AW: [25.04.2008]Eiszeit!
Gefällt ihr nicht. Gefällt ihr gar nicht. Warum sollten die Garou Kühlboxen verschicken? Vielleicht ist ja doch eine Bombe drin. Andererseits, nachdem sie selbst schon ein magisches Feuerinferno eingeschlossen in einen roten Edelstein bekommen hat um damit Zacharii zu vernichten (was nicht ganz geklappt hat), warum sollten sich die Garou überhaupt mit menschlichen Mitteln abgeben? Meyye ist keine Tremere, sie hätte nicht viel dagegen machen können wenn ein Feuergeist da dringesessen hätte und bei ihrer Berührung hochginge...
Sie löst vorsichtig den Umschlag von der Box und öffnet auch den recht schnell. Da drin wird sich eine Erklärung finden, zumindest mal eine bessere als bisher (die bisherige ist nichtexistent). Sie fängt an zu lesen... und wünscht sich bald schon, sie hätte es nicht getan. Fanatiker hin oder her, was da angedeutet wird ist ein Alptraum, eigentlich der den sie die ganze Zeit fürchtet... nur in dem Ausmaß hat nichtmal ihre pessimistische Phantasie sich diese Sache ausmalen können!
Sie lässt den Brief sinken und schaut auf die Kühlbox. Sie weiß jetzt, was sie darin finden wird und will gar nicht mehr aufmachen, aber sie muss. Als wären ihr ihre Hände fremd, schaut sie zu wie sie die Box aufmachen und den Pullover herausholen. Der Geruch von Blut, dem Blut eines Garou, trifft sie fast wie ein Faustschlag, abgemildert, aber auf wenig positive Art, durch das süßliche Odeur von Verwesung... und beinahe nicht mehr wahrnehmbar, weil von den anderen Gerüchen überdeckt, ein Duft den sie kennt. "Nein." flüstert sie nur wie benommen, und der Blutgeruch hat ausnahmsweise am allerwenigsten damit zu tun. Sie greift wieder hinein, reisst die Kleider heraus, die so penibel vollständig hineingestopft wurden, bis sie zum... ja, zum Herz des Inhalts vorgedrungen ist.
Vorsichtig nimmt sie es mit beiden Händen heraus als wäre es zerbrechlich, während ihr Verstand sich noch weigert, es zu glauben. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie eine zeitlose Schönheit mit roten Locken, grünen, klugen Augen und einem freundlichen Lächeln, von dem sie wusste, dass sie ihm vertrauen kann, und der Frau, die es zeigt. Sie sieht nocheinmal das wütende Blitzen in den Augen bei ihrer ersten Begegnung, dann die Besorgnis... sie sieht die Fürsorge, die sie zum einzigen Halt Tatjanas in ihrer Art machten, den aufmunternden Blick als eine Kainitin und eine Garou vor dem so ablehnend erscheinenden Tribunal saßen, die gespielte überraschende Erkenntnis, als sie Black Mind Meyyes Beziehung mit Julian als Glücksfall verkauft hat (was nicht schwer war, denn zuvor hatte gerade diese Verbindung den Blutsverwandten das Leben gerettet, da auch sie Zachariis Fluch in Finstertal zum Opfer gefallen wären). Sie konnte kämpfen wie eine Löwin für die, die ihre Hilfe benötigten, war weise wie Jahrhunderte alte Vampire nie hoffen können zu werden und erkannte als zweite nach Tatjana, dass für Garou und Kainiten mehr möglich ist als nur ein mißtrauisch beäugter Waffenstillstand und Hass. Ihr Herz, Sylvias großes Herz, schlug für alle, die es ihrer Meinung nach verdienten. Dieses Ende, herausgefetzt und halb verwest als martialische Geste eines selbstzufriedenen Fanatikers, das ist das letzte, was es verdient hat.
Meyye hat das Gefühl, dass ihre Augen brennen, dass sie weinen sollte, aber sie kann es nicht. Dabei wünscht sie sich, dass ihre Sicht verschwimmen möge, damit sie das alles hier nicht mehr sehen muss. Aber nichts geschieht. Sie weiß trotzdem, was sie zu tun hat. Vorsichtig legt sie das Herz wieder zurück in den Kasten, und auch die Kleidung sammelt sie ein und legt sie hinein, um die Box wieder zu schließen. Den Brief aber steckt sie in die Jackentasche. Das Verpackungsmaterial lässt sie liegen wo es ist und erhebt sich. Dann hält sie inne und hebt es doch noch auf, knüllt es zusammen und schiebt es ein. Ihr Name steht drauf.
Mag die Sonne auch noch so nahe sein, sie lässt sich nicht davon abhalten, in den Wald zu gehen. Sie weiß noch wo es war, wo sie damals den Wolfsspuren gefolgt ist, die sie zu einer Lichtung geführt haben. Dort hat sie sie zum erstenmal gesehen, als sie sang und tanzte und das Feuer in einen Stein befohlen hat. Genau dort lässt sie sich auf die Knie nieder und ihre Finger werden zu Klauen, die leichter durch den wurzeldurchflochtenen Boden kommen und graben. Als das Loch tief und groß genug ist, legt sie die Box hinein. Sie schaut auf zum Himmel und versucht sich zu erinnern. Ein leises Lied singt sie, das sie von ihren Großeltern und dem Dorf kennt, in dem sie als kleines Kind gelebt hat. Ein Totengesang, der die Geister bittet, die Verstorbene bei sich aufzunehmen.. und sie hat es nicht schwer, deren Taten auf der Erde und im Leben zu preisen. Dann schaufelt sie das Grab wieder zu, tarnt es mit Gras und Laub von anderer Stelle und steht auf. "Das hast du nicht verdient, Sylvia, aber wer dir das angetan hat, der hat es verdient." sagt sie leise. "Du wärst die erste, die mir das ausreden wollen würde, aber wie fast immer werd ich nich auf dich hören... tut mir leid."
Sie wendet sich ab und fängt an, wieder in Richtung Stadt zu gehen. Fraglich, ob sie das noch schafft vor Sonnenaufgang, aber das wäre das geringste Problem. Ein anderes ist dringender. "Julian." spricht sie vor sich hin und wählt einmal mehr sein Handy an. "Geh ran. Geh endlich ran, verdammt..."