Darkness schrieb:
So gesehen kann man jedes System mit solch einem Element zu einem Horrorspiel werden lassen
Und wer besonders aufmerksam einer Definition von Horror folgt, wie sie auch in (dem erst kürzlich von Jestocost wieder erwähnten, und meiner Ansicht nach äusserst empfehlenswerten) Nightmares of Mine zu finden ist, dann wird man wohl feststellen, dass dieser Anschein nicht trügt. Horror ist die Erzeugung von Angst. Ob man dabei einen Literaturprofessor an der Miskatonic, einen Irren, der Josef Stalin imitiert um mystische Macht zu erlangen, einen Kerl mit spitzen Zähnen, oder John Q. Operative darstellt ist letztlich nebensächlich.
In der Stadt von
Dark City zu versuchen die Verbrechen aus
Sieben zu lösen, und dabei auf die Hilfe von
Hannibal Lecter angewiesen zu sein, während man von den Visionen aus
Pi geplagt wird, ja, das könnte man in meinen Augen als Horror durchgehen lassen. Zumindest als Grundlage dafür. Oder ist das zu viel? Tja, bei Unknown Armies sollte man vielleicht auch nicht an einem Abend die New Inquisition aufmischen, während der schwarze Hund der Sleepers hinter einem her ist, und man ja eigentlich noch ein Mitglied der Clergy ersetzen wollte. - Ist aber alles drin.
Im übrigen finde ich, dass Nogger einen wichtigen Punkt sehr schön aufgegriffen hat: Kontrolle (und deren Verlust). Wenn man es so betrachtet, dann ist Kontrolle sogar ein sehr zentrales Thema von SLA. Allerdings auch eines, das es wenig geeignet für Horror, der sich ja gerade durch die Abwesenheit von Kontrolle (mit)auszeichnet, erscheinen lässt. Charaktere in SLA, Operatives, haben schließlich die nahezu vollständige Kontrolle. Sie sind Authoritätspersonen, wie sie beeindruckender und gefürchteter kaum sein könnten, sie werden kaum beschränkt durch Gesetze
(übrigens auch ein sehr interessanter Punkt für sich), sie haben überdurchschnittliche Fähigkeiten, sie haben Waffen (ein Kontrollmechanismus allererster Güte: Die Macht zu Töten, Probleme einfach durch Gewalt zu lösen), Panzerungen die sie fast immun gegen Angriffe machen, die Möglichkeit Wunden und Krankheiten mit einem Fingerschnippen zu besiegen, sogar Unsterblichkeit, sie haben Ruhm, Anerkennung und Macht, sie haben Zugriff auf das mächtigste Informationsnetzwerk das man sich vorstellen kann, sie haben Freunde, Kollegen, Unterstützung. Sie haben Kontrolle.
Glauben sie.
Effektiv haben sie gar nichts unter Kontrolle. Jede einzelne ihrer Kontrollmöglichkeiten wird schon fast systematisch ausgehebelt. Auf Arten und Weisen, die die Bekämpfung dieser Vorgänge unmöglich macht. Ihre Verteidigungen werden unterlaufen. Sie haben gar nichts. Und das merken sie genau dann, wenn sie ihre illusionäre Kontrolle gerade am nötigsten hätten.
"Cloak? Wir bräuchten ein Bild des Verdächtigen. Wir glauben es hat hier eine Verwechslung gegeben." - "Ich bedaure, aber ich kann Ihnen dieses Material nicht zur Verfügung stellen."
Hast du gerade ein unschuldiges Kind ermordet?
Auch auf den Shadowrun-Vergleich würde ich gerne noch einmal eingehen, weil ich ihn selbst bisweilen verwende - und zwar interessanterweise um darzustellen, warum SLA meiner Meinung nach, trotz seiner "Cyberpunk"-Äusserlichkeiten, ein Horror-System ist. Die oben angedeutete Szene mit dem Kind? Das ist das entscheidene Merkmal bei diesem Vergleich für mich. Wenn Mr Johnson zu einem Shadowrunner sagt "Erschiessen Sie das Kind!", dann wird der Shadowrunner (Achtung, Interpretationsspielraum, Diskussionen darüber gerne im Shadowrun-Forum) Mr Johnson ins Knie schiessen, noch einmal nachtreten, und dann die Kleine mitnehmen. Wenn ein Cloak Agent zu einem Operative sagt "Erschiessen Sie das Kind!", dann schiesst der Operative. Das ist
mein Shadowrun-Vergleich. Dabei geht es mir nicht um die Feststellung, dass Operatives emotionslose, amoralische Killer sind, und Shadowrunner strahlende Helden, denn beides trifft meiner Ansicht nach nicht zu. Ich gehe sogar ganz explizit davon aus, dass beide Charaktere in diesem Beispiel, der Shadowrunner wie der Operative, ganz normale Menschen sind, Leute, die vielleicht einen brutalen Job haben, aber keine Psychopathen. Worum es mir geht ist, was das System (hier nicht im Rollenspiel-Sinne gemeint) mit diesen ganz normalen Menschen macht, mit denen man gerne mal einen Trinken geht, oder die mit deiner Schwester zusammen sind. Es geht mir darum was aus ihnen wird. Wozu sie gezwungen sind.
Stay SLA
jdw