[20.05.2008] Traum vom Tod

Kalliope

Kainit
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27. Februar 2012
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Letztlich ging alles geradezu erschreckend schnell.

Der Hall zweier Schüsse gellte durch die Nacht. Doch bloß einer sollte seines Zieles habhaft werden. Beide Kontrahenten standen steif. Letztlich war es Arthur, dessen Pistole aus seiner Rechten glitt. Ein erstickter Schrei.

Mit beiden Händen an die Brust gepresst sackte der Student zu Boden - und das Gesicht seines gleichaltrigen Gegners erstarrte.

"Mein Gott", waren die einzigen Worte, die er in aller Fassungslosigkeit hervorbrachte.
Augenblicklich war der Sekundant zur Stelle.

"D…der Schuss hat ihn in der Brust getroffen! Arthur, mein Freund h…hörst du mich…? Du liebe Güte! Wir…wir brauchen einen Arzt!"
"Einen Arzt!" rief ein anderer.
Allgemeiner Aufruhr.

Letzten Endes waren sie doch alle noch immer nichts als Kinder. Eine gedankenlose Bemerkung war es gewesen, welche die Forderung nach Satisfaktion bedingt hatte. Vereinbart gewesen war ein Ende dieser Farce für jenen Augenblick in dem das erste Blut vergossen wurde.

So war es nun auch gekommen, die Angelegenheit damit beigelegt. Roter Lebenssaft benetzte das Moos des Waldbodens während ein junger Mensch in den letzten Minuten seines Lebens die wenigen Jahre seiner Existenz Revue passieren ließ.
Durchscheinende, feuchte Kristalle glänzten in seinen Augen. Längst waren aus Kontrahenten wieder Kommilitonen geworden.

Verzweiflung, Ratlosigkeit und schieres Entsetzen standen in die Gesichter der jungen Männer, welche allesamt nicht mehr als 23 Lenzen maßen, geschrieben.

"So können wir ihn nicht auf ein Pferd setzen. Arthur! Arthur, hörst du uns?"
"Verdammt! Wir sind viel zu weit draußen! Bis zum nächsten Hospital ist es gut eine Stunde zu Pferd. Und zu Fuß erst!"
"Haben wir einen Wagen hier? Oder wenigstens einen Karren?"
"Ich…nein, nicht das ich wüsste…"

Lenore hielt sie im Arm. Beruhigend strichen ihre Hände über Arme, Schultern und Rücken ihres Schützlings während sie kaum hörbar Worte des Trostes hauchte.
Still schweigend schlich sich eine einzelne, einsame Träne über die bleiche Wange der jungen Studentin. Kurz bloß funkelte sie im versiegenden Mondlicht auf, glitt hinab, an den Lippen vorbei und zierte für einen Sekundenbruchteil das Kinn der blassen Brünetten. Dann jedoch wurde sie von den weißen Spitzen ihres hohen Kragens aufgesogen, verschwand spurlos im makellosen Linnen.

Um sie herum allerlei Trubel und Aufruhr. Die beiden Damen jedoch standen regungslos. Der Blick der Jüngeren haftete auf der Szene und schien dennoch mehr durch sie hindurch zu gehen als sie zu inspizieren. Leer waren die kaum noch grünen, in Schwärze zu ertrinken drohenden Augen.

Das Krachen der Schüsse hatte mehr als bloß Fleisch und Knochen zerbersten lassen.

"Was sollen wir nun tun?"
"Ha…haben wir vielleicht jemanden hier, der helfen kann? Einer von euch muss doch Medizin studieren!"
"N…nein. Nicht sofern es mir bekannt wäre."
"Nichtsnutze, allesamt!"
"Ich studiere Medizin."

Mit einem mal war es still. Die Köpfe der versammelten Herren wandten sich abrupt der Quelle dieser leisen, bedeckten Stimme zu.

"Ich studiere Medizin", wiederholte Ligeia. "Ich..." Für einen Augenblick schien es als müsse sie mit sich und ihrer Stimme ringen, doch schließlich befreite sie sich aus der beruhigend tröstlichen Umarmung ihrer Begleiterin und trat auf den schwer Verwundeten Studenten zu.

"Ich bin vielleicht im Stande zu helfen", sprach sie schließlich und ging neben Arthur und den ihm stützenden Sekundanten in die Knie.
"Ich bedarf eines Messers, und des gesamten Kontingentes an geistigen Getränken, die sie alle aufzubieten im Stande sind.
Jonathan, bitte hilf mir seinen Oberkörper zu entkleiden. Ich…muss sehen, wie die Kugel eintrat und auch ob eine Austrittsstelle vorhanden ist."

Die vollen Lippen waren trocken. Nervös kaute die angehende Medizinerin auf ihnen. Das skeptische Raunen um sie herum nahm sie nicht wahr.
Statt dessen wies sie den Studienkollegen ihres mit dem Tod ringenden Patienten an, den dicken Wollmantel auszubreiten und den Verwundeten vorsichtig auf selbigen zu betten.

Ein Blick auf den nackten Rücken reichte aus um zu ersehen, dass keine Austrittswunde vorlag. Die Kugel befand sich also in jedem Fall noch in der Brust Arthurs und so, wie sich die Eintrittsverletzung darstellte, im schlimmsten Falle mitten in seinem Herzen.

Mit ausgestreckter Hand und ohne den Blick, mal bangend, mal leer, sinnend starrend, von dem röchelnden Blonden abzuwenden, wartete sie darauf, dass man ihr eine Klinge aushändigen würde. Tatsächlich dauerte es nicht lange und einer der Anwesenden übergab ihr sein Jagdmesser.

Die Morgenröte tauchte die Lichtung allmählich in warm glänzenden, goldenen Schein. So verbesserte sich zumindest die Sicht der halbstudierten Ärztin zunehmend während Luna in all ihrer zunehmenden Blässe Geleit bot.

Aus der Tasche ihrer Jacke zückte sie ein Tuch und ließ es von Lenore, die zwar zunächst verharrte, schließlich jedoch wie selbstverständlich an ihre Seite getreten war um ihr zu assistieren, mit dem Brandy aus einem der zur Verfügung gestellten Flachmänner notdürftig sterilisieren.

"Ich muss sie, meine Herrn, bitten ihn an Schultern, Armen und Beinen zu fixieren. Verabreichen sie ihm eine ihrer Flaschen möglichst vollends. Danach übergeben sie mir eine andere."

Natürlich durchfuhr es Arthur, als die Brünette Alkohol über die offene Wunde schüttet und es tat der jungen Frau im Herzen weh ihn so zu sehen.
Doch führte kein Weg darum herum anzuerkennen, dass so, wie die Sache lag, sie seine einzige Hoffnung war.

"Ich…möchte sie jedoch alle darauf hinweisen, dass es sich hierbei um meine erste Operation handelt…"

Kein Einspruch. Statt dessen grimmig entschlossenes Nicken seitens der Versammelten.
Damit setzte Ligeia die Klinge an der Wunde an.




Wie jede Nacht trat die Untote hinaus aus längst der Vergessenheit anheim gefallenen Gebilden anderer Lande und wurde von der erbarmungslos innigen Umarmung tiefster Schwärze empfangen als sie ihre Augen aufschlug.
Beinahe war ihr, als könne sie den hölzernen Griff des Messers noch in ihrer Hand spüren. Natürlich handelte es sich hierbei lediglich um Einbildung.

Einerlei.
Sanft legten sich seidige, kalte Hände auf raues, kühles Holz. Es musste ihr durchaus eigentümlich erscheinen mit welch einer Gleichgültigkeit sie jene Bilder erfüllten. Madelaine wusste noch all zu gut, dass ihre Schwester einst eine andere gewesen war. Sie erinnerte sich an etwas, das vor der Psychiaterin Fleisch und Blut mit ihr geteilt hatte.
Ligeia hingegen hatte sich selbst, das Mädchen, das sie einstmals gewesen war, bereits vor langer Zeit vergessen. Allerdings würde sie jenen Sachverhalt letztlich grundlegend anders bewerten als es ihre Schwester tat.

Die Vampirin öffnete ihren Sarg und entstieg selbigem in routinierter Bewegung, ganz so, wie sie es jede Nacht tat.

"Guten Abend, Lenore."

"Guten Abend, Frau Doktor", erwiderte die Blutsklavin den Gruß lächelnd.

Die Malkavianerin quittierte das Lächeln lediglich mit einem seichten, anerkennenden nicken und widmete sich danach ihrer gewohnten, allabendlichen Selbstinspektion. Ein Blick in den Handspiegel verriet, dass ein Griff zu etwas Make-Up für den heutigen Abend durchaus angemessen wäre. Zumindest wenn man gewillt war einen möglichst unverfänglichen ersten Eindruck zu vermitteln. Vorerst.
So überdeckte sie die Schatten unter ihren Augen um die Illusion eines makellosen Alabasterteints aufrecht zu erhalten. Auch roten Lippenstift und schwarzen Lidschatten sowie Kajal und Wimperntusche legte sie nach ehe sie schließlich ihren Zopf richtete.
Anschließend verschwanden all die kleinen, durchaus nützlichen Instrumente, dienlich der weiblichen Eitelkeit wie auch der Maskerade des Raubtiers, wieder in der schwarzen Ledertasche.
Ein durchaus erwähnenswerter Umstand, dass kein Corax je unter den Raubvögeln geführt wurde.

"Ich werde dich heute wieder für eine ganze Weile allein lassen müssen, meine Liebe. Ich hoffe, dass die Primogenssitzung meine Zeit nicht all zu sehr beanspruchen wird, kann dies allerdings natürlich nicht versprechen.
Während ich also durch Absenz glänze, möchte ich dich bitten, dich doch bereits ein wenig um den Bezug unserer Wohnung zu kümmern."



"Oh, was das wichtigste Mobiliar anbelangt, so habe ich mir bereits tagsüber die Freiheit genommen das hiesige Angebot zu inspizieren und das ein oder andere zumindest vorerst zu reservieren. Ich wollte natürlich nicht all zu voreilig sein…"

"Mir soll es gänzlich recht sein. Ein Bett für dich, ein Kleiderschrank, ein Schreibpult und Bestuhlung sollten das Nötigste sein. Was wir darüber hinaus bedürfen, führen wir bereits mit uns.
Du kennst unsere Finanzen und ich vertraue dir in diesen Dingen. Zumal ich vorerst keine Zeit haben werde mich mit derlei Angelegenheiten selbst en Detail zu befassen.
Nun, wie dem auch sei…"


Ein Blick auf die silberne Taschenuhr mit dem eingravierten Raben darauf verriet die aktuelle Stunde.

"Ich schätze, wir sollten aufbrechen."
 
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