[28.04.2008] Aufbruch ins Unleben

Marius Köppke

Neonate
Registriert
9. Juli 2008
Beiträge
132
Auf der Hügelkuppe vor Finstertal lenkte Stefan Weiland seine mattschwarze Harley auf den Randstreifen der Bundesstraße, brachte das Motorrad zum stehen und setzte den Fuß auf den Boden.
Den Blick auf dem Lichtern der Stadt vor ihm fixiert, nahm er das Tuch, das einen Teil seines Gesichtes vor den zu dieser Nachtzeit eher spärlich umherfliegenden Fliegen und anderen Insekten geschützt hatte, ab und warf anschließend einen Blick auf die Uhr.

Fast halb Vier... und dabei hab' ich schon den halben Tag auf der Maschine verbracht. Wer kommt auch auf die Idee, jemanden zu so einer beschissenen Zeit hierherzubestellen?
Im Prinzip hatte Stefan nichts gegen die Nacht. Auch nicht, wenn er diese statt auf einer Party auf dem Motorrad verbringen musste. Es gab Nächte, da fuhr er einfach aus Spaß stundenlang durch die Landschaft.
Aber dass ihm der Mann den Tipp gegeben hatte, sich um die Uhrzeit hier in Finstertal einzufinden, das schmeckte Stefan irgendwie nicht.

Etwas umständlich, da er immernoch die schwarzen Lederhandschuhe trug, fummelte der Mann einen kleinen, zerknitterten Zettel aus der Brusttasche seiner Bikerjacke. Da es ziemlich bewölkt und die Straßenbeleuchtung außerhalb der Stadt quasi nonexistent war, beugte sich Stefan weit über den geänderten Lenker und hielt den Zettel knapp vor die runde Frontlampe der '05er Fat Boy.
Und dann auch noch zur Kunstakademie... Was wollen die denn von mir?

Stefan hatte schon gehört, dass manche seiner Kunden in Begeisterung seiner Arbeit diese als "Kunst" bezeichnet hatten. Der Lackierer, oder neudeutsch "Airbrusher" hielt davon nicht viel. Für ihn - und die meisten selbsternannten "Kunstkenner" - war seine Tätigkeit ein Handwerk.
Eins, das eine gewisse künstlerische Begabung erforderte zwar, aber trotzdem keine "Kunst".
Kunst waren für Stefan Dinge, die sich reiche Säcke an ihre Wände hängten und sich damit brüsteten, wie viel welcher Schinken wert sei.
Einige wenige gefielen Stefan recht gut, aber für keines würde er solche Summen ausgeben, selbst, wenn er sie gehabt hätte.

Sein Magen knurrte und erinnerte ihn daran, dass er bereits seit Einbruch der Nacht nichts mehr gegessen hatte.
Zu seinem Glück sah Stefan relativ nah das geschwungene M einer bekannten Fast-Food-Kette.
Eigentlich keinen Bock auf den Fraß. Aber so viel Zeit habe ich nich' mehr, mir was Anständiges zu suchen.

Er steckte das Zettelchen wieder ein, schob das Tuch über Mund und Nase und zog den Gashebel durch, während er die Kupplung kommen ließ.
"Dann eben wieder Burger... auch egal."

Der Motor der schweren Maschine gab ein sonores, sattes Blubbern von sich und schon bald darauf überquerte Stefan Weiland die Stadtgrenze von Finstertal.
 
Zurück
Oben Unten