[14.05. 2008] Den Boß zu finden...

Chaosgeneral Remigius

Sohn des Horus
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Sie konnte noch nicht über die Rechte entscheiden... Da bin ich mal gespannt, wie die mich zwingen will, ihr bei diesem Himmelfahrtskommando zu helfen... Ohne Rechte will ich mal das Argument sehen, was die aus dem Ärmel zieht... Immerhin ist dieser Franzmann mir wurscht und mich nur wegen dem mit Wölfen in den Kampf schicken kann sie vergessen... Jetzt muß ich nur noch mit dem Boß reden und das war es dann wieder mit dem offiziellen Kram...

Nach längerer Überlegung verließ Hal die Müllkippe und trat durch einen Gulli wieder in die Kanalisation ein. Dort angekommen suchte er nach Zeichen, den Zeichen, die dahin führten, wo er hin wollte, hinmußte, sei es auch nur, um das Thema auch endlich los zu sein...
 
Die tröpfelnde Finsternis, die sein Clan Heimat nannte, empfing Harold wie stets mit offenen Armen. Nirgendwo war es für seinesgleichen so leicht sich zu bewegen, nirgendwo war man so sicher wie in der Tiefe. Es war beinahe, als summte die Dunkelheit eine bestimmte Melodie und irgendetwas in seinem Blut kannte instinktiv den Takt. Die Unterwelt dieser Stadt war geradezu prächtig ausgebaut und es mangelte nicht an Wegweisern und Zeichen, wenn man sie kannte. Daher fand er auch eine Fülle von Informationen. Der kürzeste Weg in sichere Unterkünfte, in denen man Notfalls schnell vor dem Tag fliehen konnte, war waren ebenso markiert, wie mögliche Orte für geheime Treffen, vielversprechende Jagdgebiete und Warnungen vor bestimmten Bereichen, etwa wenn besonders viele öffentliche Kameras über einem auf der Lauer lagen. Auch tote Briefkästen waren zu finden, sowie Hinweise darauf wo der nächste zu finden wäre. Die interessante Frage war also eher, was der Nosferatu suchte, nicht so sehr, wie es zu finden war.
 
Jagdgebiete, sichere Schlupfräume, Orte für Geheimtreffen, alles sehr interessant, aber das suche ich nicht unbedingt... Einen festen Treffpunkt für solche Gespräche muß doch auch der Boß haben... Gut, wird nicht grade wie bei Bonzen und dem anderen Pack groß und breit an der Tür stehen, aber geben muß es ihn, sonst könnte ich ihn schlecht finden, was er ja will... Wenn ich jetzt mit Viechern reden könnte, das wäre was und machte die ganze Aufgabe etwas leichter... Schließlich dauert eineAnmeldung per totem Briefkasten zu lange und nochmal ruf ich da nicht an, wäre gegen die Regeln...

Unzufrieden mit sich und der Welt, aber vor allem mit sich memorierte Hal ein paar der Informationen und suchte dann weiter... Irgendwo mußte es einen Weg zum Boß geben, der auch ohne Hilfe von Ratten zu finden war... Schließlich wollte er sich ja finden lassen, da konnte es nicht völlig unmöglich sein, vor allem wenn das Miststück aus der Schmierbude ihm Bescheid gegeben haben sollte... Die große Frage war, wie man ihm, so er denn gefunden war, alles erklären sollte... Aber noch war das unwichtig...
 
Vielleicht lag es daran, dass er sich zu sehr über die Seneschall und deren buckeligen Mischpoke geärgert hatte, dass Hal sich den simpelsten Weg schlicht zu verbauen schien. Schließlich war in der freundlichen Informationsmappe aus dem Hause Toreador, von der er nur den beigefügten Stadtplan genutzt hatte, aufgeführt wie man die Primogene der einzelnen Clans erreichen konnte. Sicher, bei den meisten dort aufgeführten war eine Mobiltelefonnummer die schnellste Wahl, aber im Umgang mit häufig alten und verknöcherten Untoten nicht immer die Beste. Ein nur wenig eingehenderes Studium der Mappe der Kunstakademie hätte die Bibliothek Finstertals als eine Art Büro der Nosferatu ausgewiesen, bei der man in ein Postfach Nachrichten einwerfen konnte, um mit den Nosferatu Kontakt aufzunehmen. Schließlich musste es auch eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme für die anderen Clans geben.

Vielleicht würde es Harold aber am Ende ja auch zur Ehre gereichen, dass er sich nicht einfach an diese Stelle gewandt hatte, sondern direkt die Wege der Verborgenen beschritten hatte. Allerdings stellte sich sehr bald heraus, dass es keine Hinweise gab, wo genau man einen einzelnen Nosferatu finden konnte. Bei genauerer Betrachtung wäre das auch fatal gewesen, denn keiner von Ihnen wollte 'gefunden werden'. Als Verborgener hinterließ man nicht einfach eine Anschrift 'hier-entlang-zum-Nosferatu-Bau'. Schließlich konnte es sein, dass sich jemand in das Kommunikationssystem der Kanalratten soweit einzuarbeiten versuchte, dass er sich in die Lage versetzt sah einfache Zeichen zu deuten. Oder jemand versuchte einen Verborgenen zu bedrohen, zu erpressen oder zu täuschen, so dass dieser ihm half.

Gegen derartige Sicherheitsprobleme gab es nur eine Lösung. Es durfte schlicht keine direkte Möglichkeit geben einen der Ihren zu finden. Wenn man sich suchte, dann setze man Zeichen, Markierungen und Botschaften ab, mit dem Wunsch zur Kontaktaufnahme und patroulierte dann diejenigen Routen, die man selber als die am meistgenutzten erachtete. Hierbei half nur Clansinternes Wissen und eine waschechte Nosferatu Ausbildung, wie sie ein Erzeuger seinem Kind angedeihen ließ.
Man ließ sich praktisch finden, oder schaffte es auf diesem Weg tatsächlich den Anderen aufzuspüren, was dann natürlich sehr für einen sprach. Nur wenn der Erstkontakt auf einem dieser beiden Wege hergestellt worden war, blieb es einem überlassen direkte Kommunikationskanäle festzulegen.

Vielleicht gehörte Harold einfach zu jenen Vertretern seines Blutes, die eine oder zwei Runden in der Dunkelheit mehr brauchten um sich an die Lektionen ihrer Erzeuger zu erinnern. Vielleicht hatte er auch einfach dieses Kapitel als unwichtig erachtet und darum nicht aufgepasst. In einer gewohnten Umgebung, in der man alle benötigten Kontakte bereits hatte, konnte man mit Sicherheit Jahrhunderte verbringen, ohne sich jemals an derartige Verfahren zu erinnern.
So oder so, jetzt würde er sich an die alten Wege erinnern müssen, um seinesgleichen zu finden, oder gefunden zu werden.
 
Also doch die alte Masche mit der Botschaft... Besteht zwar keine Garantie, daß er sie noch diese Nacht findet, geschweige denn antwortet, aber was bleibt mir übrig, da ich nicht Dr. Doolittle bin ?

Nach einem kurzen Seufzer nahm Hal Zettel und Bleistift aus der Tasche und begann damit eine Nachricht an den Boß zu formulieren, daß er ihn aus gegebenem Anlaß noch heute an einem Ort seiner Wahl treffen möchte und daß zumindest ein Teil dieser Anlässe dringend ist. Diese Botschaft verbunden mit einem Hinweis auf einen toten Briefkasten auf der Müllkippe und, so der Boß denn wollte, seineTelefonnummer, versenkte er in mehreren Abschriften in den nächstgelegenen toten Briefkästen. Nachdem das erledigt war überlegte er kurz.

Vielleicht wäre es besser, die Botschaft auch auf die Wand zu bringen, damit er sie wirklich bemerkt, wenn er hier vorbeikommen sollte... Die Frage ist, ob ich dazu geeignetes Werkzeug habe...

Nach längerer Suche fällt dann auch tatsächlich ein Dietrich, ein kleiner nur, aus der Tasche und mit diesem wird die Botschaft in den Zeichen, wie sie die Familie gebraucht, in die Wand gekratzt, gerade in der Nähe der abgearbeiteten Kästen. Dann gilt es, an die Oberfläche zurückzukehren, um den erwähnten Briefkasten einzurichten und auf die Antwort zu warten...
 
Die Menge an Markierungen, die darauf hinwiesen dass in den diversen Verstecken Nachrichten auf Abruf warteten, erzeugten automatisch auch eine gewisse Dringlichkeit, denn wenn jemand sich die Mühe machte seine Botschaft so flächendeckend zu verteilen, dann musste es um etwas wichtiges gehen. Somit hatte diese 'alte Masche' auch noch direkt ab Werk einen Indikator für die Qualität der Information an Bord. Für einen Clan, der die Information und das Wissen als oberstes Gut betrachtete, war eine derartige Technik viel mehr als ein nützliches Werkzeug. Man musste ein System einfach bewundern, dass so simpel und doch so vielschichtig und Effektiv war.

Harold sollte seine Antwort dementsprechend also schneller bekommen, als er selber es vielleicht bei dieser alten Masche für Möglich gehalten hatte. Ob ihm das was er bekommen würde dann gefiel, war dann allerdings eine ganz andere Frage.
Wenn der Nosferatu das nächste Mal die Mülldeponie betreten würde, konnte ihm bereits am Eingang auffallen, dass etwas anders war als sonst. Es begann bei den schweren Toren der Deponie, bei denen man das Gefühl bekommen mochte, dass sich irgendetwas verändert hatte, seit er zuletzt hier gewesen war. Stimmte die Anzahl der Straßenlaternen die in Funktion waren nicht mehr, oder fehlte das Bellen eines Hundes aus der Nachbarschaft, das man erwartete? Leider nur entzog sich die Lösung was das sein mochte immer dann dem Verstand, wenn man glaubte jeden Moment darauf zu kommen was das sein mochte.

Wenn der Verborgene dann weiter ging und sensibel genug auf solche Dinge reagierte, oder entsprechend Aufmerksam war, konnte er dem Glauben erliegen, dass sich an der Qualität der Dunkelheit um ihn herum etwas verändert hatte. So als hätte die Nacht plötzlich mehr an Dichte gewonnen und man rechnete irgendwie ständig damit, dass man die Schwärze jeden Moment auf der Haut würde spüren können, als ginge man durch Spinnweben.

Doch nichts geschah oder war wirklich. Sobald man versuchte sich auf irgendeines dieser Phänomene zu konzentrieren verflüchtigten sie sich und hinterließen nichts als vielleicht nur das dumpfe Gefühl, dass man ein törichter Angsthase war, der sich Spukgestalten in der Finsternis einbildete.

Etwa in der Mitte des Geländes aber, wurde es dann wirklich aufdringlich. Eine Ahnung lag in der Nachtluft, so als würde jemand nur wenige Schritte entfernt knapp hinter einem her gehen. Immer wenn man sich umsah, blieb einem aber nichts als das taube Prickeln der Leere, ein wenig wie das Äquivalent von eingebranntem Licht, dass man immer noch auf der Rückseite des Augenlids sah, wenn man diese Schloss nachdem man zu lange in eine helle Glühbirne gestarrt hatte.
Trotzdem war es so, als wäre man nicht mehr alleine.

Nur wenige Sekunden später aber, wurde Hal dann erlöst, oder eben derbe erschrocken, als sich ein Teil der leeren Dunkelheit zu schälen begann und dann den verkrümmten Umriss Lurkers in die Nacht spie.

Der Nosferatu blieb einige kurze Augenblicke stehen und gab dem Anderem Gelegenheit sich an die neue Situation zu gewöhnen. Er hatte seine edlere Garderobe vom Prinzenball wieder abgelegt und trug nun wieder dasselbe wie zu ihrem letztem Clanstreffen. Und zwar wirklich dasselbe.

Guten Abend

Krähte der Primogen ihm dann also leise entgegen und es klang, als würde man mit einer stumpfen Säge Rost von einer Metallstange raspeln.
 
Seltsam, irgendetwas ist anders... Aber ich kann nicht sagen, was es ist und das ist beunruhigend, sehr beunruhigend... Ich fürchte, ich werde mich überraschen lassen müssen, was jetzt kommt...

Durch die Andersartigkeit von Stille und Dunkelheit beunruhigt erschrak Hal dann auch nicht wenig, als sein Boß plötzlich auf der Müllkippe stand. Nach einigen Minuten, die er zur Erholung dringend nötig hatte, fühlte er sich dann auch in der Lage diesen zu begrüßen und zu empfangen, was er mit einem ziemlich schief geratenen Lächeln auch tat.

"Guten Abend, Boß, schön daß du es einrichten konntest... Es haben sich Dinge ergeben, über die ich mit dir sprechen muß und vielleicht könnten wir auch über die weitaus weniger wichtigen Dinge sprechen, wenn du das möchtest... Auf jeden Fall sollten wir das wohl lieber nicht hier draußen, sondern in meinem Wohnsitz besprechen, denke ich..."

Nach diesen Worten blieb nur noch zu warten, was sein Boß davon hielt...
 
Der Boss schwankte zwischen Fassungslosigkeit und Belustigung, wobei ersteres im Moment überwog. Vermutlich war das im Augenblick auch Harolds großes Glück, denn gleich danach wäre wohl kalte Wut gekommen.
Sicher ging es bei den Kanalratten lockerer zu, als bei so manchem anderem Clan. Ohne Frage hatten die einzelnen Mitglieder des Clans häufig ein recht enges und familiäres Verhältnis zu einander. Ganz klar konnte man sagen, dass Lurker, auch weil er noch keine hunderte von Jahren alt war, kein übermäßig strenger Primogen war und nicht für jeden Mist die Clans Hierarchie heranzerrte um sich Respekt bei seinen Geschwistern einzuklagen. Im Gegenteil konnte man ihn tatsächlich mit Adjektiven wie 'locker' und 'nachsichtig' bezeichnen, gerade weil er selber durch eine Schule gegangen war, die das genaue Gegenteil darstellte, doch in diesem Augenblick schwankte der Nosferatu tatsächlich ein wenig, ob nicht sein Erzeuger und seinesgleichen mit ihrer übertrieben strengen und brutalen 'Erziehung' doch recht gehabt hatten.
Was sein gegenüber hier ablieferte mangelte an so ziemlich allem, was auch nur unter normale Höflichkeit fiel und von einer Respektsbezeugung durch das Einhalten der Umgangsformen der Vampirgesellschaft war es in etwa so weit weg, wie Lurker vom ersten Platz einer Miss Wahl.

Daher war es auch in erster Instanz Erstaunen, das in seiner Stimme mitschwang, als er dem Anderem schließlich antwortete.

Wer zum Teufel bist du?

Hoppla. Hatte Harold da vielleicht das eine oder andere sanft übersprungen? Sich vorzustellen, und sei es auch noch so schnodderig und ohne die üblichen Schnörkel und das Tamtam, das einer Vorstellung in der Etikette der Untoten für gewöhnlich folgte, wäre nun wirklich das mindeste gewesen. Der Verborgene erwartete ganz sicher keinen Knabenchor und kein Streichorchester und bunte Fähnchen, aber verdammt noch mal einen Namen.
 
Hab ich dämlicher Esel doch glatt das Wichtigste vergessen... Was lernen wir daraus ? Nicht mehr vor wichtigen Geschäften saufen... Zum Glück scheine ich einen guten Boß zu haben, der auch mit erbärmlichen Versagern zumindest ein wenig Geduld und Nachsicht hat...

In dem Moment, als Lurker diese Frage aussprach, erstarrte das Lächeln des Gegenübers, weil es auch zu merken schien, daß da etwas Kleines aber Wichtiges vergessen worden war... Das erstarrte Lächeln wurde zu einer zerknirschten Grimasse und der Blick senkte sich schuldbewußt. Auch der letzte Rest der eben noch halbwegs vorhandenen Fröhlichkeit war aus der Stimme verschwunden, die nun seltsam dumpf und tonlos klang, fast schon bedrückt.

"Es tut mir leid, wenn ich meine Manieren vergessen habe, Boß. Ich bin Harold Lucius Black, meine Freunde, die ich nicht habe, nennen mich Hal, wir hatten ganz kurz telefoniert... Wie du bestimmt schon gehört hast, steht vor dir ein erbärmlicher Versager ohne Manieren und Umgangsformen... Wenn du trotzdem reden möchtest, lade ich dich in meinen Unterschlupf ein..."
 
Auch wenn man es im Schatten der Kapuze nicht sah, so musterte der Nosferatu den Anderen sehr genau und verfolgte dessen Reaktion. Leider war das eben abgelieferte mehr als nur ein kleiner Schnitzer und konnte, in einer Rosen Domäne wie Finstertal, empfindliche Strafen nach sich ziehen. Natürlich würde ein Rosenstutzer von einer Kanalratte keine perfekte Vorstellung erwarten, aber es war leider ihr Recht auf einer einigermaßen passablen Vorstellung zu bestehen. Natürlich würde Lurker für jeden anderen Nosferatu in die Bresche springen, sollte jemand der noblen Gesellschaft versuchen einem 'seiner Kinderchen' einen Strick zu drehen, aber das Pendel schwang wiederum in beide Richtungen. Eine verhunzte Vorstellung war etwas, das er vertreten konnte. Gar keine Vorstellung wäre selbst für ihn bei der Obrigkeit schwer zu vertreten. Auf Hals Erwiderung folgte hingegen nur eine ärgerliche, wegwischende Geste.

Erspare uns beiden das Gekrieche, daran bin ich nicht interessiert. Solche Dinge gehören zu den elementaren Grundpfeilern unserer Gesellschaft und sie sind wichtig, auch wenn du oder ich sie belächeln. Wir sind Monster, das sollte dir, aufgrund unseres Blutes, so deutlich sein wie kaum einem anderem Clan. Diese Regeln bewahren uns davor, dass wir uns jedesmal wie kreischende Furien an den Hals springen und uns die Augen aus dem Kopf kratzen, wenn wir anderen unserer Art begegnen. Darum sind sie so streng und darum werden sie uns von unseren Erzeugern auch so eingebläut und ich gehe davon aus, dass dein Erzeuger dich entsprechend unterrichtet hat?

Der Andere ließ Harold die Zeit für ein knappes Nicken, oder ein kurzes Ja oder Nein, bevor er dann fortfuhr.

Mein Name ist Lurker und ich begrüße dich in Finstertal. Bitte erkläre mir warum es Sieben Tage gedauert hat, bis du zu mir gekommen bist.

Natürlich wusste er, dass diese Stadt ihre Besonderheiten hatte und es gab durchaus Erklärungen dafür, dass sich ein vorstellig werden bei seinem Primogen zwei oder drei Tage verzögerte. Zum Beispiel wäre es in Lurkers Augen eine gute Antwort gewesen, wenn man gesagt hätte, dass man aufgrund des Rufs dieser Stadt, zuerst Erkundungen einholen und sich umsehen wollte, um ein Gefühl für Finstertal zu entwicklen, oder einen sicheren Unterschlupf gesucht hatte. Aber 7 Tage waren ein ziemlicher Brocken, vor allem, wenn man dann noch wusste, dass Harold in dieser Zeit alles mögliche getrieben hatte, aber nicht das, was man ihn als seine wichtigsten Pflichten gelehrt haben sollte.

Da sein Primogen nicht auf die wiederholte Einladung einging, konnte man wohl davon ausgehen, dass er im Moment nirgendwo anders hin wollte. Seine Sorge, derartige Unterhaltungen nicht in der Öffentlichkeit führen zu wollen ehrte Hal zwar, aber dies hier war die Mülldeponie. Schon seit Zeiten des alten Nosferatu Reißer war dies das Herz der Nosferatu Domäne. Als Nosferatu sollte man hier jeden Winkel und jede Biegung kennen. Außerdem wimmelte es hier vor streunenden Katzen und Hunden, Ratten und Krähen. Anscheinend hielt Lurker diesen Ort also für sicher genug.
 
Und das wars... Beim eigenen Boß den ersten und wohl auch zweiten und dritten Eindruck versaut. Naja, warum auch nicht, schlimmer kann es ja kaum werden... Die Froschfresser und der Neger sind ja auch nicht meine Freunde... Aber vielleicht kann ich das noch soweit retten, daß er mich wenigstens duldet...

Mit der Miene eines Kindes, das eine wohlverdiente Strafpredigt bekommt, nickte Hal nur. Als Lurker dann eine Erklärung forderte, gab er sie ihm, stockend als ob er nicht davon ausginge, daß die Gründe genügten und er wagte es nicht, den Boß dabei anzusehen.

"Ich habe mir eine Zuflucht gesucht und nebenbei meine Pflichten über Dingen vernachlässigt, die mich weiterbringen sollten... Ich wollte vor dir stehen und zeigen, daß ich kein Versager bin, sondern etwas erreichen kann. Allen wollte ich das beweisen: Mir, dir, meiner Familie, den Paukern, den Knastverwaltern, Milly, den alten Komplizen, den Kommißhengsten, kurz außer uns beiden jedem, der jemals daran gezweifelt hat, daß jemals mehr aus mir wird als ein erfolgloser Kleinganove... Und irgendwie habe ich es geschafft, daß alles noch schlimmer darzustellen: Du hast zum Beispiel sicher von der Sache mit Brunner dem Russenbuchhalter gehört ? Das habe ich versaut und nur, weil ich mir eine feste Arbeit besorgen wollte... Klingt erbärmlich, ist aber leider so..."
 
Endlich fasste Lurker den Rand seiner Kapuze und schlug diese zurück, um dem Anderem sein Gesicht zu zeigen, wie es unter Nosferatu üblich war. Seine Miene war wirklich streng, aber es war deutlich Sorge in ihr zu sehen. Hal wirkte irgendwie verwirrt und vieles von dem was er sagte, machte kaum einen Sinn. Knastverwalter? Milly? die alten Komplizen? War es möglich, dass ein Teil seines Verstandes immer noch in seiner Vergangenheit verweilte und er somit immer Schwierigkeiten hatte genau zu trennen was nun Gegenwart war und was nicht? Nicht wenige Verborgene erfuhren bei der Transformation in ein Monster schwere Trauma und ernsthafte, seelische Schäden. Bei einigen konnte es so schlimm sein, dass sie immer wieder Phasen hatten, in denen sie nicht zurechnungsfähig waren. Manche waren sogar so kaputt, dass sie praktisch rund um die Uhr betreut werden mussten. Diese Verborgenen hockten tief in den Bauten ihres Clans und verließen ihre Nischen praktisch nie. Sie verbrachten den ganzen Tag damit ihre Aufgaben auszuführen, in denen sie fast unschlagbar waren, aber sobald man versuchte ein normales Gespräch mit ihnen zu führen, starrten sie einen nur verständnislos an und fragten ob es denn immer noch Feuer vom Himmel regnete und es denn den Kindern gut ginge.

In vielen Nosferatu Gemeinden gab es auch für solche Gestörten einen Platz und man ließ sie einfach gewähren und kümmerte sich um sie. Aber ob es in Finstertal möglich war, dass so ein Mitglied der Familie hier sein Dasein fristen konnte?
In dieser Stadt kam es nicht einmal sonderlich auf das Blut an. Entweder man war auf Zack, oder man war Geschichte. Daher furchten tiefe Sorgenfalten Lurkers Stirn, als er versuchte zu ermitteln, ob Harold es in seiner Stadt schaffen würde.

Russenbuchhalter sind im Augenblick egal. Dein Verhalten würde schon in einer normalen Stadt schwer bestraft werden, aber dies hier ist Finstertal. Hier ist nichts normal, wie du vielleicht schon bemerkt hast.

Nachdenklich puhlte der Verborgene mit einem seiner langen, schwarzen Fingernägel in seinen brüchigen Zahnreihen herum. Was sollte er nun mit diesem Kerlchen hier anstellen?

Glücklicherweise gibt uns unsere wunderbare Stadt aber auch immer genug Gelegenheiten zur Sühne. Es würde wohl keine Sinn machen dir irgendwelche Strafen angedeihen, oder dich die Regeln unserer Gemeinschaft solange herunterschreiben zu lassen, bis dir die Haut in Fetzen von den Knochen hängt vom Schreiben. Das würde uns im Moment nur schwächen und das können wir nicht gebrauchen. Aber...natürlich kann ich dich auch nicht einfach vom Haken lassen. Morgen Nacht werden wir einen Angriff gegen eine Horde Werwölfe führen. Du wirst dich bei Helena O' Niell, unserer Hüterin, melden und an diesem Angriff teilnehmen. Ich verlange nicht, dass du mir hier die Köpfe von einem Dutzend Werbestien im Sack bringst, aber du wirst Teil nehmen und deinen Beitrag leisten. Wenn du es in einem Stück danach wieder zurück schaffst, wissen wir beide, dass du etwas taugst.

Eigentlich war das eine milde Strafe, wenn man bedachte, dass Clan Nosferatu ohnehin geschlossen in den Kampf ziehen würde, aber das musste er Hal ja nicht auf die Nase binden. Dann sprach er mit leicht resigniertem Tonfall weiter.

Und achte bitte ein wenig darauf wem du wie begegnest. Wir haben viele junge Schnösel in der Stadt, die keine Ahnung haben wo sie hier hineingeraten sind, aber viele die schon länger hier sind und diese Stadt als ihre Heimat betrachten haben schon mehr erlebt als ein 100 jähriger Kriegsveteran. Ich will, dass du diese Leute kennst und ihnen entsprechend begegnest. Merke dir, jeder der länger als ein paar Wochen in dieser Stadt bleibt, und noch existiert, kann kein kompletter Stümper sein. Finstertal frisst Stümper und spuckt ihre zermalenen Knochen am anderen Ende wieder heraus. Klar? Ich werde der Akademie melden, dass du dich bei mir eingefunden hast und das ich ausreichend empört und wütend bin und dein Verhalten natürlich entsprechend ahnden werde und dich für den Angriff eingeteilt habe und so weiter und so fort.

Die gräulichen Augen seines Gegenübers nahmen noch einmal abschätzend Maß, als der Verborgene seinen Bruder eindringlich musterte.

Ich wünsche dir viel Glück und hoffe dass wir uns wieder treffen.

Das klang immerhin aufrichtig und anscheinend gab es wirklich die Chance sich vollständig zu rehabilitieren. Dummerweise würde man dafür in den Krieg ziehen müssen, aber Harold hatte doch gesagt, dass er sich und allen etwas beweisen wollte? Wenn nicht bei dieser Gelegenheit, wann dann?
 
Also bei der Hüterin melden und mitkämpfen... Ich hatte ja eher auf Aufklärung gehofft, aber es wird wohlauch so gehen müssen... Haben wir uns wieder prachtvoll in die Scheiße geritten... Aber was solls, gekämpft haben wir schon und sofern der Plan was taugt kann daraus auch etwas werden...

Die Gestalt vor ihm verschwamm kurz und wurde durch ein gelblich-grünes Wesen ohne Hals und Stirn ersetzt, das eher an einen Frosch als an einen Menschen denken ließ. Nur Kleidung und Stimme waren gleich geblieben. Nach der Abhandlung über den Kampf als Buße salutierte Hal kurz und stand dann lässig da.

"Zu Befehl, allerdings hätte ich dazu noch ein paar Fragen, die ich gern vorher geklärt hätte, wenn du möchtest... Zum einen, wer die Aktion in der Praxis befehligt, zum anderen, woher ich die nötigen Waffen bekommen könnte, wenn ich den Hanseln in der Schmierbude nicht traue, daher eigene mitbringen müßte und keine habe... Und die letzte Frage wäre, wer auf den Gedanken gekommen ist, daß irgendwelche Wölfe uns nicht zum Nachtisch oder als Zwischenmahlzeit schnetzeln, sobald alles tot ist, was sie mehr hassen als uns ?"

Dann lächelte er wieder.

"Ich werde es mir merken, Boß..."
 
Für sein Empfinden, waren seine letzten Worte recht eindeutig als Verabschiedung zu verstehen gewesen. Tatsächlich war seine Geduld dann aber anscheinend doch noch nicht erschöpft, denn anstatt sich umzudrehen und Harold damit seinen Anweisungen zu überlassen, machte der Verborgene ein paar Schritte in Richtung Zentrum des Schrottplatzes, um sich dann noch einmal Hal zu zuwenden.

Es wird sich vor Ort zeigen, wer am Ende wirklich die Befehlsgewalt haben wird. Für Bewaffnung ist gesorgt, unsere Verbündeten erledigen das. Zu den Werwölfen sei gesagt, dass sie bereits einige von uns vernichtet haben und sie eine Gefahr darstellen, die vernichtet gehört. Mehr ist im Moment nicht wichtig. Wenn du irgendwann einen guten Plan hast um die Viecher final loszuwerden, werde ich ihn mir mit Freuden anhören. Bis es soweit ist, schlage ich vor, dass wir uns um unsere akuten Probleme kümmern.

Er erwiderte das Lächeln des Anderen mit einem knappem Nicken und dann würde er sich umdrehen und wieder auf den Weg machen. Er verlor nur sehr ungerne Clansgeschwister, aber die Werwölfe waren, solange man die Hexer nicht final los war, oder Zieglowski kein Problem mehr darstellte, nur eines von vielen Problemen und Lurker konnte im Moment nur fähige Leute gebrauchen. Wenn sich herausstellte das Harold dazu gehörte, wunderbar. Wenn nicht, nun, dann würde es Lurker leid tun, aber zum trauern würde wohl vorerst keine Zeit sein.
 
Einfach gesagt bedeutet das einen Kampfeinsatz gegen einen stärkeren Feind mit zweifelhaften 'Verbündeten' und einer zusammengewürfelten Truppe... Das ist schon beim letzten Mal schlecht gelaufen, obwohl wir damals eine halbwegs disziplinierte Truppe waren und nicht mit internen Kriegen zu kämpfen hatten... Zudem hatte ich damals Leute dabei, auf die ich mich bedingungslos verlassen konnte... Tja, jetzt habe ich nicht mal einen gedeckten Rücken... Ach, läßt sich ja doch nicht ändern...


Nach einem kurzen Seufzer kratzte Hal sich am Kopf, dann verschränkte er die Arme auf dem Rücken und hörte dem Boß mit ernster Miene und ohne jede Spur eines Lächelns zu. Als Lurker fertig war, nickte er nur kurz.

"Jawohl, Boß, um die aktuellen Probleme kümmern und so schnell wie möglich bei der Hüterin melden ! Rest kann bis danach warten !"


Als der Boß sich dann umdrehte und ging, verließ er ebenfalls die Müllkippe. Es war noch viel zu tun...
 
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