AW: D&D 4 kein D&D mehr?
Hallo Zornhau,
vielen Dank für Deinen fundierten und gedankenreichen Post. Ich habe Deine Argmunte gerne gelesen, bin allerdings selbstverständlich größtenteils anderer Meinung.^^
Bei dem "in der Mitte" zwischen Magic-User und Fighter Treffen, bleiben halt BEIDE D&D-charakterisierenden Archetypen auf der Strecke.
Das sehe ich anders. Im selben Maße, wie die Archetypen etwas verlieren, gewinnen sie auch an Möglichkeiten dazu. Ich persönlich finde ja, dass gerade die Verteidiger-Fähigkeiten des Kämpfers dessen Rolle eher ausgebaut haben als eingeschränkt. War man vorher auf den normalen Angriff beschränkt sowie auf die Gnade des DMs angewiesen, dass die Monster eher einen selbst als den danebenstehenden Magier angreift, kann man jetzt die Situation selber mitgestalten.
Der Magic-User ist keiner mehr.
Natürlich ist es weiterhin Magie, was der Magier tut. Es ist nur halt dem angepasst, was auch andere Klassen können und wie sie sich entwickeln. Es ist nun nicht mehr so, dass der Magier per se unfähiger beginnt als andere und mächtiger seines Laufbahn beendet, weil er über eine in Zahl und Macht exponentiell ansteigende Zahl von Spellslots gebietet. Außerdem kriegen alle magischen Klassen die Fähigkeiten zur Ritualmagie gleich mit auf den Weg.
Vom "Fluff" her ist es kein so großer Unterschied, finde ich, wie Du es beschreibst. Statt dessen, finde ich, ist das Spektrum von Sprüchen nicht kleiner, sondern größer geworden, weil durch die minutiöse Festlegung der Umgebungssituation jederzeit leicht Flächenangriffe ausgeführt werden können.
Der Fighter "zaubert" in der Gegend herum.
Okay, wenn zaubern für dich alles das ist, was nicht die Autoattacke darstellt - gut. Mir persönlich macht der Kämpfer jedenfalls mehr Spaß als früher, zumal es nun endlich möglich ist, wirklich verschiedene Sachen mit der Klasse anzustellen. Mein Warforged zB zieht mit jedem Angriff eine neue Waffe aus seinem Repertoire hervor und wechselt somit auch spielend zwischen Nah- und Fernkampf.
Ich hatte auch nie Probleme, die Fähigkeiten meines Kriegers plausibel auszuspielen. Vielleicht muss man sich da mit dem SL auch einfach ein bisschen warmlaufen, damit man nicht nur "Würfelschach" spielt. Uns hat jedenfalls geholfen, dass wir keine echten Figuren auf detaillierten Brettern verwenden, sonden wirklich nur Skizzen verwenden und Mensch-Ärgere-Dich-Figuren für die Charaktere und Münzen für die Monster nehmen. Das eigentliche Geschehen wird so nicht aus dem Kopf heraus verlagert. (Ich füge das deshalb an, weil du später sagtest, Du hättest Probeme beim Visualisieren von Kräften. Da ich dies nie erlebt habe, wäre es klasse, wenn Du ein paar Beispiele parat hättest.)
Der Dieb ist kein Dieb mehr sondern (schon seit der 3E) irgendwas unerkennbar Anderes.
Ich bin ehrlich gesagt ganz froh drum. Wusstest Du, dass die Fähigkeiten des Diebes last minute eingebaut wurden, damit die Prozenwürfel im Würfelset auch nur irgend einen Sinn ergeben?
Das ursprüngliche Konzept des Diebes war einfach nicht richtig ausgereift, das heißt: es war zu sehr vom DM abhängig. Und von der Kampagne. Klar, in einem Stadtabenteuer mit lauter Menschen als potentiellen Zielen war es eine angemessene Klasse, aber was machst Du im Abyss mit lauter Schleimblobs? Deine Fähigkeiten werden nutzlos, an keinem Gegner richtest du plötzlich ernsthaften Schaden an.
Die jetzige Schurkenklasse kannst du stark in Richtung Dieb weiterentwickeln. Du kannst aber auch gänzlich andere Wege mit ihr einschlagen. Den Swashbuckler und den galanten Fechter finde ich nette Konzepte.
Der Kleriker wird nutzlos/nur noch als "nice-to-have"-Charakter geführt, weil seine Combat-Medic-Funktion nicht mehr so überlebensnotwendig ist.
Wo hast Du das denn her? ich bin ehrlich erstaunt über diese Aussage. Für meinen Teil geht an einem Anführer in einer Gruppe nichts vorbei. Auf einen Kontroller kann man vielleicht eher verzichten, aber - bitte erläutern, oder ich glaube es einfach nicht.^^
Die klassische, die D&D-SC-Gruppe DEFINIERENDE Gruppenstruktur ist schon mit der 3E auf ausgesprochen unzufrieden machende Weise zerrupft und in lauter halbgaren Prestigeklassenschwemmen und dubiosen neuen SC-Rassen untergegangen.
4E nimmt den SCHERBENHAUFEN, den die 3E aus D&D gemacht hat, und tanzt mit dem Preßlufthammer drauf herum. - Damit bleibt von dem, was D&D über OD&D, D&D, AD&D 1st, AD&D 2nd ausgemacht hat, praktisch nichts erkennbares mehr übrig.
Die 4E hat viel zu wenig von der dritten übernommen, als dass ich in Deinem Bild vom Presslufthammer mehr als Polemik sehen könnte. Außerdem kann ich nicht sagen, dass es in den alten Editionen je eine definierende Gruppenstruktur gegeben hätte, weil das Regelwerk sie nie definierte. Die 4E ist damit super ehrlich, nennt Ross und Reiter beim Namen und gibt klar aus, mit welchen Gruppenmitgliedern man welche Herausforderungen meistern kann. Wenn wir von der Illustration ausgehen, die seit Anbeginn vertreten wurde - Kleriker, Krieger, Dieb und Magier - so wurde diese Gruppenstruktur aufgenommen und zum ersten Male regeltechnisch fundiert.
Die heutigen 4E-Versatzstücke sind ein klarer Bruch mit allen definierenden Eigenschaften des "Ahnen" und eine Zuwendung zu aus ANDEREN Wurzeln stammenden Bereichen (Computerspiel, Kartenspiel, Brettspiel statt Tabletop Wargame und Rollenspiel). Damit ist die 4E noch mehr "vom Kopf her" dem, was D&D ausmacht, entfremdet worden, als es schon die beklagenswerte 3E wurde (in der 3E wurde ja schon der "computerspielige", D&D-FREMDE Schwerpunkt auf spiel-funktionale Rollen, statt in-game-ausgerichtete Rollen innerhalb der Spielwelt vorangetrieben - und mit der 4E war dann alles D&D-typische in dieser Hinsicht weg vom Spieltisch).
D&D hat sich direkt aus Brettspielen, Wargames heraus entwickelt. Diese Herkunft zu betonen, ist kein Weg irgendwoanders hin und erst recht kein Weg in Richtung Computerspiel. Das ist einfach nur der Versuch, Ressentiments gegen die 4E zu schüren. Es gibt kein vernünftiges Argument dafür, dass die 4E einem Computerspiel ähnlicher sei als irgend ein anderes Pen&Paper-Rollenspiel auch.
Die 4E ist FÜR SICH GENOMMEN ein gutes, ein funktionstüchtiges und ein MODERNES Spiel. Da stimmt einfach vieles, was in anderen Spielen, auch in alten D&D-Versionen, nicht optimal war. - Jedoch wenn ICH Lust auf D&D haben, ist die 4E das LETZTE, woran ich zu spielen denken würde.
Meine eigenen Spielerfahrungen mit der 4E waren so ziemlich das "UN-D&D-igste", was ich in puncto "D&D-like Fantasy" in den letzten Jahren gespielt habe.
Als "ein anderes Spiel", als "4E von irgendwas" ist die 4E an sich durchaus spielbar und spielenswert (wenn auch mir als "Brettspielvermeider" zu "brettern" für meinen Geschmack - das computerspielige Element finde ich jedoch OK, wenn man sich wirklich auf Encounter-Abwicklung beschränken möchte).
D&D spielt man heute viel eher neben den alten Originalen mit den neuen "Klonen", ob LL oder OSRIC oder anderen. Die HABEN alles das, was D&D ausmacht. Da LEBT D&D "im Zeugenschutzprogramm mit anderer Identität" weiter.
Das ist natürlich Geschmackssache und nichts, was man irgendwie mit Argumenten beweisen könnte. Mir geht es jedenfalls so, dass ich mit der 4E DAS D&D spielen kann, was ich schon vor 13 Jahren spielen wollte. Wenn ich mir heute die alten Regelwerke anschaue, verspüre ich nicht so sehr das Gefühl der Nostalgie, gerne wieder in diese alten Spielwelten einzutauchen und das alte Spielgefühl zu erleben, sondern ich bin froh, nie wieder auf all dies angewiesen zu sein.
Gewiss wäre es mir lieb gewesen, sie hätten einige Sachen aus den früheren Editionen unverändert beibehalten (Gesinnungen und deren Einfluss aufs SPiel zb), aber gerade was das Klassendesign angeht ist für mich die 4E ein Fortschritt in alle Richtungen und von jeder Vorgängeredition her gesehen.
Beste Grüße,
arg.