[20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Morticcia

Addams
Registriert
11. Mai 2006
Beiträge
2.184
Es gab Nächte die konnte man nur mit einem einzigen Wort beschreiben:
Kacke!

Jenny hatte ja gewusst, dass es nicht leicht werden würde, dem Druck der Camarilla nachzugeben und sich letztendlich doch beim fiesen Prinzen anzumelden.
Sie hatte sich diese Entscheidung auch ganz sicher nicht leicht gemacht und bereits dutzende Nächte zuvor angestrengt hin und her überlegt.
Zwei Jahre lang hatte sie nun am Ende dem Druck von Außen immerhin standgehalten und wider erwarten zudem sogar überlebt. Manchmal war es natürlich haarscharf gewesen, aber sie war noch da.
Aber sie war es auch langsam müde gegen die unzähligen, nicht zu besiegenden Windmühlen anzurennen, ohne jemals auch nur einen Deut von Erfolg vorweisen zu können. Jeder abgeschlagene Kopf wuchs einfach doppelt so mächtig nach, so leicht war das für die Wichser der Sekte.

Also war sie zähneknirschend in die Hölle und nichts anderes war es, denn in einer Höhle konnte man sich ja schlimmstenfalls verlaufen, des Löwen gestiefelt und hatte einen Pakt mit dem Teufel persönlich geschlossen.
Aber war denn das nicht genau das Problem?
Wer hatte je mit dem Belzebub getanzt und am Ende gewonnen?

Die Schergen des Camarillaprinzen hatten sie ausgelutscht, gedemütigt, seelisch vergewaltigt und sie dann mit den besten Wünschen einfach wieder ausgekotzt. Angefangen mit dieser Nacht würde man sie zwar nicht mehr einfach grundlos töten wenn man sie sah, man würde sie lediglich zusammentreten und bespucken bis sie irgendwann einfach daran zerbrach.

Nun fühlte die Anarche sich so schmutzig wie nie zuvor in ihrem Leben.
Wer in dieser Stadt würde ihren inneren Schmerz verstehen, wer würde sie in den Armen halten und ihr sagen das alles wieder gut werden würde und auch ohne große Vorwürfe zu ihr halten?

Wie zum Beweis ihrer mißlichen Lage hatte es kurz vor Tagesanbruch angefangen zu regnen. Also stand die Anarche nass bis auf die Haut vor der Tür der Bibliothek und trat zögerlich ein.

Bitte bitte sei da....
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Das Zwielicht im Inneren wusch die Farbe aus der Luft und sorgte dafür das alles ein wenig trüb wirkte. So als wäre dies gar nicht die Wirklichkeit, sondern nur ihr Abglanz, eine Reflektion vielleicht.
Die langen, dunklen Holzregale verformten sich unendlich langsam und stöhnten leise. Am Informationsschalter saß ein Sommersprossiger junger Kerl in dessen Ohren Stöpsel gepropft waren mit denen er Musik hörte. Sein Kopf wippte sachte und monoton dabei auf und ab, während er irgendetwas auf seinem Monitor verfolgte.
Jenny kannte das Kerlchen schon, er sah immer irgendwelche Videos im Internet an. Die ganze Nacht verbrachte er mit diesen Videoportalen. Er nickte nur knapp in ihre Richtung als sie eintrat.
Weiter im Inneren des großen Raumes, der durch seine vielen Regale verwinkelt und unterteilt wirkte, sah sie eine krumme Gestalt in einem verknautschtem, fleckig braunem Ledermantel hocken.
Gemütliche Vertrautheit ging von dem Ding im Sessel aus. Die Tatsache das sie ihn sehen konnte bedeutete das er sie beim Eintreten erkannt hatte.
Lurker hatte soeben eine Zeitung beiseite gelegt und winkte nun zu ihr hinüber.
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Ohne den Jungen am Eingang auch nur eines Blickes zu würdigen und ohne auch nur ein einziges Wort an ihn zu verlieren ging Jenny schnurstracks auf Lurker zu.
Alleine dies war schon äußerst ungewöhnlich denn die Anarche hatte für den sommersprossigen Knaben am Empfang eigentlich immer einen neckenden Spruch auf Lager, aber heute schien alles einfach etwas anders zu sein.
Die allumfassende Traurigkeit die von ihr ausging war beinahe fühlbar, aber der Nosferatu konnte deutlich spüren das der Caitiff in diesem Moment nicht nach reden war. Stumm sah sie ihm eine Zeit lang in die Augen und es schien als wollten all ihre Sorgen und Nöte für einen Moment aus ihr herausbrechen, aber letztlich sagte sie doch kein Wort.
Wie selbstverständlich aber doch mit einem deutlich rosa leuchtendem Schimmer in den Augen kroch sie mit ihrem Kopf unter seine Schulter, schlang ihre Arme um seinen knochigen Körper, schmiegte sich wie eine Ertinkende eng an ihn und genoß leise weinend die Nähe des geliebten Nosferatu.
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Eine freundliche Begrüßung erstarb auf den aufgeworfenen Lippen des Nosferatu und wich einem fragendem Stirnrunzeln. Üblicherweise blubberte alles was Stray bewegte einfach aus ihr heraus. In der Regel ungefiltert. Doch heute war etwas fundamentales geschehen. Lurker wusste nicht ob er ein empathisches Band zu seinem Findelkind hatte und deshalb spürte das sie etwas zutiefst erschüttert hatte, oder ob er es allein aus ihrem Auftritt las, es war auch unwichtig.
Ihre Existenz hielt eine unzählige Menge an Fallgruben und Abgründen bereit. Man konnte dutzendfach durch eine plötzliche Erkenntnis in seine ganz persönliche Hölle geschleudert werden. Einige davon hatte er bereits besucht, andere, da war er sich sicher, lauerten noch auf ihn.
Noch wusste er nicht was in der jungen Vampirin zerbrochen war, aber er sah deutlich den Schmerz der in den Scherben schimmerte.
Was sollte er schon großartig tun ? Sollte er ihr sagen das alles gut würde ? Nichts würde jemals wieder gut werden.
Sie würden so weiter machen, ewig und ewig bis die kalte, leere Sinnlosigkeit sie soweit ausgehöhlt haben würde das sie sich bei dem Gedanken erwischtem in die Sonne zu gehen.
Irgendwann würde diese Welt enden und sie schlussendlich alle erlösen. Bis dahin galt es die endlose Nacht zu ertragen.
Er konnte ihr nichts anbieten das wirklich helfen würde, er konnte nur mit ihr hier sitzen und sie festhalten, sie beruhigend streicheln, bis das Schluchzen aufhörte sie zu schütteln.

So saßen die beiden Monster im kränklichen Licht und versuchten sich stumm zu trösten.
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Es dauerte eine ganze Weile bis die Caitiff sich dazu durchringen konnte zu antworten. Es waren nur wenige Worte die sie sprach und Lurker mochte kleicht erkennen das sie nur die Spitze des Eisberges waren.

"Ich war heute in der Akademie ...und habe mich angemeldet. Glaub mir das... das war das schlimmste was ich jemals habe tun müssen! Sie... sie haben mir weh getan! Hier...!"

Sie deutete auf die Stelle in ihrer Brust an der sich ihr Herz befand und schwieg dann wieder. Die Nähe zu ihrem geliebten Freund ließ sie aber spürbar von Minute zu Minute erstarken.
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Lurker legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. Von all den vielen Möglichkeiten und Wahrheiten die einen aus der Bahn werfen konnten, von all den Dingen die den Verstand zerbröseln konnten wie einen alten Keks und einen als sabbernden Irren zurückließen, erschien ihm das vergleichsweise harmlos.
Für Stray aber war es scheinbar etwas elementares gewesen das zu ihrem Lebensstil gehörte.
Wie schrecklich würde das Erwachen wohl für sie sein, wenn sie herausfand das sie so etwas wie einen Lebensstil gar nicht mehr hatte ?
Bis hierhin schien diese Sache aber schlimm genug für sie zu sein und er musste versuchen sie irgendwie wieder aufzurichten. Sie hatte sicher das Gefühl versagt zu haben oder das ihr altes Leben nun verloren war.
Nach einiger Bedenkzeit um die richtigen Worte zu finden nickte er schließlich.

Was denkst du Stray... wie wichtig ist es für deine Idee von Freiheit ob du irgendwo gemeldet bist oder nicht ? Ist man, wenn man im Herzen ein Vagabund und Heimatloser ist, plötzlich weniger frei weil man in einem Telefonbuch steht ?

Er wollte versuchen die Sache für sie in ein anderes Licht zu rücken. In sein Licht. Für seine Verhältnisse war es ziemlich egal in welche Schublade man wen steckte und was man tun und lassen sollte um in dem einem oder dem anderem Verein tun musste um mitspielen zu dürfen.
Beim Sabbat sprang man durch Feuer und zelebrierte seltsame, katholisch anmutende Rituale, bei der Cammarilla spielte man halt diese bürokratischen Spielchen und pochte lauthals auf die wunderbare Erfindung der Maskerade.
Für die Nosferatu war dieser Bohei den man um die Verheimlichung der eigenen Existenz machte immer ein wenig amüsant.

Wie man sollte im verborgenen Leben und niemanden von uns wissen lassen ? Wirklich ? Na auf DIE Idee wären wir niemals gekommen.

Als er weiter sprach gab er sich alle Mühe aufmunternd zu klingen. Er wollte nicht einfach nur ihr geistiger Mentor sein. Er hatte sich stets jemanden gewünscht der ihm väterlich und gütig näher brachte was geschah.
Nun wollte er an ihr alles wieder gut machen.

Was ich meine ist... für jemanden dem Formalitäten und Regeln so egal sind... legst du ziemlich viel wert auf so eine dämliche Formalität.

Denn wenn man ein verdammter Super Rebell war, dann konnte es einem auch entsprechend egal sein was die Anderen in ihre Unterlagen schrieben, nicht wahr ?
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

"Ach das ist mir doch kack egal. Was mir so weh tut ist das ich aufgegeben habe. Ich habe solange um mein bischen Freiheit gekämpft, mir solche Mühe gegeben abends stolz in den Spiegel schauen zu können. Aber jetzt bin ich wie all die anderen. Ein scheiss Rad in dem scheiss Getriebe der großen Oberbonzen."

Jenny wusste nicht wie sie es Lurker erzählen sollte, ihr fehlte einfach der passende Wortschatz.

"Ich mag es nicht wenn ich nicht machen kann was ich will, wie ich es will. Ich mag es nicht wenn andere auf mich herabsehen und sich für was besseres halten. Ach das ist doch alles kacke...."

Mit einer Geste der Hilflosigkeit schmiegte sie sich noch enger an Lurker heran. Ein Bild das widersprüchlicher nicht sein könnte.
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Das Selbstwertgefühl hing manches mal an merkwürdigen Dingen. Aber es war eben buchstäblich ein Gefühl und entzog sich damit gerne rationalen Maßstäben. Für ihn handelte es sich bei seinem Status bezüglich der Cammarilla um eine reine Formalität. Ob er nun angemeldet war in einer Stadt, oder nicht war genauso wichtig wie das Gesetz die Straße nur bei grüner Ampel zu überqueren. Ja, wenn gerade die falsche Person zusah, dann wartete man ab, ja man sah ich um bevor man bei rot los lief, ob nicht doch irgendwo ein Ordnungshüter in der Nähe war, aber im Grunde war es eine banale Angelegenheit. Wenn es die Straße zu überqueren galt, dann würde er im Ernstfall bedenkenlos bei rot loslaufen.
Für Jenny schien in dieser eigentlich unwichtigen Formalität aber mehr zu stecken. Ein Kniefall vor dem Establishment, eine Art Ohnmacht. Lurker fragte sich ob sie vor dem Gedanken das man auch als Außenstehender Teil der Pläne der Cammarilla war wohl erschrocken wäre ?
Dieser verdammte Verein hatte seine Finger überall und wenn sie bisher als nicht angemeldete, wilde Streunerin durch ihr Unleben gegangen war, dann bestand durchaus die Möglichkeit das dies völlig absichtlich geschehen war und ein kleiner Teil in einem anderem Plan der ehrenwerten, uralten Vampirgesellschaft war.
Der Nosferatu fragte sich ob sie schon soweit war derartigen paranoiden Gedanken nachzuhängen. Man musste vorsichtig sein, wenn man sich auf diesen Weg begab, denn allzu schnell sah man in jedem Schatten den schwarzen Mann und irgendwann rutschte der Verstand über die Kante der Normalität und fiel in den Abgrund des Wahnsinns. Sie war noch nicht soweit. Sie mochte fühlen wie ein Nosferatu, aber es dauerte bis man dachte wie einer. Wenn er sie zu früh mit diesen Wahrheiten konfrontierte, dann konnte ihr Geist daran zerbrechen wie dünnes Glas.

Warte nur ab. Das ist nur eine von vielen Stationen die du noch erleben wirst. Glaube mir, das was du als eindeutigen Affont und scharfe Grenze empfindest ist in Wirklichkeit nur ein grauer, löchriger Vorhang. Heute hängt er hier, morgen zwei Meter weiter vorne oder hinten und wenn es nötig ist, dann packst du ihn einfach und ziehst ihn in die Richtung in der du ihn gerade brauchst. Diejenigen vor dem Vorhang sagen 'dahinter' sind die bösen und irgendwann stellst du fest das beide Seiten des Vorhanges vorne und hinten sind. Ich fürchte also das du dir auf die Dauer etwas anderes suchen musst um für dich zu definieren was gut und richtig ist und wann du gewonnen oder verloren hast. Der Vorhang kann dir dabei nicht helfen, er teilt die Bühne nur auf, er sagt dir nicht was deine Rolle in diesem verrücktem Theater ist.

Der Tonfall des Nosferatu war merkwürdig und in sich gekehrt. Er sprach nicht nur zu Jenny, er sprach zu sich selbst und zu allen Untoten die in dieser Nacht zweifelten. Er hatte sehr viel Zeit gehabt sich über derartige Dinge Gedanken zu machen und er hatte mehr gesehen und erlebt als viele Vampire die von der anderen Seite der Gesellschaft immer nur als 'die Anderen' sprachen. Lurker wusste das sie alle 'die Anderen' waren.
 
AW: [20.04.2008]Darf ich bei dir pennen?

Stumm nickte die Caitiff und zog sich den Arm des Nosferatu über die Brust wie eine schützende Decke bei Nacht.
Wie klug er doch war!
Lurker wusste einfach immer was richtig war und kannte auf jede Frage eine passende Antwort. Es musste dabei nichtmal die Richtige sein, darum ging es gar nicht. Jenny ging es einfach nur darum, dass hier jemand war mit dem sie ihre Gedanken teilen konnte ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Bei ihm hatte sie das Gefühl alles sagen zu können, jeden noch so abwegigen Gedanken frei zu formulieren und trotzdem ernst genommen zu werden.
Ja das war es..., er nahm sie ernst!
War für sie da, immer!
Und dafür liebte sie ihn voller Inbrunst!

Schweigend lag sie also da und dachte angestrengt über Lurkers Worte nach, bis sie irgendwann in einen unruhigen Schlaf versank.

...was gut und richtig ist und wann du gewonnen oder verloren hast. Der Vorhang kann dir dabei nicht helfen, er teilt die Bühne nur auf, er sagt dir nicht was deine Rolle in diesem verrücktem Theater ist... nicht was deine Rolle ist...nicht...
 
Zurück
Oben Unten