AW: Berlin in den Schatten
Und ein weiteres Kapitel ist fertig. Kommentare, Fehlerkorrektur oder Anregungen sind willkommen
AAS
+ + + + + +
R E A L I T Y . C H E C K
Die Wahrheit zum Status F
Über den Status F und die Anarchie in Berlin ist eine ganze Menge geschrieben, berichtet, verfilmt und verbreitet worden. Was viele vergessen, ist allerdings, dass gut ¾ von dem ganzen Material über Berlin pure Fiktion ist: Abgedreht als spannendes Setting für eine Krimiserie oder als grandiose Kulisse für den aktuellsten Horrorschocker über einen Schattenläufer, der zum Serienkiller wurde. Weil eine Stadt ohne Polizei, da kann sich der Württemberger so richtig drüber gruseln. Und Berlin war denen schon immer suspekt.
Mein absoluter Favorite als mediales Klischee ist die Szene, in welcher der Protagonist des betreffenden Streifens auf der Suche nach Informationen nach Berlin fliegen muss, wo er sich – natürlich im Gore – mit dem elfischen oder orkischen Russen-Schieber trifft, der dann während des Dialoges nonchalant den Servierdeckel lüftet, unter dem dann Freundin, Partner oder Tochter des Protagonisten liegen. Mit ohne Kopf. Oder mit ohne Körper. Je nachdem, ob frei ab 18 oder 12.
Mein zweites Lieblingsklischee ist die unweigerlich danach kommende Autofahrt durch Berlin, wo der Protagonist der Story – natürlich im gepanzerten, Vindicator-bewaffneten Taxi – ganz nebenbei von irgendwelchem „Anarchisten-Abschaum“ (Zitat des Taxifahrers) mal eben mit Lenkraketen beballert oder von graffittiübersähten Panzern von der Brücke gerammt wird.
Das Gefährliche an diesen und anderen archetypischen Berlin-Bildern, die sich fast in jedem in Berlin spielenden Streifen finden lassen, ist nicht, dass es sie gibt, sondern dass sie dem Betrachter das Gefühl geben zu wissen, was in Berlin abgeht. Das führt im schlimmsten Fall zu solchen Schwachsinnsbeschreibungen wie im „Deutschland in den Schatten“, das vor einigen Jahren mal im Deutschen Schattenland zum Download lag.
Ganz offenbar schrieb der Autor einfach runter, was er über Berlin irgendwann mal im Trideo gesehen hatte, gefährlich vermischt mit ein paar Brocken Wahrheit, die er sich vermutlich aus DeMeKo-Illustrierten gezogen hatte.
In diesem Einleitungskapitel möchte ich in unsortierter Reihenfolge die bekanntesten „Urban Myths“ über Berlin beleuchten und – sofern sich überhaupt ein Körnchen Wahrheit in ihnen befindet – dieses klarstellen. Viel Fun damit!
SCHOENER MENSCHENESSEN IN BERLIN
Der wohl bekannteste „Fakt“ über das Leben in Berlin unter dem Status F ist, dass es in Berlin Restaurants gibt, in denen „legal“ Menschen und Metamenschen als Speise angeboten werden.
Am Häufigsten genannt wird hier das Gore in der Schumannstraße, wo es – ich zitiere das DidS - „haarige Orknasen“ und „zarte Filetstücke weiblicher Lenden“ geben soll. Diese Legende fußt wie jede andere ähnlich gelagerte Legende auf der wunderschönen Theorie, dass nur das Bürgerliche Gesetzbuch und der starke Arm des Gesetzes den Menschen daran hindern, sich gegenseitig zu fressen, zu vergewaltigen oder Kaffee aus der Hirnschale des Nachbarn zu trinken.
Eine hübsche Ansicht – und nützlich für die rechte Lobby – aber totaler Quatsch.
Es dauerte ziemlich genau 45 Minuten, nachdem das DidS-File ins Schattenland hochgeladen war, da wurde das Gore – das es tatsächlich gibt – von aufgebrachten Leuten gestürmt, die durchaus etwas dagegen hatten, ein Kannibalen-Restaurant in ihrer Nachbarschaft, ihrem Kiez, Bezirk, ihrer Stadt oder auf ihrem Planeten zu haben. Wie sich herausstellte, war die Kannibalismus-Schiene des Gore nur ein „Marketing-Gag“, mit welchem der (japanische) Inhaber versuchte, eine besonders zahlungskräftige Kundschaft anzulocken. Das fragliche Fleisch – das von den keineswegs überzeugten „Anfragern“ in einem Labor der FU überprüft wurde – war mit Soya durchmengstes Rindfleisch im besten und Rattenfleisch im schlimmsten Falle. Die fraglichen „Körperteile“ waren nur aus Soyamasse nachgeformte Attrappen (made by Cryolan).
Kurz gesagt: Der Inhaber konnte die Sache klarstellen und wurde nicht gelyncht, seine Kunden waren über den „Betrug“ aber so vergrätzt, dass der Laden schließen musste, um wenig später von einer DeMeKo-Filmproduktionsfirma als Drehort und Schockertouristen-Nepp-Location übernommen zu werden. Seitdem ist das Gore ein doppelter Fake, der immer wieder die anarchistischen Idealisten aufregt, weil die „Gore-Stories“ negative Propaganda über den Status F erzeugen. Aber damit ist es nun ja wohl auch vorbei. End of Story.
MY CAR IS MY CASTLE
Geht man nach den Informationen aus dem DidS, dann sind Berliner Autos bis an die Zähne bewaffnet und gepanzert, fahren in Schlangenlinien ohne Beachtung irgendwelcher erkennbarer Gepflogenheiten des Verkehrs mit 300 km/h durch die Gegend, dabei beständig beschossen von MGs und Raketenlafetten, die wohl jeder irgendwo zu Hause herumstehen hat (Verdammt! Wo hab ich sie nur hingetan?) um dann, wenn das Auto endlich zerbombt ist, umgehend bei der Niederlassung von EMC einen neuen “rasanten Kleinwagen“ zu erwerben.
Leute, vergesst es! Im ersten Jahr nach Ausrufung des letzten Gesetzes fand in der Tat eine „natürliche Auslese“ statt, die aber weniger mit dem Wegfall der Verkehrsregeln als vielmehr mit massenweisem Autodiebstahl zu tun hatte. Bestimmte bessere Autotypen wurden bestrimmt 4, 5, 6 mal gestohlen, ehe diese dann in der Tat bei einem Verkehrsunfall oder einem an einer Autobombe gescheiterten Diebstahlversuch ihr Leben aushauchten. Was in Berlin verblieb, waren durch die Bank solche Schrottkarren, die kein Autohehler auch nur mit dem Arsch angeguckt hätte. Und ein zwei Luxusschlitten der „Herren der Straße“, bei denen jedem klar war, dass es das Todesurteil bedeuten würde, diese auch nur anzudellen.
Auf dieser Basis hätte durchaus dauerhaft ein geregelter Straßenverkehr stattfinden können (siehe „Schöner Menschenessen“: Nur weil es keine Politessen mehr gibt, bedeutet das nicht, dass jeder fortan Kinder auf dem Zebrastreifen überfährt). Wenn nicht die Basis des Verkehrs, nämlich Treibstoffversorgung und Straßensanierung, zusammengebrochen wären.
Wie ich weiter unten noch feststellen werde, klappte in Berlin unter dem Status F zuletzt die Nahversorgung ganz vernünftig – woran es immer haperte, war die Regelung stadtweiter oder bezirksweiter Angelegenheiten, und da gehörte die Straßensanierung eindeutig dazu. Selbst die zuletzt gebildeten Kiezkassen konnten zu keiner vernünftigen Lösung beitragen, da (a) die Finanziers der Straßenreparatur vor Ort gar nicht die primären Nutznießer der Reparatur wären (denn über die Straße fährt ja jeder), da (b) die Zahl der Autofahrer ohnehin in freiem Fall war und (c) da die Straßenbaufirmen aberwitzige Summen für die Arbeiten verlangten, befürchtend, in Berlin dauernd von Raketen beschossen zu werden.
Fassen wir zusammen: Um in Berlin Auto fahren zu können, muss man zum einen ein Auto haben, dass so erbärmlich ist, dass es nicht gestohlen, gekapert oder die Familie entführt wird, um die Herausgabe des Startcodes zu erpressen. Zweitens fallen andauernd Reparaturkosten an für Schäden an Achsen und Federung wegen dem beschissenen Zustand der Straßen. Drittens muss man für die wenigen Straßen, die gepflegt werden, Straßengebühren an die lokale Kiezkasse oder Gang entrichten. UND dann kostet der Treibstoff auch noch leicht das Zehnfache wie im Rest der ADL, da Versicherungen grundsätzlich kein Gewerbe im anarchistischen Berlin abdecken und die Betreiber der (wenigen) Tankstellen ungeheure Zusatzaufwendungen für ihre Eigensicherung haben. Und dann soll sich der Berliner Autofahrer auch noch regelmäßig EMC Neuwagen kaufen? Wohl kaum!
Er wird das tun, was er tatsächlich tut, nämlich seine Wege nach Möglichkeit verkürzen (sich. „einkiezen“) und diese verkürzten Wege zu Fuß, mit Taxi, Bus oder Bahn zurücklegen. Ganz so, wie es heute auch immer noch im Osten Usus ist (und selbst der Konzernwesten legt die alten Gewohnheiten der F-Zeit nur langsam ab). Mehr dazu im Kapitel „Leben und Sterben in Berlin“.
SHOW AND TELL
Zu meinen weiteren Lieblingslegenden zählen die angeblich unter großem Hallo der Menschenmenge stattfindenden öffentlichen Häutungen der Kreuzritter ebenso wie die lispelnden verpickelten Grünen Barden, über die das DidS sagt, es sei in Berlin ein ungeschriebenes Gesetz, dass eine Frau deren Werben nachzugeben habe. Ich weiß nicht, was der DidS-Autor da geslottet hat, ob das ein Horror-BTL war oder doch nur die Teleillustrierte seiner Ma, jedenfalls fällt dieses und vieles vieles mehr in die Kategorie „erst denken, dann glauben“.
Nehmen wir an, an deiner Straßenecke wird jemand gehäutet. Stellst du dich dann hin, kaufst dir eine Tüte gesalzene Orknasen aus dem Gore und applaudierst? Hey, selbst wenn du total abgestumpft sein solltest gegen das Leid anderer, sollte dir klar sein, dass du der Nächste sein könntest. Oder dein Sohn, deine Schwester, dein Pa oder dein Dackel. Das denken sich jetzt so hundert Leute, die da zusammen herumstehen und sechs Typen beim Häuten zusehen. Was passiert? Genau das. Nur schneller. Und weil das die Typen mit rotem Kreuz auf dem Shirt wissen, dass das passieren würde (die sind nämlich auch nicht doof) machen sie auch derartigen Scheiß nicht. Oder zumindest nicht öffentlich.
Dito was die Barden angeht: Du bist eine Frau, ein verpickelter Typ lispelt dir die Ohren voll mit einem schief gesungenen Liebeslied und meint, es wäre ungeschriebenes Gesetz, dass du jetzt mit ihm schlafen musst. Machst du natürlich sofort. Nicht! Sondern? Genau! Und das war's mit dessen Fortpflanzungsplänen. End of Bard's Tale.
HILFE, POLIZEI!
Wie bereits mehrfach gesagt, bedeutet die Gesetzlosigkeit des Status F nicht, dass völlig normale Bürger plötzlich ihren Nachbarn aufessen, vom Fluglärm genervt mit SAMs auf Flugzeuge in der Einfluschneise Tegel ballern oder den Typen an der Imbissbude abstechen, weil sie vergessen haben ihr Portemonnaie mitzunehmen.
Das ist der Punkt, wo die „Sokaren“ ins Spiel kommen, die wir einfach mal als „Gesunder Menschenverstand und allgemeines Empfinden von Recht und Üblichkeit“ nennen wollen. Das klingt zwar weniger intellektuell-spiritistisch, dafür kapiert aber jeder, was damit gemeint ist. Aber wie wehren sich Bürger unter dem Status F gegen jene wenigen schizoiden Irren, die es nunmal gibt, und die dank Slotting von zu vielen Splatter-BTMs nach Berlin gefahren sind, um „Urlaub zu machen“ - UND die keinerlei Menschenverstand oder sonstige Menschlichkeit besitzen?
Nun, dass es keine Polizei mehr gibt, bedeutet ja nicht, dass es niemanden mehr gäbe, der derartige Irre aufhalten würde. Es ist eben nur nicht mehr die Polizei, sondern die Bürgerwehr bzw. wenn man sich wirklich unpopulär gemacht hat der Lynchmob.
Das Bedürfnis nach Sicherheit ist in Berlin nämlich ebenso groß wie überall sonst auch. Der Unterschied ist, dass unter dem Status F schnell neue Strukturen entstehen mussten, die diese Sicherheit anstelle von Polizei und Gerichten herstellen konnten. Eine Aufgabe, für die speziell wir Deutsche ja wie geschaffen waren! Endlich nach Herzenslust selbst für Recht und Ordnung sorgen. Hurra!
Berlin ist unter dem Status F vor allem eines gewesen: Ein El Dorado für jeden Waffenhändler mit Eurokrieg-Restbeständen und jeden Sicherheitsdienstleister von A wie Alarmanlagen bis Z wie Zahlungseintreiber. Und weil es sehr teuer ist, wenn jede Familie eines Hauses sich einen eigenen Leibwächter besorgt, entstanden schnell Haus-, Block-, Straßen- und Kiezverbände, die bestimmte Aufgaben innerhalb des Verbandes verteilten bzw. Unternehmen oder Freischaffende als Verband engagierten.
Nebeneffekt dieser Entwicklung war – und ist – ein neuartiges Gefühl der Verbundenheit im näheren Umfeld: Die Anonymität der Großstadt wurde zum Kiez-Mikrokosmos. Mit jeder Menge Lokalpatriotismus. In dem ein verdächtiger Sonderling oder ein Verweigerer von Zahlungen für die Nachbarschaftskasse nicht lange unentdeckt bleibt.
In vielerlei Hinsicht funktionierte das Status-F-System sogar besser als das vorherige System von „Recht und Gesetz“ - zumindest kann niemand bestreiten, dass die öffentliche Zurschaustellung der Leiche eines Drogendealers oder Berichte brutaler Kastrationen bei einem Vergewaltiger einen größeren Abschreckungseffekt darstellt als solche Leute über Nacht einzubuchten und am nächsten Tag mit frisch gebügeltem Hemd gegen Kaution freizulassen. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass buchstäblich jeder, der „verdächtig aussieht“ ins Visier von Kiezstreifen, den wieder in Mode gekommenen „Blockwarten“ oder Hobby-Denunzianten geraten kann. Und wer sähe schon verdächtiger aus als ein Schattenläufer?
DAS UNORGANISIERTE VERBRECHEN
Das DidS-File behandelt das organisierte Verbrechen nur in Form einer Randnotiz, als stelle dieses keinen nennenswerten Faktor in Berlin dar. Das Gegenteil ist natürlich der Fall. Wenngleich in verwandelter Form.
Es stimmt zwar, dass verschiedene klassische Geschäftszweige des OV sich in Berlin unter dem Status F erledigt haben, weil entweder die Opfer zu bewaffnet waren, um sich weiter einfach so einschüchtern zu lassen, vor allem aber weil es plötzlich Unzählige neue Wettbewerber gab, welche die Marktpreise für Hehlerei, Schiebergeschäfte, Drogenhandel und Prostitution gehörig verdarben. Aber das OV wäre nicht, was es ist, wenn deren Köpfe nicht schnell neue Tätigkeitsfelder entwickelt hätten.
Ein Beispiel hierfür ist die Berliner Kiezleben, ein 2050 gegründeter Versicherungsverein der Jugoslawenmafia. Oder das Kaufhaus Schadow, welches der Russenmafia gehört und vor der „Befreiung“ des Bezirks durch Konzerntruppen Berlins größte Warenhausabteilung für vollautomatische Waffen beherbergte. Die organisierten Banden erkannten schnell, dass sie unter dem Status F letztlich das „legal“ und öffentlich betreiben könnten, was sie zuvor zwar bekannter Maßen, aber eben verborgen durchführten. Aus Schutzgelderpressung wurde Gebäudeversicherung – mit realer Sicherheitsleistung. Aus Waffenhehlerei wurde offener Ladenverkauf – mit dem „guten Namen“ der Verbrechensorganisation als „Qualitätsmarke“ für geprüfte Qualität, im Gegensatz zur No-Name-Hehlerware des anonymen Eckendealers.
Damit sind wir am Ende des ersten Überblicks. Ich könnte zwar noch beleuchten, warum es schon wirtschaftlich totaler Unfug ist, dass in Berlin Magier angestellt werden, um Müll zu beseitigen (die teuerste Müllabfuhr der Welt! Um verfickten SMOG zu verhindern!!! Von Autos, die keiner fährt??), aber ich vertraue darauf, dass diese kurze Erörterung den Blick des Lesers so weit geschärft hat, dass dieser zukünftig die Scheiße selber am Geruch erkennt, die ihm in Files, Artikeln oder Filmbeiträgen präsentiert wird.