Lynx
Tinte im Blut
- Registriert
- 13. April 2004
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Das letzte Mal, als ich meine Mutter sah, war ich noch ein Kind. Ich meine mich zu erinnern, dass ich damals um die zwölf Sommer zählte. Miene Welt war noch unbefleckt und gerecht.
„Benjamin, du musst noch viel lernen“, das hatte Gernod, unser Priester, immer zu mir gesagt. Allerdings sollte ich erst viel später den Wahrheitsgehalt seiner Worte erfahren.
Ich fühlte mich damals schon sehr erwachsen. Aber ich war ja auch der einzige Mann im Haus. Mein Vater war schon vor Jahren gestorben. Jeden Morgen stand ich auf, um Wasser aus dem Brunnen zu holen. Mutter war zu dieser Zeit schon unterwegs. Seit Vaters Tod half sie Gernod in der Kapelle. Was sie dort tat, wusste ich nicht, auch wenn ich heute eine sehr genaue Vorstellung davon habe. Wie schon gesagt, ich war ein unbedarftes Kind. Das sündige Böse kannte ich nur aus Predigten.
Bis zu diesem einen Tag hätte mein Leben ewig so weitergehen können; Mutter arbeitete und ich kümmerte mich um das Haus. Doch die Nacht der Sommersonnenwende sollte alles grundlegend ändern.
Es war früher Abend, als ich Mutter über eine Schatulle gebeugt fand. In der Hand hielt sie ein funkelndes Amulett. Das goldene Quadrat rahmte einen Stern aus orangenem Kristall ein.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Das ist der Morgenstern. Dein Vater hat ihn mir geschenkt, als du noch klein warst.“
Vater- eine schmerzhafte Erinnerung kroch in mir empor. Doch sie war zu fern, als dass sie mir Tränen in die Augen treiben konnte.
Mutter legte die Kette an und gemeinsam gingen wir zum Sonnenwendfest. Ich nahm ihre Hand. Sie war nicht die einer Hausfrau. Vielmehr glich sie der meines Vaters. Ihren Handrücken zierten einige weiße Narben.
Auf dem Dorfplatz war ein großes Feuer entzündet worden und es wurde getanzt. Sogleich rannte ich zu den anderen Kindern – nein, wir nannten uns junge Erwachsene- und begann ausgelassen zu tanzen. Meine Mutter stand bei Gernod und redete mit ihm. Ich winkte ihr zu. Sie lächelte zurück. Unser wilder Tanz beschwor leichten Schwindel herauf. Endlos viele Eindrücke rauschten auf mich ein. Das prasselnde Feuer, die hübsche Jana, Flammen, der Geruch von Gegrilltem. Ich hielt inne. Wo war Mutter? Ich rief nach ihr, doch es war Gernod, der antwortete. Entsetzt rannte ich davon. Unser Priester lief mir hinterher. Ich nehme an, er versuchte mir zu folgen. Nach einigen Schritten stand ich in der Dunkelheit. Einen Augenblick lang war ich vollkommen blind. Dann gewöhnten sich meine Augen an die Finsternis. Zwei Gestalten rannten über die Felder. Von überall war das Rascheln des Grases zu vernehmen. Panisch drehte ich mich im Kreise. Das was mich von hinten packte und niederschlug hatte ein leichtes Spiel gehabt. Für einen Augenblick schwanden meine Sinne dahin. Doch schon bald erwachte ich aus meiner Ohnmacht. Etwas Großes zog mich über den Boden. Überall schnitt das Gras in meine Haut. Ich muss wohl geschrieen haben, denn das Wesen lief plötzlich schneller. Nach einiger Zeit schnitt das Gras nicht mehr. Es war steinigem Boden gewichen. Wir befanden uns in einem Gewölbe. Ich merkte erst sehr spät, dass es sich um die alte Ruine handelte. Nur derjenige, der an Wunder glaubte konnte sich erklären, warum dieses Gebäude noch nicht eingestürzt war. Aus weiter Ferne hörte ich eine Stimme:
„Lass ihn los!“
Mutter? War sie das?
Jedenfalls lies mein Entführer von mir ab. Ich brauchte eine Weile, bis ich mich aufrappeln konnte. Das Gewölbe war von rotem Fackelschein erhellt. Aus dem Keller hörte ich Kampfeslärm. Vorsichtig ging ich bis zur Treppe. Dort lauschte ich erst einmal. Auch wenn ich es noch nie vorher vernommen hatte, so erkannte ich doch das Klingen zweier schwerer Waffen. Ich schlich weiter. Die alte Treppe wand sich spiralförmig nach unten. Je tiefer ich vordrang, desto lauter wurden die Geräusche. Endlich kam ich unten an. Mit zittrigen Knien stolperte ich zur Ecke des Raumes. Instinktiv war ich schon darauf vorbereitet, was ich sehen würde, doch ich verdrängte es. Ein letztes Mal holte ich tief Luft, bevor ich den Blick wagte, der mich so verändern sollte. Dann fasste ich Mut und trat ins Licht.
Mir bot sich ein Bild des Schreckens. Ich sah Mutter, wie sie mit einem hünenhaften Etwas kämpfte. Sie trug enge Lederkleidung, die der eines Kriegers glich. Nein, es war die Kleidung eines Kriegers. Erbittert leistete sie dem keulenschwingenden Ungeheuer Widerstand. Ihr Körper war über und über mit kleinen Wunden bedeckt. Einen kurzen Moment lang blickte sie mir direkt in die Augen. Ich las großen Schmerz in ihnen; Zu groß, als dass ich ihn in diesem Moment verstehen konnte. Dann formten ihre Lippen Worte. Zuerst stumm, dann aber mit rauer Stimme brüllte sie:
„Benjamin, verschwinde von hier!“
„Ich...Mutter“, mein Körper war starr. Tränen begannen sich den Weg über mein dreckiges Gesicht zu bahnen.
„Benjamin...“, sie riss sich die Kette vom Halse und schleuderte sie in meine Richtung. Geistesabwesend fing ich sie auf. Eineinziger Hieb der großen Keule reichte aus, um den Eingang einstürzen zu lassen und uns zu trennen. Stumm, zu Worten nicht fähig stand ich vor den Trümmern.
Sanft legte Gernod die Hand auf meine Schultern. „Komm, mein Junge“, sagte er.
Heute muss ich noch oft an damals denken, wenn ich durch den Garten des Klosters wandel. Meine Hände tragen die gleichen Narben, wie die meiner Eltern. Ein vergleichsweise geringer Preis dafür, dass nun Friede in dieser Region eingekehrt ist. Doch es ist gewiss noch nicht vorbei. Sicher wird es bald einen anderen geben, der wie ich das Erbe meiner Eltern weitertragen wird.
„Benjamin, du musst noch viel lernen“, das hatte Gernod, unser Priester, immer zu mir gesagt. Allerdings sollte ich erst viel später den Wahrheitsgehalt seiner Worte erfahren.
Ich fühlte mich damals schon sehr erwachsen. Aber ich war ja auch der einzige Mann im Haus. Mein Vater war schon vor Jahren gestorben. Jeden Morgen stand ich auf, um Wasser aus dem Brunnen zu holen. Mutter war zu dieser Zeit schon unterwegs. Seit Vaters Tod half sie Gernod in der Kapelle. Was sie dort tat, wusste ich nicht, auch wenn ich heute eine sehr genaue Vorstellung davon habe. Wie schon gesagt, ich war ein unbedarftes Kind. Das sündige Böse kannte ich nur aus Predigten.
Bis zu diesem einen Tag hätte mein Leben ewig so weitergehen können; Mutter arbeitete und ich kümmerte mich um das Haus. Doch die Nacht der Sommersonnenwende sollte alles grundlegend ändern.
Es war früher Abend, als ich Mutter über eine Schatulle gebeugt fand. In der Hand hielt sie ein funkelndes Amulett. Das goldene Quadrat rahmte einen Stern aus orangenem Kristall ein.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Das ist der Morgenstern. Dein Vater hat ihn mir geschenkt, als du noch klein warst.“
Vater- eine schmerzhafte Erinnerung kroch in mir empor. Doch sie war zu fern, als dass sie mir Tränen in die Augen treiben konnte.
Mutter legte die Kette an und gemeinsam gingen wir zum Sonnenwendfest. Ich nahm ihre Hand. Sie war nicht die einer Hausfrau. Vielmehr glich sie der meines Vaters. Ihren Handrücken zierten einige weiße Narben.
Auf dem Dorfplatz war ein großes Feuer entzündet worden und es wurde getanzt. Sogleich rannte ich zu den anderen Kindern – nein, wir nannten uns junge Erwachsene- und begann ausgelassen zu tanzen. Meine Mutter stand bei Gernod und redete mit ihm. Ich winkte ihr zu. Sie lächelte zurück. Unser wilder Tanz beschwor leichten Schwindel herauf. Endlos viele Eindrücke rauschten auf mich ein. Das prasselnde Feuer, die hübsche Jana, Flammen, der Geruch von Gegrilltem. Ich hielt inne. Wo war Mutter? Ich rief nach ihr, doch es war Gernod, der antwortete. Entsetzt rannte ich davon. Unser Priester lief mir hinterher. Ich nehme an, er versuchte mir zu folgen. Nach einigen Schritten stand ich in der Dunkelheit. Einen Augenblick lang war ich vollkommen blind. Dann gewöhnten sich meine Augen an die Finsternis. Zwei Gestalten rannten über die Felder. Von überall war das Rascheln des Grases zu vernehmen. Panisch drehte ich mich im Kreise. Das was mich von hinten packte und niederschlug hatte ein leichtes Spiel gehabt. Für einen Augenblick schwanden meine Sinne dahin. Doch schon bald erwachte ich aus meiner Ohnmacht. Etwas Großes zog mich über den Boden. Überall schnitt das Gras in meine Haut. Ich muss wohl geschrieen haben, denn das Wesen lief plötzlich schneller. Nach einiger Zeit schnitt das Gras nicht mehr. Es war steinigem Boden gewichen. Wir befanden uns in einem Gewölbe. Ich merkte erst sehr spät, dass es sich um die alte Ruine handelte. Nur derjenige, der an Wunder glaubte konnte sich erklären, warum dieses Gebäude noch nicht eingestürzt war. Aus weiter Ferne hörte ich eine Stimme:
„Lass ihn los!“
Mutter? War sie das?
Jedenfalls lies mein Entführer von mir ab. Ich brauchte eine Weile, bis ich mich aufrappeln konnte. Das Gewölbe war von rotem Fackelschein erhellt. Aus dem Keller hörte ich Kampfeslärm. Vorsichtig ging ich bis zur Treppe. Dort lauschte ich erst einmal. Auch wenn ich es noch nie vorher vernommen hatte, so erkannte ich doch das Klingen zweier schwerer Waffen. Ich schlich weiter. Die alte Treppe wand sich spiralförmig nach unten. Je tiefer ich vordrang, desto lauter wurden die Geräusche. Endlich kam ich unten an. Mit zittrigen Knien stolperte ich zur Ecke des Raumes. Instinktiv war ich schon darauf vorbereitet, was ich sehen würde, doch ich verdrängte es. Ein letztes Mal holte ich tief Luft, bevor ich den Blick wagte, der mich so verändern sollte. Dann fasste ich Mut und trat ins Licht.
Mir bot sich ein Bild des Schreckens. Ich sah Mutter, wie sie mit einem hünenhaften Etwas kämpfte. Sie trug enge Lederkleidung, die der eines Kriegers glich. Nein, es war die Kleidung eines Kriegers. Erbittert leistete sie dem keulenschwingenden Ungeheuer Widerstand. Ihr Körper war über und über mit kleinen Wunden bedeckt. Einen kurzen Moment lang blickte sie mir direkt in die Augen. Ich las großen Schmerz in ihnen; Zu groß, als dass ich ihn in diesem Moment verstehen konnte. Dann formten ihre Lippen Worte. Zuerst stumm, dann aber mit rauer Stimme brüllte sie:
„Benjamin, verschwinde von hier!“
„Ich...Mutter“, mein Körper war starr. Tränen begannen sich den Weg über mein dreckiges Gesicht zu bahnen.
„Benjamin...“, sie riss sich die Kette vom Halse und schleuderte sie in meine Richtung. Geistesabwesend fing ich sie auf. Eineinziger Hieb der großen Keule reichte aus, um den Eingang einstürzen zu lassen und uns zu trennen. Stumm, zu Worten nicht fähig stand ich vor den Trümmern.
Sanft legte Gernod die Hand auf meine Schultern. „Komm, mein Junge“, sagte er.
Heute muss ich noch oft an damals denken, wenn ich durch den Garten des Klosters wandel. Meine Hände tragen die gleichen Narben, wie die meiner Eltern. Ein vergleichsweise geringer Preis dafür, dass nun Friede in dieser Region eingekehrt ist. Doch es ist gewiss noch nicht vorbei. Sicher wird es bald einen anderen geben, der wie ich das Erbe meiner Eltern weitertragen wird.