenen Runde an das Regelsystem besser entsprechen zu können.
Hier haben universale Schwergewichts-Systeme einen kleinen Vorteil: sie bieten eine Fülle von Regeln, die entweder direkt übernommen oder als Vorlagen, Beispiele für Instanzen von Regelmechanismen herangezogen werden können. - Bei einem spezialisierten System erfindet jeder Spielleiter das Rad (der Hausregel) neu (oder er holt es sich aus der Spielergemeinschaft des Webs).
Nur, eine Hausregel verändert - im Normalfalle - nicht den gesamten Charakter, den unterstützten Spielstil des spezialisierten Systems. Der Charakter SOLL ja erhalten bleiben, da dieser wegen seiner Integration in das Setting eine Einheit darstellt, die bei schweren Änderungen eben Brüche sichtbar werden läßt (wie z.B. bei den Huckstern nach Savage Worlds Deadlands, welche nicht mehr das sind, was ich an Huckstern so cool finde).
Letztlich stellt ein Universalsystem für mich eine für alle Rollenspielanwendungen geeignete, aber SEHR unterschiedlich gut geeignete Lösung dar.
Sicherlich gibt es Settings, die fast überlappend mit dem einen oder anderen Universalsystem abzubilden sind. Und genauso gibt es völlig orthogonale Settings, denen man keinen Gefallen tut, sie in das Korsett eines universal geglaubten Systems zu zwängen (z.B. die Sci-Fi-D20-Adaptionen, die zwingend das Elves-Dwarves-Orcs-Playershandbook von D&D brauchen *seufz*).
Somit sind für mich Systeme mit Universalanspruch grundsätzlich als gescheitert anzusehen. Sie können LOKAL in manchen Settings erfolgreiche Adaptionen bieten, aber eben nicht wirklich in ALLEN IMMER ÜBERALL.
Was macht das aus einem Universalsystem, wenn es nicht wirklich überzeugend "universal" sein kann?
Es macht einen Baukasten daraus.
Einen bisweilen verdammt großen, unübersichtlichen und mächtigen Baukasten, aber immer noch einen Baukasten.
Aus den Regelbausteinen, Regel-Elementen, eines solchen Systems bastelt man sich die Adaption für ein Setting zusammen. Man wählt aus, was für Mechanismen, was für Ausrüstung, was für Magiesysteme, etc. man für das Setting braucht. Was man nicht im Baukasten findet, das bastelt man halt selbst dazu. - Und fertig ist eine Setting-Adaption für ein "universales" Baukastensystem.
Alle Setting-Adaptionen, die auf diesem "universalen" System basieren, zusammengenommen weisen untereinander eine gewisse Verwandtschaft auf. Alle D20-Adaptionen (auch ohne die Haarspalterei ob D20, D20 Modern, OGL oder was auch immer) sind untereinander als ähnlich zu erkennen. Sie verwenden über weite Bereiche DIESELBEN (= identischen) Bausteine und über noch weitere Bereiche dieselben Baupläne, Muster, Arten Dinge in Regeln abzubilden. - Das macht aus diesen Instanzen eines "universalen" Rollenspiels eine Familie.
Das macht diese Rollenspiele "generisch".
Und DAS ist es, was bei GURPS tatsächlich stimmt (und bei eigentlich allen anderen "universalen" Rollenspielen auch): es ist GENERISCH (müßte also besser GRPS heißen).
Alle von einem generischen System abgeleiteten Rollenspiele haben erkennbare Verwandtschaft zueinander und sind als Instanzen einer - wie auch immer abstrakt definierten - übergeordneten Regelsystemklasse zu erkennen.
Da gibt es die vielen kommerziellen und fanproduzierten BRP-Klone, die D20-Adaptionen, die GURPS-Adaptionen etc. Bei GURPS liegt die "Elternklasse" dieser Kinder-Systeme direkt als Kauf-Produkt vor. Bei den Unisystem-Rollenspielen wie All Flesh Must Be Eaten, Witchcraft, Angel, Buffy, Army of Darkness liegt hingegen das darunterliegende Unisystem nicht in seiner generischen Urform vor, sondern man bekommt nur die setting-spezifischen Instanzen von Eden Studios präsentiert. - Und doch ist auch allen Unisystem-Spielen die Verwandtschaft sofort anzumerken.
Da wurde doch anfangs im Thread die Frage gestellt, ob ein System, welches nur für genau ein Setting speziell erschaffen wurde, überhaupt einen eigenen Namen braucht.
Nun, bei Midgard wurde das System und die Spielwelt anfangs überhaupt nicht getrennt gesehen. Das änderte sich mit Midgard 1880, Jolly Roger und Perry Rhodan etwas, doch gibt es keine publizierte - ich würde auch vermuten keine inoffizielle, ausgearbeitete - Fassung des Midgard-Systemkerns. Das Midgard-Kernsystem, das, was alle Midgard-Klone als Midgard-verwandt erkennbar macht, ist somit abstrakt.
Beim Unisystem ist das ähnlich, doch wurde das Regelsystem mit dem Gedanken es in anderen Settings so oder so ähnlich wie in Witchcraft etc. weiterzunutzen, angelegt. Der Systemkern ist intern bei Eden sicherlich bekannt (und wird sich nur minimal von Witchcraft unterscheiden - vermute ich mal), doch sind für die Anpassungen eben die Settingbelange ausschlaggebend. Dann kommt es auch neben Witchcraft und AFMBE zu Rollenspielen wie Angel und BtVS, die ziemlich anders vom Spielstil her als die beiden erstgenannten angelegt sind.
Wenn es ein Regelsystem - ob separat veröffentlicht oder nicht - gibt, welches das Potential hat für mehr als nur ein spezifisches Setting herzuhalten, dann sollte es m.E. auch einen eigenen Namen führen dürfen (auch wenn es Spielsysteme gibt, die nicht einmal für ihr ursprüngliches, primäres - oder besser: primales? - Setting geeignet sind - wie z.B. KatharSys).
orange schrieb:
aber das beste an ihnen ist dass man sie immer etwas abändern kann um sie ans spiel anzupassen.
Hier ist für mich der Begriff "Bastelsysteme" wichtig.
Das sind Spielsysteme, die ich gerne einmal für andere als die ursprünglichen Settings hernehmen kann und die modular genug sind (Stichwort: Bausteine), daß sie mit vertretbarem Aufwand anzupassen sind. BRP gehört da definitiv zu den von mir am längsten für so etwas verwandten Systemen. Aber auch die Engel-Arkana-Idee (natürlich mit anderen Karten) ist ja für manche (längst nicht alle, noch nicht einmal viele!!!) Settings reizvoll.
Und ich kann natürlich nicht über das Thema Universalsysteme bzw. generische Systeme gehen ohne Savage Worlds prominent zu erwähnen. Das ist für mich derzeit DAS optimale Bastelsystem schlechthin. Es ist von Anfang an nie als ein One-Size-Fits-All-System geplant gewesen, sondern kann vieles verdammt gut, aber längst nicht alles (leider auch nicht Deadlands) und hat nicht den Anspruch alles zu können. - Aber man kann aufgrund des offensichtlichen, überschaubaren und doch leistungsfähigen Baukasten-Charakters seine Anpassungen schnell (ja, nicht ganz so schnell wie bei RISUS, aber wesentlich schneller als eine D&D-D20-Sci-Fi-Adaption) vornehmen.
Für mich ist derzeit, für die Art, die ich momentan im Spielen schätze, dieses das reichlichst generische und für meine Bedürfnisse ausreichend vielseitige System. - Und ich will gar nicht mehr.
Wer braucht schon echte Universalsysteme?