Belletristik Oh mann, war ich damals doof. Oder: Welche Bücher habt ihr beim zweiten Mal ganz anders gelesen?

RockyRaccoon

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Hi,

ich hab gerade in diesem Thread hier rumgelesen und dabei sind mir zwei Sachen aufgefallen: 1) Ich vermisse Cry und Shub-Schumann und 2) eines der sich durch den Thread ziehenden Themen war, dass viele Leute große Werke der Weltliteratur total doof fanden, als sie sie in der Schule lesen mussten.
Weil man mit sechzehn Jahren eben idR noch ein dummes, dummes Kind ist.

Wie ist das bei euch? Welche Geschichten habt ihr zu erzählen über Bücher, die ihr mit ein paar Jahren Abstand und in einer anderen Lebenssituation ganz anders gelesen habt?

Ich selbst kann leider keine Schulanekdote beisteuern, weil ich schon immer gern Bücher gelesen habe und auch das, was mir in der Schule nahegebracht wurde, immer zumindest neutral genug fand, um kein Lebenstrauma davon zu tragen. Mit anderen Worten: Bis auf Nathan der Weise und den Schimmelreiter weiß ich aus meiner Jugendschulliteratur nichts mehr. Und die Literatur, die ich als Erwachsener deutlich jenseits der 25 im Abitur gelesen habe, fand ich durchweg super.

Aber zwei Sachen, die mir so aus meiner Privatlektüre einfallen sind 1984 und Bukowski.
1984 hab ich mit sechzehn aus Spaß gelesen. Weil ich die Anspielungen, die einem darauf ständig begegnen verstehen wollte. Und fand es... okay. Jetzt, mit 32, lese ich es gerade mit meinem Nachhilfeschüler nochmal und bin total geflasht, wie weitsichtig und durch und durch zynisch dieses Buch ist. Wie viel mehr man da rausholen kann, wenn man mit marxistischer Theorie was anfangen kann und die Rhetorik des Dritten Reiches und auch der Sowietunion so einigermaßen kennt.

Das andere ist Bukoswki. Den habe ich auch mit sechzehn gelesen, weil ich gehört hatte, dass er so schmutzige Drogen- und Undergroundliteratur sei. Und als solche hat er mich auch total angefixt. Das ständige Saufen und Ficken, das in Bukowskis Büchern so vor sich geht, hat meinem sechzehnjährigen Verstand unheimlich gefallen und auch gereicht.
Als ich kürzlich mit Anfang dreißig nochmal ein paar Bukowskis gelesen habe, hat er mich wieder gepackt. Aber ganz anders. Jetzt ist mir Cinaskis Leben in seiner ganzen absurden Leere deutlich vor Augen getreten. Eine Leere, in der ich mich wiedergefunden habe. Auch wenn ich deutlich weniger Trinke und deutlich weniger Sex habe. Aber ich habe eben andere Zeitvertreibe. Die auch nur dazu dienen, den Tag rumzukriegen. Tag für Tag. Das war einer der ausschlaggebenden Momente, das Studienfach zu wechseln. Wenn man ohnehin nur die Zeit rumbringt, dann kann man das genausogut auch mit etwas interessantem und erfüllendem tun. So wie meinem jetzigen Studiengang. Statt denn ganzen Tag nur zu saufen und/oder Jura zu studieren.

Was habt ihr für Geschichten mit Büchern, die euch zwei Mal ganz anders erwischt haben?
 
Weil man mit sechzehn Jahren eben idR noch ein dummes, dummes Kind ist.
Nicht ganz thematisch passend, aber irgendwie doch:

Ich möchte einen Einwurf zu Zeichentrick-/Animationsfilmen machen. Das ist irgendwie die Königsdisziplin dessen, wie man für zwei völlig verschiedene Zielgruppen (Erwachsene und Kinder) zwei Ebenen in ein Medium unterbringen kann, sodass sie störungsfrei doch beide Zielgruppen auf ihre Weise unterhalten.

Warum sollten das Bücher also nicht auch können?

(Ich möchte meinem Sohn zB gerne Jack London und Jules Verene vorlesen. Eigentlich ist er fast zu alt zum Vorlesen, aber ich brauche diesen Vorwand, um mir die Zeit dafür zu nehmen. Und ich freue mich drauf.
Nicht dass ich da glaube die großen Erkenntnisse aus den Büchern ziehen zu können. Aber ich glaube ich kann sie einfach auf andere Weise noch einmal genießen.)
 
Natürlich können die selben Medien verschiedene Altersgruppen unterschiedlich ansprechen.
Das ist die Grundannahme für diesen Thread.

Hast du auch ein paar konkrete Beispiele aus deinem Leben?
 
Natürlich können die selben Medien verschiedene Altersgruppen unterschiedlich ansprechen.
Das ist die Grundannahme für diesen Thread.
Die ich damit bestätigen wollte.

Hast du auch ein paar konkrete Beispiele aus deinem Leben?
Nö.
Das liegt aber auch daran, dass ich zu schnell vergesse. Ich erkenne gar nicht, ob ich eine neue Erkenntnis aus einem Werk ziehe, oder ob ich mich einfach nicht mehr an die vergangene Erkenntnis erinnere.

Aber vielleicht ist das bei dir ja auch so und du sitzt hier nur einem Trugschluss auf. :D
 
Ich war zu Abizeiten ein großer Michel Houellebecq Fan und habe die ersten drei Romane von ihm auch immer mal wieder gelesen. Interessanterweise fand ich Ausweitung der Kampfzone, als ich es letztes oder vorletztes Jahr, nach längere Houellebecq-Pause hervor kramte, ziemlich doof. Elementarteilchen war aber noch okay und Plattform finde ich immer noch großartig. Insgesamt ziehen mich seine Werke aber mittlerweile beim lesen ziemlich runter.

Ganz anders bei den Buddenbrooks von Thomas Mann. Die Sprache und die brillanten Beschreibungen fand ich auch damals gut, trotzdem hat mir auf den 800+ Seiten irgendwie etwas gefehlt, wie ein packende Story oder so. ;) Beim letzten Lesen war das aber anders, da traten die Sprache und die Details in den Vordergrund und die Freude an den kleinen und großen Dramen des normalen Lebens und den langsamen Niedergang einer Familie in kleinen Schritten.

Von Goethes Werther war ich wiederum sehr angetan , so als romantischer, sensibler Jungmann. ;) Empfinde ich mittlerweile, als ziemlich kitschigen Quark. Während ich viele spätere Sachen von ihm, für ziemlich trocken hielt, die mich mittlerweile aber sehr begeistern können. Damls wie heute stand der Faust aber einfach über allem. :)

Geändert hat sich auch die Wahrnehmung des Seewolfes von Jack London. Als Kind/Jugendlicher, war das ein tolles Abenteuerbuch, später erkennt bzw. versteht man erst die Geschichte um den moralisch-philosophischen Konflikt zwischen van Wayden und Wolf Larsen im vollen Umfang.

So, nur als ein paar Beispiele von meiner Seite aus.
 
Ja bei Werther musste ich schon etwas angewandtes Rollenspiel betreiben und versuchen, mich in einen jungen Romantiker zu versetzen. Als ich den gelesen hab, war ich schon nicht mehr so ganz jung und die Romantik schon das eine oder andere Jahr vorbei.
Aber ich konnte zumindest verstehen, warum er so einen Eindruck gemacht hat.
Das ging mir übrigens mit Casablanca ähnlich. Der hat mich als Unterhaltungsfilm zu Tode gelangweilt. Aber mit der zeitgeschichtlichen Brille ging es wieder.
 
Ich habe als Jugendlicher ziemlich viel Hohlbein gelesen, bis dann irgendwann dieses "kennt man einen, kennt man alle" einsetzt und er mich nur noch langweilte.
Stephen King: früher so wegen Horror und Ekelkram, aber eigentlich schreibt er Milieustudien und das ziemlich gut.
Effie Briest hingegen wird das wohl meistgehasste Stück Schulliteraturgeschichte bleiben, bei mir und folgenden Generationen. Einige Bücher aus der Schule sind inzwischen jedoch so fern der eigenen Lebenswelt, daß man sie wirklich nur aus literaturhistorischer Sicht betrachten kann und das kann in dem Alter einfach noch nicht geleistet werden.
Viele andere Sachen aus der Schullektüre jedoch haben mir damals gefallen und tun das auch heute noch.
Bei Hesse kommt halt dann mal die Zeit, in der man doch zu alt dafür ist, um sich noch richtig hineinzuversetzen (Unterm Rad, Steppenwolf), der aber dennoch gut ist.

Ansonsten wüßte ich jetzt nichts weiter, weder in die eine noch in die andere Richtung.
 
Für Hesse kann man aber glaub ich auch zu jung sein. Ich hab Steppenwolf mit 27 gelesen, und da hat er mich so richtig mitgenommen. Weil ich gerade in so einer Phase war, in der ich mich und meine Problemchen fürchterlich wichtig genommen hab. Und das treibt er einem ja gehörig aus.
Und ja... das mit der Lebenswirklichkeit ist wohl richtig. Deshalb ist es vielleicht ganz sinnvoll, wenn man diese literaturhistorisch relevanten Texte in Auszügen liest. Um ein Gefühl für die Sprache zu bekommen. Zumindest jetzt im Studium erweist sich das als sehr sinnvoll, dass meine Norton's Anthology of American Literature vieles in Auszügen hat. Das Captivity Narrative von Mary Rowlandson ist sehr interessant aus literaturhistorischer Perspektive, aber die puritanische Ignoranz, die aus diesem Buch spricht, ist für mich nur schwer erträglich. Da ist ein Lesen in Auszügen ein gangbarer Kompromiss.
Das ist mit Effi Briest vielleicht ähnlich. Ich hatte das nicht im Abi, ich weiß das nicht. Kann es mir aber vorstellen. In die ästhetik der Empfindsamkeit und der Romantik kommt man heute ja wahrscheinlich auch nicht mehr so recht rein.
 
Ich habe nur wenige Bücher mehrfach gelesen. Genau genommen nur diejenigen die mir ohnehin gefallen; da ist mir schon aufgefallen, daß man diese Bücher anders wahrnimmt. Man nimmt also andere Aspekte wahr, während andere - die man für wichtig hielt - in den Hintergrund rückten. Viel wichtiger ist jedoch, daß man mit mehr Wissen und Erfahrung erst bestimmte Sichtweisen des Autors überhaupt erst versteht.

Warum wir damals mit Effi Briest gequält wurden, kann ich bis heute nicht nachvollziehen. Außer das es zu der Zeit, als das In war, das Leben echt öde gewesen sein muß.
 
Hi,
Was habt ihr für Geschichten mit Büchern, die euch zwei Mal ganz anders erwischt haben?

Ich hab den Herrn der Ringe so mit 12 das erste Mal gelesen und damals fand ich die ganze Politik brechend langweilig. Insbesondere alles, was mit Aragorn zusammenhing. Am spannendsten fand ich die Reisegeschichte um Frodo und Sam, wobei ich Sam immer einen total dummen Charakter fand.
Wenn ichs jetzt nochmal lese, finde ich die ganzen Ereignisse in Rohan und Gondor viel interessanter als das Gelatsche in Mordor. Und Sam einen spannenderen Charakter als Frodo.


Ansonsten hab ich irgendwann in meiner frühen Jugend mal versucht, den Sandmann von E.T.A. Hoffmann zu lesen und schwankte zwischen völligem Unverständnis und Langeweile. Hab ihn vor ner Weile nochmal gelesen und da hat er mir richtig gut gefallen.


Effi Briest ist das mit Abstand langweiligste Buch, das ich je lesen musste. Und das, obwohl ich eigentlich der Schullektüre gegenüber immer sehr aufgeschlossen war. Aber einer Frau dabei zugucken, wie sie zu dumm zum scheißen ist und sich langweilt, statt etwas zu unternehmen, und dann darüber herumflennt, wie schlecht es ihr doch geht, ist einfach der Boden der Langeweile. Ein Cross-Over Effi Briest in: Die Grube und das Pendel (Poe), hätte der Sache ein entspannendes Maß an Befriedigung gegeben.
 
Oh das kann ich nachvollziehen.
Mein erster und einziger Versuch, mich dem Herrn der Ringe (als Buch) zu nähern, war mit 14 eine Hörbuchausgabe auf hunderttausend Kassetten während einer langen Autofahrt nach Spanien (3 Tage Autofahren) zu hören.
Die albernen Namen haben es mir versaut und ich hab dann irgendwann lieber aus dem Fenster geguckt. Frodo und Streicher waren schon doof, aber die hab ich noch ertragen. Aber Pippin (der kurze) und Sauron (der schreckliche) waren mir dann schon mit vierzehn zu offensichtlich. Ich war aber auch ein sehr altkluger vierzehnjähriger.
 
Herr der Ringe fand ich beim ersten lesen damals ganz okay. Aber mehr auch nicht. Schließlich hatte der Roman nichts was ich nicht schon zu genüge aus Drachenlanze und anderen Fantasy-Werken kannte.
Hat ein bißchen gedauert bis mir aufging das HdR halt im Alleingang das Genre überhaupt erst erschaffen hat. Das macht ihn schon ziemlich großartig. Und wenn man ihn heute liest, dann kommt er einem auch irgendwie "bedeutender" vor als die Abenteuer anderer Fantasy-Helden. Ob das nun daran liegt das es das bessere Buch ist, oder daran das man halt um seine Bedeutung weiß kann ich allerdings nicht so genau sagen.
 
Ich hab HdR damals auch schon sehr gerne gelesen, fand ihn nur stellenweise anstrengend und hab über ein Jahr dafür gebraucht. Dafür war ich stolz wie Bolle, als ichs dann durch hatte. Und wenn ich nachrechne, muss ich auch jünger als 12 gewesen sein, denn ich hatte das Buch vor Erscheinen des ersten Films (2001) durchgelesen. Hab den also so mit 9/10 Jahren gelesen? Das erklärt wohl auch, warum ich das Buch so schwierig fand.
 
Mein erster Fantasybuch war Corum. Oder der Drachenbeinthron. Eins von beiden. Aber ich glaube, der Drachenbeinthron kam zuerst. Jedenfalls hatte neben Michael Moorcock in meiner Jugend niemand Platz. Besonders nicht Doofe-Namen-Tolkien. Das wurde dann erst durch Die Erben von Winterfell geändert.
Ich habe aber den leisen Verdacht, dass Moorcock mich heute nicht mehr kicken würde.
Die Erben von Winterfell dagegen habe ich neulich nochmal als Hörbuch gehört und war wieder begeistert. Obwohl ich den Stoff ja nun dank Originallektüre ende der Neunziger und Fernsehserie schon das dritte Mal rezipiert habe.
 
Ich packe es nicht, ein Buch ein zweites Mal zu lesen.

Beim Versuch des zweiten Lesens ödet mich jedes Buch dermaßen an, dass ich es unweigerlich irgendwann weglege.

Ernsthafte Versuche habe ich unternommen mit Nebel von Avalon, Jack Vance Die grüne Perle und William Gibsons Virtuelles Licht (Ich glaube sogar auch mit Neuromancer....)

Die einzige glänzende Ausnahme dieser Regel war Dashiel Hammetts Der dünne Mann. Darüber musste ich in der Schule einen Vortrag halten und sah mich genötigt, es lieber ein zweites Mal zu lesen.

Allerdings erinnere ich mich noch sehr gut, als Jugendlicher Perry Rhodan verschlungen zu haben. Die damalige Faszination konnte ich Jahre später (in weiteren PR Romanen) nicht mehr wieder entdecken. Das hat auf der einen Seite mit der Serie zu tun, auf der anderen Seite hinterfragt man einige Inhalte der Serie irgendwann.
 
Dann lies mal gute Bücher. ;)

Aber ernsthaft: Das geht nur bei wenigen, finde ich. Und auch nur mit Jahren Abstand. Weil einen das selbe Buch in verschiedenen Lebenssituationen unterschiedlich ansprechen kann. Viele sprechen einen als Kind an wegen kewl und als Erwachsener dann nicht mehr. Oder als junger, orientierungsloser Erwachsener fühlt man sich vom Steppenwolf verstanden. Meine Mutter hat den mit jenseits der 50 gelesen und konnte ihm nichts abgewinnen. Und das konnte ich sehr sehr gut verstehen. Mich hat er wie gesagt in einer Phase der Orientierungslosigkeit mit Ende 20 total aufgefangen.
Und das Bukowski- und das 1984-Beispiel hab ich ja schon genannt.
 
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