Out of Character
Auspex enthüllt blass (Vampir), hellblau (ruhig), lavendel (vorsichtig), zinnober (fröhlich), gelb (idealistisch)
Ein amüsiertes, hell und unschuldig anmutendes Lachen wie das eines Kindes entfuhr Raven, wobei sie ihre Lippen erneut hinter einer schneeweißen Hand verbarg.
"Ironie bezüglich der Maskerade? Mitnichten! Sie müssen da etwas missverstanden haben."
Madelaine löste die überkreuzten Beine voneinander und fuhr mit herzlichem, zweifelsfrei vergnügtem Lächeln fort. Sie hatte etwas tatsächlich Warmes, Offenes an sich, wie sie versuchte dem Arzt zu erklären, an welchem Punkt die beiden sich im Verlauf ihres Dialoges allem Anschein nach verpasst haben mussten.
"Nein, nein. Sehen sie, das ist etwas komplizierter. Ein Ausspruch bleibt die Ausgeburt des Geistes, nicht wahr? Da muss der Autor wohl die Worte einem anderen Kontext entnommen haben, als jenem, welcher dem Rezipienten zur Inputanalyse zur Verfügung steht. Was sie als Ironie wahrgenommen haben, muss folglich in anderer Funktion angedacht gewesen sein.
Spricht man von der Maskerade, kommen einem unter Umständen besondere, mit dem Wort assoziierte Situationen in den Sinn, persönliche Konnotationen, die ein Gegenüber natürlich nicht zwingend nachvollziehen kann."
Die Malkavianerin war stolz auf das, was sie da gerade gesagt hatte! Damit hatte sie also bewiesen, dass das Studium ihrer Schwester wenigstens nicht gänzlich ohne Spuren an ihr vorbeigegangen war.
Die andere jedoch hatte reichlich wenig Lob, geschweige denn Anerkennung für diesen persönlichen Triumph ihres Schützlings übrig. Wie bedauerlich.
Es war wirklich nicht leicht, sich den Körper mit einer Schwester wie Ligeia zu teilen. Eine Koryphäe auf ihrem Gebiet, intelligent, begabt. Madelaine hingegen war vor allem eines: nett.
Und an sich war sie der Überzeugung, dass das wohl leider ihre einzige Qualität war. Nicht, dass es etwas Schlechtes wäre, nett zu sein. Es war bloß so schrecklich wenig verglichen mit Ligeias Vorzügen. So dachte die ältere der beiden Schwestern zumindest.
Auf die Frage des Chirurgen hin, mit wem er es denn zu tun habe, runzelte die Malkavianerin fragend die Stirn. Die noch einen Moment zuvor von Erheiterung gekräuselten Mundwinkel entspannten sich wieder, das amüsierte Funkeln der Augen verschwand.
"Ich denke, wir haben uns bereits einander vorgestellt?"
Madelaine verstand nicht so recht was er von ihr wissen wollte. Es war allerdings -wie Ligeia bestätigen würde- auch durchaus ein wenig kurios, dass zwei Persönlichkeiten in einem Körper, von einander wissend und stets den Taten der anderen folgend und mitfiebernd wie die Menschen vor ihren heimischen Cinematographen, sich nicht bloß als Schwestern betrachteten, sondern auch einen Namen teilten. Mehr oder minder. Die Differenzierung in Madelaine und Ligeia war allein dem persönlichen Umfeld der Untoten vorbehalten. Für alle anderen war sie Dr. Raven - oder Madelaine, je nach Umstand der Begegnung.
So wiederholte die Brünette denselben Namen erneut.
"Madelaine Ligeia Raven mein Name. Sie sind Herr Dr. Michael Köning... Sind sie sicher, dass es ihnen gut geht? So lange liegt die Aufwartung doch noch nicht zurück."
Sie stockte kurz.
"...soll ich ihnen vielleicht meine Karte geben?"
Blick und Gesichtsausdruck der Kainitin schienen ernstlich besorgt, allerdings auch ein ganz klein wenig verwirrt. Und in der Tat war sie das auch.
Dachte er etwa, nur weil sie Malkavianerin war, müsste sie alle par Minuten den Namen wechseln? Wofür hielt er sie denn bitte? Für geisteskrank?
Lächerlich!
Bei diesem ihrem Renommee? Vollkommen abwegig! Absurd, abstrus - unverzeihlich.
Vielleicht auch einfach nur tumb, stupide, debil - irrsinnig?
Nach und nach verengten sich die Augen der Psychiaterin. Der Blick der Smaragdaugen, welcher von Michael fort gen Boden und schließlich wieder zurück schwiff, mutete bald nachdenklich und kritisch gleichermaßen an. Sinnend hob sie die Hände, löste sie voneinander, bloß um nun die Fingerspitzen der Rechten auf ihren jeweiligen Pendants der Linken zu setzen um so schließlich das auf diese Art gebildete Dreieck exakt unter ihrer Nase zu positionieren, sodass es den Mund verbarg. Die Ellenbogen stützte die Brünette derweil auf den Armlehnen ihres Stuhles ab.
"Faust wusste nicht wovon er sprach, als er die zwei Seelen seiner Brust beklagte, Cicero."
Die Stimme der jungen Frau klang wieder deutlich tiefer, kühler, jedoch ruhig und gefasst, eben nüchtern und sachlich ohne überschäumende emotionale Beteiligung, jedoch sicherlich auch alles andere als unangenehm.
"Um ihre zuletzt gestellte Frage adäquat zu beantworten: Es ist doch alles in allem recht simpel. Ehrlichkeit wäre wohl das entsprechende Stichwort. Manch einer meidet diese Tugend ja doch wie Unsereins das Sonnenlicht und bedient sich lieber leerer, jedem Intellekt höhnender Floskeln."
Ein beinahe wissend anmutendes, provokantes Schmunzeln und ein schelmisches Glitzern in den Augen begleiteten Ravens Worte.
"Davon halte ich nichts. Taktlosigkeiten sind mir zuwider. Ein gewisses Mindestmaß an höflicher Direktheit sollte man von einer guten Konversation erwarten können. Oder sehen sie dergleichen anders?"
Die Art, wie sie Köning ansah, verriet ernsthaftes Interesse an einer entsprechenden Antwort.
Augenzwinkernd setzte schließlich nach:
"Quid pro quo, Dr. Köning. Ich habe ihnen nun bereits so Manches erzählt. Erfreuen sie mich doch nun ihrerseits mit Erzählungen."
Die Brünette ließ die Hände sinken und offenbarte damit ein charmantes, geradezu bezauberndes Lächeln.
"Bitte. Meine Fragen habe ich ja bereits gestellt. Gönnen sie mir doch ein klein wenig Illumination der Finsternis."
Aufmerksamen Freunden des Kinos mochte der Gedanke kommen können, dass irgendwas an der Psychiaterin eine nahezu frappierende, und doch nicht weiter fassbare Ähnlichkeit zu Anthony Hopkins Darstellung des Dr. Hannibal Lecter aufwies. War es vielleicht die geradezu penibel, wenn an ihr doch nichts desto trotz natürlich wirkende, kerzengerade Haltung? Vielleicht die Tatsache, dass die Dame offenkundig Wert auf gute Sitten legte? Vielleicht lag es einfach daran, dass sie Psychiaterin war. Oder an der Art wie sie sich hin und wieder ausdrückte.
Was es auch war: Die Malkavianerin kannte weder die literarische Vorlage zu "Das Schweigen der Lämmer" noch die dazugehörigen Filme. Wäre dem anders, so würde sie es wohl in höchstem Maße bedauern, dass es sich bei dem überaus charismatischen, intelligenten Dr. Lecter bloß um eine fiktive Figur handelte. Der Kannibalenaspekt war bei dieser Figur schließlich vollkommen nebensächlich. Das Genie stand im Vordergrund. Ja, auch für einen Raben hätte sich ein unerwartetes Déjà-Vue ergeben können, hätte er dem Drängen seines Kindes nachgegeben.
//Wer um alles in der Welt ist "Dr. Lecter"?!//
Auf den Cicero, den letztlich im Exil verendeten, großen, römischen Staatsmann und Philosophen, ging die Malkavianerin nicht weiter ein. Köning würde schon verstehen. Oder auch nicht. Vielleicht.
Was noch gleich?
Die Wahrheit - der erhebenste, heiterste Scherz des Fürsten!