[18.5.2008]Die Aufwartung machen

Kalliope

Kainit
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Alles in allem war Madelaine ziemlich stolz auf sich. Entsprechend verzückt kletterte die hübsche Brünette folglich auch aus dem Wagen, den sie soeben vor der Akademie geparkt hatte. Den Weg hier her hatte die Malkavianerin tatsächlich gefunden ohne sich weiter bemerkenswert zu verfahren und damit würde sich der Zeitverlust, den die dem Brauch folgende Hofkehrerei mit sich bringen musste, folgerichtig in Grenzen halten, zumindest betreffs der Parameter, die zu beeinflussen der Untoten möglich war. Warum ihre Schwester bezüglich dieser wundervollen Fügung eher verhaltene Freude -eigentlich richtiger: Gleichgültigkeit bis vielleicht gar Enerviertheit- empfand konnte das ältere der beiden Mondkinder so gar nicht verstehen.

Fassade und Portal des altehrwürdigen Baus waren fraglos als ästhetisch und eindrucksvoll zu bezeichnen. Entsprach der Schein dem Sein? Die Tatsache, dass der Eingang weit offen stand konnte und musste allerdings durchaus eigentümlich anmuten. Ausdruck unkonventioneller Vorstellungen von Manierlichkeit innerhalb der Domäne? Versehen? Oder verräterisches Detail eines Debakels?
Letzteres war wohl unwahrscheinlich. In diesem Falle hätte mutmaßlich längst jemand seine außerordentliche Vorfreude bezüglich kommender, gewiss unterhaltsamer Ereignisse kund getan. Eben typisch Hedonisten. Philosophen. Sophisten und Seher. Wie es sich nun einmal so verhielt mit ewig alten, allwissenden, stets gelangweilten jedoch durchaus begeisterungsfähigen Wesen, die irgendwo zwischen zwei Existenzebenen kontinuierlich die dünnen Trennwände zwischen Sein und Allsein passierten.
Ihre Sprache war klar, ihre Anweisungen deutlich. Die Motive nicht zu hinterfragen. Vollends einleuchtend. Wie beruhigend es war in einer Welt wie dieser voll aller Zuversicht in tiefstem Vertrauen zu jenem Einen aufblicken zu dürfen. Der Fürst liebte seine Kinder. Als Patron und Vater. Element und Ziel all jener versunken im Mondschein.

Die größte Sorge Ravens bestand nun darin, ob sie Jennys Beschreibung folgend den Weg zum Büro des Prinzen tatsächlich finden würde.

Welch ein Angesicht trug eine Stadt von solch zweifelhaftem Ruf wie Finstertal in Form ihres Prinzen wohl zur Schau? Spiegelte die Seele den Geist? Wenn ja: war dies zum Vor- oder Nachteil für die Nicht-Inszenierung des Totentanzes? Vielleicht ja doch irrelevant?
Nein. Das Gesicht wahren bedeutete in diesen Kreisen alles.
Madelaine kam der Gedanke, dass etwas Düsteres wohl bereits dem Namen des Ortes sowie gewissen Attributen entsprechend am angebrachtesten erscheinen dürfte. Die Stoff gewordene Inkarnation der Finsternis musste die Schwärze selbst sein. Zustimmendes Raunen, perfides Gekicher.
Es gab Scherze, deren Pointen ihren Effekt allein dadurch erzielten, dass sie so fürchterlich naheliegend, wenn auch augenscheinlich unwahrscheinlich waren.

Dort angekommen, wo sich den Schilderungen der Caitiff nach das Prinzenbüro befinden sollte, würde die Malkavianerin einmal kurz, jedoch wohl vernehmlich anklopfen, sofern die Tür denn geschlossen war.
 
Ohne Beschreibung hätte Raven sicherlich wesentlich mehr Zeit benötigt. Der Zugang in die Räumlichkeiten des Prinzen lagen abgelegen und versteckt. Sie waren gut zu erreichen und boten sogar einige Parkmöglichkeiten für Fahrzeuge, aber solange man nicht wusste, dass man in dieser Ecke der weitläufigen Akademie zu suchen hatte, war das finden der richtigen Zugangstür mehr oder weniger ein Glücksfall.

Jennys Beschreibung aber war zutreffend und so war der Weg in die heiligsten Hallen der Stadt kein größeres Problem. Auch hier stand der Zugang weit geöffnet. Man konnte den schweren, gußeisernen Türklopfer an der Tür erkennen, kunstvoll geschmiedet und nun irgendwie verloren, da ohne jeglichen Zweck angebracht. Durch den Haupteingang hindurch erreichte man einen kleinen Vorraum, offensichtlich gedacht um letzte Schritte an seinem Äußeren zu richten, Mäntel oder Hüte abzulegen oder einen letzten, kontrollierenden Blick in den Spiegel zu werfen. Alle nötigen Utensilien hierfür waren vorhanden, dazu ein kleines Beistelltischchen mit Schubladen und ein kunstvoll geschnitzter Fußabstreifer.

Um ins eigentliche Innere zu gelangen musste danach doch eine Tür durchschritten werden. Allerdings nur eine Zimmertür. Kunstvoll gefertigt, aber nicht wirklich widerstandsfähig, mehr Blickfang als Hürde.
 
Ein kurzer Blick in den Spiegel verriet, dass der Zopf so saß wie er sitzen sollte und auch das Make-Up seinen Zweck den kränklichen Taint der Malkavianerin einigermaßen zu kaschieren durchaus erfüllte. Nichts was mehr als Sekunden der Betrachtung erforderte.
Ein letztes Mal zupfte sie ihren schwarzen Seidenblazer ein wenig zurecht.
//Seltsame Stadt der offenen Türen... interessante Fassade, fürwahr...//

Dr. Raven würde zugeben müssen, dass ihr das prunkvolle, historische Interieur durchaus imponierte. Doch reiner Dekor oder nicht, an der letzten Zimmertür würde die Vampirin anklopfen und sie erst auf Aufforderung hin öffnen. Es lag kein Grund vor überstürzt zu sein.
Und wenn andere offenkundig gewillt waren Reaktionen zu provozieren, dann konnte das die Psychiaterin auch. Das Spiel geschlossener und geöffneter Türen war ihr kein fremdes. Die Tatsache, dass der Prinz dieser Stadt -oder seine Angestellten auf sein Geheiß hin, vielleicht auch lediglich mit seiner Duldung- mehr als bloß ein Portal auf dem Weg zu seinen offiziellen Räumlichkeiten ungeschlossen beließ, legte nahe, dass System dahinter steckte. System war wiederum Spielerei. Psychologiestudenten im 2. Semester bedienten sich solcherlei kleiner, diskreter Impulse ebenfalls bloß zu gern in Glaube und Hoffnung ihre Umwelt damit testen, analysieren zu können. Närrischer Schabernack.
Die Erinnerung an einen ganz bestimmten Meinungsforscher, welche Ligeia in gewisser Weise gar amüsierte, widerte ihre Schwester weit eher an.
Andererseits war ihr das Bild zu bekannt um noch in eklatantem Maße Reaktionen zu erwirken. Darum fiel es der älteren der beiden Untoten auch nicht schwer ihr unbeschwertes Lächeln auf den rot angemalten Lippen zu behalten, während sie darauf wartete hereingebeten zu werden.
 
Keine Antwort! Stattdessen sank die Türklinke langsam herab, ließ somit den Verschlussriegel zur Seite gleiten und die Tür lautlos nach Innen schwenken. Wie von Geisterhand war der Zugang in das größte Heiligtum der Akademie nun freigegeben. Eine hellklingende, äußerst melodiöse Stimme erklang.

"Treten Sie doch bitte näher!"

Das Vorzimmer zum Prinzenbüro war geschmackvoll und modern eingerichtet. Zentrales Möbelstück, war ein Schreibtisch der in einer Mischung aus schwarz gebeiztem Holz und sorgfältig poliertem Chrom gefertigt war. Italienische Handarbeit, für solche die es interessiert. Davor waren zwei stimmige und äußerst bequem wirkende Polsterstühle aufgestellt. Dahinter saß eine atemberaubend schöne Frau mit langen rotblonden Haaren. Sie trug einen hautengen, schwarzen Wollpullover aus Kaschmir und schlichten Schmuck. Freundlich lächelte sie ihren Gast an, sprach jedoch kein weiteres Wort. Stattdessen schien in ihren Blicken eine stille Aufforderung zu liegen...
 
Technologischer Firlefanz oder mystischer Tant? Keine Antwort drang aus dem fein gewebten Netz silbriger Mondfäden zu ihr durch.
So blinzelte die hübsche Brünette einen Augenblick verwirrt als sich die Klinke senkte und damit die letzte Trennwand zwischen Mondtochter und Schattenkind gelüftet wurde.
Das allgegenwärtige Hintergrundrauschen, das seichte Raunen, welches Kopf, Geist, Seele und pulsloses Herz Ravens durchflutete, schwoll an.
Von Nemesis sprachen sie, von Ophelia und Yorik. Nyx und Erebos hatten sich längst vereint. Doch wie sollte Thanatos in einer solchen Stadt jemals Einzug halten?
Wurde der zierliche Faden drum bereits vorzeitig durchtrennt?
Wenn sich der Schleier hob würde sich hinter all der hellenischen Fassade nichts anderes offenbaren als das Angesicht von Pein und Pathos. Ein Stoff, für den ein Shakespear morden würde.

All das lag in der Luft, in der Nacht, über der Stadt, in dieser... jene Frau.
Madelaine wäre vermutlich vor Scham errötet, wenn ihr Körper noch zu einer solchen Reflexhandlung in der Lage gewesen wäre. Gedanken überschlugen sich. Wispern und Flüstern am wetteifern.
Die geöffnete Tür gab den Blick auf eine in höchstem Maße ästhetisch anmutende, liebreizende junge Dame Preis. Ihr rötlich schimmerndes Haar war überaus geeignet dazu Assoziationen zu wecken. Man sagte der Lilith nach, ihre Locken seien rot gewesen...
Wahrhaftig nicht das unvorteilhafteste Attribut, nicht der unwillkommenste erste Impuls, den ein fremdes Gesicht bei der Malkavianerin hätte auslösen können.
Verhaltenes Gelächter. Rot. Gold. Feuer. Leidenschaft. Prunk. Kein anderes Merkmal wäre angemessener gewesen das, was Veritas ihren Günstlingen zeigen mochte, zu verbergen.

Die kurzzeitige, kaum allein der äußern Situation geschuldete Überraschung der Kainitin verflog, als die glockenhelle Sirenenstimme erklang. Und doch war sie in ihrem süßen, lockenden Nektar kaum mit dem zu vergleichen, was das ganze Land zu durchdringen, zu rufen, ja, nach seinesgleichen zu schreien schien um es letztlich doch bloß wieder von sich zu stoßen - oder sich doch damit zu vereinigen?

Mit einem freundlichen und in seiner ungespielten Ehrlichkeit ganz und gar unvampirisch anmutenden Lächeln auf den roten Lippen sowie entsprechendem Strahlen in den grünen Smaragdaugen trat die bleiche Untote in schwarzer Gaderobe ein, verzichtete dabei jedoch nicht darauf sich galant, fast schon knicksend, leicht zu verbeugen ehe sie der Weisung der unbekannten Prominenten folgte.

"Guten Abend, Miss", setzte Madelaine sanft und ruhig, man würde fast eher meinen: höflich, aber unbekümmert, an. Weiter als bis zu den beiden Polsterstühlen nährte sich die adrette Brünette der rotblonden Schönheit jedoch nicht. Stattdessen verharrte sie dort, neben den Sitzgelegenheiten, was auf eine durchaus etwas archaische Vorstellung von Sitte und Anstand hindeuten mochte. Die Arme hatte die Frau, die sich geradezu auffällig, wenn auch offensichtlich nicht gekünstelt, gerade hielt, dabei hinter dem Rücken verschränkt.
"Verzeihen sie, sollte ich stören. Mir wurde zugetragen, dass wer neu in dieser Stadt ist in den Hallen der Akademie eine Möglichkeit fände sich vorzustellen und den Traditionen folgend auch seine Aufwartung zumachen. Ich hoffe, ich bin hier richtig?"

Ein klein wenig verlegen wirkte die abschließende Frage der Malkavianerin, denn das war sie in der Tat.

Nun würde es interessant werden.
Ligeia verharrte gespannt, verborgen irgendwo jenseits von Gestalt und Fleisch, tief verankert in Geist und Leib. Beobachtungen vorzunehmen war am einfachsten, am effektivsten möglich, wenn man die eigenen Involviertheit auf ein Minimum beschränkte. Das absolute Mindestmaß an Einbindung in das Geschehen ließ sich erreichen, indem die jüngere der beiden Schwestern ihrem älteren Alterego solange freien Lauf ließ wie bloß möglich.
Madelaine war ein Kind. Glücklicherweise jedoch nicht dumm - und durchaus passabel erzogen worden. So sollte sie wohl in der Lage sein die notwendigen Erkundigungen in angemessener Weise einzuholen und sich schließlich adäquat vorzustellen.

Bekannte Stimmen raunten etwas davon, dass sich manche Epiphanie unmittelbarer als Tatsachenspiegel offenbaren könne als die Wahrscheinlichkeit es zu erlauben schien.
 
"Guten Abend!"

Den wohlklingend gesprochenen Worten folgte ein hinreißendes Lächeln. Die Frau hinter dem Schreibtisch war nicht schön, sie war atemberaubend. Jede Bewegung ihres Körpers und besonders die ihres Gesichtes wurden mit an perfektion grenzender Qualität ausgeführt. Der Blick wohlwollend aber auch nicht zu freundlich, der Glanz ihrer Augen voller Interesse doch ohne übersteigerte Neugier.

"Sie sind richtig, werte Dame. Bevor ich Sie jedoch willkommen heiße und Ihnen einen Sitzplatz anbiete, darf ich Sie bitten Ihrem Vorhaben nachzukommen und sich mir gegenüber vorzustellen."

Die Muskeln im Gesicht der Prinz veränderten ihr Anlitz
Wie von selbst wandelte sich der freundlich einladende Anschein in einen ehrlich interessierten und sanft auffordernden Ausdruck.
 
Madelaine blinzelte verdutzt. Es dauerte einen kurzen Moment bis sie tatsächlich registriert hatte, was da gerade vor sich gegangen war. Gedanklich konnte sie die schallende Ohrfeige, welche ihre Schwester ihr in diesem Augenblick am liebsten verpasst hätte, beinahe hören.

Und doch hielt sich die jüngere der beiden Mondtöchter zurück. Was geschah, war zu brisant, zu absonderlich um sich durch nichtige Regungsimpulse des Geistes selbst kostbarer Studienmöglichkeiten zu berauben - wenn gutes Personal auch nach wie vor ein kaum zu bezahlender Luxus schien. Manchmal kam Ligeia in den Sinn, wie viel einfacher sie es doch hätte, würde sie sich den Körper mit ihrem deutlich kompetenteren Guhl teilen und nicht mit der naiv schuld- wie einsichtslosen Madelaine. Das Gedankenexperiment scheiterte bedauerlicher Weise an dem bitteren Faktum, dass sie ihre Existenz laut Forschungsstand allein dem zerbrechlichen, splitternden Geiste jenes all zu filigranen, jung gestorbenen Gossenkindes verdankte, in dessen Leib als Wirsthülle sie eines Tages eingezogen war. Was konnte für einen Psychiater schmerzhafter sein, als die niederschmetternde Erkenntnis nach diagnostischen Kriterien selbst lediglich das Symptom einer Dissoziation zu sein? Wohl nichts, und eben darum führte Ligeia diesen wohl bekannten Gedankengang gar nicht bis zu seinem Ende aus. Zu verhindern, dass er sich behutsam bis zu letzter Konsequenz im Netz des Mondes entfaltete stand jedoch nicht in ihrer Macht.

Madelaine vermochte nicht zu verstehen, warum ihr Zaudern ihrer Schwester so grässlich schien.
Das hier war doch eine gänzlich ungewöhnliche Situation, oder etwa nicht? Eben darum musste die Jüngere doch auch voller Interesse dem Verlauf des Dialoges harren, nicht wahr? Überraschung schien hier angebracht, oder irrte sie sich?
Offene Türen, strahlender Prunk, makellose Eleganz, jedoch eindeutiger Individualismus des Entgegenkommens. In der Camarilla. Dem Verbund traditionsversessener, patriarchalisch-aristokratischer Altvampire, denen das bemerkenswerte Talent zu eigen blieb als Reaktion auf alles, was im Entferntesten eine Wahrheit darstellen könnte, dem berühmten Sinnbild der 3 Affen nachzueifern ohne dessen wahren Nutzen auch bloß im Entferntesten ergründet zu haben. Ein beklagenswerter Makel, der in den hohen Hallen seit Jahrhunderten durch Erziehung und Dressage von Generation zu Generation weitergegeben und als Tradition in den bröckelnden Sandstein der Endlichkeit gemeißelt wurde.
Ausgerechnet in einer von derlei Usus geprägten Stadt sollte man unter einem nicht vom Fürsten selbst protegierten Prinzen auf...unkonventionelles Gebaren treffen?
Ein Prinz im Vorraum seiner eigenen Residenz? Sich selbst präsentierend im Schatten seiner eigenen, würdevollen Bürde? Wie possierlich adäquat für die Schwarze Dame! Eine treffliche Kinderstube.

Irgendwo stimmte ein einsamer Virtuose das große Finale Bizets berühmter Carmen an, allerdings mit verkehrten Vorzeichen. Wie eigentümlich. Der Klang der Tragödie schien mit einem Mal einem unsichtbaren Miasma gleich den gesamten Raum zu erfüllen, durchflutete ihn regelrecht mit seinem schweren, drückenden Duft von weißen Rosen, Nelken, Disteln und Gerbera.
Wer war es, der zu Füßen schüchtern im Dunkeln rankenden Efeus den Zunder aufschichtete? Wussten sie denn nicht, dass ein einziger Funke genügen mochte um all jenes, was besser in Schwärze begraben lag, in den Schein fremder Laternen zu zwingen?

"Oh, ich bitte vielmals um Verzeihung! Meine Unbedarftheit beschämt mich zutiefst", sprach die hübsche Malkavianerin nach einem kurzen Augenblick der Besinnung und ließ in Blick wie Stimme keinen Zweifel daran, dass sie ob ihrer Unwissenheit ernstlich betroffen war.
So knickste sie erneut, diesmal jedoch tiefer, ehrerbietiger und solange in graziler Neigung verharrend bis ihr etwas anderes geboten wurde.

"Mein Name lautet Madelaine Ligeia Raven, Doktor der Psychologie und Ancillae des Clans des Mondes. London nenne ich meine Heimat und von ebendort komme ich zu ihnen, auf Reisen und suchend. So möchte ich ganz wie es Brauch ist das Privileg der Gastfreundschaft von jenem erbitten, der diese Stadt seine Domäne nennt."

Kaum hatten die Worte den Mund der Britin verlassen, ging sie das Gesagte gedanklich noch einmal durch. Hatte sie die richtigen, angemessenen Begriffe gewählt um ihr Anliegen vorzutragen? Akzentfrei, wie sie sprach, mochte man es nicht vermuten, doch letztlich war Madelaine wenigstens was die Wortwahl anbelangte im Deutschen doch ein wenig unsicher. Gleichzeitig war ihr aber auch bewusst, von welcher Wichtigkeit Banalitäten wie der rechte Ausdruck zur rechten Zeit in kainitischen Kreisen sein konnten.
 
Ein Blick auf die Prinz hätte genügt, die Qualität des gesagten abzuschätzen.
Sie schien zufrieden und bester Laune.

"Vielen Dank! Bitte erheben Sie sich, Miss Raven und nehmen Sie Platz."

Lena wies mit der rechten Hand auf einen der freien Polsterstühle direkt vor ihrem Schreibtisch.
Nachdem die Malkavianerin der Aufforderung nachgekommen war, es war deutlich zu spüren das eine Ablehnung auf diese Aufforderung nicht akzeptiert würde, zauberte die Prinz eine schmale Akte hervor und hielt sie dem Gast hin.

"Bitte füllen Sie diese Unterlagen gewissenhaft und möglichst vollständig aus. Sobald Sie dies erledigt haben, spätestens jedoch nach achtundvierzig Stunden, geben Sie mir Ihre Aufzeichnungen bitte zurück, damit ich die Richtigkeit Ihrer Worte überprüfen kann. In der Akte finden Sie neben allen Angabe zu unseren Elysien, auch eine Auflistung der wichtigsten Verbindungsdaten. Telefonnummern der Primogene, der Amtsinhaber und der Akademie sind ebenso aufgeführt wie einige Emailverbindungen und Adressen. Sofern Sie derzeit keine Möglichkeit haben zu übertagen, wird Ihnen die Akademie ein Zimmer im Hotel *El Privilegio* in Burgh zur Verfügung stellen. Sie sind dort absolut sicher und müssen nicht fürchten dort bei Tage gestört zu werden. Die Dauer Ihres dortigen Aufenthalts können Sie selbst bestimmen. Eine komplette Etage in dem Hotel ist dauerhaft durch mich belegt, Sie brauchen sich bei der Suche nach einem Eigenheim also nicht abhetzen."

Ein kurze Unterbrechung folgte, in der Madleine einen Blick in die Papiere werfen konnte.

"Drei Ermahnungen muss ich Ihnen mit auf den Weg geben. Zum einen ist der Besitz von Feuerwaffen in Finstertal für Kainiten streng untersagt. Dies ist nur mit einer Sondergenehmigung möglich und bedarf einer schriftlichen Bestätigung. Deer zweite Punkt bezieht sich auf Ihre Gefolgschaft. Als Neuankömmling steht Ihnen grundsätzlich nur ein Ghul zu, jeder weitere muss ebenfalls genehmigt werden. Als letztes erinnere ich an die Einhaltung unserer Traditionen. Ein Zuwiderhandeln, egal in welcher Form, wird streng bestraft."

Der Blick der Prinz wurde nachsichtig.

"Verzeihen Sie die strengen Worte, aber unsere Stadt hat in den letzten Wochen sehr gelitten. Gewalt, Mord und Terror beherrschten das Straßenbild. Derzeit versuchen wir die Lage einigermaßen so in den Griff zu kriegen, dass wir wieder von Ruhe und Frieden sprechen können. Dies aber einzuhalten, bedarf einer strengen Hand! Besonders hier in Finstertal..."
 
Der Aufforderung folgend nahm Madelaine also mit noch immer etwas betretenem aber durchaus sympatischem Lächeln auf einem der großen roten Polsterstühle Platz.
Das Dossier nahm die Kainitin mit einem dankenden Nicken entgegen, ließ den Blick strahlend grüner Smaragdaugen jedoch nicht von Lena fort streifen während sie den Schilderungen des Prinzen lauschte. Als die toreadorische Schönheit auf die Möglichkeit in einem städtischen Hotel Unterkunft zu finden verwies, zuckten ihre Mundwinkel für einen kurzen Moment und deuteten ein Schmunzeln an.
Hier war also die perfekte Gelegenheit geboten erstmals eigenständig einen etwas gewichtigeren Gesprächsimpuls zu setzen. Beide Schwestern dachten hierbei an exakt diesselbe Begebenheit, wenn ihre Beweggründe dabei auch gänzlich verschieden waren.

"Ich danke ihnen vielmals für diesen Hinweis und das großzügige Angebot", erwiderte die Malkavianerin. "Ich muss ihnen allerdings gestehen, dass ich bereits das Vergnügen hatte eines ihrer Domänenmitglieder kennen zu lernen und mich dahingehend auf der Suche nach einer Unterkunft bereits etwas orientieren konnte. Jenny lautet der Name der Dame und sie war so freundlich mir eine Möglichkeit zu übertagen zu gewähren."
Die Brünette neigte das Haupt in einer Geste der Verlegenheit.
"Es mag wohl ein wenig unangebracht erscheinen, doch muss ich gestehen, bereits gestern Abend in Finstertal angekommen zu sein. Da mir zugetragen wurde, dass in jener Nacht bedeutsame, politische Entscheidungen zutreffen waren und ich diese nicht stören wollte, war ich so frei meine Aufwartung um eine Nacht zu verschieben. Ich hoffe damit in ihrem Sinne gehandelt zu haben."


Auf die von Jenny so gern gebrauchten Begriffe wie den 'feinen Club' oder die Geschichte mit der Anstalt, ganz zu schweigen von den 'kaputten Sicherungen' ging die Malkavianerin wohl wissend nicht ein. Dennoch wollte Madelaine ehrlich sein. Das gehörte sich doch so, nicht wahr? Alles eine Frage des Anstandes...von einem gewissen Standpunkt aus.
Ligeia hingegen hoffte auf eine in irgendeiner Form aufschlussreiche, interessante Reaktion jener auffallend gesprächigen Prinz. So fokussierte sich die Psychiaterin voll und ganz auf die Mimik der Toreador.

Die ältere der beiden untoten Seelen ließ es sich letztlich jedoch nicht nehmen die ihr gegebene Zeit zu nutzen, um einen Blick auf den Inhalt jener Akte zu werfen. Es konnte schließlich nicht schaden zu wissen, mit wem man es zu tun hatte, zumal der Prinz es bisher versäumt hatte sich namentlich vorzustellen.
Ein Wissensdefizit, welches sich durch diese Einführungsunterlagen sicherlich korrigieren ließ. Magdalena Cruiz also. Dementsprechend Prinz Cruiz. Gut zu wissen war es allemal.

Ihr Blick glitt weiter über die Informationen, blieb dann jedoch auf der Liste der Primogene hängen. Madelaine runzelte die schneeweiße Stirn. Ein Aufschrei des Entsetzen, des Protestes ging durch ihren Kopf, begleitet vom resignierenden, teilnahmslosen Seufzen der Alten.

"Entschuldigen sie die Frage..." setzte die hübsche Bleichhäutige an ehe sie den Blick wieder hob um ihr Gegenüber anzusehen. "Die Akte enthält keinen Primogen meines Geblüts..."
Warum? Lag es daran, dass der Clan des Mondes zahlenmäßig so schrecklich bedeutungslos in Finstertal war? Oder steckte mehr dahinter? ER vielleicht? Der verlorene Sohn?
Die stimmlose Zunge.

Die Verwunderung im Gesicht der Malkavianerin trug all zu deutlich die Züge eines verwirrten Kindes, welches von einer Situation hoffnungslos überfordert, gar überrumpelt anmuten musste.
Ihre Schwester war im Geiste bereits einige Schritte weiter. Ein Beobachter konnte es sich jedoch nicht leisten die günstigste aller Positionen aufzugeben und sich aus seiner Deckung zu wagen. Wer wäre schon willens sich einer solch vielversprechenden Ausgangssituation selbst zu berauben?

Dann ein entschuldigendes Lächeln auf den vollen, roten Lippen.
"Verzeihen sie, ich habe mich lediglich gewundert. Es ist mir ungewohnt, dass einzelne Primogensstühle unbesetzt sind."

Ein Wispern von Reisen und Wegen, vom Fortlauf der Straße und dem Pfad des Kriegers. Wer dem Ruf folgt, den solle man nicht aufhalten. Zumal er die Finsternis nicht scheinlos belassen hat. Man war nicht allein. Im Geiste nie und auch in Fleische an diesem Orts nicht einziger Glanz. Eine Zusammenkunft musste ratsam erscheinen. Die Neigung war vorhanden. Luna gab ihren Segen. Mögen sich die Scherben vereinigen.

So lauschte die brave Tochter also weiter den Worten der schwarzen Dame.
Ihre Ermahnungen tangierten die Untote wenig. Schusswaffen führte keine der Schwestern. Der einen war Kampf ein Gräuel, der anderen die Kugel zu unpräzise und unpersönlich. Einen einzigen Guhl hatte sie bei sich. Einen anderen nie den ihren genannt. Das bedeutete, solange Ligeia sich nicht zu spontanen Experimenten hingerissen sah, würde auch an dieser Stelle seitens der Kainitin keine Konfliktsituationen zu erwarten sein. Zu guter letzt die Traditionen... die hatte die vorbildliche Tochter bereits vor langer Zeit auswendig gelernt und zutiefst verinnerlicht. Gerade die Tradition der Maskerade hatte sie stets nach bestem Wissen und Gewissen bewahrt. Als Psychiaterin hatte sie ihrer Zeit in London dazu auch tatsächlich über weit mehr als bloß die konventionellen Lösungsansätze verfügen können.

So konnte sie Lena auch mit gutem Gewissen und vollstem Verständnis für ihre Situation erwidern: "Es gibt hier nichts zu entschuldigen. Ich verstehe ihre Besorgnis um das Wohl ihrer Stadt und bin mir darüber im Klaren, dass gerade Neuankömmlinge angemessen eingewiesen werden müssen. Es wäre geradezu nachlässig dies nicht zu tun, weswegen ich auch keine Grund sehe mich in irgendeiner Weise zu echauffieren."Allmählich ergriff die kühle, erst sanft tastende, dann zunehmend klammernde Pranke des Unbehagens das pulslose Herz der Brünetten. Sie vermochte fast zu spüren, wie sich ihre Kehle, die längst keiner Atemluft mehr bedürfte, doch zusammen zog.
"Ich hoffe die von ihnen geschilderte Lage ist dabei sich zu entschärfen und dass ihre Bemühungen möglichst bald Früchte tragen können."


Die Aussicht auf Mord und Totschlag auf offener Straße erfüllte Madelaine mit höchstem Unwohlsein. Natürlich ängstigte sie sich bei einer solchen Anmerkung davor, dass sie mit Dingen konfrontiert würde, die sie explizit gefährdeten. Ein Umstand, der Ligeia zutiefst missfiel. Wenn Madelaine sich ängstigte zog sie sich zurück. Und wenn sie sich zurück zog, drängte sie ihre Schwester, die sonst so erpicht darauf war die volle Kontrolle des Leibes zu erhalten, in den Schein künstlichen Lichtes. Diese jedoch war gegenwärtig mehr als angetan von der Möglichkeit sich vorerst vollends aus diesem Dialog herauszuhalten. Letztlich stand es aber nicht in ihrer Macht sich eines klagenden Hilferufes ihrer Schwester zu erwehren sobald diese einen solchen getätigt hatte. Sie hatte immer auf das zerbrechliche Kind Acht gegeben, war allein dazu erst zum Sein gelangt. Sie würde nicht damit aufhören. Warum sie das tat, war ihr allerdings ein Enigma.
Eigener Überlebenstrieb? Geschwisterliebe? Vorsehung? Schwäche? Ein ungeliebtes Überbleibsel der Menschlichkeit? Luxus.

Und dennoch. Welch armes Kind! Sie hatte gehört, was für ein Höllenloch Finstertal angeblich war. Aber sie hatte es in ihrem infantil unbekümmerten Gleichmut lange Zeit schlicht ignoriert. Nun war sie hier und der Prinz selbst sprach von Konflikten. Vor einem Neuankömmling. Einem Fremden. Langsam begann Madelaine zu begreifen, wo sie hier hinein geraten war - und es gefiel ihr nicht. Es gefiel ihr überhaupt nicht.
Sich geradezu Übergebühr sympathisch gebarende Prinzen in feinem Zwirn und offene Türen zu seinem Refugium waren also Symptome einer Stadt der Konflikte, Probleme, am Abgrund. Irgendwo am Rande des Abyss. Es gab Kluften, welche allein durch einen kurzen Blick hinein in ihre klaffenden Tiefen einen unvermeidlichen Sturz bedingten.
 
Der Terror in Finstertal hat zwischenzeitlich Ausmaße angenommen, dass seine Folgen auch in weiter entlegenen Gegenden kaum unbemerkt blieb. Dies zu verheimlichen oder gar unter den Teppich kehren zu wollen, wäre ein sinnloses Unterfangen gewesen. Waren die Folgen der verschiedenen Katastrophen doch noch immer überall in der Stadt zerstreut. Auch konnte von einer Besserung der Lage kaum die Rede sein. Die umfangreiche Vertuschungsarbeit gegenüber Ordnungsbehörden und Presse, hatte derart große Anstrengungen und Aufmerksamkeit erfordert, dass an anderen Stellen riesige Löcher klafften. So zum Beispiel in Fragen der organisierten Kriminalität. Seit einigen Tagen gingen sich die verschiedenen Gangs mit erschreckender Härte an den Kragen. So sehr, dass auch die Welt der Kainiten nicht unbetroffen blieb.

"Ihr Primogen wurde in der letzten Nacht an einen anderen Ort berufen. Leider ist Ihr Clan nicht ausreichend genug besetzt, um problemlos einen Ersatz zu finden. Sie müssen sich, so leid es mir tut, also vorerst damit zufrieden geben, führungslos zu existieren."

Es war an der Zeit, dem Gast einen Moment einzuräumen sich konzentriert mit der dargebotenen Mappe zu beschäftigen.
Erst nach einer kurzen Pause fuhr Lena fort.

"Es freut mich, dass Sie gut untergekommen sind!", es war nicht zu übersehen, dass die Prinz wenig angetan von dieser Art Neuigkeit war. "Allerdings kann ich Ihnen versichern, dass Sie im 'El Privilegio' wesentlich komfortabler und sicherer aufgehoben sein dürften. Des Weiteren hätte die Akademie eine Adresse unter der man sich an Sie wenden kann."
 
"Eine einfach nachvollziehbare Kontaktmöglichkeit ist natürlich ein Argument, dessen Sinnhaftigkeit ich mich nicht zu entziehen vermag", erwiderte Ligeia sinnend, während sie die Mappe durchsah. Nicht, dass sie es ernsthaft in Betracht ziehen würde einer Weisung nachzukommen, die von außerhalb ihres Kopfes zu ihrem Geist hin drang. Das wäre schrecklich naiv, und unangebracht obendrein.

Ihre Stimme war auffallend -wenn auch nicht übermäßig viel- tiefer als zuvor und auch ihre bis dato reichlich lebhafte Mimik hatte sich gewandelt. Die Malkavianerin schien zur Ruhe gekommen, wenn nicht gar eher spontan versteift, allerdings trotz allem in keinster Weise angespannt.
Eingehend studierte sie das Dossier. Dabei schien die bleiche Untote mit der ungewöhnlich geraden Körperhaltung auf jede Form eines verräterischen Mienenspiels zu verzichten.

Es war zunächst ausreichend zu wissen, dass Jenny nicht unbedingt das Lieblingsthema der Prinz zu sein schien. Man musste ihr nicht mitteilen, dass ein einzelner Name aus der Liste der Primogene der Psychiaterin ein tatsächlicher Begriff war. Welcher Prinz würde schon hören wollen, dass ein Neuankömmling nicht bloß voll aller vermeintlicher Blauäugigkeit bei einer Anarchistin Unterschlupf fand, sondern sich auch noch an eine -wenn auch bloß recht periphere- Vergangenheit mit der städtischen Oberhexe entsann?
Man kannte sich nun einmal unter Medizinern, nicht wahr? Zumal jene Begegnung sich lange Zeit vor der maximalen Zensur einer Existenz ereignet hatte...

//Warum müssen wir hier verweilen, Schwester? Ich...ich sehe den Sinn, fürwahr. Doch es ängstigt mich hier zu sein. Ich mag nicht in die Schwärze blicken. Und es ist düster an diesem Ort. Gekrönte Schwärze... Erhabener Schatten.. Peinvolles Interlunium! Ich...es ist kalt. Viel zu kalt....//


Als Raven das Dokument vollständig durchgesehen hatte, blickte sie zu Lena auf. Mit einem irgendwie steifen, fast theatralisch wirkenden Lächeln, welches ihre stechend grünen Smaragdaugen nicht erreichte, sprach sie: "Sofern ich mir die Frage erlauben dürfte: Hätten sie vielleicht einen Stift für mich? In diesem Falle würde ich den Fragebogen gerne unverzüglich ausfüllen, sofern sie gestatten. "
 
"Ihr Eifer in allen Ehren würde ich es begrüßen, wenn Sie sich außerhalb dieses Büros mit ihren Unterlagen beschäftigen möchten. Dies ist meine erste Nacht in diesem Amt und ich habe sehr viel um das ich mich kümmern muss. Das wichtigste haben wir besprochen, Miss Raven. Von daher schlage ich vor, dass Sie sich die gebotene Zeit nehmen und im Laufe der nächsten achtundvierzig Stunden erneut bei mir vorstellig werden."

Die Worte waren, wie auch die Mimik der Prinz, mit aller gebotenen Freundlichkeit gesprochen.

"Es freut mich aufrichtig, Sie hier in Finstertal willkommen zu heißen und freue mich darauf bald wieder mit Ihnen sprechen zu können. Bis dahin wünsche ich Ihnen eine angenehme Nacht und alles Gute für Ihre ersten Tage in Finstertal."

Mit einem Lächeln wies der Blick der Monarchin zur Tür.

"Oh! Und hier ist Ihr Stift. Behalten Sie ihn!"
 
Wie wundervoll! Ein Frischlingsprinz also. Nicht, dass es die Malkavianerin überrascht hätte. Damit war wohl auch ersichtlich, welch bedeutsame, politischen Entscheidungen in der Nacht zuvor zu fällen gewesen waren.
Ob in dieser Stadt jemals die Problematik des Tyrannenmordes diskutiert worden war? In ausreichendem Maße zumindest gewiss nicht. Und welches Schicksal Kindkönige zu erwarten hatten, war Geschichte.
Manchmal musste man um den Sieg zu erringen vom Schicksal instrumentalisiertes Fleisch verkaufen und verdammen. Ob es das Herzblut wert gewesen war? Wie tief stachen die Dornen?
Das Theatrum Vampyricum setzte allzeit nichts als Tragödie auf seinen Spielplan. Getanzt wurde allnächtlich und mancher verfiel jauchzend in verheerenden Taumel wohingegen ein anderer den Sturz allein durch Anstoß der Spieler erlitt. Aber fallen würden sie alle, ehe sie nicht die Binden von den Augen nahmen und erkannten, dass sie blind, taub und verlassen waren.
Doch wussten sie nicht einmal sich selbst einzugestehen, dass sie ganz und gar unmenschlich geworden waren. Wie sollten sie dem, was um sie herum tatsächlich geschah -fein verhüllt vom Schleier kunstvoll gestalteter Kulissen- jemals gewahr werden, wenn sich ihnen bereits das eigene Wesen verschloss?
Vernunft und Trieb in Einklang gebracht würden es sein, die den Bann der Illusion final zerbersten ließen. Doch wer konnte dies schon einer Frau begreiflich machen, die rational motiviert wider der eigenen Neigung handelte?

"Natürlich. Nichts wäre mir unangenehmer als ihre Zeit über Gebühr andauernd in Anspruch zu nehmen", erwiderte Ligeia und neigte das Haupt dabei in einer höflichen, allerdings nicht im Geringsten unterwürfig anmutenden Geste der Entschuldigung.
Den Stift nahm sie entgegen und erhob sich schließlich, ehe sie in einer alten Hoofnormen entsprechenden Facon knickste.
"So bedanke ich mich also für die Zeit, die sie für mich in ihrer Großzügigkeit aufgewandt haben sowie für das Privileg in ihrer Domäne verweilen zu dürfen und wünsche ich ihnen noch einen möglichst angenehmen, in jedem Fall aber erfolgreichen ersten Amtsabend, Hera Tenebricosa."

Man hätte an dieser Stelle noch so viel sagen können. Zum Beispiel wäre es möglich gewesen den Wunsch auszusprechen, dass die Haie, in deren Becken sich Lena begeben hatte, sie nicht zerreisen bevor sie überhaupt zu schwimmen begann. Oder dass man sie hoffentlich nicht an die all zu dünnen Fäden legte. Oder dass sie das, was sie nur all zu offensichtlich sein wollte, länger als eine Woche in ihrem Amt aufrecht erhalten könnte. Sie hätte der dunklen Toreador auch ihre Karte geben können, nur für den Fall, dass sie jüngste Ereignisse, deren Echo noch immer von den Wänden dieser Räumlichkeiten widerhallten, verarbeiten wollen würde. Doch wer war die Doktorin schon um derlei zu wagen?

Sofern die Prinz sich nun nicht anschicken würde noch einmal das Wort an sie zu richten, würde Ligeia das Büro verlassen um damit den unangenehmen Teil dieser Nacht erst einmal abzuschließen. Ermüdende Bürokratie.
In ihrem Kopf hallte im Hinausgehen jenes eine Lied wieder, welches ihr Sohn so ausdauernd von seinem Musikspieler erschallen ließ.


//Sweet dreams are made of this.
Who am I to disagree?
I travel the world and the seven seas.
Everybody's looking for something.

Some of them want to use you.
Some of them want to get used by you.
Some of them want to abuse you.
Some of them want to be abused.//

Wie überaus passend. Vielleicht hätte die Malkavianerin, welche außerhalb ihrer Heimat auffallend oft in Städten gastierte, in denen die Führungsriege gerade im Begriff war zu wechseln oder aber den Umsturz bereits vollzogen hatte, der jungen Prinz einen musikalischen Tipp geben sollen?
Doch wer war sie schon, einer Toreador die Kunst näher zu bringen? Obgleich auch Symphonie und Lyrik zuweilen die Wahrheit adäquat kleideten.
 
Hera Tenebricosa!
Düstere Herrin oder auch Lady Noir. Wie clever...

Eigentlich hatte Lena diesen Namen abgelegt. Zu sehr erinnerte er sie an die Nächte in denen sie besessen von einer fremden Macht versucht hatte, die Stadt und all seine Bewohner ins Unglück zu stürzen. Und doch war sie noch immer genau das und so sehr sie sich auch dagegen wehrte, sie liebte das Dunkel, sehnte sich danach, ja atmete es sogar.

Jeder Vampir ist ein Kind der Dunkelheit, der die Schatten sucht und die tödlichen Auswirkungen der Sonne zu meiden sucht. Das es einige wenige gab, die sich eben diesen kainitischen Urinstinkt zu eigen machten, ihn perfektionierten und damit sogar Bestandteil der Dunkelheit selbst wurden, lag dabei schon fast in der Natur der Sache.

Nachdem sich die Malkavianerin entfernt hatte, legte sich ein undurchdringlicher Schatten über den Schirm der Schreibtischlampe. Das Licht erstarb ohne jeden Laut, ohne Gegenwehr und ohne jede Macht. Das Licht ist nicht mehr als ein hilfloses Kind. Auffällig allein durch seine bloße Existenz, ein unbedeutender Flecken in der Unendlichkeit des Nichts. Ein einziges Licht vermag bereits die Dunkelheit zu erhellen, so sagt man. Was aber war mit der verbliebenen Dunkelheit um das kleine Licht herum? Unendlich, undurchdringlich und allmächtig. Wie unbedeutend dieses Licht sich vorkommen muss, wie einsam und leer...

Schwärze umfloss die Prinz, schmiegte sich zärtlich an sie heran und erfüllte sie mit einem Gefühl der Sicherheit und Macht.

Ich bin nicht mehr die Herrin der Dunkelheit!

Die Erkennntnis überraschte sie selbst und war doch so gewiss wie richtig. Endlich verstand sie. Deshalb also nannten sich die Lasombra schlicht *Die Schatten!*, weil sie genau das waren. Zumindest die Alten unter ihnen, bevor sie durch die Wut ihrer Kinder den Tod gefunden hatten. Jene die verstanden hatten....

Ich bin keine Hera Tenebricosa, ich bin der Corpus Atramentum. Ein fester Bestandteil der Nacht!

Ein ungesehenes Lächeln trat auf die Lippen der Monarchin.

Vielen Dank für diese neue Erkenntnis, Miss Raven!
 
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