Ah, Herr Thabaz... gerade sprach ich von ihnen.
Da unser kleiner Kreis nun komplett ist, will ich euch und ihnen erzählen, was sich an den letzten Tagen ereignet hat.
Der Maler ging einige Schritte umher und man sah förmlich, wie er seine Gedanken sortierte und zu einem längeren Monolog, wie er ihn so liebt, ansetzte.
Ihr, liebe Delilah seid zu kurz in der Stadt, als das ihr die Geschehnisse am Abend des großen Balls hättet beiwohnen können. Mario war dabei und sie, Herr Thabaz kennen ja sogar noch einige weitere Hintergründe.
Ich hoffe allerdings, man sieht es mir nach, das ich unsere Freundin Delilah mit ein paar Worten über die Vorgänge an diesem 22. April dieses Jahres zu informieren.
Denn an diesem Abend nahm das Verhängnis seinen offiziellen Anfang:
Der neue Seneschall der Stadt hatte zu einem großen Ball geladen. Es galt eine Anwesenheitspflicht für ALLE Kainiten der Stadt. Offiziell sollte dem 400 jährigem Bestehen der Stadt Finstertal gehuldigt werden. Inoffiziell wollte Kurágin einige Dinge wie die Vergabe vakanter Ämter verkündigen.
Eines dieser Ämter war das des Hüters des Elysiums. Ein Amt, das ehedem Monsieur Dumônt, Kind des... verschollenen... Prinzen Buchet inne hatte.
Es gab innerhalb des Erstgeborenenrates einige Unstimmigkeiten ob der Neuvergabe dieses Amtes, und Kurágin wollte an diesem Abend seine entgültige Entscheidung kund tun.
Er wollte mir dieses Amt geben.
Doch gewisse politische Überlegungen zwangen mich, dies abzulehnen.
Kurágin selbst besaß nicht die Weitsicht zu erkennen, welche Gründe mich zu dieser Entscheidung zwangen und sah darin eine persönliche Attacke gegen ihn als Seneschall und als Person.
Als darauf auch die anderen Clans aufbegehrten, und der Ball und Kurágins Pläne zu einem Desaster wurden, suchte er eine Möglichkeit, sich bei dem vermeintlichen Gegnern zu rächen und ersann unseren Freund Marco dafür aus.
Er wollte den Clan der Toreador treffen, und Marco war das schwächste Glied in unserer Gemeinschaft. Zudem hatte Marco ein Geheimnis, das er... aufgrund falscher Empfehlungen...,
der Maler sah Martin mit scharfen Blick an,
bei seiner Vorstellung verschwiegen hatte.
Marcos Geheimnis waren die Umstände seiner Zeugung.
Er war ein Kind aus der Linie des Prinzen. Seine Erzeugerin war Madame Regeane da la Amatier, ihrerseits Kind von Monsieur Dumônt und Enkelin Buchet’s. Regeane ließ damals ihren Nachkommen Marco zurück, als sie mit ihren Vorfahren die Stadt verließ. Sicherlich ein Verstoß gegen die Traditionen, welche die Zeugung von Nachkommen regeln und wahrlich unerträglich für ihr Kind Marco. Aber das war nicht die wirkliche Brisanz, welche Marcos Zeugung unter einen solch schlechten Stern stellten. Die wahre Gefahr für Kind und Erzeugerin ergab sich aus dem Edikt des Justikars der Ventrue, welcher etwa zeitgleich auf einer großen Konklave hier in Finstertal die Zeugung von Nachkommen strikt verbieten ließ.
Und Kurágin konstruierte daraus eine Missachtung der Anordnungen des Justikars von Seiten Regeanes.
Ein Vorwurf, der im Zweifelsfall nach der dritten Tradition der Camarilla die Vernichtung von Kind und Erzeuger, von Marco und Regeane, nach sich ziehen könnte.
DAS war die Waffe Kurágins, welche er gegen die verbleibenden Toreador Finstertals schwang.
Am Abend des Balls war Kurágins Rage sogar so groß, das er eine erneute Konklave einberufen wollte. Doch dann musste auch der Seneschall einsehen, das dies auch seine Position erheblich schwächen würde.
So blieb die Drohung gegen Regeane das einzige Druckmittel, das ihm noch blieb.
Der Maler machte eine Pause und sah sich die Anwesenden an. Das bisher gesagte war höchstens für Delilah neu. Mario und Martin waren ja selbst dabei. Dennoch glaubte er, das es wichtig war, die ganze Geschichte samt ihres Vorspiels zu erzählen.
Kurágin gab mir drei Tage Zeit, Regeane zu ihm zu schaffen, denn sie war zwar unverhofft für einen kurzen Augenblick auf dem Ball erschienen, aber leider auch genauso schnell wieder verschwunden. Ihr verbleib war ungewiss, und es gab gar Gerüchte, das sie beim Brand des Hauptesyliums, des Café des Trois, umgekommen war.
Drei Tage also, um die Situation zu klären und Vorbereitungen zu treffen. Drei Tage, in denen Marco ein ums andere Mal seinen Missmut über die Politik der Camarilla zum Ausdruck bringen konnte.
Denn obwohl er von seiner Erzeugerin bitter Enttäuscht gewesen sein muss, schien er sie doch über alle Maßen zu lieben.
Die Chancen, das Regeane unbeschadet aus dieser Affäre herauskommen würde standen schlecht. Im Gegenteil. Eine harte Strafe, gar die Vernichtung Regeanes war absehbar.
Marco war sich bewusst, das seine eigene Existenz der Grund für Regeanes Probleme war. Und auch wenn er selbst am aller wenigsten für die Situation konnte, plagten ihn Schuldgefühle. Immer wieder sagte er, das nicht Regeane sondern er selbst die Bürde der Schuld auf sich nehmen sollte. Er ging sogar so weit, das er seine eigene Existenz für Regeanes Freispruch gegeben hätte.
Aber Kurágin wollte mehr.
Er wollte die Enkelin des Prinzen zur Strecke bringen.
Wieder eine rhetorische Pause.
Als die drei Tage, welche der Seneschall als Karenzzeit gebilligt hatte, verstrichen waren, siuchte ich Kurágin auf um die Sache zu besprechen.
Kurágin ließ keinen Zweifel daran, das er den Dolchstoß, den ich seiner Meinung nach mit der Ablehnung des Hüteramtes ihm gegenüber ausgeführt hatte, nicht vergessen könnte, und das er Regeane dafür büßen lassen würde. Eine Vernichtung nach der dritten Tradition schien unausweichlich. So sehr ich auch kämpfte, so sehr ich auch Zugeständnisse machte, letztendlich blieb mir nur die Möglichkeit, Regeanes sofortige Vernichtung durch ein Gottesurteil zu mildern. So hätte sie eine, wenn auch geringe, Chance.
Eine Chance, ihren Tod würdevoll und mit Stil entgegen zu treten und nicht plump vom Seneschall gerichtet zu werden.
Aber das sah Marco anders. Er verstand die subtilen Mechanismen der Camarilla nie. Er hatte auch nie die Möglichkeit, diese zu erlernen. Und das war letztendlich sein Untergang.
Er tobte, als er von der bevorstehenden Strafe für Regeane hörte.
Sie waren ja anwesend, werter Herr Thabaz, und können sich sicherlich an Marcos Gefühlsausbrüche erinnern, als ich davon erzählte.
Wieder der Blich zu Martin.
Und dann überschlugen sich die Ereignisse.
Regeane war wieder aufgetaucht. Der Sheriff hatte sie aufgegriffen und zum Seneschall gebracht. Die Verhandlung sollte ohne Verzögerungen statt finden. Es blieb keine Zeit. Keine Zeit für mich, Vorbereitungen zu treffen; keine Zeit für Marco, seine Gefühlsausbrüche unter Kontrolle zu bringen.
Und so nahm das Schicksal seinen lauf.
Der Seneschall machte aus der Verhandlung über Regeanes Verfehlungen ein großes Ereignis. Jeder Ahn sollte daran teil haben.
So war es kein intimes Treffen sondern ein offizieller Richtspruch. Ein Ereignis, bei dem die Etikette eine sehr große Rolle spielte.
Und das war Marcos Problem.
Unbewandert in den schwierigen Statuten der Etikette verstieß er in ganz eklatanter weise gegen diese Jahrhunderte alten Regeln.
Als der Seneschall Regeane mit den Anschuldigungen konfrontierte, wartete Marco keinen Augenblick um selbst eine flamboyante Verteidigungsrede. Eine Rede, bei der er keine Möglichkeit ungenutzt ließ, den Seneschall zu kompromittieren und zu beleidigen. Eine Rede, für die er ohne Wiederrede sofort hätte den Kopf verlieren können. Etwas, das Marco mit voller Absicht provozieren wollte. Fast schon des Unlebens müde, gab er sich alle Mühe, den Seneschall aus der Fassung zu bringen.
Er glaubte wohl, so seiner Erzeugerin helfen zu können, aber das Gegenteil war der Fall. Er bewies nur ein weiteres Mal, das er die Camarilla und ihre Gesetze nicht respektierte, noch die Regeln der Etikette einzuhalten gedachte.
Doch Kurágin spielte sein Spiel weiter. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er wollte nicht ein weiteres Mal vor der versammelten Führung der Stadt die Fassung verlieren. So übergoss er Marco lediglich mit beißenden Spott und überging ihn.
Das war etwas, das Marco tiefer traf als alles andere, was Kurágin hätte tun können.
Sein Hass gegenüber dem Seneschall war unüberwindlich und diese Situation hatte sich für Marco soweit gesteigert, das eine offene Konfrontation nur noch eine Frage der Zeit war.
Und auch wenn der Gedanke, das sich ein Küken wie Marco einem mächtigen Ahnen wie Kurágin entgegenstellen würde, fast schon einem Witz ähnelt, so hatte sie doch in Marcos Geist eine unveränderbare Form angenommen.
Marco WOLLTE den Kampf. Auch wenn er aussichtslos war.
Wieder eine Pause.
Die Verhandlung machte allerdings eine überraschende Wende. Kurágin verfing sich in seinen eigenen Spielchen und konnte am Ende Regeane nicht so Aburteilen wie er es gerne hätte. Hätte er sie an diesem Abend schuldig gesprochen, hätte er vor allen zugegeben, das er sich über den Prinzen stellen würde. Und das ist etwas, das sich Kurágin im Moment nicht leißten kann. So kam er auf eine sinistere Idee, die Regeane, wenn schon nicht den Tod bringen, so wenigstens doch eine unannehmbare Demütigung zukommen lassen würde.
Er wollte Regeane pfählen lassen, bis ihre Angaben überprüft worden wären. Und da man dafür Prinz Buchet ausfindig machen müsste, würde es eine Pfählung auf unbestimmte Zeit sein.
DAS konnte ich nicht zulassen. Dieser Demütigung musste ich mich entgegenstellen.
Dafür musste ich allerdings mit meinem eigenen Unleben bürgen.
Und zwar für Regeane sowie für ihr Kind Marco. Ich würde für all ihre Taten die Verantwortung übernehmen müssen. Ihre Fehler würden die meinen sein. Ihre Strafen würden die Meinen sein.
Eine Ungeheuerlichkeit, die ich aber für Regeane und Marco gerne auf mich nahm, ging ich doch davon aus, das sie diese Tat entsprechend würdigen würden.
Wieder verstummte der Maler, damit seine letzten Worte seine Zuhörer entsprechend erreichen konnten.
Allerdings verlangte Kurágin Marco am darauf folgenden Abend für seine Ungebührlichkeiten während der Verhandlung abzustrafen.
Eine durchaus legitimer Wunsch, da Marco an diesem Abend mehr als einmal schwere Brüche der Etikette beging.
Doch ich hatte einen Plan, wie ich für Marco die beste Möglichkeit herausschlagen konnte.
Ich würde eine Verbannung Marcos aus der Stadt vorschlagen.
So hätte Kurágin ein für alle mal Gewissheit, Marcos Benehmen nicht weiter ertragen zu müssen, und Marco hätte die Freiheit erhalten, nach der er, und sein... Mentor...,
ein weiterer Blick auf Martin,
sich gewünscht hatten.
Denn nach Marcos Auftritt bei der Verhandlung, dessen ohnehin schwierigem Stand in der Stadt und vor allem nachdem ich die Verantwortung für seine Taten trug,, hätte er nie in Frieden leben können. Ein jeder hätte versucht, ihn zu einem Fehlverhalten zu verlocken, damit dieses dann mir und den gesamten Toreador der Stadt angelastet werden könnte.
Und wir alle wissen, das Marco’s junger und wilder Geist all zu leicht hätte verführt werden können....
Doch Kurágin ließ sich nicht auf diesen Handel ein. Er wusste genau, das dies ein Gewinn für unsere Seite und vor allem für Marco gewesen wäre.
Kurágin wollte Marco nicht gehen lassen. Er hatte indes vor, Marco jeden Abend erneut beide Handgelenke brechen zu lassen. Eine weitere Demütigung, wissen wir doch, das Marco seine Hände so sehr zum musizieren braucht.
Doch es blieb mir keine Gelegenheit, Kurágin umzustimmen.
Marco kam mir da wiedereinmal zuvor.
Und er hatte mich vorher inbrünstig um etwas gebeten. Er sagte, bevor wir gemeinsam an diesem Abend zum Seneschall gingen: ‚wehe der Maler setzt sich für Marco ein! *g*
Den (Marco) sollte er als nicht mehr zu retten einstufen und statt dessen versuchen, Regeanne und sich in Sicherheit zu bringen.’
Ich wusste, was das zu bedeuten hatte.
Marco hatte Abgeschlossen. Er wollte in einer letzten, verzweifelten Aktion alles in die Waagschale werfen und in seinen sicheren Untergang gehen.
Und das tat er auch.
Wieder zeigte er keinerlei Respekt gegenüber dem Seneschall.
Wieder konfrontierte er ihn mit wüsten Anschuldigungen und Beleidigungen.
Wieder ging er zu weit.
Und er wusste, was er tat.
Er wollte es so....
Eine erneute Pause. Diesmal aber sah man dem Maler an, das es tatsächlich schwer für ihn war, weiter zu sprechen.
Letztendlich wusste Marco, das er diesen Abend nicht überleben würde.
Er WOLLTE ihn nicht überleben.
Die Politik des Seneschalls und der Ahnen, die Gesetzt der Camarilla, das Korsett der Etikette.
All das hatte ihm den Atem genommen, mehr als es der Kuss getan hatte.
Er wollte es für Regeane tun. Er wollte es für seine Freunde tun.
Er liebte zu sehr. Zu sehr um seinem Ende auszuweichen.
Er liebte uns sogar so sehr, das er seinem Ende mit weit offenen Armen entgegen rannte.
Jetzt hatte sich eine blutige Träne im linken Auge des Malers gebildet.
Und mir blieb nur eine letzte Gefälligkeit, die ich Marco erweisen konnte.
Ich ließ ihn in meinen Armen sterben......